Zürich, ZKO Opera Box, Don Procopio - Georges Bizet, IOCO Kritik, 25.01.2019,
ZKO - Züricher Kammerorchester
Don Procopio - Georges Bizet
- Ein Omelett als musikalische Dreingabe -
von Julian Führer
Georges Bizet? Natürlich, der Komponist der Carmen! Vielleicht verbinden manche mit diesem Namen noch die Perlenfischer (Les pêcheurs de perles) oder auch La jolie fille de Perth – aber wer weiß schon, dass Bizet, der keine vierzig Jahre alt wurde, mehr als ein Dutzend Opern und Operetten komponiert hat? Eines seiner frühesten Werke nennt sich Don Procopio. Einmal im Jahr bringt das Zürcher Kammerorchester in seinem Stammhaus (Foto oben, ein ehemaliges Starkstromlabor am Stadtrand Zürichs) im Rahmen der Opera Box auch Musiktheater auf die Bühne. Die räumlichen Verhältnisse bringen es mit sich, dass das Publikum sehr dicht an der Bühne sitzt (und das Orchester sich am Rand befindet). In Zürich, soviel sei von Anfang an verraten, wurde ein musikalischer Leckerbissen serviert.
Worum geht es? Eine junge Frau soll einen alten Mann heiraten, weil ihr Stiefvater diese Ehe aus finanziellen Gründen arrangiert hat. Natürlich will sie diese Ehe nicht, denn sie ist ebenso natürlich in einen feschen jungen Mann verliebt. Was tun? Es wird intrigiert, die schlaue Frau geht zum Schein auf den Handel ein, bedrängt aber ihren Herrn Zukünftigen und malt ihm in leuchtenden Farben aus, wie sie sein Geld durchbringen wird. Am Ende fügt sich alles, und es darf geheiratet werden, aber nur zwischen den jungen Liebenden. Klingt bekannt? In der Tat – der Stoff kombiniert Versatzstücke der Opera buffa, und Gaetano Donizetti hat mit dem 1843 uraufgeführten Don Pasquale ein höchst verwandtes Sujet vertont. Was bewog Bizet, ein so sehr ähnlich gelagertes Stück zu in Musik zu setzen?
Bizet befand sich Mitte der 1850er Jahre als zwanzigjähriger Stipendiat, der früh die Aufmerksamkeit Jacques Offenbachs auf sich gezogen hatte, in Rom mit dem Auftrag, eine Messe zu komponieren. Das Ergebnis war dann doch eine im italienischen Stil geschriebene und italienisch gesungene Buffo-Oper, für die er sich an den italienischen Meistern seiner Zeit, darunter Gioacchino Rossini und eben Donizetti, orientierte. Bizet war noch sehr jung und lehnte sich stark an seine Vorbilder an, aber fand doch auch schon zu einer eigenen Klangsprache. Erhalten ist uns eine Stunde Musik, die von Charles Malherbe für die Uraufführung 1906 erweitert wurde. In Zürich gab es Bizet mit den Erweiterungen Malherbes und mit einer delikaten Zugabe.
Der Bühnenraum, unmittelbar an die erste Parkettreihe grenzend, bietet wenig mehr als eine Couchgarnitur, die stilistisch in die Zeit um 1900 weist, und, etwas erhöht, eine Anrichte (Bühne: Myriam Kirschke). Dies genügt aber schon, die schnellen Auf- und Abgänge zu arrangieren. Die Übergänge zwischen den einzelnen musikalischen Passagen werden von einem Conférencier (Samuel C. Zinsli) zusammengefasst (eine Übertitelung hat die Opera Box nicht). Die Regie lag bei Paul Suter, der das komische Potential des Buffo-Stoffes voll ausschöpfte. Auch ein Stück, das aufgrund seiner Handlung und seiner perlenden Musik ein Selbstläufer sein könnte, benötigt ein gekonntes Arrangement, damit das Timing der Partitur ihr Pendant auf der Bühnenfläche hat.
Von Suter angeleitet, hatten die einzelnen Charaktere Gelegenheit, ihre Figuren zu präsentieren. Jeanne-Pascale Künzli war Donna Eufemia, die zweite Ehefrau des Stiefvaters Don Andronico (Martin Weidmann). Beide zeigten viel komödiantisches Talent und sehr ansprechende Stimmen. Donna Eufemia (wörtlich: die Dinge auf schöne Weise Sagende!) war vor allem damit beschäftigt, ihrem Ehemann diverse Szenen zu machen; insgeheim war sie stets auf der Seite der Stieftochter Bettina, die von Christa Fleischmann dargestellt wurde. Bei ihrem ersten gemeinsamen Auftritt war die Stiefmutter noch deutlich lauter und schärfer timbriert als die Stieftochter (durchaus zu den Rollen passend), alsbald hatten sie aber zu stimmlicher Balance gefunden.
Die Partie der Bettina hat Bizet nicht leicht komponiert, teilweise geht es sehr schnell, dann weit nach oben, dann wieder nach unten. Nicht jede Sängerin wäre dieser Partie so gewachsen. Bettina hat noch einen Bruder, der die Intrige wesentlich vorantreibt: Ernesto, hier von Bojidar Vassilev stimmlich souverän und manchmal bewusst leicht schmierig dargestellt. Um Don Procopio zur Flucht zu bringen, droht er sogar mit einem Duell; man ahnt, welche musikalischen Möglichkeiten die Partitur hier birgt. Und Don Procopio selbst? Er wird vom operettenerfahrenen Erich Bieri verkörpert, der die Partie stimmlich wie szenisch voll und ganz ausfüllt und dem man mit viel Vergnügen zusieht, wie er etwas tölpelhaft in die Intrige hineinstolpert, die Ernesto zugunsten von Bettina gewoben hat. Bei den Hauptrollen fehlt nur noch der jugendliche Liebhaber der Bettina, Odoardo. Luca Bernard, der soeben erst als Student seinen Master absolviert hat, sieht jugendlich aus, hört sich jugendlich an und ist auch fast noch jugendlich. Seine Tenorstimme ist schlicht schön, technisch auf der Höhe, flexibel, und er harmoniert mit den anderen Stimmen auf der Bühne. Man will mehr von ihm hören, auch auf anderen Bühnen, und zwar möglichst bald!
Das sehr reduzierte Zürcher Kammerorchester (Streicher einfach besetzt, Flöte, Oboe, Klarinette, Fagott, Horn, Pauke) entwickelte unter Andres Joho eine erstaunliche Breite an Klangfarben. Aus der Not eine Tugend machend, setzte sich der Dirigent mitunter selbst ans Klavier, um die einer romantischen Nachtszene geziemenden Harfenklänge beizusteuern (Orchesterarrangement: Wolfgang Drechsler).
Und die delikate Beilage? Nun: Zur Vorbereitung der Hochzeitsfeierlichkeiten zwischen dem alten Don Procopio und der jungen Bettina ist eine ganze Heerschar Köche angetreten. Die steht zwar so nicht in Bizets Partitur, ist aber in seinem Einakter Le docteur Miracle enthalten, den er als Achtzehnjähriger schrieb. In dem hinreißend albernen Quartett (natürlich todernst vorgetragen) "Voici l’omelette" wird in diesem Arrangement das Hochzeitsmahl vorbereitet. Zwei Köche und zwei Köchinnen bereiten zu höchst kultiviertem Gesang ein Omelett zu – und servieren es (denn das Omelett ist echt!) ...... dem Publikum im Parkett!
Der witzige Abend mit Musik voller schöner Einfälle und mitunter fast dreisten Entlehnungen bei der italienischen Buffo-Tradition wurde vom Publikum einhellig gefeiert. Szenisch gekonnt umgesetzt und mit reduziertem Orchester gut durchhörbar aufgeführt – eine Entdeckung!
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