Zürich, Zürcher Kammerorchester, ZKO - Kleines Orchester - Großer Flügel, IOCO Kritik, 08.05.2021
Zürcher Kammerorchester - Mozart und Britten
Kleines Orchester und großer Flügelvon Julian Führer
An der Zürcher Stadtgrenze liegt etwas versteckt das „ZKO-Haus“, in dem das Zürcher Kammerorchester nun wieder spielen darf. Das Programm musste umständehalber angepasst und leider auch gekürzt werden – dafür wurden die beiden Werke in zwei Durchgängen von je einer Stunde präsentiert, so dass zweimal je 50 Gäste ins Publikum konnten.
Hier besprochen - ZKO - Konzert vom 4. Mai 2021
Unter der Leitung von Willi Zimmermann gab es zwei Jugendwerke, zunächst die 1934 uraufgeführte Simple Symphony Opus 4 des damals zwanzigjährigen Benjamin Britten, der darin bereits früher fixierte Motive verarbeitete und verdichtete. Die vier Sätze haben einen je eigenen Charakter und sind auch entsprechend betitelt. In der „Boisterous Bourée“ beginnt das nur mit Streichern besetzte Orchester in klassischer Klangsprache, die Grundstimmung ist unverkennbar fröhlich, gegen Ende sind Quarten- und Quintensprünge zu hören. Gerade die Celli und Bässe lassen die Luft im Saal vibrieren – ein Erlebnis, das keine Konserve und kein ‚Stream‘ je werden ersetzen können.
Das „Playful Pizzicato“ des zweiten Satzes verzichtet gänzlich auf Bogeneinsatz (einen ganzen Symphoniesatz nur mit Streicherpizzicati hatte bereits Tschaikowsky im dritten Satz der vierten Symphonie komponiert). Wieder sind die Intervallsprünge in den tiefen Streichern zu hören – Britten hat tatsächlich Bezüge zwischen den Sätzen hergestellt und nicht nur gute ‚Einfälle‘ aus früheren Zeiten miteinander verbunden. Der dritte Satz („Sentimental Saraband“) erschließt andere Klangwelten: Einerseits lässt er von Titel und Umsetzung her an spätbarocke Kompositionsformen wie bei Couperin denken, andererseits herrscht eine lastende Atmosphäre, wie man sie beispielsweise im einige Jahre später komponierten achten Streichquartett von Dmitri Schostakowitsch (erster Satz) hören kann. Das „Frolicsome Finale“ macht seinem Namen alle Ehre. Ähnlich wie in Prokofiews Symphonie classique wird unter Rückgriff auf ‚alte‘ Formen des musikalischen Ausdrucks Neuland betreten, gewissermaßen eine traditionelle Aufmachung für einen dann doch neuen Inhalt. Als Britten später Curlew River schrieb, ließ er dieses Stück mit einem gregorianischen Choral beginnen, den er dann aber auf eine ganz eigene Art weiterentwickelte. Im Finale der Simple Symphony werden Bögen und Pizzicati gemischt, auch dort wird also auf die ersten Sätze Bezug genommen. Ein Werk, das man gerne häufiger hören würde.
Für das folgende Klavierkonzert Es-Dur KV 271 von Wolfgang Amadeus Mozart nahm das Orchester, das bislang im Stehen gespielt hatte, auf Stühlen Platz, und ein riesiger Bösendorfer-Konzertflügel wurde in die Mitte des Podiums geschoben, an dem dann Alexandre Tharaud aus Frankreich Platz nahm. Auch Mozart war 20 Jahre alt, als er diesen zweiten Teil des Konzertprogramms komponierte. Dieses Stück für Klavier und Orchester ist von vielen Interpreten und Musikhistorikern als Wendepunkt in Mozarts Schaffen bezeichnet worden. Die Introduktion des Allegro spielte das ZKO mit federnden Akzenten, also betonten und leicht nachschwingenden ersten Schlägen; vor der erstmaligen Präsentation des zweiten Themas gab es ein deutliches Ritardando – keine Interpretation für Originalklangfans.
Alexandre Tharauds Anschlag an dem sensiblen und eigentlich für das ‚schwere‘ romantische Repertoire besonders geeigneten Flügel war sehr klar, eher kristallin als metallen wie an einem Steinway. Entsprechend den Gegebenheiten des Saales und den Erfordernissen des Instrumentes nahm er die Mittellage und vor allem die Basslinien sehr zurück. In der Kadenz des ersten Satz gab er den Bässen mehr Raum und setzte auch deutlich mehr Pedal ein – eine Interpretation, die auch im zweiten Satz unterstrich, welche neuen Aussichten auf musikalische Welten Mozart mit diesem Werk eröffnete, die dann von Beethoven und anderen nochmals erweitert werden sollten. Nach der Kadenz trumpfte das Soloinstrument in den Schlusswendungen nicht auf, wie es sonst oft zu hören ist, sondern hielt sich im Gesamtklang mit dem Orchester zurück.
Das folgende Andantino begann, vom Orchester mit lastenden Akzenten unterstrichen, in düsterem c-Moll. Vieles in diesem Mittelsatz verweist bereits auf Beethoven, doch gaben das Orchester und Alexander Tharaud mehreren Passagen auch Klangfarben, die der für Mozart oft charakteristischen Melancholie entsprach, ohne in Beethovensches Trauern, Grollen oder Wutschnauben zu verfallen. Interessant zu beobachten war der intensive Blickkontakt zwischen Pianist und Orchester. Das abschließende Rondeau stellte nochmals eine Weiterentwicklung dar. Auch wenn er die Hand stets ganz ruhig hielt, verlieh Tharaud den Basslinien im dritten Satz doch deutlich mehr Körper, was er durch nachdrücklicheren Pedaleinsatz unterstrich. Die ausgelassene Grundstimmung gewann so Körper und Tiefgang und vielleicht auch doppelten Boden, auch hierin interpretatorisch bereits auf Beethoven vorgreifend. Nach einer guten halben Stunde Musik hatte man den Eindruck, von einem noch fast jugendlichen zu einem sehr erwachsenen Mozart gekommen zu sein.
Das notgedrungen noch kleine Publikum spendete dankbar reichlichen Applaus. Die Entwicklung der „Zahlen“ stimmt hoffnungsvoll, dass bald auch mehr Publikum zugelassen werden kann. Möge man in Deutschland die Signale hören: Ein Opern- und Konzertbetrieb ist möglich.
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