Wiesbaden, Hessisches Staatstheater, DER FLIEGENDE HOLLÄNDER - Richard Wagner, IOCO

Alle sieben Jahre feiert der Unternehmer Daland eine große Piratenparty. Auf dem Fest vor einundzwanzig Jahren verließ ihn seine Frau und nahm die damals vierzehnjährige Tochter Senta mit. Heute kehrt diese erstmals nach Hause zurück.

Wiesbaden, Hessisches Staatstheater, DER FLIEGENDE HOLLÄNDER - Richard Wagner, IOCO
Außenansicht Rückseite Staatstheater Wiesbaden © Maximilan Borchardt

von Ingrid Freiberg

Eine lebensbedrohliche Situation als Grundlage einer romantischen Oper

Der fliegende Holländer, ein Geniestreich des 28-jährigen Richard Wagner, der die Partitur in nur wenigen Wochen schrieb - Uraufführung am 2. Januar 1843 - im Königlich Sächsischen Hoftheater Dresden - ist eine eigenartige Mischung aus etwas gespenstisch ungreifbaren Pseudo-Nichtvorhandenem. Die Oper gründet auf der Flucht von Richard und Minna Wagner im Jahr1839 aus Riga, ihr Segelschiff Thetis geriet im Skagerrak in einen heftigen Sturm. Die Nahtoderfahrung und die Erzählungen der Matrosen bilden den Hintergrund für die romantische Oper in drei Aufzügen. 

Der Holländer-Mythos in Sentas Ballade

Holländer waren über Jahrhunderte eine erfolgreiche Seefahrernation, die mit unerschrockener Härte im Handel auf den Weltmeeren segelten. Man glaubte in der damaligen Zeit, es sei überall ein holländisches Schiff auf den Meeren unterwegs. Die Geschichte des Fliegenden Holländers geht u.a. auf Willem Cornelisz Schouten zurück, der als erster Kap Hoorn umsegelte. Schon zu dessen Lebzeiten entstand der Holländer-Mythos, den Wagner mit der Ballade der Senta beschreibt: „Bei bösem Wind und Sturmes Wut umsegeln wollt' er einst ein Kap; er flucht' und schwur mit tollem Mut: In Ewigkeit lass' ich nicht ab!“ Holländer ist ein Siegmessender, ein Unternehmer, der ruhelos in Karriereabsicht Welthandel betreibt „verdammt zieht er nun durch das Meer ohne Rast, ohne Ruh'!“, unter Missachtung der irdischen Weiblichkeit. Es ist die misslungene Brautschau eines depressiven Kapitäns. Der Holländer lebt in einem karmischen Stillstand, in einer Spirale mit vielen Reinkarnationen, er kann nicht sterben und lebt aufgrund seiner karrierebezogenen menschenverachtenden Hybris in siebenjährigen Zyklen von der Hoffnung auf den Tod. Er glaubt sich von den Schicksalsmächten bestraft und fühlt sich dem Todesterror und der Hoffnungslosigkeit ausgeliefert. Nur die erlösende Kraft eines jungfräulichen weiblichen Herzens kann ihn davon befreien, was die poetische Erlösungsmelodie Sentas als Mitgefühl mit dem ruhelosen Seemann vorgibt. Allerdings gibt es auch die hörbare „Vergewaltigung“ von Senta: „Hast du eine Tochter?“ (Holländer), „Fürwahr, ein treues Kind.“ (Daland), „Sie sei mein Weib!“ (Holländer). Daland nimmt Holländer nicht als Schwiegersohn, weil er einen so guten Charakter hat, sondern weil dieser viele Juwelen und unermessliche Reichtümer auf seinem Geisterschiff angesammelt hat. Dafür verkauft er seine Tochter! Hingegen ist musikalisch seine Herzensgüte zu hören „Mögst du, mein Kind, den fremden Mann willkommen heissen? Seemann ist er, gleich mir, das Gastrecht spricht er an …“. Das widerspricht dem Regieansatz von Martin G. Berger. Themenführend hingegen ist die Erweiterung der Spinnstube durch einen Männerchor. Er fällt, wenn die auf einem Bierkasten gedrehte Flasche das jeweilige Opfer ausmacht, zu „Summ und brumm, du gutes Rädchen“ in Form eines Perpetuum Mobiles in einer Sexorgie über den Frauenchor her. Senta möchte ausbrechen und schaut sich immer wieder die Videohülle des Holländer-Films an „Ich sei's, die dich durch ihre Treu' erlöse! Mög' Gottes Engel mich dir zeigen! Durch mich sollst du das Heil erreichen!“ Ihre Vision stößt auf vollkommenes Unverständnis. Erik vernimmt Sentas Ausruf und fragt - etwas zu wohltemperiert - „Senta! Willst du mich verderben?“ „Bleib', Senta! Bleib' nur einen Augenblick! Aus meinen Qualen reiße mich! Doch willst du, ach! So verdirb mich ganz!“ Das bindet Senta nicht! Sie ist dem Holländer verfallen „Versank ich jetzt in wunderbares Träumen? Was ich erblicke, ist's ein Wahn?“ Holländer „Wie aus der Ferne längst vergang'ner Zeiten spricht dieses Mädchens Bild zu mir …“ Die Musik ist geprägt durch den Herzensrhythmus der beiden, die sich zueinander hingezogen fühlen. In alkoholisiertem Übermut ruft der Matrosen-Chor der Norweger die Seeleute auf dem Gespensterschiff an: „Steuermann! Lass die Wacht! Steuermann, her zu uns!“ bis sie erschreckt feststellen „Sie trinken nicht, sie singen nicht; in ihrem Schiffe brennt kein Licht.“ Das Dreiecksverhältnis spitzt sich noch einmal zu. Erik „Senta! O Senta! Leugnest du? Willst jenes Tags dich nicht mehr entsinnen, als du zu dir mich riefest in das Tal? … Was bei der Hände Druck mich hehr durchdrang, sag', war's nicht Versich'rung deiner Treu'?“ Seine mehrfach gestellte Frage impliziert, dass es keine Ja-Antwort geben wird. Zumal Senta das Schicksal des Holländers über ihre Liebe stellt. Der aber sieht sich nicht erhört und sticht in See: „Erfahre das Geschick, vor dem ich dich bewahr'! Verdammt bin ich zum gräßlichsten der Lose … du aber sollst gerettet sein!“ Holländer sieht seine Erlösung im Verzicht und durch die Überwindung seines Egoismus, in der Anerkennung seiner Ruhelosigkeit. Er will nicht, dass Senta ihr Leben einsetzt, um seine Existenz zu retten. Das ist seine Erlösung. Senta ist seinem Stolz und seinem Wagemut gewachsen, folgt ihm nicht und wählt die Erlösung von ihren weltlichen Qualen, die ihr ein unbelastetes Leben ermöglichen wird.

Chor des Hessischen Staatstheater Wiesbaden, rechts Aaron Cawley als Erik © Thomas Aurin

Vom Objekt zum Missbrauchsopfer

Die klanggewaltige Musik von Richard Wagner lädt dazu ein, die getriebenen Figuren seiner Oper analytisch zu befragen. In der Neuinszenierung legt Regisseur Martin G. Berger sein Augenmerk auf die rätselhafte Vergangenheit Sentas, ihres Vaters Daland und des Holländers. Mit dem Mittel der Rückschau und der Erinnerung unternimmt die Inszenierung eine Tiefenbohrung. Sie legt Schicht für Schicht die patriarchalischen Strukturen offen, die die Beziehung von Vater und Tochter überschatten, und aus denen sich die erwachsen gewordene Senta, nun ihre eigene Erlöserin, heraus zu kämpfen versucht. Für Berger geht es in dieser Legende um Unterdrückung, um das Unausgesprochene, das im Dunkel Liegende. Der Holländer beansprucht darauf ein Recht. Satan gewährt es ihm: „Du kannst es haben, aber das hat die Konsequenz, dass es dich für immer verfolgen wird.“ Es ist die Legende von einem Menschen, der einen Pakt mit dem Teufel schließt. Der Holländer will etwas erreichen, zu dem er als Mensch nicht fähig ist. Er gibt sich nicht zufrieden, stürmt an gegen die Natur, ist ein Prometheus. Es ist seine selbstgewählte Verdammnis. Es ist die Geschichte einer Entzauberung, in der die Realität hinter dem Mythos erkannt wird. Das ist das Grauenvolle daran. In der szenischen Umsetzung geschieht das durch das Erzählen in zwei Zeitebenen: der Kindheit und der Gegenwart, in der Senta an den Ort der Kindheit zurückkehrt. Es ist der realistische Rahmen, innerhalb dessen Daland und Senta in die Tiefe ihrer Psyche abtauchen. Legendär ist die Party vor einundzwanzig Jahren, bei der Dalands Frau ihn verlassen und die damals vierzehnjährige Tochter Senta mitgenommen hat. Nun kommt sie nach vielen Jahren zum ersten Mal wieder, ausgerechnet am Tag einer Party. Sie will verstehen, warum ihre Mutter und sie damals weggegangen sind. Sobald sie ihr altes Zuhause betritt, hat sie ein ungutes Gefühl. Nach und nach findet sie heraus, dass dem Auszug ein Übergriff des Vaters gegen sie vorausgegangen ist. Zum Eigenschutz hat sie den liebenden und den zerstörerischen Vater in zwei Personen aufgespalten. Daland und Holländer sind zu zwei Seiten einer Medaille geworden. Senta vollzieht als einzige Figur eine „Arbeit am Mythos“, um mit dem Philosophen Hans Blumenberg zu sprechen. Für Daland stellt es sich so dar, dass er mit seiner Tochter eine gute Zeit hatte und aus seiner Sicht bestraft und gedemütigt wurde, als die Mutter ihm das Kind „entzog“. Senta hingegen geht mit allen Varianten ihrer Erinnerung bis zum schmerzlichen Kern der Wahrheit.

Chor des Hessischen Staatstheater Wiesbaden, Im Video: Tommi Hakala © Thomas Aurin

Der Mythos als Machtmissbrauch

Wagners Hauptzutat, der Mythos, bedeutet auch Herstellung von Macht und die Möglichkeit, diese zu missbrauchen. Diesen Anspruch hat Wagner nicht nur in seiner Verwendung von Mythen, sondern auch in seiner Kompositionsstruktur angelegt: in der Technik des Leitmotivik. Durch permanente Wiederholung und Kopplung an eine Figur entsteht eine Art totalitäre Erzählung. Der erste Bruch in der Inszenierung von Martin G. Berger ist, kein Schiff aufzubauen, sondern ein Haus, das das Schiff in sich trägt, keine romantisierende Scheinwelt, sondern ein Setting mit Verfremdungsmomenten. Er begreift die Figur des Holländers als Machtprinzip und bricht sie auf, indem er sie als Projektionsfläche mit verschiedenen Charakteren wie Daland und Senta verbindet. Senta fühlt sich vom Mythos angezogen, jedoch um ihn aufzulösen, das Geheimnis ans Tageslicht zu bringen. Berger stellt den Missbrauch Sentas in den Vordergrund und erzählt die Geschichte aus ihrer Perspektive. Das wird durch die eindrücklichen Videos von Vincent Stefan verständlich. Durch diese Ebene erhält man die Möglichkeit, in die Köpfe, in die Illusionen von Menschen hineinzusehen. Erinnern ist kein statischer Prozess, sondern ein unglaublich kreativer: Wie erinnern wir, warum erinnern wir, weshalb lassen wir die Erinnerung weg, was machen wir größer, welche Ängste spielen mit. Die Erinnerung wird sich immer verändern, ist eine ewige Wiederkehr des nicht Gleichen.

Daland und Holländer im faustischen Kontext

Die Video-Projektionsflächen wie etwa das Garagentor, das immer wieder geöffnet und geschlossen wird, führen dazu, dass eine schlüssige Personenführung nicht möglich ist und eine visuelle Überfrachtung entsteht. Die Sänger*innen werden in ihrer Interpretation eingeschränkt. Hervorzuheben sind die eingangs marionettenhaft gedoppelten Bewegungen Holländer/Daland im faustischen Kontext, bei dem die Figuren immer mehr ineinander verschmelzen. Die inzwischen 35-jährige Senta betrachtet die beiden als übergriffige Vaterfiguren und überträgt den Missbrauch Dalands zu ihrem Selbstschutz auf Holländer. „Alle sieben Jahre feiert der Unternehmer Daland eine große Piratenparty. Auf dem Fest vor einundzwanzig Jahren verließ ihn seine Frau und nahm die damals vierzehnjährige Tochter Senta mit. Heute kehrt diese erstmals nach Hause zurück.“, so steht es auf dem Theatervorhang. Während der Ouvertüre, zum Auftakt des Piratenfestes mit großem Bierkonsum, wird ein Film in Schwarz-Weiß-Ästhetik, der zum Party-Ritual gehört, gezeigt. Im Film kann eine Zeitreise angetreten, kann dreimal sieben Jahre zurückgegangen oder im Jetzt angeknüpft werden. Die zyklische Wiederkehr eines Untoten, aufgenommen im Foyer des Hessischen Staatstheaters, wird eindrucksvoll wiedergegeben. Auf dem Vorhang sieht man die kindliche Senta eine Treppe hinuntersteigend, ahnt, was geschieht, wenn sie in der Badewanne fotografiert wird, als kindliches Modell, als Sexualobjekt für Männer herhalten muss, bis die Mutter eingreift. In einem Kästchen findet der Steuermann erregende Fotos. Mit vollem Körpereinsatz befriedigt er sich unter der Decke auf der Matratze, was für Unruhe im Publikum sorgt. Erschreckend zu beobachten, wie Holländer und Daland Senta am Schopf packen und auf die Matratze drücken. Am Ende ist es Erik, der Senta zuspricht und ihr einen Weg in ihre persönliche Freiheit aufweist. Sie steht, gekleidet wie damals als Mädchen, umringt von jungen Alter Egos an der Rampe. Ihre Traumata kann sie hinter sich lassen, sie ist erlöst. 2020 erhielt Martin G. Berger den renommierten deutschen Theaterpreis Der Faust in der Kategorie Beste Regie Musiktheater für Ariadne auf Naxos in Weimar (ebenso der Deutsche Musical-Theater-Preis und der Orpheus für besondere Verdienste um die Operette).

Im 1. Aufzug zeigt das Bühnenbild von Alexandre Corazzola ein Haus als geschlossenen Kubus. Nur durch ein Video von Vincent Stefan erhält man Einblick – wie auf einem Röntgenbild. Die Oberfläche schält sich nach und nach, indem das Haus sich nicht nur verschiebt und dreht, sondern auch auseinanderbricht. Zum Schluss werden die Vorhänge heruntergerissen, und es enthüllt sein Inneres, einen psychologischen Raum. Vordergründig wird eine Familienheimidylle gezeigt, ein Bungalow mit Garage, Bierzeltgarnituren und bunten Glühbirnengirlanden. Seitlich werden Würstchen gegrillt. In der Finalszene wird der Bungalow durch eine Galionsfigur ergänzt, die das Maritime aufgreift. Für die Kostüme lässt Esther Bialas ihrer Fantasie freien Lauf. Die bunte Mischung aus Piratenkleidung, opulenten historischen Kostümen und heutiger Freizeitmode ist nur scheinbar wahllos aus dem Fundus zusammengesucht. Sie soll betonen, dass es sich um verkleidete Gäste handelt, die eine Party besuchen und individuell ihre Outfits zusammengestellt haben. Senta und Erik tragen Jeans, Daland dazu einen prächtig bestickten Gehrock mit Dreispitz und Feder. Allein der Holländer wird stilecht als Legende in einer Piratentracht à la Pirates of the Caribbean wie Captain Jack Sparrow ausgestattet. Da es kein Schiff auf der Bühne gibt, muss er das Schiff, das Meer, die dunkle Seite im Kostüm haben. Das gelingt Bialas mit einem alten schwarzen Moiré, der spezielle Stoffstrukturen aufweist und nass wirkt. Eine Anmerkung sei erlaubt: Die Sängerin der Senta, Dorothea Herbert, hat wunderschönes blondes Haar. Schade, dass sie eine so unkleidsame Perücke trägt.

Dorothea Herbert und Aaron Cawley © Thomas Aurin

Ausdrucksstarke Solist*innen tragen zum musikalischen Erfolg des Abends bei

Tiefdunkel lässt Tommi Hakala als Holländer bereits bei seiner Antrittsarie „Die Frist ist um …“ aufhorchen. Seinem kraftvollen Bariton kann er viele Schattierungen abgewinnen, sein Stimmumfang ist eindrucksvoll, dämonisch zerrissen, dramatisch aufbrausend, mit hochdramatischer Eruption, mit klarer Diktion. Sein schweres, historisches Kostüm trägt er mit bewundernswerter Natürlichkeit. Young Doo Park gibt ein erfolgreiches Rollendebüt als Daland, einen gespaltenen Charakter, der seine Tochter missbraucht. Sein dramatischer Bass hat keine Schwierigkeiten mit der Partie, seine ungeheuer sichere szenische Ausstrahlung überträgt sich auf das Publikum. Allerdings bereitet ihm die Diktion noch Probleme. Mit der Partie der Senta sorgte Dorothea Herbert jüngst in Prag für Aufsehen. Ihre Senta in Wiesbaden gleitet natürlich und schwerelos durch die Register. Ihr Spiel wird im Laufe des Abends immer selbstbewusster. Schritt für Schritt überwindet sie ihre Ängste, findet zu sich selbst. Ihre eigensinnige Interpretation „Johohohe! Johohohe! Johohohe! Johohe! Traft ihr das Schiff im Meere an, blutrot die Segel, schwarz der Mast?“ auf der Piratenparty zeigt ihr feines Gespür für Nuancen, ist mit ausgezeichneter Gesangstechnik durchschlagend und hochpräsent. Die Rolle des Erik, gesungen von Aaron Cawley, ist die eines verliebten Opfers, das er darstellerisch überzeugend verkörpert. Seine Leidenschaft und Liebe für Senta schwingen stets mit. Vergebens und mit großem Unverständnis versucht er sich gegen Sentas Wahn, gegen ihre Wut, durchzusetzen und wird ihr Opfer. Stimmlich allerdings ist er der Rolle nicht gewachsen. Angestrengt forcierend verhärtet sich sein Tenor in der Höhe. Eine Besinnung auf die natürliche Beweglichkeit seiner Stimme ist ratsam, weniger ist mehr! Contralto Ariana Lucas, neues Ensemblemitglied am Hessischen Staatstheater Wiesbaden, spielt – in Veränderung von Wagners Libretto - im sexy Kostüm sehr kokett die Mary als Partylöwin. Das ist dem Regiekonzept geschuldet, das die Spinnstube in eine Piratenparty verwandelt, den Frauenchor mit einem Herrenchor ergänzt, der nach übermäßigem Alkoholkonsum über die Weiblichkeit herfällt. Lucas macht nicht nur optisch eine gute Figur, ihre fokussierte Stimme klingt sinnlich und warm. Sie erregt Aufmerksamkeit. Lukas Schmidt ist ein gefühlsbetonter Steuermann. Seine angenehm gefärbte und sicher geführte Stimme kann sich, schwermütig und alkoholisiert, nicht immer gegen Chor und Orchester durchsetzen. Der Fliegende Holländer gehört zu den großen Chor-Opern von Richard Wagner. Albert Horne, dem scheidenden Chordirektor, gelingt es zum wiederholten Male, aus den Sänger*innen des Chors und Extrachors des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden ein homogenes Klangbild zu erschaffen und die erwünschte Charakteristik herauszuarbeiten. Erregend die Massenszenen: der Chor der Matrosen, die Mannschaft des Holländers und der Spukchor. Besonders hervorzuheben ist hier die Personenregie von Martin G. Berger. Gespannt durfte man auf den neuen GMD Leo McFall sein. Unter seiner musikalischen Leitung geht das Hessische Staatsorchester Wiesbaden bei der ersten großen Oper in dieser Saison leidenschaftlich in medias res. Gegen die Bilderflut ankämpfend, beginnt die Ouvertüre mit einem musikalischen Windstoß und dem gespenstischen Thema des Holländers. Die bedrohliche leere Quinte, vor der selbst Wagner Angst hatte, und der kraftvolle Hornruf, mit denen sie beginnt, lassen sie Dämonie und Schaurigkeit in beschwörender Weise als Horror-Kabinett erlebbar machen. Das finstere Wetter und der Sturm sind zu spüren. Das Staatsorchester präsentiert sich energiegeladen mit emotionalen Höhepunkten, durchsetzt von grellen dramatischen Akzenten und durchdachter Klangdramaturgie. Es ist ein stürmisches Wagner-Dirigat, für die Sänger*innen manchmal zu stürmisch. 

Anhaltender Applaus für die musikalische Seite, kräftige Buhs für das Regieteam.

Save the date: 11. Mai 2025, 18.00 Uhr, Hessisches Staatstheater Wiesbaden, Großes Haus: Unter der Leitung von Generalmusikdirektor Leo McFall kehrt Der fliegende Holländer zu den Internationalen Maifestspielen 2025 mit einer Gala-Besetzung zurück auf den Spielplan: Vida Miknevičiūtė besticht nicht nur als Senta auf den internationalen großen Bühnen. Mit Johan Reuter als Holländer und Stephen Milling als Daland kommen zwei führende Wagner-Interpreten erstmals ans Hessische Staatstheater Wiesbaden.