Wiesbaden, Hessisches Staatstheater, Tristan und Isolde – Richard Wagner, IOCO Kritik, 20.11.2021
Hessisches Staatstheater Wiesbaden
Tristan und Isolde – Richard Wagner
- Philosophie der Verneinung - Triebleben der Klänge - Gänzliches Nichtsein -
von Ingrid Freiberg
Wie kein anderes Werk der Opernliteratur führt Richard Wagners Tristan und Isolde die Liebe zwischen zwei Menschen in ihrer ekstatischsten Form vor. Der Komponist bemächtigt sich Schopenhauers Philosophie mit ihrer Verneinung des Willens zum Leben und beschwört volle Bewusstlosigkeit, gänzliches Nichtsein. Wagner folgt hier dem Triebleben der Klänge, um eine Formulierung Arnold Schönbergs aufzunehmen, und beschwört einen permanenten Rausch, das Verschwinden aller Träume. Wagner schrieb an Liszt: „Da ich nun aber im Leben nie das eigentliche Glück der Liebe genossen habe, so will ich diesem schönsten aller Träume noch ein Denkmal setzen, in dem vom Anfang bis zum Ende diese Liebe sich so recht sättigen soll. Der angesehenste Musikkritiker der USA, Alex Ross, den ich zitiere, sagt: „Wagner war modern, er war dekadent, und er war gefährlich.“ Bis zum Ende des Jahrhunderts begleiteten Tumulte und Schlägereien die Aufführungen seiner Werke. Der Widerstand formierte sich, weil seine Musik als schwierig empfunden wurde und seine Prosa zweifelsohne aggressiv klang. Dass der konservative Flügel Wagner und seine Anhänger als musikalische Terroristen brandmarkte, sprach eher für ihn. Wagner repräsentierte den internationalen Aufstand gegen den künstlerischen Status quo.
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Ein unersättliches Verlangen, ein schüchternes Bekenntnis, ein banges Seufzen
Um die Zuhörer einzustimmen, skizzierte Wagner im Programmheft zu Tristan kurz die Handlung: Tristan, der Neffe König Markes von Cornwall, verlässt Irland mit Prinzessin Isolde, die Marke als Teil eines politischen Handelns versprochen ist. Isolde ist außer sich vor Zorn, weil Tristan ihren Verlobten Morold im Zweikampf getötet hat. Auf dem Schiff befiehlt sie ihrer Dienerin Brangäne, einen tödlichen Trank zuzubereiten, den sie gemeinsam mit Tristan leeren will. Brangäne möchte die Herrin nicht verlieren, sie bereitet stattdessen einen Liebestrank zu. Das Vorspiel, das in der Partitur als Einleitung bezeichnet wird, nimmt die Musik vorweg, die später das Leeren des Bechers begleitet, ist aber gleichzeitig eine eigenständige instrumentale Aussage, ein unersättliches Verlangen, ein schüchternes Bekenntnis, ein banges Seufzen, Hoffen und Zagen, Klagen und Wünschen, bis zur gewaltsamsten Mühe, den Durchbruch zu finden, der dem grenzenlos begehrlichen Herzen den Weg in das Meer unendlicher Liebeswonne öffnet. Ohnmächtig sinkt das Herz zurück, um in Sehnsucht zu verschmachten, in Sehnsucht ohne Erreichen, da jedes Erreichen nur wieder neues Sehnen ist, bis im letzten Ermatten dem brechenden Blick die Ahnung des Erreichens höchster Wonne aufdämmert. Es ist die Wonne des Sterbens, des Nichtmehrseins, die letzte Erlösung in jenes wundervolle Reich, die nächtige Wunderwelt, aus der wie die Sage sagt, ein Efeu und eine Rebe in inniger Umschlingung auf Tristan und Isoldes Grab emporwachsen?
Der erste Tristan stirbt mit nur 29 Jahren
Inspiriert von der Philosophie Schopenhauers adaptierte Richard Wagner in den 1850er Jahren das mittelalterliche Tristan-Epos und schuf eine Musik, die die übermächtigen Emotionen und Gedankenströme der Protagonisten weit mehr in den Vordergrund rückt als jede andere Oper zuvor. In extremer Konzentration auf das Innerste der kaum noch handelnden Akteure verhalf er seiner beinah sinfonisch anmutenden Musik zu größter Entfaltung und Selbstständigkeit. Mittels ausgeprägter Chromatik und hoch avancierter Harmonik, sowie durch strikten Verzicht auf formale Zäsuren schuf Wagner eine hocherotische Musik voll glühender Spannungen. Ebenso wie die stetig wachsende, alles verzehrende Sehnsucht der beiden Titelgestalten, drängt sie immer schmerzlicher nach Erlösung, die kaum gewährt wird. Im Juli 1862 weilten der junge Tenor Ludwig Schnorr von Carolsfeld und seine Frau Malvina für vierzehn Tage in Wiesbaden-Biebrich, um gemeinsam mit Richard Wagner und Hans von Bülow am Klavier die Titelrollen von Tristan und Isolde einzustudieren. Eine Uraufführung des Werkes war in Planung. Während dieser zwei Biebricher Wochen lernte Wagner Ludwig Schnorr von Carolsfeld ungemein schätzen. Er notierte über dieses Kennenlernen: „Hier war dann Alles gesagt u. gethan, was uns zum innigsten Einverständniss über jedes uns nahe liegende künstlerische Interesse führen konnte.“ Die tatsächliche Uraufführung des Tristan konnte erst drei Jahre später in München stattfinden – Ludwig und Malvina Schnorr von Carolsfeld übernahmen die Hauptrollen. Tragischerweise starb Ludwig Schnorr von Carolsfeld nur vier Wochen nach der vierten Aufführung. Er wurde nur 29 Jahre alt. Seine Witwe versank in Depressionen und trat nie wieder auf.
Liebestod und Verklärung
Es ist magisch, an den Tristan-Akkord zu rühren, er ist ein Schock, eine unbeugsame Kraft wird entfacht, aus der das Drama keimt, es am Leben hält, bis beide das ihre aushauchen. Die Musik des Tristan nimmt vom Gesang her ihren Ausgang, erfüllt sich aber im Orchester, das symphonische Ausmaße hat. Die Sprache der Instrumente ist wie ein zusätzliches Organ der Personen auf der Bühne. Was jede Figur fühlt, denkt und tut, findet in Melodien, Harmonien und Rhythmen seinen Ausdruck. Dass der überwältigende Abschiedsmonolog von Isolde „Mild und leise, wie er lächelt…“ Liebestod genannt wird, ist ein kurioses Detail. Der Komponist verwendete die Bezeichnung nicht für das Ende der Oper, sondern für die ersten Takte der Einleitung, in dem die Verwechslung des Zaubertranks bereits anklingt. Den letzten Monolog Isoldes nannte er „Isoldes Verklärung“. Liszt veröffentlichte 1868 eine Klavierparaphrase mit dem Titel „Isoldens Liebestod“. Dieses Stück wurde so populär, dass Liszts „Liebestod“ Wagners „Verklärung“ verdrängte. Der „Liebestod“ war ursprünglich ein scheinbarer Tod, der sich in Liebe verwandelte. In der Oper wird das ins Gegenteil verkehrt: in eine Liebe, die in den Tod mündet.
Eine anrührende, zugleich leidenschaftliche und unverrückbare Liebesbeziehung
Nachdem im Rahmen der Internationalen Maifestspiele Wiesbaden 2020 unter dem Motto „O sink hernieder, Nacht der Liebe…“ mit nicht enden wollenden Standing Ovations Tristan und Isolde „nur“ mit Klavierbegleitung aufgeführt wurde (s. www.ioco.de) ist die Spannung riesengroß, die Oper nun mit Orchester und Chor zu hören. Regie-Erfolge des am Münchner Hof- und Nationaltheater 1865 uraufgeführten Musikdramas Tristan und Isolde sind selten: Da sind zwei Menschen, die sich begehren, und zwar so sehr begehren, dass jede Vernunft zu klein ist, denen alles egal ist, die sterben wollen. Es gibt keine Perspektive, es gibt keine Transzendenz, keine Erlösung. Das haben Wagnerianer verinnerlicht und das bedarf keiner Ausleuchtung durch einen Regisseur. Das wissend legt Uwe Eric Laufenberg sein Hauptaugenmerk auf die Personenführung, auf die Beziehungen der Protagonisten und erzählt wie kaum zuvor gesehen, die anrührende, zugleich leidenschaftliche und unverrückbare Liebesbeziehung zwischen Tristan und Isolde. Elegant wird die überwältigende Leidenschaft nur durch kleine Gesten angedeutet. Wohltuend, sehr intim, beschreibt er die rauschhafteste Liebe der Opernliteratur, unterstützt von einer im 1. Aufzug fast leeren Bühne (Rolf Glittenberg), nur ein Sessel, Koffer, Ständer mit Kleidersäcken, zunächst ein Bühnenprospekt in tiefblau, danach ist passenderweise auch Wasser zu sehen. Den Videos (Gérard Naziri) aus Pocahontas-Film The New World von Terrence Malick, Endzeitparabel Children of Men von Alfonso Cuarón, Die letzte Frau von Marco Ferreri während des Liebestraums im 2. Aufzug bedarf es nicht, sie sind eher störend, schon deshalb, weil ein enger Bezug nicht erkennbar ist. Viel Raum und für die orgiastische Liebe zwischen Tristan und Isolde „Die im Busen mir die Glut entfacht, die mir das Herze brennen macht, die mir als Tag der Seele lacht, Frau Minne will: es werde Nacht, dass hell sie dorten leuchte…“ bieten Quader, Betten?, die mit zarten Tüchern bedeckt sind. Auch hier gelingt es Laufenberg und Glittenberg der Phantasie des Zuschauers freien Lauf zu lassen. Isoldes „Ist es kein Traum? O Wonne der Seele, o süße, hehrste, kühnste, schönste, seligste Lust!“ wird erhöht von Tänzerinnen und Tänzern (Jonathan Schmidt, Jessica Sarah Larbig, Mar Sanchez Cisneros, Guillermo De la Chica Lopez, Gabriele Ascani, Sergio Indiveri, Annika Hofmann, Meryem Sahin), die in ihrem teils verdeckten Liebesspiel antiken nackten Statuen gleichen. Andrea Schmidt-Futterer, fügt sich mit ihren zeitlos klassischen Wagner-Kostümen konzeptuell in das Regiekonzept ein: schwarze Gewänder, metallisch schimmernde Rüstungen, Königsblau als Zuschreibung der Macht und Weiß als Symbol der Reinheit, der positiven Werte und der christlichen Gefühle. In Weiß gehen Tristan und Isolde auch gemeinsam ins Gegenlicht, ins Nirwana, ins Familiengrab, in das sich zuvor – während Tristans Nahtod-Phantasien – Trauernde, ein Sträußchen vorauswerfend, mehr oder weniger theatralisch stürzen. Auch der 3. Aufzug besticht durch reduzierte Ästhetik: Auf seiner Stammburg Kareol liegt Tristan schwerverwundet in einem Bett, nur von einer Lampe beleuchtet, und durchlebt einen Fiebertaumel, in dem er noch einmal die Stationen seines Lebens, den frühen Verlust der Eltern und seine Liebe zu Isolde durchlebt. Der getreue Kurwenal wacht bei ihm. Nach der heißersehnten Ankunft von Isolde, die vergeblich versucht, mit ihren heilenden Kräften Tristan zu retten, kommt König Marke mit seinem Gefolge und Brangäne, um Tristan mit Isolde zu vermählen, nachdem ihm Brangäne die Zusammenhänge um das Verhältnis des Liebespaares offenbart hat. Nach dem Tod Tristans sinkt Isolde wie verklärt über seine Leiche „Mild und leise wie er lächelt, wie das Auge hold er öffnet – seht ihr’s Freunde? Seht ihr’s nicht? Immer lichter wie er leuchtet, sternumstrahlet hoch sich hebt?...“. Wie bereits erwähnt, wird das heute fälschlicherweise als „Isoldes Liebestod“ bezeichnet. Wagner selbst nannte den Schluss „Isoldes Verklärung“. Und so hat die Rezensentin diese Inszenierung auch empfunden…
Mit Spannung erwartete Rollendebüts
Das Rollendebüt von Marco Jentzsch als Tristan wurde mit großer Spannung erwartet. Uneingeschränkt überzeugt er mit hoher Musikalität, mit edel-geschliffenen Höhen, mühelosen Registerwechseln von hinreißender Wirkung. Die Heldentenören zugeordnete Rolle formt er mit seiner lyrischen empathischen Stimme, seinem hell timbrierten Tenor, gekrönt mit dem traumatisierten Ausbruch in seinen Fieberträumen, den Jentzsch in allen Höhen ausdrucksstark meistert. Seine angenehm gefärbte und sicher geführte Stimme verfügt über eine blendende, stupende Höhe.
Keine Drücker, kein Forcieren, seine Stimme strömt überaus differenziert, im 2. Aufzug im langen Liebesduett schon beinahe liedhaft zart, mit wunderbar fein gesetzten, tragfähigen Piani! Nicht unerwähnt soll die Attraktivität des schlanken Zweimeter-Hünen sein…
Ebenfalls ihr Rollendebüt feiert Barbara Haveman als Isolde. Die niederländische Sängerin reüssiert u.a. mit Mozart, Bizet, Verdi, Puccini, auch mit Wagner (Eva, Elisabeth). Bei ihrem künstlerischen Werdegang ist die Rolle der Isolde eine große Herausforderung. Erfüllend, ihr lyrischer dunkeltimbrierter, warmer Sopran passt wunderbar zur Stimme von Marco Jentzsch. Ihm ist sie anrührend zugewandt, ihre bedingungslose Liebe zu ihm ist glaubhaft. Ihre jugendliche Natürlichkeit steigert sich im Laufe des Abends ins Jugendlich-Dramatische bis ins Kraftvolle, wie im Liebesduett „O sink‘ hernieder, Nacht der Liebe…“ gepaart mit feinsinnig lustvollem Spiel. Eine stimmlich und musikalisch beglückende Leistung. Auch Havemans schauspielerische Leistung überzeugt, aber an ihrer Diktion, schwierig bei Wagner für eine Fremdsprachlerin, muss sie unbedingt arbeiten. Khatuna Mikaberidze hingegen ist mit der Rolle der Brangäne vertraut, die zu ihren Karriere Highlights gehört. Ihre szenische wie musikalische Präsenz, ihr in der Höhe funkelnder Mezzo mit ausgezeichneter Gesangstechnik, ihr dramatisches Potenzial, die Seele in ihrer Stimme, lassen zarte, private Empfindungen zu. Differenziert und ausgereift schildert sie ihre Bedrängnis, ihre Zuneigung zu ihrer Herrin.
Ich erlaube mir ausnahmsweise eine persönliche Bemerkung: Jedes Mal bin ich beglückt, wenn Young Doo Park auf dem Besetzungszettel steht und werde auch an diesem Abend nicht enttäuscht. Sein prachtvoller Bass, sicher im Ton und angenehm im Klang, ist die Idealbesetzung für die Rolle des König Marke. Seine Riesenstimme ist darstellerisch ebenso ergreifend wie sängerisch differenziert, sein Stimmumfang ist eindrucksvoll. Mit seiner stimmlichen Urgewalt überzeugt er meisterlich auf allerhöchstem stimmlichem Niveau. Ebenfalls packend KS Thomas de Vries als Kurwenal. Völlig unangestrengt, wunderbar leicht und sauber, doch voller Ausdrucksstärke ist er Tristans Getreuer, kein Untergebener, sondern ein Partner auf Augenhöhe. Er imponiert mit seinem metallischen Bariton, mit Nuancenreichtum und leidenschaftlicher Hingabe. Sein darstellerischer Ausdruck enthält kompromisslosen Nachdruck in der Diktion, jedes Wort hat seine Bedeutung. Dramatisch fesselnd setzt er markante Akzente. Andreas Karasiak, Tristans falscher Freund Melot, verrät die Liebenden und gestaltet den Intriganten mit unforciertem Tenor. Julian Habermann, Stimme eines jungen Seemanns, und Erik Biegel, ein Hirt, beeindrucken mit tenoraler Helligkeit und konturierter Form, ein Steuermann, Yoontaek Rhim, hat markantes Profil. Chor und Chorsolisten (Schiffsvolk, Ritter, Knappen, Frauen aus Isoldes Gefolge) des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden unter Leitung von Albert Horne singen von den Bühnenseiten aus dem Off. Eine schwierige Aufgabe, die aber weitestgehend gut gelingt. Hier ist eine andere Anordnung erwünscht, damit der Chor seine bewunderte Klangstärke und seinen Ausdruck wieder voll erreicht.
Michael Güttler übernimmt mit Erfolg das Dirigat
Das Hessische Staatsorchester Wiesbaden unter Leitung von Michael Güttler entfacht einen mit großer Farbskala ausgestatteten, oft ekstatisch aufgetürmten Orchesterklang. Lobend müssen an dieser Stelle die Solo-Holzbläser erwähnt werden, auch das Englisch-Horn-Solo ist betörend, wunderschön die Streicherklänge, die mit Weichheit und Nachdruck wogenden Forte-Ströme. Güttler hilft seinen Solisten durch ingeniös wandlungsfähige Glut. Die Stimmen werden getragen und nie über das Kräftepotenzial hinaus strapaziert. Im Vorspiel lässt er sehr verhalten musizieren, entdeckt in der Partitur unendlich viele Details, die er in Leidenschaft einbettet: Für ihn ist Tristan und Isolde ein Liebes-Drama von Anfang an. Die aufgrund der kurzfristigen Übernahme des Dirigats entstandenen kleinen Unstimmigkeiten werden sicherlich von Vorstellung zu Vorstellung behoben.
Mit Bravorufen zeigt das Publikum seine Begeisterung, nur die Regie erhält, für mich nicht nachvollziehbar, einige Buhrufe…
Tristan und Isolde am Hessischen Staatstheater; die weiteren Termine 28.11.; 5.12.2021; 8.1.; 6.3.; 29.5.; 6.6.2022
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