Venedig, Teatro La Fenice, IL BARBIERE DI SIVIGLIA - G. Rossini, IOCO Kritik
von Adelina Yefimenko
Es gibt klassische Opern, die in ihrem Ursprung moderner sind als heutige Aktualisierungen des Regietheaters. Dies ist der Fall bei Giacomo Rossinis Il Barbiere di Siviglia. Im wunderbaren Gran Teatro La Fenice von Venedig wurde die Oper 2023/24 in der Regie von Bepi Morassi mit dem herrlichen Bühnenbild und Kostümen von Lauro Crisman und mit dem Lichtdesign von Vilmo Furian aufgeführt. Diese Inszenierung hat bis heute ihre funkelnde Brillanz nicht verloren.
Rossinis Il Barbiere di Siviglia, gespickt mit berühmten Arien, gehört zu den bekanntesten Opern des Opernrepertoires. Sie ist komplex in dieser Aufführung, die die Gattung Opera buffa durch die Personenregie weiterentwickelt. Die Protagonisten leben ihre Intrigen im Palast des alten Doktors der Medizin Don Bartolo aus. Als Vormund von Rosina, der jungen Frau, die er heiraten will, bleibt er unvermindert eine lächerliche Figur. Zum Glück wird Figaro, der Barbier von Sevilla, der mit dem Grafen von Almaviva und der jungen Rosina unter einer Decke steckt, die Pläne des alten Bartolo durchkreuzen. Er verhilft den beiden jungen Liebenden zum Glück und zur Trauung.
Bei dieser Aufführung handelt es sich um eine Oper "für das Theater", da die Schauspielkunst eine grundlegende Rolle spielt und alle Figuren ihre eigene Charakterdefinition zeigen. Auf der Bühne interagieren sie als unzertrennliches Team.
Der Originaltitel von Rossinis Oper lautete "Almaviva, o sia l'inutile precauzione". Vor ihm komponierte Giovanni Paisiello im Jahr 1782 (zehn Jahre vor Rossinis Geburt) seinen „Il Barbiere di Siviglia“ und feierte damit einen der größten Erfolge seiner erfolgreichen Karriere. Paisiellos Erfolg ließ es zunächst unmöglich erscheinen, dass ein dreiundzwanzigjähriger Komponist - wie begabt er auch sein mochte - es wagen würde, ihn herauszufordern, aber Rossini war für die Wahl des Themas nicht verantwortlich. Die Oper wurde nämlich vom Impresario des Teatro Argentina in Rom, Herzog Francesco Sforza, ausgewählt; er beauftragte Rossini, eine Oper für den bevorstehenden Karneval zu schreiben. In jenen Tagen musste jede Aufführung mit der päpstlichen Zensur kämpfen. Um auf Nummer sicher zu gehen, schlug der Impresario den "Barbier von Sevilla" als Thema vor, der sofort von der päpstlichen Zensur genehmigt wurde.
Die erste Aufführung fand am 20. Februar 1816 im Teatro Argentina in Rom statt und endete mit Buhrufen. Sie wurde schon vor Beginn angegriffen und fand deshalb in einer allgemeinen Boykott-Stimmung statt, da die Unterstützer von Paisiellos Oper-Version auch durch den plötzlichen Tod des Impresarios des Teatro Argentina begünstigt wurden.
Doch kaum waren die Unterstützer von Paisiellos Oper-Version ab der zweiten Aufführung nicht mehr in der Mehrheit, schon wurde Rossinis Oper vom Publikum bejubelt, wodurch sie die vorherige Version von Paisiello in den Schatten stellte und seitdem zu einer der meistgespielten Opern der Welt wurde.
Die modernen Aufführungen bewegen sich ins Extravagante, wodurch der Geist der opera buffa zu neuem Leben erwacht. So ist es auch mit der Wiederaufnahme vom Il barbiere di Siviglia am Teatro La Fenice in Venedig. Alle Topoi der typischen Szene des Barbieres finden sich auf der Bühne wieder: die nächtlichen Straßen von Sevilla mit dem Balkon von Bartolos Haus, die Innenräume mit seinen Anbauten und Verbindungen. Vom Regieteam wird nicht nach Neuem gesucht, sondern mutig eine traditionelle Aufführung geschaffen, mit tadellosen, eleganten theatralischen Mechanismen, mit Comedy-Elementen, die immer offen sind, ohne vulgär zu werden. Eine sehr unterhaltsame Inszenierung, bei der jede Vorstellung ausverkauft ist, was ein zweifellos ein Zeichen des Publikums-Erfolgs ist.
Obwohl das Bühnenbild der Fondazione Teatro La Fenice traditionell ist, waren die Eingriffe des Bühnen- und Kostümbildners Lauro Crisman sehr effektiv, bequem für die Sänger und dank einiger frischer Ideen sehr lustig. Sie ließen keinen Raum für Leere oder langweilige Momente auf der Bühne.
Das von den Solisten geforderte Schauspiel war elegant und gespickt mit amüsanten Überraschungseffekten. Die Konstruktion des Bühnenbildes war wirkungsvoll und gut umgesetzt, besonders beim Finale, als ein riesiger goldener Rahmen mit bunten Luftschlangen von oben herabfällt, um die ersehnte Hochzeit zwischen Rosina und Almaviva zu feiern. Kurzum, eine Aufführung mit unwiderstehlichem Humor, die durch ihre emotionale Aufrichtigkeit amüsiert und verzaubert.
Was die Darsteller anbelangt, ragte der Bariton Omar Montanari als Don Bartolo hervor, der die Figur sehr gut zu inszenieren wusste, ohne jemals in oberflächliche Kunstgriffe zu verfallen, die die Rolle belastet hätten. Mit feiner Stimme, stets klarer Diktion und hervorragender Bühnenpräsenz verkörperte der Sänger den kapriziösen alten, mürrischen Protagonisten dieser Oper hervorragend.
Die Gesangspartie des Grafen ist bekanntlich sehr anstrengend und erfordert die Beherrschung des anspruchsvoll aufzuführenden Gesangs. Der Tenor Nico Darmanin, der den Il Conte d'Almaviva verkörperte, wirkte mit seiner leichten Stimme manchmal unsicher, schwankend, undeutlich und oft recht leise in seiner Intonation. Trotzdem war seine Bühnenpräsenz hervorragend.
Die Mezzosopranistin Marina Comparato (Rosina) war überragend, mit einer klugen Interpretation ihrer Rolle. Die komplizierte Gesangspartie stellt eine Herausforderung für jede Sängerin dar. Marina Comparato meisterte diese Aufgabe bewundernswert, mit einer souveränen Bühnenpräsenz.
Den Figaro meisterte prima der Bariton Allesandro Luongo. Ausgestattet mit Stimmvolumen und einem schönen Timbre, artikulierte er seine Rolle meisterhaft, mit hervorragender Beweglichkeit in seinen Arien und sehr gutem Schauspiel.