Wiesbaden, Hessisches Staatstheater, TRISTAN UND ISOLDE - Richard Wagner, IOCO Kritik, 31.05.2023

Wiesbaden, Hessisches Staatstheater, TRISTAN UND ISOLDE - Richard Wagner, IOCO Kritik, 31.05.2023
Hessisches Staatstheater Wiesbaden © Martin Kaufhold
Hessisches Staatstheater Wiesbaden © Martin Kaufhold

TRISTAN UND ISOLDE - Richard Wagner

- Internationale Maifestspiele 2023 -

von Ingrid Freiberg

Unersättliches Verlangen, banges Seufzen

Richard Wagner - hier in Venedig © IOCO
Richard Wagner - hier in Venedig © IOCO

Um die Zuhörer einzustimmen, skizzierte Richard Wagner (*22. Mai 1813 - Leipzig; †13. Februar 1883 - Venedig) im Programmheft zu Tristan und Isolde (Uraufführung 1865 in München) kurz die Handlung: Tristan, der Neffe König Markes von Cornwall, verlässt Irland mit Prinzessin Isolde, die Marke als Teil eines politischen Handels versprochen ist. Isolde ist außer sich vor Zorn, weil Tristan ihren Verlobten Morold im Zweikampf getötet hat. Auf dem Schiff befiehlt sie ihrer Dienerin Brangäne, einen tödlichen Trank zuzubereiten, den sie gemeinsam mit Tristan leeren will. Brangäne möchte die Herrin nicht verlieren, sie bereitet stattdessen einen Liebestrank zu. Das Vorspiel, das in der Partitur als Einleitung bezeichnet wird, nimmt die Musik vorweg, die später das Leeren des Bechers begleitet, ist aber gleichzeitig eine eigenständige instrumentale Aussage, ein unersättliches Verlangen, ein schüchternes Bekenntnis, ein banges Seufzen, Hoffen und Zagen, Klagen und Wünschen, bis zur gewaltsamsten Mühe, den Durchbruch zu finden, der dem grenzenlos begehrlichen Herzen den Weg in das Meer unendlicher Liebeswonne öffnet. Ohnmächtig sinkt das Herz zurück, um in Sehnsucht zu verschmachten, in Sehnsucht ohne Erreichen, da jedes Erreichen nur wieder neues Sehnen ist, bis im letzten Ermatten dem brechenden Blick die Ahnung des Erreichens höchster Wonne aufdämmert. Es ist die Wonne des Sterbens, des Nichtmehrseins, die letzte Erlösung in jenes wundervolle Reich, die nächtige Wunderwelt, aus der, wie die Sage sagt, ein Efeu und eine Rebe in inniger Umschlingung auf Tristan und Isoldes Grab emporwachsen?

Hessisches Staatstheater / TRISTAN UND ISOLDE hier vl Andreas Schager als Tristan, Magdalena Anna Hofmann als Isolde , Young Doo Park, Michael Kupfer-Radecky © Ingrid Freiberg
Hessisches Staatstheater / TRISTAN UND ISOLDE hier vl Andreas Schager als Tristan, Magdalena Anna Hofmann als Isolde , Young Doo Park, Michael Kupfer-Radecky © Ingrid Freiberg

Der erste Tristan stirbt mit nur 29 Jahren

Inspiriert von der Philosophie Schopenhauers adaptierte Richard Wagner in den 1850er Jahren das mittelalterliche Tristan-Epos und schuf eine Musik, die die übermächtigen Emotionen und Gedankenströme der Protagonisten weit mehr in den Vordergrund rückt als jede andere Oper zuvor. In extremer Konzentration auf das Innerste der kaum noch handelnden Akteure verhalf er seiner beinah sinfonisch anmutenden Musik zu größter Entfaltung und Selbstständigkeit. Mittels ausgeprägter Chromatik und hoch avancierter Harmonik sowie durch strikten Verzicht auf formale Zäsuren schuf Wagner eine hocherotische Musik voll glühender Spannungen. Ebenso wie die stetig wachsende, alles verzehrende Sehnsucht der beiden Titelgestalten, drängt sie immer schmerzlicher nach Erlösung, die kaum gewährt wird. Im Juli 1862 weilten der junge Tenor Ludwig Schnorr von Carolsfeld und seine Frau Malvina für vierzehn Tage in Wiesbaden-Biebrich, um gemeinsam mit Richard Wagner und Hans von Bülow am Klavier die Titelrollen von Tristan und Isolde einzustudieren. Eine Uraufführung des Werkes war in Planung. Während dieser Biebricher Wochen lernte Wagner Ludwig Schnorr von Carolsfeld ungemein schätzen. Er notierte über dieses Kennenlernen: „Hier war dann Alles gesagt u. gethan, was uns zum innigsten Einverständniss über jedes uns nahe liegende künstlerische Interesse führen konnte.“ Die tatsächliche Uraufführung des Tristan konnte erst drei Jahre später in München stattfinden – Ludwig und Malvina Schnorr von Carolsfeld übernahmen die Hauptrollen. Tragischerweise starb Ludwig Schnorr von Carolsfeld nur vier Wochen nach der vierten Aufführung.

Er wurde nur 29 Jahre alt. Seine Witwe versank in Depressionen und trat nie wieder auf. Wagner schrieb an Liszt: „Da ich nun aber im Leben nie das eigentliche Glück der Liebe genossen habe, so will ich diesem schönsten aller Träume noch ein Denkmal setzen, in dem vom Anfang bis zum Ende diese Liebe sich so recht sättigen soll. Der angesehenste Musikkritiker der USA, Alex Ross, den ich zitiere, sagt: Wagner war modern, er war dekadent, und er war gefährlich.“ Bis zum Ende des Jahrhunderts begleiteten Tumulte und Schlägereien die Aufführungen seiner Werke. Der Widerstand formierte sich, weil seine Musik als schwierig empfunden wurde und seine Prosa zweifelsohne aggressiv klang. Dass der konservative Flügel Wagner und seine Anhänger als musikalische Terroristen brandmarkte, sprach eher für ihn. Wagner repräsentierte den internationalen Aufstand gegen den künstlerischen Status quo.

Liebessehnen, Liebesverzückung, Liebestod

Wie in keinem anderen seiner Werke gewann Wagners Ideal in Tristan und Isolde Gestalt und Gehalt im Ineinanderaufgehen der Dichtung in die Musik, der Musik in die Dichtung. Wie ein Wunder mutet diese Einheitlichkeit an. Was das Wort nicht auszudrücken vermag, deutet die Musik. Beherrschend für den musikalischen Ausdruck sind die Urmotive, die das Sehnen und Entsagen in sich bergen. Die leidenschaftliche Sprache der Musik und die farbige Harmonik ist unverkennbar; die Leitmotive, die sich ausschließlich auf seelische Vorgänge beziehen, sind von äußerster Klarheit des Ausdrucks. Das Orchestervorspiel schildert Liebessehnen bis zur Liebesverzückung. Wie eine Frage klingt das Sehnsuchtsmotiv, das Hauptmotiv der Tristan-Musik. Eine vorwärtsdrängende Melodie in den Celli gibt die Antwort, erreicht in stetem Aufwärtsstreben den leidenschaftlichen Höhepunkt und gleitet wieder in zart tastendes Sehnen zurück. Den Themen der Sehnsucht ist die starre Größe des Todesmotivs gegenübergestellt. Damit ist der Motivkreis geschlossen, der die ungeheure Spannung der Auseinandersetzung der beiden Liebenden im 1. Aufzug trägt. Die dramatische Steigerung ist überwältigend. Themen der Erwartung, der Ungeduld beherrschen die Einleitungsszene des 2. Aufzuges, gekrönt von einem leidenschaftlichen Motiv, das bald zärtlich-zart, bald rauschhaft-stürmisch klingt. „O sink hernieder, Nacht der Liebe“, in dem Tristan die Nacht herbeisehnt, ist der Todessehnsucht gewidmet. Erstmalig klingt das Thema der Bereitschaft zum Liebestod auf, um später zu hymnischer Größe zu gelangen. Die Liebesverzückung taucht wiederholt auf, immer rauschhafter steigert sich die Verbundenheit – bis zur letzten Entrücktheit und leuchtet dann in Tristans Fiebermonolog im 3. Aufzug und Isoldes Verklärung erneut auf. Dieser Schlussgesang, unter der Bezeichnung „Isoldes Liebestod“ bekannt, wiederholt das Thema der Todesbereitschaft, mit der sich die Liebesverzückung verbindet, um dann in unaufhaltsamer, atemberaubender Steigerung die Entrückung zu erreichen. Mit den Worten „Unbewusst, höchste Lust…“ sinkt Isolde entseelt hernieder. Unendlich zart verklingt im Orchester das Sehnsuchtsmotiv.

Hessisches Staatstheater / TRISTAN UND ISOLDE hier vl Andreas Schager als Tristan, Magdalena Anna Hofmann als Isolde © Ingrid Freiberg
Hessisches Staatstheater / TRISTAN UND ISOLDE hier vl Andreas Schager als Tristan, Magdalena Anna Hofmann als Isolde © Ingrid Freiberg

Eine anrührende, zugleich leidenschaftlich unverrückbare Liebesbeziehung

Regie-Erfolge des Musikdramas Tristan und Isolde sind selten: Da sind zwei Menschen, die sich begehren, und zwar so sehr begehren, dass jede Vernunft zu klein ist, denen alles egal ist, die sterben wollen. Es gibt keine Perspektive, es gibt keine Transzendenz, keine Erlösung. Das haben Wagnerianer verinnerlicht und das bedarf keiner Ausleuchtung durch einen Regisseur. Das wissend legt Uwe Eric Laufenberg sein Hauptaugenmerk auf die Personenführung, auf die Beziehungen der Protagonisten und erzählt wie kaum zuvor gesehen, die anrührende, zugleich leidenschaftliche und unverrückbare Liebesbeziehung zwischen Tristan und Isolde. Elegant wird die überwältigende Leidenschaft nur durch kleine Gesten angedeutet. Wohltuend, sehr intim, beschreibt er die rauschhafteste Liebe der Opernliteratur, unterstützt von einer im 1. Aufzug fast leeren Bühne (Rolf Glittenberg): nur ein Sessel, Koffer, Ständer mit Kleidersäcken. Das Bühnenprospekt ist tiefblau bis violett, um sich danach in gleißendem Licht aufzulösen, dazwischen ist passenderweise Wasser zu sehen. Der Videos (Gérard Naziri) aus Pocahontas-Film The New World von Terrence Malick, Endzeitparabel Children of Men von Alfonso Cuarón, Die letzte Frau von Marco Ferreri während des Liebestraums im 2. Aufzug bedarf es nicht. Sie sind eher störend, schon deshalb, weil ein enger Bezug nicht erkennbar ist. Viel Raum für die orgiastische Liebe zwischen Tristan und Isolde „Die im Busen mir die Glut entfacht, die mir das Herze brennen macht, die mir als Tag der Seele lacht, Frau Minne will: es werde Nacht, dass hell sie dorten leuchte…“ bieten schwarze Quader (Betten?), die mit zarten Tüchern bedeckt sind. Auch hier gelingt es Laufenberg und Glittenberg der Vorstellungskraft des Zuschauers freien Lauf zu lassen. IsoldeIst es kein Traum? O Wonne der Seele, o süße, hehrste, kühnste, schönste, seligste Lust!“ wird erhöht von Tänzerinnen und Tänzern (Jonathan Schmidt, Jessica Sarah Larbig, Mar Sanchez Cisneros, Guillermo De la Chica Lopez, Gabriele Ascani, Sergio Indiveri, Annika Hofmann, Meryem Sahin), die in ihrem teils verdeckten Liebesspiel antiken Statuen gleichen. Andrea Schmidt-Futterer, fügt sich mit ihren zeitlos klassischen Wagner-Kostümen konzeptuell in das Regiekonzept ein: schwarze Gewänder, metallisch schimmernde Rüstungen, Königsblau als Zuschreibung der Macht und Weiß als Symbol der Reinheit, der positiven Werte und der christlichen Gefühle. In Weiß gehen Tristan und Isolde gemeinsam ins Gegenlicht, ins Nirwana, ins Grab, in das sich zuvor – während Tristans Nahtod-Phantasien – Trauernde, ein Sträußchen vorauswerfend, mehr oder weniger theatralisch stürzen. Auch der 3. Aufzug besticht durch reduzierte Ästhetik: Auf seiner Stammburg Kareol liegt Tristan schwerverwundet in einem Bett, nur von einer Lampe beleuchtet, und durchlebt im Fiebertaumel noch einmal die Stationen seines Lebens, den frühen Verlust der Eltern und seine Liebe zu Isolde. Der getreue Kurwenal wacht bei ihm. Nach der heißersehnten Ankunft von Isolde, die vergeblich versucht, mit ihren heilenden Kräften Tristan zu retten, trifft auch König Marke mit seinem Gefolge ein. Nachdem Brangäne ihm den Zusammenhang, ihre bewusste Verwechslung des Zaubertranks, offenbart hat, will er nun Tristan mit Isolde vermählen. Zu spät… Nach dem Tod Tristans sinkt Isolde wie verklärt über dessen Leiche zusammen „Mild und leise wie er lächelt, wie das Auge hold er öffnet – seht ihr’s Freunde? Seht ihr’s nicht? Immer lichter wie er leuchtet, sternumstrahlet hoch sich hebt?...“.

Ein Traumpaar begeistert

Hessisches Staatstheater / TRISTAN UND ISOLDE hier Andreas Schager als Tristan © Ingrid Freiberg
Hessisches Staatstheater / TRISTAN UND ISOLDE hier Andreas Schager als Tristan © Ingrid Freiberg

Andreas Schagers Tristan ist die perfekte klangliche Kombination von heldisch strahlendem Metall (3. Aufzug) und lyrischem Schmelz (2. Aufzug). Seine Interpretation hat an Farbe und Feingefühl noch hinzugewonnen und zeigt eine große dynamische Bandbreite. Im Fieberwahn (3. Aufzug) strahlt er mit enormer Intensität über den Gesamtklang des Orchesters in die Tiefen des Theaters. Genaue Artikulation, die große Tragfähigkeit seiner Stimme in allen Lagen und eine deutliche Differenzierung sind das Fundament dieser herausragenden Gesamtleistung. Nach ihrem sensationellen Erfolg als Isolde in der preisgekrönten Produktion am Theater Hagen (2019) ist die Erwartung groß, Magdalena Anna Hofmann auch in Wiesbaden zu hören. Sie übertrifft alle Wünsche und zeigt eine souveräne, gesanglich wie auch darstellerische Gesamtleistung. Bereits die ersten Töne bestechen durch eine sehr angenehme Klangfarbe. Hofmann gelingt es, der Isolde die richtigen Nuancen und Tiefen aufzuzeigen. Herausragend ihre großen Gesangsbögen in jeder Registerlage, die leicht und strahlend klingen, wunderschön im Volumen, der Dynamik und Intensität. Ihr „Mild und leise wie er lächelt…“ hat höchstes Niveau. Völlig unangestrengt, mit emotionaler Leidenschaft und Intensität erzeugt sie Gänsehaut… Ein großartige Isolde, die mit Andreas Schager an ihrer Seite zu der derzeit besten Wahl gehört.

Stimmen und Orchester begeistern

Khatuna Mikaberidze besticht mit szenischer wie auch musikalischer Präsenz. Ihr in der Höhe funkelnder Mezzo mit ausgezeichneter Gesangstechnik als Brangäne, ihr dramatisches Potenzial, ihre zarten, privaten Empfindungen schildert sie ausgereift, ihre seelische Bedrängnis sowie die Zuneigung zu ihrer Herrin sind glaubhaft. Ich erlaube mir eine persönliche Bemerkung: Jedes Mal bin ich beglückt, wenn Young Doo Park angekündigt wird. Sein prachtvoller Bass, sicher im Ton und angenehm im Klang, ist die Idealbesetzung für die Rolle des König Marke. Er ist darstellerisch ebenso ergreifend wie sängerisch differenziert, sein Stimmumfang ist eindrucksvoll. Mit seiner stimmlichen Urgewalt überzeugt er. Michael Kupfer-Radecky übernimmt sehr kurzfristig für den erkrankten Thomas de Vries die Partie des Kurwenal. Völlig unangestrengt, mit großer Ausdrucksstärke ist er Tristans Getreuer, kein Untergebener, sondern ein Partner auf Augenhöhe. Er imponiert mit Nuancenreichtum zwischen warmen, kernigen Farben und leidenschaftlicher Hingabe. Sein darstellerischer Ausdruck enthält kompromisslosen Nachdruck in der Diktion, dramatisch fesselnd setzt er markante Akzente. Aaron Cawley, Tristans hinterhältiger Freund Melot, gestaltet den Intriganten mit hemdaufreißender Intensität und offener Gewalt, durchschlagend sein aufbrausender Tenor. Gustavo Quaresma, Stimme eines jungen Seemanns, und Erik Biegel, ein Hirt, beeindrucken mit tenoraler Helligkeit, konturierter Form und feinfühliger Phrasierung.

Hessisches Staatstheater / TRISTAN UND ISOLDE hier Magdalena Anna Hofmann als Isolde © Ingrid Freiberg
Hessisches Staatstheater / TRISTAN UND ISOLDE hier Magdalena Anna Hofmann als Isolde © Ingrid Freiberg

Chor und Chorsolisten (Schiffsvolk, Ritter, Knappen, Frauen aus Isoldes Gefolge) des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden unter Leitung von Albert Horne singen von den Bühnenseiten aus dem Off. Der Chorklang ist unverwechselbar in seiner sängerischen Haltung, Farbgebung und Textartikulation.

Das Hessische Staatsorchester Wiesbaden unter Leitung von Alexander Joel entfacht einen mit großer Farbskala ausgestatteten, oft ekstatisch aufgetürmten Orchesterklang. Lobend müssen an dieser Stelle die Solo-Holzbläser erwähnt werden, auch das Englisch-Horn-Solo ist betörend, wunderschön die Streicherklänge, die mit Weichheit und Nachdruck wogenden Forte-Ströme. An einigen Stellen wünschte man sich eine ausgewogenere Dynamik im Klangvolumen durch eine Reduzierung der Lautstärke und eine Anpassung an die Protagonisten auf der Bühne.

Das Motto der Internationalen Maifestspiele "Die Welt ist im Mai zu Gast in Wiesbaden“ wurde an diesem Abend durch künstlerisches Weltniveau geadelt! Für die Mitwirkenden gab es tosenden Beifall und spontane Standing Ovations.