Wiesbaden, Hessisches Staatstheater, DER FREISCHÜTZ - C. M. von Weber
DER FREISCHÜTZ, Wiesbaden: Carl Maria von Weber an seine Verlobte Caroline Brandt, 3.März 1817: In Kürze ist es folgendes: „Ich muß dirs nur erzählen denn ich sehe schon, du verzwazelst fast vor Neugierde und Ungeduld. .......
von Ingrid Freiberg
Carl Maria von Weber erzählt von seiner Oper:
Carl Maria von Weber an seine Verlobte Caroline Brandt, 3.März 1817: In Kürze ist es folgendes: „Ich muß dirs nur erzählen denn ich sehe schon, du verzwazelst fast vor Neugierde und Ungeduld. Ein alter Fürst, Förster, will seinem braven Jägerburschen Max seine Tochter und Dienst geben, und der Fürst ist es zufrieden, nur besteht ein altes Gesezz dass jeder einen schweren Probeschuß ausführen muß, ein anderer boshafter liderlicher Jägerbursche, Kaspar, hatte auch ein Auge auf das Mädel, und ist aber dem Teufel halb und halb ergeben. Max, sonst ein trefflicher Schütze, fehlt in der letzten Zeit vor dem Probeschuße alles, ist in Verzweiflung darüber, und wird dadurch endlich von Kaspar dahin verführt, sogenannte Freykugeln zu gießen, wovon 6 ohnfehlbar treffen, dafür aber die 7te dem Teufel gehört, diese soll das arme Mädchen treffen, dadurch Max zur Verzweiflung und SelbstMord geleitet werden, der Himmel beschließt es aber anderst, beim Probeschuß fällt zwar Agathe, aber auch Kaspar, und zwar letzterer wirklich als Opfer des Satans, erstere nur aus Schrekken, warum ist im Stück entwikkelt, das Ganze schließt freudig. Die wahre Geschichte ist oft das Unwahrscheinlichste und würde im Gewande der Dichtung für ganz unsinnig ausgegeben werden; aber das ist die Bizzarrerie des Lebens, dass es das Naheliegendste überspringt und dadurch die Wahrheit zur Fabel stempelt. Man könnte also fast sagen, es sei nicht alles wahr, was wirklich geschehen sey; oder es gibt Dinge, die sich begeben haben, erzählt aber zur Lüge werden.
Der Erfolg der Oper ist legendär
Seit 1817 arbeitete Weber am Freischütz. Im Januar dieses Jahres war er vom Sachsenkönig Friedrich August III. zum Leiter der Deutschen Oper Dresden verpflichtet worden. Hier waren durch den Komponisten Johann Gottlieb Naumann, der in seinen letzten Opern die Schematik der Opera seria durchbrochen hatte, sowie durch Kreise um den vaterländisch-freiheitlichen Schriftsteller Theodor Körner Voraussetzungen und ein geistiges Klima für eine deutsche Nationaloper geschaffen worden. Nach Theodor W. Adorno hat Der Freischütz „mit größerem Recht als Die Meistersinger“ als deutsche Nationaloper zu gelten, denn „das deutsche Element setzt sich darin nicht als solches, kompromittiert sich nicht durch nationalistische Gesinnung.“ Aus dem deutschen Singspiel mit seinem charakteristischen Wechsel von Musiknummern und gesprochenem Dialog entwickelt Weber seine Vorstellung der romantischen Oper als einem Kunstwerk, „wo alle Teile und Beiträge der verwandten und benutzten Künste ineinander verschmelzend verschwinden und - auf eine gewisse Weise untergehend – eine neue Welt bilden.“ Musikalisch setzte Weber vor allem in den Gesangsszenen neue Formen ein, z.B. in der Wolfsschlucht mit ihrer dramatisch effektvollen Verbindung reiner Musikteile mit gesprochenen Passagen und Melodram, und schuf eine tief naturverbundene, zugleich unheilvoll schauerlich wirkende Musik. Die lichten und dunklen Seiten der Romantik finden sich in der liedhaft volkstümlich gewordenen „Kirmesmusik“, dem „Viktoria-Chor“, „Kilians Spottlied“, dem „Walzer der Bauern“, Ännchens „Kommt ein schlanker Bursch gegangen…“, vor allem aber im Gesang der „Jungfern“ und im „Jäger-Chor“ sowie in einer Instrumentation und Klangfarbendramaturgie, der es gelingt, poetisch gestaltete Momentaufnahmen zu zerklüfteten Landschaften zu erweitern. Mit feinsten Schattierungsmitteln, psychologischer Darstellungskunst ist Agathe in ihrer Szene und Arie „Wie nahte mir der Schlummer…“ gezeichnet, eine nicht in strenge Formen gegossene fortlaufende Schilderung heftigster innerer Bewegung. Auch Max mit „Durch die Wälder, durch die Auen…“ zeigt den durch selbstquälende Reflexionen leidenden Jäger, dessen „Lebt kein Gott?“ als Angstschreie zu sehen sind, während Kaspars „Hier im ird’schen Jammertal…“ der pfeifend-aufbrausende Triumphgesang des Bösen schlechthin ist. In der Novelle stirbt Agathe und Max verfällt dem Wahnsinn, das Libretto der Oper lässt das Gute siegen: Ein Eremit steht dem Liebespaar bei und kann mit seiner Fürsprache beim Fürsten Gnade für Max und eine Hochzeit für beide erwirken.
1820 vollendete Carl Maria von Weber seine Komposition und am 18. Juni 1821 war die Uraufführung im Königlichen Schauspielhaus in Berlin. Der Librettist Johann Friedrich Kind wurde an der Thomanerschule in Leipzig ausgebildet, wo er Johann August Apel kennenlernte, dem Mitverfasser des Gespensterbuchs, dem der Stoff zum Freischütz entnommen ist. Der Erfolg der Oper ist legendär: Bis 1885 wird Der Freischütz allein in Berlin 500-mal aufgeführt. In der Zeit der Industrialisierung sehnten sich die Menschen nach einem deutschen Seelenort, nach Wald und Romantik, verschlangen aber auch Schauerliteratur wie Frankenstein, Dracula, Dr. Jekill and Mr. Hyde, mit deren blutigen Sinnlichkeit, Erotik und Verwesung. Der Intendant des Theaters Graf Carl von Brühl wurde zu Webers wichtigsten Befürworter. Den überwältigenden Erfolg des Werks begünstigte, dass seine Uraufführung vor zeitgeschichtlich brisantem Hintergrund stattfand. Der Premierentag war zugleich Jahrestag der Schlacht bei Waterloo, dem Sieg der europäischen Völker gegen Napoleons Fremdherrschaft. Den Siegeszug der Oper nahmen danach auch die Nationalsozialisten im Dritten Reich für sich in Anspruch und bejubelten ihn u.a. als „Wahrzeuge des geistigen Dranges zur Reichseinheit“.
Danksagung von Carl Maria von Weber, Berlin am 19ten Juny 1821
„Nicht versagen kann ich es meinem tief ergriffenen Gemüth, den innigsten Dank auszusprechen, den die mit wahrhaft überschwenglicher Güte und Nachsicht gespendete Theilnahme der edlen Bewohner Berlins bey der Aufführung meiner Oper „Der Freischütz“ in mir geweckt. Von ganzem Herzen zolle ich den freudig schuldigen Tribut einer in allen Theilen so vollkommen abgerundeten Darstellung und dem wahrhaft herzlichen Eifer, den sowohl die verehrten Solo-Sängerinnen und Sänger als die treffliche Kapelle und das thätige Chor-Personale beseelte, so wie auch die geschmackvolle Ausstattung von Seiten des Herrn Grafen Brühl und die Wirkung der scenischen Anordnungen nicht vergessen werden darf. Stets werde ich eingedenk seyn, dass alles dieses mir nur doppelt die Pflicht auferlegt, mit reinem Streben weiter auf der Kunstbahn mich zu versuchen. Je mehr ich mir aber dieser Reinheit meines Strebens bewußt bin, je schmerzlicher mußte mir der einzige bittere Tropfen seyn, der in den Freudenbecher fiel. Ich würde den Beyfall eines solchen Publikums nicht verdienen, wenn ich nicht hoch zu ehren wüßte, was hoch zu ehren ist. Ein Witzspiel, das einem berühmten Mann kaum ein Nadelstich seyn kann, muß in dieser Weise für mich gesprochen, mich selbst mehr verwunden als ein Dolchstich. Und wahrlich bey der Vergleichung mit dem Elephanten könnten meine armen Euelen und andere harmlose Geschöpfchen sehr zu kurz kommen.“ (Hier bezieht sich Weber auf die Oper Olympia von Gaspare Spontini, die zeitgleich an der Berliner Hofoper uraufgeführt wurde, und wo in einer teuren prunkvollen Ausstattung ein lebender Elefant auf der Bühne stand.) „Viktoria, wir können schießen, der Freyschütze hat ins Schwarze getroffen“, so schrieb Carl Maria von Weber seinem Librettisten Friedrich Kind vom grandiosen Erfolg ihrer gemeinsamen Oper.
Die Oper wurde in der Musikkritik schon unmittelbar nach der Erstaufführung als die „erste deutsche Nationaloper“ bezeichnet. Die Allgemeine Musikalische Zeitung schrieb im April 1843: „Kinds und Webers Freischütz ist aber auch eine echt deutsche Oper. Ja, man kann in gewisser Hinsicht sagen, sie hat in sich selbst die erste in jeder Beziehung rein deutsche Nationaloper hingestellt. Die älteren Erscheinungen im Gebiete der deutschen Oper (natürlich ist hier nur von den bedeutenden die Rede) hatten fast alle irgendetwas Fremdartiges, Nichtdeutsches an sich, sei es in der Musik oder in den Büchern.“ Heinrich Heine schildert im März 1822 in seinem zweiten Brief aus Berlin, dass man dem Brautlied „Wir winden dir den Jungfernkranz…“ nicht entkommen könne, welches überall geträllert und selbst von Hunden gebellt werde. Für Richard Wagner ist die Melodie die Grundlage der Weberschen Volksoper „Sie ist, frei aller lokal-nationellen Sonderlichkeit, von breitem, allgemeinen Empfindungsausdrucke, hat keinen andern Schmuck als das Lächeln süßester und natürlichster Innigkeit, und spricht so, durch die Gewalt unentstellter Anmut, zu den Herzen der Menschen, gleichviel welcher nationalen Sonderheit sie angehören mögen, eben weil in ihr das Reinmenschliche so ungefärbt zum Vorschein kommt.“
Seit vier Jahren in Planung, dann sinnlos gestrichen und doch aufgeführt…
Kunst arbeitet mit den Hindernissen, die ihr gegeben sind... Und unbestreitbar Kunst ist die Tatsache, dass es trotz der vorgesehenen Streichung des Geschäftsführenden Direktors zur Aufführung des Freischütz kam. Dass die Oper nun gespielt wird, führte dazu, dass nicht alles so wie vormals geplant ausgeführt werden konnte, führte zu großen Belastungen und erheblichem Druck auf Regie, Cast, Chor, Orchester und Gewerke. Umso mehr beeindruckt die Inszenierung von Clemens Bechtel. Er erkundet psychologische Zwischenräume, skizziert eine männlich dominierte Jagdgesellschaft, einen zaudernden Max, das unübersehbare Leiden von Agathe, die ihren malträtierten Körper herzeigt, den Zwang der Gesellschaft, die teuflischen und himmlischen Mächte. Seine Darstellung der Geschlechter untereinander zieht einem in den Bann. Bäume auf dem Prospekt im Hintergrund, ein wenig an Caspar David Friedrich erinnernd, stehen auf dem Kopf, das Geschehen wird entromantisiert, die Wolfsschlucht, ein grausiger Ort voller Magie und Grusel, ist mitten im Ambiente der dörflichen Gemeinschaft, mitten unter uns, ohne ihren dramaturgischen Höhepunkt zu verlieren; sie lebt vom Übermenschlichen und Fantastischen. Ein Teufelspakt auch mit dem Publikum? Eindrucksvoll die Textpassagen, gesprochen von Maria Wördemann und Matze Vogel, aus The Black Rider: The Casting of the Magic Bullets, einem Musiktheaterstück des US-amerikanischen Regisseurs Robert Wilson des Komponisten Tom Waits und des Autors William S. Burroughs. Am Ende fährt Samiel, der schwarze Jäger, den Rollstuhl des Eremiten... Es verwischt sich die Trennung von Gut und Böse. Insgesamt zeichnet sich die Regie von Clemens Bechtel durch viele Deutungsmöglichkeiten aus.
Die Wolfsschlucht: ein dämonischer Ort der Angst und Hoffnung, mitten unter uns
Das Bühnenbild von Stefan Heyne schafft durchdachte Spielorte, geglückte Auf- und Abgänge, der stets präsente, unterschiedlich leuchtende, riesige Mond illustriert die Gefühlslage der einzelnen Figuren. Nicht wissend, wie das Konzept ursprünglich aussah, interpretiert dieses Bühnenbild auf einer Drehbühne mit altdeutschen Schränken, auf denen Tannen stehen, einem Bett, das jeweils Schlüsselbereich von Agathes und Maxens Seelenschmerz ist, einem Tisch, auf dem Kaspar die Ingredienzen für die Freikugeln zurechtstellt „Hier erst das Blei, etwas gestossenes Glas von zerbrochenen Kirchenfenstern; das findet sich! Etwas Quecksilber! - Drei Kugeln, die schon einmal getroffen! - Das rechte Auge eines Wiedehopfs! - Das linke eines Luchses! Probatum est! - Und nun den Kugelsegen!“ bedeutungsvoll die schaurige Geschichte. Während Kaspar ängstlich die Kugeln zählt, gießt sie Samiel teufelsgleich mit behaartem Oberkörper an einer zentral aufgestellten Feuerschale mitten im gutbürgerlichen Ambiente. Das Bühnenbild verstärkt das Geschehen „inmitten des Volkes“. Auch bei den Kostümen von Tanja Liebermann ist vorab zu erwähnen, unter welchem Zeitdruck sie gefertigt werden mussten. Diese schwer zu lösende Aufgabe zieht sich wie ein roter Faden durch die Produktion. Bewundernswert deshalb die charakterisierende Vielfalt: Traditionell gekleidet die Jäger, Max, seinem mangelnden Selbstbewusstsein entsprechend, in unauffälliger Jagdkleidung, Agathes mehrlagiges, schwierig anzulegendes Hochzeitskleid in unschuldigem Weiß, Brautjungfern in unheilvoll schwarzen Umhängen mit einer prächtig gearbeiteten Totenkrone für die Braut. Die Interpretation der Regie unterstützend tragen Eremit und Samiel den gleichen Lammfellmantel, unterschiedlich gestaltete weiße Hauben belegen das ausgezeichnete Handwerk, biedermeierlich ausgestattet ist der Chor, bisweilen an einen Mummenschanz erinnernd, das Kostüm eines Krampus fällt besonders heraus. Das punktuell arrangierte Lichtsetting von Marcel Hahn schafft einen wirkungsvollen Fokus. Suggestiv betonen Lichtkegel die intensiven Emotionen. Videos von Alex Halka mit erlegten Rehen, Wildschweinen und Füchsen machen die Wolfsschlucht zur abgründigen Gespenstergeschichte.
Ein durchweg überzeugendes Ensemble
Thomas Blondelle als Max präsentiert sich lyrisch feinstimmig mit herrlich timbriertem Tenor in differenzierter Kombination von kernig maskulinen Qualitäten. Depressiv und glücklos ist er ein glaubhafter Darsteller: „Doch mich umgarnen finstre Mächte! Mich fasst Verzweiflung! Foltert Spott!“ „Nein, länger trag ich nicht die Qualen – Durch die Wälder, durch die Auen…“ Blondelle besitzt die große Gabe, Gefühle zu verkörpern, die die Figur in bestimmten Momenten durchlebt, ihr vielerlei Schattierungen abzugewinnen und sinnhafte Ausdruckskraft zu verleihen, ein fesselndes Rollenporträt mit warmer Mittellage und achtsamen Piani „O, diese Sonne!“ Alyona Rostovskaya als Agathe überzeugt durch den Klang ihres jugendlich-lyrischen Soprans, mit Feinheiten der Phrasierungen und ihr strömendes Legato. Mit silbertönendem Höhenpotenzial avanciert sie zur idealen Rollenvertreterin. Im Duett mit Ännchen singt sie herrlich zart und zerbrechlich, bringt aber auch die nötige Stimmkraft mit, einfühlsam und berührend „O wie hell die goldnen Sterne, mit wie reinem Glanz sie glühn!“ In ihrer zu Herzen gehenden Arie-Szene vor dem Schlafengehen „Wie nahte mir der Schlummer, bevor ich ihn gesehn?… Leise, leise, fromme Weise!“ die blüht spirituelle Reinheit Agathes auf. Dimitry Ivashchenko ist schon optisch ein Kaspar wie man ihn sich wünscht. Sein opulenter Bass mit tiefer Schwärze hat eine beklemmende Bühnenpräsenz, toxisch mit Subtilität verfolgt er seine Vorhaben, um dann mit großer dramatischer Ausdruckskraft zu scheitern: Die verirrte siebte Kugel trifft ihn am Ende selbst. Mit „Hier im ird'schen Jammertal war' doch nichts als Plack und Qual…“ lädt er Max zum Trinken ein. Seine Rollenidentifikation und stimmliche Leistung lassen erschauern. Ivashchenko ist ein charismatischer Sänger „Schweig, schweig - damit dich niemand warnt!“ „Dort läuft ein Füchslein; dem die sechste in den Pelz! – Wohl bekomm’s der schönen Braut!“ Anastasiya Taratorkina als ein bezaubernd burschikoses Ännchen „Kommt ein schlanker Bursch gegangen…“ ist in ihrer Rolleninterpretation mehr als nur Agathes Freundin „Du zürnest mir? Doch kannst du wähnen, ich fühle mich nicht mit dir? Nur ziemen einer Braut keine Tränen!“ Mit lockend betörendem Wohlklang katapultiert sie mit Glanz und Leichtigkeit ein leuchtendes Feuerwerk in den Raum. Ihre Stimme ist hochpräsent mit ungewöhnlichen Facetten und viel Zärtlichkeit. Es ist eine Wonne, und überaus erfrischend ihr zuzuhören.
Christopher Bolduc als der böhmische Fürst Ottokar muss sich die Bedeutung seiner Rolle in wenigen intensiven Schritten aneignen. Zornig verbietet er die Heirat und verbannt Max des Landes. Auch als Max, Kuno und Agathe um Milde flehen, bleibt der Fürst hart. Bolduc beeindruckt mit fein ausdifferenziertem nuanciertem Rollenprofil - kraftvoll, agil und farbenreich. Obwohl der Eremit, gesungen von Young Doo Park, erst im 3. Akt, 6. Szene, als Agathe vom Schuss scheinbar getroffen niedersinkt, erscheint, gelingt es ihm, die Gesellschaft zu versöhnen. Er tritt für Max ein „Wer legt auf ihn so strengen Bann! Ein Fehltritt, ist er solcher Büßung wert?“ „Ist’s recht, auf einer Kugel Lauf zwei edler Herzen Glück zu setzen?“ Sein prachtvoller Bass, imposant, sicher im Ton und angenehm im Klang, begeistert, ist von hinreißender Präsenz in allen Registern. Mikhail Biryukov ist Kuno, der fürstliche Erbförster und besorgte Vater von Agathe. Zu Max: „Ich bin Dir wie ein Vater gewogen, doch wenn du morgen beim Probeschuss fehltest, müsst ich dir meine Tochter versagen!“ Souverän, mit ausdruckstarker klarer Diktion, selbstbewusst und willensstark fesselt er mit ausgezeichneter Gesangstechnik und Nuancenreichtum. Die Rolle des Kilian kommt dem spielfreudigen quicklebendigen Erik Biegel sehr gelegen. Hier kann er seine gesangliche Wandlungsfähigkeit aufblühen lassen. Er verspottet Max „Schau der Herr mich an als König!“ „Es ist Sitte bei uns, dass wer fehlt ein wenig gehänselt wird… alles in Güte und Liebe.“ Körpersprache verbindet er mit Intensität, ohne Effekthascherei. Der Bass-Bariton Darcy Carroll übernimmt die Sprechrolle des schwarzen Jägers Samiel. Max bittet ihn, die siebte Kugel zu verwünschen, sodass sie Agathe trifft. Kaspar: „Die siebente sei dein! Aus seinem Rohr lenk sie nach seiner Braut. Dies wird ihn der Verzweiflung weihn, ihn und den Vater.“ Samiel willigt zweideutig ein „Es sei. – Bei den Pforten der Hölle! Morgen er oder du!“ Als er und Kaspar die Kugeln in der Wolfsschlucht gießen, erscheinen wilde Tiere und Geister, Gewitter toben, Blitze zucken und Sturm heult auf.
Der zum Volkslied gewordene Ringelreihn der hier schwarzgekleideten Brautjungfern Michaela Wielgus, Gabrielė Jocaitė, Eka Kuridze, Eunshil Jung „Wir winden dir den Jungfernkranz… Schöner grüner, schöner grüner Jungfernkranz! Veilchenblaue Seide! Veilchenblaue Seide!“ hat etwas Befremdliches, lässt Vorfreude auf die bevorstehende Hochzeit nicht erkennen. Schönstimmig, mit warmen fraulichen Tönen, ausdrucksstark mit Stilgefühl für die natürliche Tongebung ist der „Schlager“ reizvoll neuartig zu hören. Chor und Chorsolistinnen des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden unter der Leitung von Albert Horne beweisen wieder einmal herausragende Stimmkultur. Jeder Einzelne interpretiert seine Rolle, dennoch ist die Gruppe nie voneinander abgegrenzt „Viktoria! Viktoria! der Meister soll leben!“ „Was gleicht wohl auf Erden dem Jägervergnügen, wem sprudelt der Becher des Lebens so reich?“ Die Dorfbevölkerung bewegt sich gekonnt im Walzertakt, Choreografie Myriam Lifka, der Spottchor unterzieht Max einem drastischen Ritual und kippt einen Eimer Blut über ihn, sie tanzen, saufen, reinigen laut - fast im Takt - ihr Gewehr und sind unsichtbare Geister „Milch des Mondes fiel aufs Kraut!“ Der Freischütz ist eine Choroper, und es ist eine Freude, diesen Chor zu hören!
Die Regie gibt dem Hessischen Staatsorchester Wiesbaden unter der Musikalischen Leitung von Johannes Klumpp die wohltuende Möglichkeit, sich ohne Videoeinspielungen oder Ähnlichem auf die atmosphärische Verdichtung der Ouvertüre wie auch auf das Entre'acte einzulassen. Weber gestand „Auf die Ouvertüre bilde ich mir etwas ein; wer zu hören versteht, wird die ganze Oper in nuce darin finden.“ Keine Potpourri-Ouvertüre im gewohnten Sinne nimmt dieses Musikstück die Oper vorweg, breitet - durch die Idyllik der Hörnermelodie und der Klarinettenfarben - die Faszination des Naturbildes aus, um dieses bald in eine Ebene finsterer Mächte zu überführen, und erlaubt erst am Schluss einen befreienden Jubel-Aufschwung. Klumpp stellt die individuelle Farbe der einzelnen Orchestergruppen heraus, formt das bis heute gültige romantische Orchesterbild, macht das Orchester zum Brennspiegel psychologischer Zusammenhänge, arbeitet konsequent das Volksliedhafte, das Surreale, das Unbewusste heraus, lässt im Orchester Elemente des Ganzen in selbstständiger Kraft und Schönheit entstehen und liefert einige phantastisch reizende Motive, die auf eine höchst romantische und charakteristische Weise erklingen.
Die mehr als komplizierten, teilweise frustrierenden Umstände, unter denen diese Inszenierung, und vor allem ihre Ausstattung, entstanden, spielten im Gesamtergebnis keine Rolle. Das Publikum ist hochzufrieden und spendet einhellig herzlichen Applaus. Applaus auch den Menschen, die sehr hart dafür gearbeitet haben, dass diese Produktion überhaupt stattfinden konnte.