Wiesbaden, Hessisches Staatstheater, DIE GETREUE UND SCHÖNE ARIANE - Johann Georg Conradi, IOCO Kritik, 03.06.2023

Wiesbaden, Hessisches Staatstheater, DIE GETREUE UND SCHÖNE ARIANE - Johann Georg Conradi, IOCO Kritik, 03.06.2023
Hessisches Staatstheater Wiesbaden © Martin Kaufhold
Hessisches Staatstheater Wiesbaden © Martin Kaufhold

DIE SCHÖNE UND GETREUE ARIADNE - Deutsche Barockoper von Johann Georg Conradi

- Hessisches Staatstheater - Internationale Maifestspiele 2023 -

von Ingrid Freiberg

Meisterwerk des Deutschen Barock

Im Jahr 2004 gründete der KS Thomas de Vries am Hessischen Staatstheater Wiesbaden, gemeinsam mit einigen Orchestermusiker*innen, Sängerkollegen*innen und Continuospieler*innen das Ensemble Mattiacis mit dem Ziel, vorrangig selten gespielte Musik des Früh- und Hochbarock historisch informiert und auf authentischem Instrumentarium aufzuführen. Seitdem ist das Ensemble neben zahlreichen Kammerkonzerten vor allem mit den konzertanten Barockopern-Aufführungen bei den Internationalen Maifestspielen Wiesbaden und darüber hinaus zu einer festen Institution geworden. Einen Schwerpunkt bildet neben Meisterwerken von Monteverdi bis Händel, vor allem auch die vernachlässigte Musik des Deutschen Barock vor 1700. Mit der Aufführung Die schöne und getreue Ariadne gelingt KS Thomas de Vries und seinem Ensemble zum wiederholten Male ein großer Wurf.

Hessisches Staatstheater Wiesbaden / DIE SCHÖNE UND GETREUE ARIADNE - Barockoper von Conradi hier Sheran Kempton, Josefine Böhmann,  Jean Max Lattemann zum Schlussapplaus © Ingrid Freiberg
Hessisches Staatstheater Wiesbaden / DIE SCHÖNE UND GETREUE ARIADNE - hier Sharon Kempton, Josefine Göhmann, Jean Max Lattemann zum Schlussapplaus © Ingrid Freiberg

280 Jahren nach der Uraufführung wiederentdeckt

Die schöne und getreue Ariadne von Johann Georg Conradi (1645 – 1699), Libretto Christian Heinrich Postel, uraufgeführt 1691, ist die früheste erhaltene Oper aus dem Theater am Gänsemarkt in Hamburg. George Buelow, US-amerikanischer Musikwissenschaftler, brachte die Partitur in den 1970er Jahren ans Licht und beschreibt sie als „eine äußerst ausdrucksstarke und kosmopolitische Mischung venezianischer, deutscher und französischer Stile“.

Johann Georg Conradi, Sohn eines Oettingener Organisten, wurde von seinem Vater musikalisch vorgebildet und erhielt seine spätere musikalische Weiterbildung vermutlich in Stuttgart. Zurückgekehrt nach Oettingen wurde er 1671 dort Musikdirektor. Conradi verließ nach einem Jahrzehnt Oettingen und ging 1683 nach Ansbach. Dort übernahm er die Stelle des Hofkapellmeisters. In seinen Ansbacher Jahren schuf er dutzende Kompositionen. 1687 verließ er Ansbach wieder. Im unweit gelegenen Römhild, im fränkisch geprägten Süden Thüringens, baute er als Kapellmeister eine kleine Hofkapelle auf. 1690 folgte Conradi dem Ruf als Kapellmeister an die berühmte Hamburger Oper am Gänsemarkt. Unter seiner Leitung wurden dort auch italienische und französische Opern inszeniert, neben eigenen und zeitgenössischen Werken anderer Komponisten. In seinen Hamburger Jahren komponierte Conradi neun Opern. Jedoch hat sich, soweit bekannt, neben sämtlichen Libretti nur die Musik der Oper Die schöne und getreue Ariadne bis heute erhalten. Trotz großem Erfolg verließ Conradi wegen wirtschaftlichen Problemen die Hansestadt im Jahre 1694. Er kehrte wieder nach Oettingen zurück und bekleidete dort bis zu seinem Tode die Position des Kapellmeisters am Fürstenhofe von Albrecht Ernst II.

Italienische Akzente sind deutlich in den Arien und Rezitativen in Die schöne und getreue Ariadne zu erkennen, wie in der vielseitigen Figur des Pamphilius, der Komik, Philosophie und Schalk in sich vereinbart, ein wenig in der Tradition der Commedia dell arte im 16. Jahrhundert. Das Libretto von Christian Heinrich Postel bettet die Geschichte von Ariadne in ein reiches Geflecht aus Charakteren und Umständen. Am Ende unterstreicht Ariadnes emotional strukturierte Klage im dritten Akt, dass ihre Geschichte zwar im Mittelpunkt steht, aber die Liebe ihrer Schwester Phaedra zu Theseus, die Schande ihrer Mutter Pasiphae, den monströsen Minotaurus gezeugt zu haben, und die Liebe Evanthes/Bacchus für Ariadne sind fesselnde Handlungsstränge für sich. Die Verlassenheit in Ariadnes bewegender Klage erhält angemessenes Gewicht, aber auch ihr Glück, wenn sie sich mit Bacchus in großer Liebe vereint.

Um dieser furiosen konzertanten Aufführung gerecht zu werden, ist es notwendig, auf Handlung, auf Arien und den kompositorischen Formaufbau einzugehen, auch um diese deutsche Barock-Pretiose nachvollziehbar und verständlich zu machen.

Hessisches Staatstheater Wiesbaden / DIE SCHÖNE UND GETREUE ARIADNE - Barockoper von Conradi hier das Ensemble © Ingrid Freiberg
Hessisches Staatstheater Wiesbaden / DIE SCHÖNE UND GETREUE ARIADNE - Barockoper von Conradi hier das Ensemble © Ingrid Freiberg

Ein nicht eingelöstes Eheversprechen,Rachegelüste, Enttäuschung, Schmerz, Liebe, Treue, Hoffnung und Erwartung

ERSTER AKT: Ariadne klagt über ihr Schicksal. Sie hat nicht nur einen ungeliebten Verehrer in Gestalt des Prinzen Evanthes, sondern sie wird, durch ihren Vater Minos bestimmt, ihre große Liebe, den Athener Prinzen Theseus, verlieren, der mit dem Minotaurus kämpfen muss und dabei wahrscheinlich sein Leben lässt. Den Kampf mit dem Untier hat bisher noch niemand gewinnen können. Zu allem Überfluss ist Ariadne zu Ohren gekommen, dass sich ihre Schwester Phaedra in Theseus verliebt hat. Auf Ariadnes Frage, ob Phaedra kein Mitleid mit dem Todgeweihten habe, antwortet diese, sie habe „Furcht bis auf den Tod“, weist aber andererseits das Gefühl von Mitleid weit von sich, denn „es ekelt mich vor Liebesbanden“. König Minos kommt mit Evanthes und bestimmt den Prinzen, „sobald der nächste Tag anbricht“, zum Gemahl seiner Tochter Ariadne. Theseus soll im Labyrinth sterben, um die Athener Königslinie auszulöschen. So sehr Evanthes sich freut, so sehr empfinden Ariadne und Phaedra den zu erwartenden Tod von Theseus als fürchterlichen Schicksalsschlag. Auch Königin Pasiphae ist erfreut, dass Ariadne mit Prinz Evanthes vermählt werden und Theseus den Minotaurus besiegen soll. Erst der Tod des ihr verhassten Ungeheuers kann ihr die Ruhe wiedergeben. Pasiphae fordert Phaedra auf, Ariadne zu bitten, Theseus den „Daidalos-Trick“ zu verraten, damit dieser mit Hilfe eines abgerollten Fadens an die Erdoberfläche zurückfinde. Phaedra freut sich über eine mögliche Rettung von Theseus, der zu ihr in Liebe entbrannt ist. Pamphilius, sein Diener, ist jedoch der Meinung, der Prinz solle sich mehr Gedanken über den Kampf mit dem Minotaurus machen – und wenn er schon an Liebe denke, dann wäre Prinzessin Ariadne die geeignetere Partie. Der Argumentation seines Freundes will Theseus nicht folgen. Phaedra besingt in Jubeltönen ihre Liebe zu Theseus. Dann sieht sie ihren Angebeteten kommen. Allerdings ist er nicht allein, sondern hält Ariadne an der Hand. Phaedra verbirgt sich, um das Gespräch der beiden zu belauschen. Theseus spricht zu Ariadne von Liebe und Treue. Phaedra, in ihrem Versteck, kommentiert die Worte des Atheners mit Enttäuschung und Schmerz. Als Ariadne ihn verlässt, überschüttet Phaedra Theseus mit Vorwürfen. Ariadne, die die beiden ihrerseits belauscht, muss erfahren, dass Theseus die Ernsthaftigkeit seiner Gefühle für sie bestreitet. Sie tritt hervor und bezichtigt Theseus der Treulosigkeit. Der wiederum schauspielert Todessehnsucht und macht Anstalten, sich zu erstechen. Das verhindert Ariadne, indem sie ihm in die Arme fällt und erregt äußert, dass „solcher Tod dir noch viel zu gut“ sei, der Tod im Labyrinth dagegen angemessen: „Fort! Packe dich aus meinem Angesicht!“ Der verliebte Evanthes spricht mit Ariadne über Hoffnung und Erwartung, wird aber von ihr auf den Boden der Wirklichkeit zurückgeholt. Nach Ariadnes Weggang besingt Evanthes seinen durch nichts zu erschütternden Glauben an eine gemeinsame Zukunft. Minos und Pasiphae treten zu ihm und beide bemühen sich, seine hoffnungsvollen Gedanken zu stützen: Ariadne würde bald seine Gattin sein. Plötzlich aber äußert Evanthes Zweifel. Minos versucht, diese Zweifel zu zerstreuen: „Nur wer siegen will, kann auch gewinnen“. Pasiphae unterstreicht, mit Evanthes allein geblieben, „dass es keine Liebe ohne Leiden gibt, wie man auch keine Rosen ohne Dornen finden kann“. Sie beweist dabei ihre Lebens- und Liebeserfahrung. Eine große humoristische Final-Szene beschließt den ersten Akt: Pamphilius, tritt als Scherenschleifer gekleidet auf und empfiehlt sich als erfahrener Fachmann auf diesem Gebiet. Dann erklärt er, seinen Weg ins Labyrinth nehmen zu wollen. Zuvor müsse er jedoch unbedingt seine Fähigkeiten im Schleifen und Wetzen ausbauen. Indem er diese Künste laut anpreist, kommen immer mehr Scherenschleifer (Chor) auf die Szene.

zweiter Akt: Nach einer Chaconne eröffnet Ariadne mit einem großen Solo den zweiten Akt. Sie ordnet sich ihrem Schicksal unter, kann aber den geliebten Theseus nicht vergessen. Der Held hat mitgehört, kommt aus seinem Versteck und gesteht ihr abermals seine standhafte Liebe. Pamphilius tritt hinzu und kommentiert leise die Geständnisse seines Herrn mit bissigen Bemerkungen, bietet sich aber als Bürge für die Wahrhaftigkeit seiner Aussagen an und hilft ihm damit aus der Klemme. Minos und Pasiphae kommen hinzu und lassen ihrer Empörung über Ariadnes Verhalten freien Lauf. Die lässt sich nicht beirren und entgegnet, sie wolle mit Evanthes nichts zu tun haben, mit Theseus dagegen in das Labyrinth gehen und dort auch mit ihm den Tod finden. Evanthes ist inzwischen hinzugekommen und bietet sich an, aus Liebe zu Ariadne an deren Stelle im Labyrinth zu sterben. Sofort wird Pamphilius hellhörig und meint, wenn es Evanthes so wichtig sei, dann wolle er „ihm vor mir die Ehre gönnen“. Minos beruhigt Pamphilius mit den Worten, dass die Strafe nur den Schuldigen treffen solle, und er habe ja nichts verbrochen. Eine geteilte Arie, zunächst für Minos, dann für Pasiphae, in der beide unterstreichen, dass jetzt die Rache über die Liebe siegen werde, beendet die Szene. Zu Evanthes und Pamphilius treten Ariadne und Theseus. Evanthes versucht abermals, Ariadne von ihrem Vorhaben, mit Theseus im Labyrinth zu sterben, abzubringen. Ihre unerschütterliche Zuversicht über einen glücklichen Ausgang des sich anbahnenden Dramas besingen nun Evanthes, Ariadne und Theseus. Theseus ist verblüfft über seine Teilnahmslosigkeit an Ariadnes Liebe zu ihm. Auch ihre Bereitschaft, mit ihm in den Tod zu gehen, vermag keine Liebe zur Prinzessin in ihm zu wecken. In die Äußerungen von Theseus lässt Pamphilius seinen ironischen Kommentar einfließen, der zu einem Disput mit Theseus über die Liebe und die Frauen führt. Dieser Disput wird sofort unterbrochen, als Phaedra auftritt und Theseus fragt, ob es wahr sei, dass Ariadne ihm ins Labyrinth folgen wolle. Seine Antwort ist eine einzige Verhöhnung: Er habe geheuchelt, damit er mit Hilfe von Ariadne dem Tode im Labyrinth entrinnen könne. Er wolle mit ihr, seiner geliebten Phaedra, entkommen und eine gemeinsame Zukunft aufbauen. Phaedra ist nicht nur erfreut über Theseus‘ Aussage, sondern auch sofort bereit, die Intrige gegen ihre Schwester zu unterstützen. Dennoch äußert sie leise Zweifel an der Aufrichtigkeit des Geliebten, die sich allerdings im Duett in Wohlgefallen auflösen: Beide singen von Liebe und Treue. Pamphilius, allein geblieben, kommentiert gewohnt ironisch, aber mit fast philosophischer Weltkenntnis, dass derlei Täuschungen zum Alltag des Lebens gehören. Ariadne, Theseus und Evanthes kommen hinzu und die Prinzessin verkündet nochmals ihre Absicht, mit Theseus zu gehen – sei es zum Leben oder zum Sterben. Theseus lehnt das Ansinnen Ariadnes ab und schlägt gemeinsam mit Evanthes vor, sie möge doch jetzt das Geheimnis des Labyrinths aufdecken und für ein glückliches Ende sorgen. Ariadne ist dazu bereit und erklärt Theseus den „Daidalos-Trick“ mit dem abgerollten Faden. Der erstaunte Theseus bedankt sich für diesen Rat und verabschiedet sich mit einer Arie, mit der er Ariadne abermals seine unverbrüchliche Liebe versichert. Dann begibt er sich, den Faden am Eingang befestigend, in das Labyrinth. Ariadne bringt ihre Angst und Sorge um den Geliebten zum Ausdruck, Evanthes versucht, sie zu beruhigen. Pamphilius wird von Soldaten gebracht, um ebenfalls in das Labyrinth geschickt zu werden. Er verabschiedet sich von Verwandten, Freunden, „feuchten Brüdern“ und Bekannten mit einer lateinischen Arie und zeigt damit für einen Diener erstaunliche Kenntnisse. In diesem Moment kommt Theseus mit dem Kopf des Minotaurus aus dem Labyrinth zurück und wird mit großer Freude begrüßt. Der Held fordert Ariadne auf, sich für die Flucht aus Kreta vorzubereiten. Während Evanthes Zeit für ein gemeinsames Vergnügen kommen sieht, mahnt Theseus zur Eile, um mit Ariadne und Phaedra, beiden Prinzessinnen also, so schnell wie möglich Kreta zu verlassen. Evanthes stimmt zu und eilt zum Hafen, um das Fluchtschiff zu ordern. Phaedra, die es sich versagt hatte, Theseus beim Gang zum Labyrinth zu begleiten, kommt jetzt hinzu. Der Sieger über den Minotaurus fordert sie auf, eine Verkleidung anzulegen, um unerkannt auf das von Evanthes gecharterte Schiff zu gelangen. Am Ende dieses Aktes äußern alle die Überzeugung, dass die alles besiegende Liebe ihnen eine glückliche gemeinsame Zukunft ermöglichen werde.

DRITTER AKT: Nach einem kurzen Prelude zeigt sich Pasiphae gut gelaunt über Theseus‘ Sieg über das Ungeheuer; sie sieht sich endlich von einer lange währenden Schmach befreit und bittet in einer Arie die Sterne um Stillstand, um den Augenblick des Triumphs lange auskosten zu können. Minos kommt zornig in das Gemach seiner Gemahlin und berichtet, dass Evanthes und Theseus mit Ariadne und Phaedra auf einem Schiff Kreta verlassen hätten. Wut und Entsetzen veranlassen das Paar, alle bösen Geister des Himmels zur Rache für diesen Schimpf aufzurufen. Nach dem Weggang ihres Gatten bringt Pasiphae ihre ganze Wut in zwei Rachearien zum Ausdruck, ehe sie davonrauscht. Mit einem Marsch zeigt sich Evanthes in seiner wahren Gestalt als Bacchus, ihm folgen Bacchanten und Satyrn. Sie singen einen breit ausladenden Dankhymnus auf Apollo und auf den himmlisch-göttlichen Wein. Der berauschende Wein versetzt alle in ein sich steigerndes Delirium. Bacchus lobt in einem Rezitativ mit Arie seine Macht als Gott des Weines und ruft seine geliebte Ariadne herbei. Dabei bringt er seine Hoffnung zum Ausdruck, dass es ihm nun gelingen werde, was ihm als Evanthes versagt war: Ariadne für sich zu gewinnen. Mit Theseus und seinem Diener Pamphilius verlassen auch Ariadne und Phaedra das Schiff; sie äußern ihre Zufriedenheit über die gelungene Flucht. Nach einem Liebesduett von Ariadne und Theseus, in dem sie ihre Vorfreude auf „brünstige Liebe“ äußern, begeben sich beide in ein inzwischen aufgeschlagenes Zelt. Phaedra wünscht sich den Anbruch der Dunkelheit herbei, um mit Theseus zu verschwinden. Da kommt der Held aus dem Zelt und sagt ihr, Ariadne sei eingeschlafen und man könne jetzt gemeinsam fliehen. Evanthes möge sich nun um sie kümmern. Sie begeben sich auf das Schiff, lassen die Anker lichten und segeln davon. Inzwischen ist Ariadne aufgewacht und findet Theseus nicht. Sie sucht die Gegend ab, muss aber feststellen, dass sie allein gelassen wurde. Sie ruft die Furien herbei, die in ihren Körper eindringen sollen, um alle Liebesgedanken an Theseus zu verscheuchen. Bacchus kommt mit seinem Gefolge und eröffnet Ariadne, dass er sich ihr als Evanthes genähert habe, seine Liebe zu ihr aber keine Heuchelei war. Ariadne freut sich, in ihm einen getreuen Liebhaber gefunden zu haben. Sie entsagt dem ungetreuen Theseus und beide beschwören den Himmel in ihrer beiden „Seelen und Brust“. Pamphilius kommt zurück und äußert sich überrascht über die inzwischen eingetretenen Veränderungen. Mit Faun und Satyrn erscheinen Bacchanten… alle besingen den Sieg der Liebe, das Lob der Schönheit, den liebreichen Wein und die Einsicht des Himmels in das glückliche Ende für das liebende Paar. Pamphilius bekennt, dass es ihm hier und jetzt sehr gut gefällt, weshalb er auch zu bleiben gedenke, da es ihm „anderswo“ auch nicht besser gehen kann. In einer Wolke fährt ein himmlischer Chor herab, mit der Göttin Venus und mit einem Gefolge von Grazien. Während die Göttin das Vergnügen des Himmels an der Verbindung zwischen Ariadne und Evanthes/Bacchus verkündet, kommt eine kleinere Wolke herab und das Liebespaar nimmt auf ihr Platz. Unter dem Jubelgesang des himmlischen Chores fährt die Wolke mit Ariadne und Bacchus in die Höhe auf das Sternbild der Coronae Ariadnes, wo sie auf immer vereint sein werden.

Fulminantes, internationales Ensemble

Josefine Göhmann, Sopran © Josefine Gohmann
Josefine Göhmann, Sopran © Josefine Göhmann

In der großen schwierigen Partie der Ariadne, kretische Prinzessin, zeigt die deutsch-chilenische Sopranisten Josefine Göhmann eine vielfältige Farbpalette. Ihr frischer, brillierender Sopran, ihr feinsinniges wie lustvolles Spiel ist emotional, hingebungsvoll und ausdifferenziert. In der großen Arie „Auf, auf erbostes Glücke, auf, auf ich bin bereit…“ findet sie wunderschöne Farben der Sehnsucht. Bewundernswert ihre Bühnenpräsenz, ihre Verve und Eindringlichkeit. Die jugendliche Natürlichkeit der litauischen Sopranistin Gabrielé Jocaité (Phaedra, Ariadnes Schwester), ihr Selbstbewusstsein, ihre mädchenhafte Ausstrahlung, die Leichtigkeit und Klarheit der Diktion, ihre silbrig timbrierte Stimme, ihr Koloraturzauber bis hin zu inniger, ausdrucksstarker Wärme beeindrucken. Es ist nachzuvollziehen, dass sich Theseus in diese Jubeltöne verliebt…

Jean Max Lattemann © Jean Max Lattemann
Jean Max Lattemann © Jean Max Lattemann

Der Deutsch-Brite Jean Max Lattemann, erfreut in der vielschichtigen Rolle des Evanthes/Bacchus. Seine durch nichts zu erschütternde Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft mit Ariadne („Erinnere dich, dass mir allein gebührt dein schönes Angesicht…“), sein Dankhymnus auf den himmlisch-göttlichen Wein ist kraft seines ausgeglichenen Countertenors gewinnend, erfrischend die Süße seiner leichtfüßigen Koloraturen. Sharon Kempton, die nicht nur in Wiesbaden wertgeschätzte australische Sopranistin, lässt Wut und Triumph der Pasiphae, Frau des Minos, aufleuchten. Es ist eine Freude, ihrem Hass und Spielwitz zu folgen… herrlich ihre samtene Tiefe, ihre warme, expressive Mittellage, mühelos ihre jubilierenden Höhen. Der ukrainische Bassbariton, Petro-Pavlo Tkalenko, ist ein differenziert ausgereifter Minos, König der Insel Creta. Sauber intonierend mit natürlicher Tongebung, imposant, sicher im Ton und angenehm im Klang.

Fabian Kelly © Fabian Kelly
Fabian Kelly © Fabian Kelly

Der portugiesische Tenor Pedro Matos (Theseus, königlicher Prinz, Held aus Athen) steht heuchelnd, simulierend todessehnsüchtig, treulos, von rivalisierenden Schwestern geliebt im Zentrum der Oper. Mit schlanker, präziser Tongebung, mit angenehm hellem Timbre ist seine Stimme anregend, in exponierten Lagen schwerelos durch die Register gleitend. Quirlig, buffonesk ist der Pamphilius, Diener von Theseus, des deutschen Tenors Fabian Kelly. Als Diener mit philosophischer Weltkenntnis, zu bissigen Bemerkungen neigend, aber auch als lustiger Scherenschleifer, kann er sich austoben. Seine Stimme ist klangschön, sein Gesang schwingt mühelos, ohne jegliches Forcieren, in den Raum.

Das Chorquartett, Katharina Blattmann, Maria Dehler, Christopher Peter und Youn Jin Ko beeindruckt mit dem „Jubelgesang des Himmlischen Chores“, als Volk, Scherenschleifer, Königs- und Göttergefolge. Es besingt den Sieg der Liebe, das Lob der Schönheit, den liebreichen Wein und die Einsicht des Himmels in das glückliche Ende für das liebende Paar. Hervorzuheben ist der Gesang ohne Instrumente: „Alles Betrüben entweichet von den Lieben… Obgleich die Zähren eine zeitlang uns beschweren…“

KS Thomas de Vries © Thomas de Vries
KS Thomas de Vries © Thomas de Vries

KS Thomas de Vries, Continuoorgel und Musikalische Leitung, gelingt es zum wiederholten Male, das Publikum im Rahmen der Internationalen Maifestspiele im Prunkfoyer des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden mit einer musikalischen Rarität zu verzaubern. Die Vielfalt der Arien gefällt, die sehr innigen Liebesduette und die imposanten Tutti lassen die Herzen höherschlagen. de Vries ist ein Begleiter, der die schwierigen Ensembles trägt, und feinsinnig und umsichtig die subtilen Reize der Partitur herausarbeitet. Alles Sinnliche, Pulsierende, Prickelnde, bunt Lebendige wird soghaft voller Intensität und Empfindung mit fabelhaft durchgestalteter Klangdramaturgie zum Strahlen gebracht. Bewundernswert umsichtig führt er die Musiker*innen. In Hochform gelingen kammermusikalisch zarte Wirkungen, er überzeugt mit einer eigenen musikalischen Farbe. Toshinori Ozaki (Laute und Barockgitarre), Daniela Wartenberg (Barockcello), Christian Pfeifer (Cembalo) und das gesamte Ensemble Mattiacis spielen homogen und leidenschaftlich auf.

Es war ein eindrucksvoller, unvergesslicher Abend, der schon in Anbetracht der enormen künstlerischen Herausforderung nach Wiederholung schreit. Es wäre sehr schade, wenn er einmalig bleiben würde. Für das Ensemble gab es tosenden Beifall und Bravi, mit zum Ende wachsenden Jubelstürmen.

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