Wiesbaden, Hessisches Staatstheater, Il Trovatore – Giuseppe Verdi, IOCO Kritik , 02.10.2021
Hessisches Staatstheater Wiesbaden
Il Trovatore – Giuseppe Verdi
- Plakative Effekte - Grelle Tableaus - Wirkungsvolle Dramatik -
von Ingrid Freiberg
Was Verdi an Emotion und Herzblut in seine Kunst steckt, macht seine Musik so wunderbar… leidenschaftlich dahinstürmende, rhythmisch mitreißende Musik voll grandioser musikdramatischer Gesten und plakativer Wucht. Il Trovatore seine als „dramma lirico“ bezeichnete Oper in vier Teilen, verzaubert das Opernpublikum von Beginn an. Das Libretto von Salvadore Cammarano, vollendet von Leone Emanuele Bardare, basiert auf dem Schauspiel El Trovador von Antonio García Gutiérrez (1836). Die Uraufführung war am 19. Januar 1853 im Teatro Apollo in Rom. Verdi hat das vordergründige theatralische Moment gereizt, mit wirkungsvollen dramatischen Ereignissen. Es dominieren plakative Effekte, grelle Tableaus, die sich auch als varietà umschreiben lassen.
Eine verworrene Geschichte in poetischen Bildern
Das Wiesbadener Publikum musste Corona-bedingt lange auf die Premiere von Il Trovatore warten und wird mit einer intelligenten psychologisch informierten Inszenierung von Philipp M. Krenn belohnt. Sich der Musik zugewandt, erzählt er die verworrene Geschichte in poetischen Bildern. Er versucht gar nicht erst Liebe, Verwirrung, Erbfolgestreit, Duell, Eifersucht, Rache und Kerker realistisch auf die Bühne zu bringen.
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Der Zugang zur Geschichte ist schwierig: Hauptmann Ferrando erzählt aufrüttelnd (sehr überzeugend Young Doo Park) den müden Wachsoldaten von einem mysteriösen Ereignis: Die Brüder Luna und Manrico wurden als Kinder getrennt. Der Jüngere sei Opfer von Zauberkünsten einer Zigeunerin geworden, die zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt wurde. Ihre Tochter Azucena entführte das Kind und verbrannte es. Dennoch war der alte Graf davon überzeugt, dass sein Sohn noch lebt. Bald erkennen die ahnungslosen Brüder, dass sie nicht nur Rivalen in ihrer Liebe zu Leonora sind, sondern auch politische Feinde. Ein Duell der beiden ist nicht zu verhindern. Manrico besiegt den Grafen, wird im Gegenzug aber schwer verwundet. Azucena, die Manrico nach seinem Duell gesundpflegt, wird vom grausamen Feuertod ihrer Mutter verfolgt. Sie gesteht Manrico, dass sie versehentlich den leiblichen Sohn dem Feuer übergeben habe. Nach der Nachricht vom angeblichen Tod des Geliebten auf dem Schlachtfeld, will sich Leonora umbringen. Manrico eilt zu ihr, Azucena versucht ihn zurückzuhalten, weil sie um sein Leben fürchtet. Die Entführung von Leonora kann Manrico verhindern. Er entwaffnet den Grafen und entkommt mit ihr. Die Lage ist kritisch. In Azucena erkennt Ferrando die Zigeunerin wieder, die Lunas Bruder geraubt hatte. Leonora und Manrico wollen sich trauen lassen, da meldet Ruiz die Gefangennahme Azucenas. Manrico scheitert mit seinem Angriff, gerät in Gefangenschaft und wartet mit Azucena auf die Hinrichtung. Leonora kann fliehen. Nach massiven Liebesattacken des Grafen, denen sie, um Manrico zu retten nachgibt, nimmt sie heimlich Gift. Als sie den Geliebten noch einmal sehen will, weist Manrico sie mit dem Vorwurf der Untreue ab. Sie stirbt. Verletzt und wütend lässt Luna den Rivalen hinrichten. Erst jetzt enthüllt Azucena ihm, dass er seinen eigenen Bruder hat töten lassen.
Erzählperspektive ergibt hintergründigen Sinn
Philipp M. Krenn gelingt es, den Protagonisten mit seiner Erzählperspektive hintergründigen Sinn zu geben. Als übersinnliche Vision erhält Leonora bis zu sechs Doppelgängerinnen (Tänzerinnen), die ihre Träume und Qualen eindringlich beleuchten. Eingebettet in Verdis Musik wird das Grauen zum Genuss. Sich auf Krenns wirkungsvoll gruppierten Bilder einlassend, ist es möglich, sich der berauschenden Musik ganz hinzugeben. Besonders hervorzuheben sind die spektakulären Bewegungsabläufe des Chors, wie auch die atemberaubende Personenführung der Solist*innen.
In einer heruntergekommenen Halle, die deutlich von Kriegsspuren gezeichnet ist, stehen Stühle, von weißer Gaze umhüllt, die menschliche Individuen erahnen lassen, ein Schaukelstuhl, ein Bett, ein Flügel. Rolf Glittenberg, Bühne, unterstützt gekonnt das Regiekonzept mit narrativen Bildern, macht es spannend und geheimnisvoll. Marianne Glittenberg verleiht mit Schleiern der Liebe Flügel, indem sie unschuldiges Weiß für Positives und Unschuld sprechen lässt. Erst im Sterbemoment begegnet Leonora ihrem alter ego, in Schwarz gekleidet. Der Kleidungsstil der Truppe von Luna erinnert mit seinen Schiebermützen entfernt an den Spanischen Bürgerkrieg, während Manricos Männer als mit Blumen geschmückte Skelettfiguren, teilweise mit Schwellköpfen, an die Feierlichkeiten zum Tag der Toten in Oaxaca, Mexiko, erinnern und damit die ethnische Minderheit der Zigeuner betonen.
Große Stimmen verwöhnen das Wiesbadener Publikum
Aluda Todua, einigen bereits als Rigoletto bekannt, besitzt als Graf von Luna einen dämonischen Funken intriganter Schurkerei, hat aber auch den notwendigen Schmelz für Il balen del suo sorriso (Ihres Auges himmlisch Strahlen). Sein Stimmumfang ist eindrucksvoll, seine warme Tiefe betörend, völlig unangestrengt, wunderbar leicht und sauber, voller Ausdrucksstärke in den kontrollierten Ausbrüchen. Ihr Deutschland-Debüt gibt Cristiana Oliveira, Foto unten, als Leonora. Ihre Liebe wird zur Gegenmacht, die sich über alles erhebt, die sich dem herzlosen Monster hingibt, um das Leben ihres inhaftierten Geliebten zu retten. Anrührend, mit jubilierenden Höhen, findet sie mit ihrem außergewöhnlichen Timbre wunderschöne Farben der Sehnsucht. Das Rollendebüt von Vesselina Kasarova, Foto oben, als Azucena wurde mit Spannung erwartet. Ihr expressiver dunkler Mezzo trägt auch in höheren Passagen, hat innere Wucht, große Leidenschaft und Seele. Kraftvoll glühend ihr Stride la vampa (Lodernde Flammen). Ihr Spiel zeigt ungewöhnliche kommunikative Kraft. Ihre Stimme hat enormes Potential, kommt aus der Musik wie auch aus ihr selbst. Kein Ton, kein Wort, das nur nebenbei gesungen wird! Meisterlich und bewegend das Duett mit Manrico Ai nostri monti (In unsere Heimat kehren wir wieder).
Eindrucksvoll auch Irakli Kakhidze als Manrico. Ungefährdet in den Höhen, strahlend in der Führung, immer bereit, es auch mit den Orchesterwogen aufzunehmen. Sein Stimmumfang ist eindrucksvoll, seine strahlende Höhe makellos, die hohen C’s gelingen mühelos. Di quella pira (Lodern zum Himmel) singt er mit kaum vergleichbarer Strahlkraft. Er präsentiert sich effektvoll, zwischen intimen Liebesschmerz und explodierenden Gefühlsausbrüchen changierend. Ohne Ferrando, gesungen von Young Doo Park, würde es dem Publikum schwer fallen, der Handlung zu folgen. Mit seinem prachtvollen, imposanten Bass „führt“ er sicher, im Ton und angenehm im Klang, durch das Geschehen. Bemerkenswert Qual suono! … oh ciel … (Für mich, jetzt tödlich) mit Graf von Luna. Als Inez, Gesellschafterin und enge Freundin von Leonora, weiß Stella An mit spritzigem, charmanten Mezzosopran zu überzeugen. Erik Biegel, Manricos Knappe Ruiz, meldet mit sicher geführter Stimme die Gefangennahme Azucenas.
Chor, Chorsolisten, Extrachor und Tänzer*innen unter Leitung von Albert Horne zählen mit zu den Höhepunkten des Abends. Dem Namen Chor (von altgriechisch xopoc, chorós „Tanzplatz, Reigen, tanzende Schar“) machen sie alle Ehre, choreographisch beeindruckend wie kaum zuvor. Der Chor überrascht mit zum Teil aufwühlendem Duktus und trennt sängerisch überzeugend die beiden Lager: Vedi! le fosche notturne spoglie (Zigeunerchor), All’erta, all’erta! (Ferrando, Familiari, Armigeri), geradezu spektakulär gelingt die Totentanz-Hochzeit.
Für Alexander Joel, Musikalische Leitung, hat die Oper sehr viel Drive, Power und ungeheuerliche Energie. Glücklicherweise scheint er dafür Italianità im Blut zu haben. Sein Verdi ist gut durchleuchtet, flexibel kraftvoll, dabei den Sänger*innen genügend Raum gebend. Das Pralle, Sinnliche, Pulsierende, bunt Lebendige arbeitet er gekonnt heraus. Das klangrednerisch geschärft agierende Orchester voller Intensität und Empfindung, durchsetzt von grellen dramatischen Akzenten, überzeugt.
Trotz durchweg großartiger Leistungen fiel der Applaus recht gebremst aus. Vielleicht lag es an der reduzierten Zuschauerzahl.
Il Trovatore am Hessischen Staatstheater, weitere Termine Sa, 30.10.2021, Fr, 12.11.2021, So, 26.06.2022, So, 03.07.2022, Fr, 15.07.2022
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