Wiesbaden, Hessisches Staatstheater, WOLFGANG VATER - Bass-Bariton im Kulissengesplauder, IOCO Aktuell, 20.06.2023
WOLFGANG VATER - Bass-Bariton Kulissengeplauder im Staatstheater
- Ein Künstler, der seinen Weg gefunden hat -
von Ingrid Freiberg
Bei Katharina Queck, Theaterfreunde Wiesbaden e.V., im prachtvollen Foyer des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden ist der Bass-Bariton Wolfgang Vater im Rahmen eines Kulissengespräches zu Gast.
Der in Bremerhaven geborene Vater war von 1991 bis 2014 Ensemblemitglied des Theaters und nach dieser Zeit mit dem Haus als Gast eng verbunden. Gastengagements führten ihn zum Gärtnerplatztheater München, an die Opernhäuser Frankfurt am Main, Mannheim, Bonn, Dortmund, Essen, Bremen sowie zum Théâtre du Châtelet Paris, Metz und Genua. Darüber hinaus hat Wolfgang Vater einen Lehrauftrag für Stimmbildung an der Universität Mainz.
Über Babysitten zur klassischen Musik
Launig erzählt Wolfgang Vater über sein reiches Leben: Zu Hause waren seine Eltern Freddy Quinn und Peter Alexander, dem deutschen Schlager zugetan. Theater- und Konzertbesuche waren nicht üblich. So war auch nicht vorhersehbar, dass er einmal am Theater landen würde. Erste Berührungen mit dieser Welt hatte er im hellsten Knabensopran als Josef, „seiner ersten Hauptrolle“, in einem Krippenspiel. Sein Lehrer fragte: „Kannst du das ein bisschen tiefer singen? Josef ist doch ein alter Mann!“ War das der Startschuss zur späteren Karriere des Bass-Baritons? Hauptrollen im Schultheater in der Volksschule und in der Theater AG am Gymnasium folgten. Seinerzeit meinten viele schon, er wird beim Theater landen…
Um sein Taschengeld aufzubessern, war er Babysitter bei einer amerikanischen Familie, die ihm erlaubten, ihre Schallplatten, volkstümliche Klassik, zu hören - seine erste Begegnung mit Komponisten der klassischen Musik. An einem der Abende passierte etwas, dass er sich bis heute nicht erklären kann: „Ich legte eine Querschnitts-Schallplatte vom Freischütz auf. Die Musik traf mich mitten in ‚die Zwölf‘. Plötzlich schoss eine Musik in mich hinein, die mich aufgewühlt hat: Ich kam von dieser Musik nicht wieder los! Sofort kaufte ich mir eine kleine Schallplatte davon, die ich so oft hörte, bis meine Mutter durchdrehte. Carl Maria von Weber, insbesondere der Freischütz, gehört auch heute noch zu meinen musikalischen Heiligtümern. Das war der entscheidende Moment, wo etwas in mir aufbrach… Ich wollte die Welt der Klassik erkunden, das war eine Welt, von der ich merkte, das ist dein Ding!“
Wachgeküsst sparte er für ein Jugendabonnement für das Stadttheater Bremerhaven, das zu dieser Zeit ein beachtliches Niveau hatte, und da das nicht reichte, finanzierten seine Eltern zusätzliche Eintrittskarten. Ein Schulfreund lockte ihn in die Statisterie. Hier fand er Kontakt zum Ensemble, eine Welt, die er mit staunenden Augen und Ohren aufsog. In der Kantine hörte er zu, worüber sich die Künstler*innen unterhielten. Als ihn einer der Sänger fragt: „Du willst wahrscheinlich auch zum Theater, als Schauspieler oder Sänger?“ und bemerkt: „Wenn man so eine Sprechstimme hat, dann hat man auch eine Singstimme. Wollen wir es einmal probieren?“ Da Vater bislang der Meinung war, man könne singen oder nicht, und wenn man es nicht könne, sei das eben Pech, war er überrascht, dass man singen lernen kann. Erste Gesangsstunden auf der Probebühne des Theaters folgten, nach einem halben Jahr beherrschte er schon eine ganze Oktave. Die Eltern waren bereit, Gesangsstunden zu bezahlen, und nach zwei Jahren konnte man sagen: „Da ist ein Talent!“ Mit einem kleinen Mandolinen-Orchester gab er Konzerte und sang mit Erfolg italienische Canzonen in Bass-Bariton-Lage. Hiermit war klar, dass er die Musik-Hochschule besucht, um seinen Wunsch, Berufssänger zu werden, zu verwirklichen.
Tradition ist nicht die Bewahrung der Asche, sondern die Weitergabe des Feuers
An der Musikhochschule Hannover fand er exzellente, prägende Lehrer. Sie kamen aus der Praxis, waren zum Teil noch am Theater und wussten, was die Realität dieses Berufes ist. Allen seinen Lehrern ist Vater sehr dankbar. Was er könne, habe er ihnen zu verdanken. Heute läge vieles im Argen: „Wenn ich beobachte, was sich heute an den deutschen Hochschulen tut, wundert es mich nicht, dass wir so wenige qualifizierte deutsche Sänger*innen an den Theatern haben. Es unterrichten Leute, die gerade mal zwei Jahre am Theater gewesen sind, kein weiteres Engagement gefunden haben und dann Dozenten an der Hochschule werden. Ich unterrichte seit vielen Jahren und möchte das, was mir meine Lehrer geschenkt haben, an die nächste Generation weitergeben. Ich halte viel von Traditionen. Es gibt den wunderbaren Satz von Gustav Mahler: „Tradition ist nicht die Bewahrung der Asche, sondern die Weitergabe des Feuers.“
Als junger Sänger will er den Staub aus der Oper schütteln
In das Theaterleben eingetaucht ist Vater während seines ersten Engagements am Theater Bielefeld. Es war eine gute Zeit, eine Mischung aus kleinen und anspruchsvollen Rollen, wie Leporello und Figaro, und mit für einen jungen Sänger geeigneten Rollen von Mozart und Rossini. Seine sechs Jahre am Musiktheater im Revier Gelsenkirchen waren die bedeutendsten seines Berufslebens. Der Intendant Claus Leininger, der später nach Wiesbaden ging, forderte und förderte ihn, ermöglichte ihm, in große Partien hineinzuwachsen, sich auszuprobieren - auch mit einer bedeutenden Schauspielrolle: Er fragte ihn, ob er Lust habe, den Bassa Selim zu spielen. Als Vater spontan zusagte und seinen Honorarwunsch von DM 300,-- äußerte, antwortete Leininger mit weit aufgerissenen Augen: „Für diese Gage bekomme ich Martin Held!“ Der Intendant hatte ein Händchen für Regisseure. Regisseure, die Stücke auf die Bühne brachten, ohne ihre eigene Eitelkeit zu befriedigen, Regisseure, die dem Stück dienten. Als junger Sänger, ein junger Wilder, der den Staub aus der Oper schütteln wollte, um sie frisch und lebendig auf die Bühne zu bringen, erlebte er lebendiges, aufregendes, spannendes Musiktheater und Regisseure, die Respekt vor Autoren und Komponisten hatten, auch wenn sie die Produktionen ungewöhnlich neu auf die Bühne brachten. Opern für Kinder wurden aufgeführt, wie Barbier von Sevilla und Freischütz, wo er den Kaspar so böse, wie es ihm möglich war, sang. Als er anschließend zum Einzelapplaus auf die Bühne kam, empfing ihn ein gigantischer Buhsturm, wie er ihn in seinem ganzen Leben nie gehört hatte. „Das war dein größter Erfolg! Du warst so böse, dass sie dich gehasst haben!“, bewunderten ihn seine Kollegen. In seiner Gelsenkirchener Zeit, wo er mit einem Kantor befreundet war, sang Vater auch Werke von Bach, seine Passionen und mindestens 80 seiner Kantaten.
Nach diesen sehr erfolgreichen sechs Jahren ging er auf die „freie Wildbahn“, war freischaffend und gastierte in der Bundesrepublik, in Österreich, Frankreich und Italien, sang mit berühmten Kollegen*innen kleine und mittlere Partien - mit Jose van Damme, Lucia Popp, Eike Wilm Schulte, Karl Ridderbusch, Siegfried Lorenz u.v.a.m. In Zeiten, wo es noch keine Handys gab, war es für einen Künstler besonders schwer, Beziehungen zu führen und Freundschaften zu pflegen. Hotelzimmer, Flugzeuge und Eisenbahnen hatte er satt und wollte wieder in ein Ensemble zurück. 1991 kam er nach Wiesbaden.
„Künstler“ ist ein Ehrentitel
Seine persönliche Einstellung zu seinem Beruf ist bemerkenswert: „Wenn ich nach meinem Beruf gefragt werde, bin ich Opernsänger. Andere sagen, sie seien Künstler. Ich betrachte die Bezeichnung Künstler als einen Ehrentitel, als eine Auszeichnung. Ob jemand ein Künstler ist, entscheidet das Publikum. Das ist etwas sehr, sehr Ehrenvolles… Es kann jemand ein guter Sänger sein, und die Zuhörer sagen, ja er war heute Abend gut, gehen aber sofort wieder zu einem anderen Thema über. Es kann aber auch sein, dass sie einen Sänger gehört haben, der sie erreicht hat, der ihnen etwas gegeben hat, das über den Abend hinausreicht, von dem sie gepackt, berührt, ergriffen waren, so jemand ist dann nach meiner Definition ein Künstler.
…das Leben ist so reich!
Vaters Interessen sind sehr breit gefächert: Er liebt Wagner, Bach, von Weber, Georg Kreisler, ist ein Verehrer von Thomas Mann, E.T.A. Hoffmann und Goethe und hat eine beachtliche CD-, Schallplatten- und Büchersammlung. Als politischer Mensch will er wissen, was in der Welt passiert, und sich nicht nur im Elfenbeinturm des Theaters bewegen. Das habe jedoch seinen Preis: Wenn jemand Berufssänger auf höchstem Niveau sein wolle, könne er nichts anderes tun, als sich dem Gesang, der Musik zu widmen. Er selbst habe die „höchste Liga“ nicht erreicht, auch nicht angestrebt. Es gab unendlich mehr Dinge, mit denen er sich beschäftigen wollte. „Das Leben ist so reich… ein Leben reiche nicht aus, um alles erleben können.“ Sich nicht nur als Sänger mit Musik zu beschäftigen, sondern die Musik einfach nur zu genießen, sei eine riesige Freude. Als Wagner-Kenner, unmittelbar von dessen Musik gepackt, habe er unzählige Male Tristan und Isolde und den Ring des Nibelungen gehört. Es packe ihn jedes Mal, obwohl Richard Wagner eine der zwiespältigsten Figuren der gesamten Musikgeschichte sei. Der Dirigent Leonard Bernstein habe einmal gesagt „Ich verehre ihn, aber mit zusammengebissenen Zähnen!“ Wagner sei nicht nur ein schwieriger Mensch gewesen, sondern auch ein Ideologe, ein Antisemit. Daran könne kein Zweifel bestehen, das dürfe man nicht ausblenden. Was dazu führte, dass er sich ein paar Jahre von ihm abgewendet habe, um dann wieder auf einem anderen Weg zu ihm zu finden. Trotz seiner Abscheulichkeiten stehe der Komponist immer noch im Zentrum seines Interesses. Sein erster Gesangslehrer war viele Jahre im Chor der Bayreuther Festspiele und beschaffte ihm Generalprobenkarten, reines Gold wert. So habe er als junger Mensch Birgit Nielsen, Wolfgang Windgassen, Marta Mödl erleben können. Eindrücke, die er bis heute bewahre. Längst feierte er sein 50jähriges Bayreuth-Jubiläum... Zu seiner Verehrung für Beethoven und Mahler sei ab seinem 50. Lebensjahr Bruckner hinzugekommen, dessen Sinfonien ihn bis dahin wenig berührt hätten.
Schauspieler und Autor
Mit Freude spielte Wolfgang Vater in zahlreichen Weihnachtsmärchen des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden: etwa den Lokomotivführer in Jim Knopf und den Vater von Pippi Langstrumpf. Das Glücksgefühl, 50 Vorstellungen für 1.000 Kinder je Vorstellung spielen zu dürfen, sei unbeschreiblich. Als Efraim Langstrumpf trug er ein weißes Kapitän-Kostüm, was sich von dem im Film unterschied. Ein kleiner Junge im 1. Rang rief: „Oh, guck mal, Käpt‘n Iglo!“ Vater schrieb eine Kinderfassung der Zauberflöte, in der er den Papageno sang, erarbeitet zusammen mit Ben Van Cauwenbergh, dem damaligen Ballettdirektor, Dornröschen, eine Ballettfassung für Kinder, und war Erzähler im Kinderkonzert Der Ring. Sonntagvormittags veranstaltete er im Foyer Kinderkonzerte mit kleinem Ensemble, erklärte die Instrumente, erzählte musikalische Geschichten und ging mit den Musiker*innen auch in Schulen. „Es ist unbeschreiblich, wenn man eine Schar von Kindern vor sich hat, die direkt und unmittelbar mit großen Augen und offenen Ohren verfolgen, was sie noch nicht kennen. Kinder glücklich zu machen, ist ein Geschenk, etwas ganz Außerordentliches.“
Wolfgang Vater schrieb und spielte eigene musikalisch-literarische Programme, wie zusammen mit Klaus Krückemeyer die Revue Schwarz-Rot-Petticoat!, die er mit nachhaltigem Erfolg mit dem hr2-RadioLiveTheater aufführte sowie in Kooperation mit dem Hessischen Rundfunk das Hörspiel Der Hund von Baskerville. Satirisches, Ironisches, Witziges, aber auch Ernsthaftes zum Muttertag, zur Wahl, Texte und Musik für St. Andreas mit Werner Seyfried und Peter Joachim Riedle, Beiträge für die Musik-Theater-Werkstatt im Malersaal des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden sind schöne Erinnerungen.
Musikunterricht muss allen Kindern zugänglich sein
Wolfgang Vater hält es für dringender denn je, Kinder an die Musik heranzuführen: „In den Familien wird nicht mehr gesungen, in den Schulen der Musikunterricht gestrichen. In diesem Bereich muss viel mehr gemacht werden. In einer Zeit, in der Smartphones bestimmend sind, ist das nicht einfach... Musikunterricht kostet Geld. Es darf aber nicht vom Einkommen der Eltern abhängen, ob Kinder Musik machen. Eltern, die genügend Geld haben, können sich Musikunterricht erlauben, andere können sich das nicht leisten. Das zu ändern ist eine wichtige Aufgabe für die Politik.“
Moderator und Sprecher
Mit seiner wohlklingenden Sprechstimme ist Vater seit nunmehr 20 Jahren als Moderator und Sprecher gefragt: bei Neujahrsempfängen, den Neujahrskonzerten Meets Proms, dem 50. Bühnenjubiläum des Kammersängers Eike Wilm Schulte, dem Petersburger Dialog mit Gorbatschow, der ihn freundlich begrüßte, im Konzerthaus Berlin, in der Alten Oper Frankfurt, bei den Stuttgarter Philharmonikern, den Frankfurter Symphonikern und bei Benefiz-Konzerten von Prima La Musica. Für den Fischer-Verlag las er mit John Griesemer, Richard Powers und Kenzaburo Oue.
Hinreißend intelligente Chansons von Georg Kreisler
Das lebhafte Gespräch über sein überaus abwechslungsreiches Leben, während dem Wolfgang Vater äußert: „Ich und mich kurzfassen, das ist ein schwieriges Unterfangen…“, belebt er zwischendurch - zur großen Freude des Publikums - mit drei Chansons von Georg Kreisler, dem von ihm hochgeschätzten Musiker, Literaten und Dichter. Begleitet von der phantastischen Pianistin Julia Palmova begeistert er mit Stilgefühl, gestalterischem Feinschliff, differenziert und ausgereift-geistreich mit Opernboogie und Der Musikkritiker, den er schmunzelnd mit den Worten ankündigt „Sollten Kritiker anwesend sein, so lege ich Wert darauf, zu betonen, dass ich den Inhalt des folgenden Liedes komplett ablehne…“, um mit dem unglücklichen Triangelspieler zu enden.
Ich nehme nicht tränenreich Abschied
„Wenn ich mich jetzt – in meinem 46. Bühnenjahr - in den Ruhestand zurückziehe, darf ich behaupten, ich habe gearbeitet! Ich habe nie etwas anderes gewollt, als Sänger zu werden, Sänger zu sein. Ich würde es immer wieder tun, das war meine Welt, mein Leben. Ich bin dankbar und glücklich, was ich alles erleben durfte! Ich nehme nicht tränenreich Abschied. Ich hatte meine Zeit, und ich bin dankbar dafür. Es ist schön, jetzt aufzuhören und die Kunst als Beobachter zu verfolgen. Es war eine tolle Zeit in Wiesbaden, und ich habe mich immer, das ist das größte Geschenk, das man in diesem Beruf erhalten kann, vom Publikum geliebt gefühlt.“
Mit wehmütig warmem und dankbaren Applaus verabschiedet das Publikum „seinen“ Wolfgang Vater
Nachtrag: So ganz wird ihn die Bühne aber nicht loslassen. Vater erhielt das verlockende Angebot der Bilbao Opera im Januar 2024 den Bassa Selim in der Oper Die Entführung aus dem Serail zu spielen. Verschiedene andere Anfragen liegen bereits vor.
Wolfgang Vater wird im kommenden Jahr Wiesbaden den Rücken kehren, um in die Kulturmetropole Wien zu ziehen. Dieser Traum hat ihn sein Leben lang nicht losgelassen.