Zürich, Tonhalle Maag, Mozart, Bruckner - Tonhalle Orchester, IOCO Kritik, 06.01.2020
Wolfgang A. Mozart, Anton Bruckner - Tonhalle Orchester
von Julian Führer
Das Tonhalle-Orchester befindet sich in einer Umbruchsphase – nach einer Zeit ohne Chefdirigenten nun ein Neustart mit Paavo Järvi, allerdings bis zum Sommer noch in einem Ausweichquartier. Zum Jahresende gab es Debüts (Joshua Weilerstein und Gianandrea Noseda) ebenso wie ein Wiedersehen mit bekannten Gesichtern – Paavo Järvi ebenso wie Herbert Blomstedt, der jetzt ein Programm mit Werken von Mozart und Bruckner dirigierte.
Die Symphonie Nr. 34 KV 338 von Wolfgang Amadeus Mozart wird bei weitem nicht so häufig gespielt wie die Spätwerke aus Mozarts symphonischem Schaffen. Das Tonhalle-Orchester bot dieses Werk in recht üppiger Besetzung. Nach einer langsamen Introduktion wurde beim Allegro vivace des ersten Satzes schnell deutlich, dass die Musiker hochmotiviert den Zeichen des Dirigenten folgten. Im Vergleich zu anderen Einspielungen der jüngeren Zeit waren eher breite Tempi zu hören, das Blech war mit Ventilhörnern besetzt. Beeindruckend war das geschlossene Klangbild: alert im Allegro (zum Beispiel im Zusammenspiel der Violinen), aufmerksam aufeinander hörend im Andante des Mittelsatzes und regelrecht spritzig im Allegro des Schlusssatzes. Im ersten Satz wurden die Akkorde nach den Bläserfanfaren weich aufgefangen, woraus sich ein federnder Eindruck ergab. Mozart komponierte diese Symphonie noch ohne Klarinetten; die Violinen hatten bei der Abstimmung im zweiten, die beiden Oboen hatten im dritten Satz minime Probleme bei der Abstimmung ihrer Terzenketten, die aber insgesamt nicht ins Gewicht fielen, zumal im Finale wirklich ‚alles‘ stimmte. Die ganze Meisterschaft Herbert Blomstedts erwies sich an vielen Details, beispielsweise darin, wie das Horn im Finalsatz in einen Akkord mit einem Crescendo erst ‚hineinkam‘, obwohl es von Anfang an schon hörbar war. Eine sehr überzeugende und statt den Schroffheiten (die es in dieser Symphonie durchaus gibt) eher das Geschmeidige der Partitur betonende Interpretation. Das Publikum applaudierte dankbar.
Teilen des Publikums war der zweite Teil des Konzerts wohl schon zu modern oder zu lang, es waren auf einmal einige Plätze frei. Die vierte Symphonie Anton Bruckners, auch als die „Romantische“ bezeichnet, dürfte das meistgespielte Werk dieses Komponisten sein. Herbert Blomstedt dirigierte die zweite Fassung von 1878 mit einem gegenüber der vier Jahre zuvor geschriebenen ersten Fassung gänzlich neuen Scherzo. Wie derzeit vielleicht kein anderer Dirigent kann Blomstedt als intimer Kenner dieser Werke gelten; diese Symphonie in Es-Dur liegen in drei Einspielungen vor (1980 mit der Staatskapelle Dresden, 1995 mit dem San Francisco Symphony, 2012 mit dem Gewandhausorchester Leipzig). Im Vergleich zu anderen Interpretationen schien dieser Bruckner gewissermaßen abgeschliffene Kanten zu haben, jedoch im positiven Sinne: Die dynamischen Abstufungen waren deutlich, aber nicht zu schroff. Die bei großen Lautstärken nicht einfache Akustik der Tonhalle Maag schien keinerlei Probleme zu bereiten. Im ersten Satz (Bewegt, nicht zu schnell) und auch in der Introduktion zum Scherzo hatten die Hörner große Momente. Das erste Horn präsentierte sich selbstbewusst und durchaus laut; der Einsatz der Streicher dazu (nicht nur, aber auch de schwelgerisch einstimmenden Celli) war meisterhaft geführt. Die Bläser klangen beeindruckend weich, es war viel misterioso im Pianissimo zu hören. Diese Weichheit zeigte sich auch im Klang der Klarinette, Details wie einem Decrescendo der Trompete und der behutsamen Flöte (Sabine Poyé Morel).
Im Andante quasi Allegretto des zweiten Satzes hatten die Flöten ihren großen Moment. Im Zusammenspiel mit den breit aufspielenden Celli und den ganz entfernt ein Echo intonierenden Hörnern war hier der romantische Bruckner zu hören. Beim Bläsersatz und den Pizzicati der Streicher am Ende des zweiten Satzes dachte man ein ums andere Mal, es müsse genau so und nichts anders sein. Eine mustergültige Interpretation! In der Einleitung zum Scherzo wurden die Hörner abermals wie aus der Ferne aufgebaut und dann in einem beeindruckenden Accelerando mit dem gesamten Orchester zusammengeführt. Der Satz endete in einer langen Fermate. Das Finale (Bewegt, doch nicht zu schnell) präsentiert ein etwas sperriges Bläserthema und gipfelt nach vielen Wandlungen in einem fast apotheoseartigen Schluss. Die Exaktheit der Pizzicati in den Kontrabässen, ein ungemein beeindruckendes Pianissimo der ersten und zweiten Violinen – die Liste der schier beglückenden Details ließe sich noch verlängern. Nach dem Schluss erzwang Herbert Blomstedt über den langen Nachhall hinaus eine große Generalpause auch des Publikums, die in einen intensiven Applaus mündete, bei dem man dem Orchester (beispielsweise dem Solohornisten) noch etwas mehr Zustimmung gewünscht hätte.
Herbert Blomstedt dirigierte beide Werke auswendig und ohne Taktstock, dafür aber mit sichtlicher Freude am musikalischen Gestalten. Das Orchester folgte bei allem konzentriert und demonstrierte eindrucksvoll, dass es mit dem richtigen Dirigenten zu Höchstleistungen in der Lage ist. Am beeindruckendsten war an diesem Abend vielleicht, dass praktisch keine Einzelheiten hervorstachen, sondern bei beiden Werken eine Interpretation wie aus einem Guss vorlag. Man wünscht dem Tonhalle-Orchester und sich selbst viele solcher Abende und ein baldiges Wiedersehen mit diesem Ausnahmedirigenten.
Besprochenes Konzert 11. Dezember 2019
---| IOCO Kritik Tonhalle Zürich |---