Wiesbaden, Hessisches Staatstheater, BABYLON - Jörg Widmann, IOCO Kritik, 07.05.2022
Hessisches Staatstheater Wiesbaden
BABYLON - Jörg Widmann
Internationale Maifestspiele 2022 - Wiesbaden
von Ingrid Freiberg
Judentum und Islam treffen aufeinander
Der Komponist Jörg Widmann, Schüler von Hans Werner Henze, Wilfried Hiller, Heiner Goebbels und Wolfgang Rihm, widmet sich unterschiedlichen Genres der Musik. So konzipierte er beispielsweise für großes Orchester eine Trilogie über die Projektion vokaler Formen für instrumentale Besetzungen. Sie besteht aus den Werken wie Lied, Chor und dem Orchesterwerk Armonica. Zentral im kammermusikalischen Schaffen stehen seine Streichquartette: I. Streichquartett, gefolgt vom Choralquartett und dem Jagdquartett; komplettiert durch das IV. Streichquartett und das V. Streichquartett mit Sopran. Seine Oper Babylon wurde nach der Uraufführung 2012 an der Bayerischen Staatsoper im Jahr 2019 in einer neuen Fassung an der Berliner Staatsoper Unter den Linden zur Aufführung gebracht. Diese Fassung ist auch Grundlage der bislang dritten Aufführung am Hessischen Staatstheater Wiesbaden. Widmanns Werke werden exklusiv beim Verlag Schott Music verlegt.
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In Babylon klingt vieles neu - auf unerwartete Weise
Meiner Rezension vorausschickend zitiere ich den fundierten Text des begleitenden Dramaturgen Wolfgang Behrens: „Es sind rare Momente der Musikgeschichte, wenn es einem Komponisten gelingt, Musik noch einmal neu erklingen zu lassen. Neu und groß und schön. Und einige werden denken, dass diese Momente seit einigen Jahrzehnten noch seltener geworden sind. Früher haben Mozart, Beethoven, Wagner oder Weill neue Klänge erfunden, doch seitdem in der neuen Musik ein „Anything goes“ gilt, Schaben, Kratzen, Gurgeln, Wimmern inbegriffen, neigen viele zu der Ansicht, dass alles gleich und gleich langweilig klinge. Diesen allen – und allen anderen auch – sei dringend der Besuch von Jörg Widmanns Oper Babylon ans Herz gelegt. In Babylon klingt tatsächlich vieles auf unerwartete Weise neu. Denn Widmann hat nicht einfach neue Musik geschaffen… sondern auf wundersame Weise auf engstem Raum Schönheit, Größe und Lebendigkeit der verschiedensten Epochen und Stile präsent: Da ertönt zu Beginn ein gewaltiger Introitus, der einen in die Knie zwingt, als würde Bachs Eingangschor der Matthäuspassion im Klangbild von Carl Orff auf das Publikum herniederfahren. Da huschen die zerbrechliche Eleganz eines Henry Purcell oder Händel an einem vorbei, Walzerseliges und Varieté findet seinen Platz genauso wie kolossale Akkordschichtungen nach Art von Gustav Mahler oder Alban Berg. Doch all das klingt nicht beliebig zusammengestückelt oder geliehen, sondern es klingt modern angeraut… es klingt frisch, überwältigend, mitunter gar rauschhaft und jederzeit neu. Als sei die Musik der älteren Musik nicht zitiert, sondern einzig für dieses Werk erfunden worden. Und deshalb klingt Babylon eben doch nicht nach Purcell oder Kurt Weill, sondern in jedem Takt nach Jörg Widmann.“
Das Haus der Weisheit ruht auf sieben Säulen
Die babylonische Sprachverwirrung überträgt Jörg Widmann auf die Ebene der Musik. Sehr beeindruckend, ja kolossal, seine 700-seitige Partitur für bis zu 94 Stimmen und die groß besetzten Chöre. Bisweilen sind 200 Ensemblemitglieder aktiv. Auch das Orchester ist groß besetzt. Neben klassischer Instrumentierung sind Dodekaphonie, Pop, Jazz, eine Orgel und viel Schlagzeug zu hören – ein bisschen auch Surrealismus und Dadaismus. Es sprengt diesen Rahmen das musikalische Stimmengewirr und das Orchesterspiel ausreichend zu beschreiben. Nur so viel, diese Oper ist absolut hörenswert….
Die babylonische Kultur ist eine faszinierende Kultur. Ich musste eine Oper über Babylon schreiben, so Widmann im Gespräch. Seit den Babyloniern gibt es die Schrift, die sieben Wochentage, Gesetze, die das biblische „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ ersetzten, und auch das Bier. Entgegen dem Librettisten Peter Sloterdijk, der die Verwirrung der Sprache, die durch den Turmbau zu Babel ausgelöst wurde, nicht in den Vordergrund stellt, baut Jörg Widmann mit seiner Musik ein imaginäres Babylon, stattet jede der sieben Szenen mit einer eigenen Musikform aus, fügt sieben Septette, sieben Tänzer:innen hinzu. Es entsteht eine Konfusion mit heftigen Schnitten, von der einen in die andere musikalische Welt hinein. Schrill groteske Episoden, etwa ein babylonischer Karneval, auch bayerisch anmutende Musik, treffen auf hochheilige Bibelexegesen der jüdischen Welt. Das alles findet nicht hintereinander statt, sondern zeitgleich. Es entsteht eine Multikultur, die der heutigen ähnlich ist. Die Zahl Sieben ist in allen großen Mythologien, wie der babylonischen und folgend der griechischen und römischen Kultur, eine besondere Zahl, hat auch in Widmanns Oper eine besondere Stellung: sieben Planeten, die auch als Regenbogen fungieren, sieben Affen, sieben Vulven und sieben Phalloi.
Eine Menschheit in Liebe und Verständnis füreinander
Der Librettist Peter Sloterdijk ist ein deutscher Philosoph, Kulturwissenschaftler und Publizist, der mit seinen Beiträgen und Büchern in Deutschland zahlreiche Debatten auslöste. Er lehrte bis 2017 an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe Philosophie und Ästhetik. Zwischen 1978 und 1980 hielt sich Sloterdijk im Aschram von Bhagwan Shree Rajneesh (später Osho) im indischen Pune auf. Er beschreibt die Umstimmungserfahrung, die er dort erlebt hat, als eine „irreversible“, ohne die seine Schriftstellerei nicht zu denken sei. Im Zuge seiner regen Vortragstätigkeit im In- und Ausland erhöhte sich Sloterdijks Bekanntheitsgrad. Von 2002 bis 2012 moderierte er – zusammen mit Rüdiger Safranski – die Gesprächsrunde Das Philosophische Quartett im ZDF. 2012 erweiterte er seinen Tätigkeitsbereich und schrieb das Libretto für die Oper Babylon von Jörg Widmann. Es ist anzunehmen, dass sein Essay von 2007 Gottes Eifer, in dem sich Sloterdijk mit den drei großen monotheistischen Religionen, Judentum, Christentum und Islam beschäftigt, ein profunder Ansatz für das Libretto war. Hier führt er die Religionen auf ihre angeblich abrahamitischen Wurzeln zurück und beschreibt, was sie voneinander trennt und worin sich ihre Glaubensinhalte unterscheiden. Er geht der Frage nach, welche politisch-sozialen und psychodynamischen Voraussetzungen die Entstehung des Monotheismus bedingten. In Sloterdijks Analyse emanzipierte sich das Judentum zuerst gegen den Polytheismus der Ägypter, Hethiter und Babylonier und behauptete sich als Protesttheologie im Triumph in der Niederlage. Während die Religion des Judentums auf das eigene Volk begrenzt blieb, modifizierte das Christentum mit seiner apostolischen Botschaft auch vorhandene traditionelle Religionen und bezog sie in ihren universalen Verkündigungsgehalt mit ein. Der Islam habe den offensiven Universalismus zum militärisch-politischen Expansionsmodus verschärft. Sloterdijk kommt zu der Annahme, dass die große Gemeinsamkeit der drei Religionen die „eifernde“ und „einwertige“ Ausprägung ihres Anspruchs auf die Gotteswahrheit sei. Dies führe zwingend zu einer konfrontativen Grundkonstellation, die unsere Gegenwart in bisher nicht gekanntem Maß bestimme. Die Reaktionen auf die gegenseitigen Angriffe und die von außen seien unterschiedlich: Für das Judentum sei ein Separatismus mit defensiven Zügen prägend geworden, für das Christentum die Expansion durch Mission und für den Islam der Heilige Krieg. Diese Konflikte würden durch den menschlichen Todestrieb verstärkt und seien damit schwer zu lösen. Sloterdijk unterstellt, dass der Glaube eine anthropologische Grundkonstante ist. Er wirft im Weiteren die Frage auf, ob und wie die Religionen auf einen „zivilisatorischen Weg“ geführt werden können, um ihr geistiges Potential nutzbar zu machen. In der Gegenwart seien die drei Religionen Christentum, Judentum und Islam aufgerufen, zu Parteien einer Zivilgesellschaft zu werden. In diesem Sinne ist m. E. auch sein Libretto zu verstehen. Nicht die Sprachverwirrung Babylons scheint für ihn richtungsweisend zu sein, sondern der Wunsch, eine Menschheit herbeizusehnen, die in Liebe und Verständnis füreinander lebt und die Werte der Andersdenkenden achtet. Als Hoffnungsschimmer lässt er am Ende der Oper zwei Kinder einen unschuldigen Reim aufsagen.
Umgekehrter Orpheus-Mythos
Nach einer alles verwüstende Sintflut liegt Babylon in Trümmern. Um derartige Katastrophen zukünftig zu verhindern, wird vom Priesterkönig Babylons zur Besänftigung der Götter ein Opferritual vorgenommen. Als Opfer wird Tammu auserwählt, der zum Volk Israel gehört, welches sich in babylonischer Gefangenschaft befindet. Tammu ist hin- und hergerissen zwischen Seele, seiner getreuen Freundin und Mutter seines Sohnes aus der jüdischen Heimat, und der erotisch anziehenden Inanna, einer babylonischen Priesterin. Doch weder Seele noch Inanna können die beschlossene Opferung Tammus verhindern. Inanna steigt in das Reich des Todes hinab und fordert das unrechte Opfer zurück. Das Wunder gelingt, Schwester Tod gibt den Geliebten frei. Seine Auflage, ihr Menschenfrauenauge darf ihn nicht aus dem Blick lassen, ein umgekehrter Orpheus-Mythos, erfüllt sie. Anstelle des alten Regenbogenbundes zwischen Himmel und Erde wird nun ein neuer zwischen den Menschen geschlossen.
Eine Sintflut in grandiosen Bildern
In den Händen von Daniela Kerck liegen Inszenierung und Bühne, kongenial ergänzt durch Videoinstallationen von Astrid Steiner. Den beiden gelingen unfassbar einprägsame Bilder. Selten ergänzen Projektionen so detailreich die Regie. Kerck verortet die Handlung in den Transitbereich eines Flughafens, mit Blick auf das Rollfeld. Hier herrscht reges Treiben, Juden und Babylonier kommen und gehen, sitzen auf Bänken, die vom Flughafen Tempelhof herangeschafft wurden, Tänzer:innen als Flugpersonal beleben die Szene. Es beginnt in Strömen zu regnen. Vor einer riesigen Anzeigetafel, deren Worte keinen Sinn ergeben, versammeln sich die Passagiere. Ratlosigkeit macht sich breit. Der Regen wird immer stärker, ein Putztrupp versucht, das eindringende Wasser aufzuwischen. Der Fluss Euphrat (Andrea Baker) berichtet vom Mythos der Sintflut, die plötzlich mit grandiosen Bildern ungebremst hereinbricht. Die Passagiere werden unter Wasser gezogen. Ein Gazevorhang, auf dem das ungeheure Geschehen projiziert wird, verstärkt die Beklemmung; es ist kaum zu ertragen, die Ertrinkenden zu beobachten. Daniela Kerck gelingt mit dieser Inszenierung Überzeugendes: Sie wird sowohl der kaleidoskopartigen, in allen Musikepochen verhafteten Musik Widmanns als auch dem tiefsinnigen Libretto von Sloterdijk gerecht. Mit ihren Kostümen versucht Andrea Schmidt-Futterer den Gedanken von Peter Sloterdijk aufzunehmen, verschiedene Religionen zu Parteien einer Zivilgesellschaft werden zu lassen. Folgerichtig treten Babylonier und Juden einheitlich in Schwarz, sich nur durch religiöse Attribute unterscheidend, auf. Keiner soll sich über den anderen erheben. Einzig Tommu im weißen Anzug, Inanna, die ein elegantes weißes Kleid trägt, und in der Hölle Schwester Tod mit einem erotischen Satinhemd verführt, Seele, die konservativ, fast gouvernantenhaft gekleidet ist, und Euphrat im altrosa ausgestellten Atlasseidenkleid sowie der Skorpionmensch im Astronautenanzug heben sich hervor. Die Riesenaufgabe der Choreografie (Tänzer:innen: Gabriele Ascani. Guillermo De la Chica Lopez, Carla Peters, Josefine Rau, Mar Sanchez Cisneros, Jonathan Schmidt, Felix Chang) und die großen Massenszenen arrangiert vortrefflich Sommer Ulrickson.
Große Stimmen, die bis an ihre Grenzen gehen
Es fällt sehr schwer, die Künstler:innen genügend zu würdigen und einzeln zu besprechen. An diesem Abend leisten alle fast Unbegreifliches.
Sarah Traubel als Inanna, Priesterin und Schwester Wollust, ist die personifizierte Verführung, teilweise von einem Genitalseptett unterstützt. Umwerfend, mit viel Sinnlichkeit und Schmelz, Liebe gurrend, bringt sie ihren warmen höhensicheren Sopran zum Einsatz, oft in extremer Stimmlage lässt ihre gestalterische und gesangliche Wandlungsfähigkeit mit großer Leidenschaft aufblühen. Besonders ergreifend ist das Zwiegespräch mit Schwester Tod, das von einer Glasharmonika getragen wird. Was für eine beeindruckende Frau… Ein Glücksfall ist auch die Verkörperung der Seele durch Michelle Ryan. Als zurückgelassene Frau von Tommu, den sie immer noch liebt, polarisiert sie. Mit viel Zärtlichkeit und feinen Tönen, aber auch mit stimmlicher Urgewalt begeistert sie. Ihre Seele hat viele außergewöhnliche Facetten. Tammu, eine zentrale Figur, wird von Leonardo Ferrando gesungen, der nicht nur zwischen Inanna und Seele schwankt, sondern auch zwischen seinem jüdischen Volk und den Babyloniern. Einsichtig stellt er sich als Menschenopfer zur Verfügung. Die Rolle verlangt ihm stimmlich und körperlich viel ab. Seine Stimme ist mit beredten Schattierungen zu heldischen Aufschwüngen bis hin zur lyrischen Verhaltenheit fähig. Expressiv verzichtet er bisweilen auf den Wohllaut seiner Stimme. Der Bassbariton Claudio Otelli ist ein wuchtiger, Einfluss nehmender Priesterkönig mit markantem Profil: „Der gute Gesetze gibt, bin ich… Die göttliche Sieben bin ich!“ Um Gottes Zorn zu besänftigen, vollstreckt er das Menschenopfer. Er glänzt mit verzweifelten Klagen. Seine sängerisch–darstellerische Ausdrucksskala enthält Pathos und kompromisslosen Nachdruck in der Diktion. Andrea Baker als Euphrat ist ein Ereignis! Stimmgewaltig, völlig unangestrengt, wunderbar leicht und sauber, mit großer Ausdrucksstärke klagt sie mit ihrem dramatischen Mezzosopran die Götter an, die den Menschen nicht beigestanden haben. Die Riesenpartie meistert sie überaus fesselnd. Otto Katzameier als Schwester Tod ist der Einzige im Ensemble, der nicht sein Rollendebüt gibt. Beeindruckend und phantasiereich wie er sich Schwarz geflügelt, männliches und weibliches Aussehen vereinend, mit High Heels im engen schwarzen Latexanzug mit Dekolleté gebärdet und erst nach eindringlichen Bitten von Inanna völlig erschöpft, sich auf dem Boden windend, zustimmt, Tammu für 50 Jahre der Welt zurückzugeben und die Gestorbenen der Sintflut mit einzuschließen. Katzameiers clownesk-skurriler Tod ist faszinierend. Er spielt ihn behände durch bewegte Linien, wird seinem technischen Potenzial und den textgezeugten Anforderungen spielend gerecht. Als reisender Skorpionmensch singt Philipp Mathmann einen Text, der die Utopie städtischer Zivilisation, das sündige Babylon, verflucht. Sein Countertenor, teilweise ohne Orchesterbegleitung, rüttelt auf und verwirrt gleichermaßen. Kraft seiner in allen Lagen ausgeglichenen Stimme, die gut in der Höhe anspricht und in der Tiefe natürliche Kraft entwickelt, gelingt es ihm, sogar dem Tod von der Schippe zu springen. Thomas Maria Peters spricht sehr eindringlich und unbarmherzig Ezechiel, den Vorsprecher der Juden im Exil. Die jüdische Gemeinschaft hat sich um ihn versammelt und verhandelt die Rechtmäßigkeit eines Menschenopfers. Ein Schreiber (Florian Küppers) und die anwesenden Juden müssen sich ihm unterordnen, genügen seinen Anforderungen nicht. Als Kind und Bote, der Tammu die schreckliche Entscheidung des Priesterkönigs übermitteln muss, ist Stella An wie ein Engel mit himmlisch schöner Stimme zu hören. Es ist erstaunlich, über welchen Stimmumfang die zierliche Sängerin verfügt.
Die Septette werden gesungen von Sonja Grevenbrock, Karolina Liçi, Maike Menningen, Tianji Lin, Julian Habermann, David Krahl, Florian Küppers und Ralf Rachbauer, das Genitalseptett von Michaela Wielgus, Elisabeth Bert, Yeonjin Chol, Petra Heike, Jochen Elbert, John Holyoke und Martin Stoschka.
Chor und Orchester bewältigen eine ungemein schwierige Komposition - mit Bravour
Kaum zuvor war eine derartig homogene uche Leistung des Chors des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden unter der Leitung von Albert Horne zu bewundern. Zusätzlich zum Opernchor singen 22 Gast-Chorsolisten, dazu sieben Septette. Die Akteure bewältigen mit Bravour die ungemein schwierigen Anforderungen der Partitur, getragen von einem ungewöhnlichen Klangteppich aus posaunenähnlichen Widderhörnern, Blech, Holz, Percussion, Ocean Drum, Windmaschine und Glasharmonika, ein Instrument, das in der Geschichte der Musik einst eine herausragende Stellung einnahm. Erschütternd vom Chor vorgetragen der Psalm 137: „Herr, vergiss den Söhnen Edoms nicht den Tag von Jerusalem; sie sagten: ‚Reißt nieder, bis auf den Grund reißt es nieder!‘ Tochter Babel, du Zerstörerin! Wohl dem, der dir heimzahlt, was du uns getan hast! Wohl dem, der deine Kinder packt und sie am Felsen zerschmettert!“
Und nun noch einmal zu Albert Horne, der neben der aufwendigen Einstudierung der Chöre auch die Musikalische Leitung des Hessischen Staatsorchesters Wiesbaden übernimmt. Schon zu Beginn erhält er großen Applaus. Ein Teil der Musiker:innen sitzen als „Fernorchester“ im Nebenraum, Harfen, Trompeten und Percussion sind in die Proszeniumslogen ausgegliedert. Albert Horne, während der Probenarbeit von dem Assistenzdirigenten Julian Pontus Schirmer und dem Subdirigenten Holger Reinhardt unterstützt, gelingt Unfassbares: Er hält das riesige Ensemble stringent zusammen, es wird kraftvoll musiziert, was dem phonstarken Werk entgegenkommt, aber auch leise Töne werden begünstigt und herausgearbeitet. Bewundernswert umsichtig und zugleich leidenschaftlich leitet er das Orchester, formt Klangfarben und Rhythmen, von denen man meint, sie nie gehört zu haben, gestaltet Kontraste, die immer wieder neu überraschen.
Der faszinierende Opernabend, ein Muss für jeden Opernfreund, wird enthusiastisch gefeiert. Der Komponist Jörg Widmann, Librettist Peter Sloterdijk, Regisseurin Daniela Kerck und alle anderen Beteiligten werden erst nach minutenlangen Standing Ovations von der Bühne verabschiedet.
BABYLON am Hessischen Staatsthetaer; die weiteren Termine, Sa, 14.05.2022, Mi, 01.06.2022, Sa, 11.06.2022, So, 19.06.2022, Do, 14.07.2022
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