Radebeul, MUSIK-FESTIVAL 2024, IOCO

Radebeul-Musik-Festival 2024 - Eröffnungskonzert - In einem Industriedenkmal, der ZERMA-Halle, erklangen Werke von Rachmaninow, Bottesini, Schubert

Radebeul, MUSIK-FESTIVAL 2024, IOCO
Die ZERMA - Industriehalle @ Albrecht Menzel

Radebeul-Musik-Festival 2024 - Eröffnungskonzert - In einem Industriedenkmal, der ZERMA-Halle, erklangen Werke von Rachmaninow, Bottesini, Schubert

von Thomas Thielemann

Das Eröffnungskonzert der dritten Saison des „Radebeul Festivals“ fand am 25. August 2024 in der ZERMA-Halle, einer ehemaligen Maschinenhalle statt. Da, wo seit 1894 in einem wechselvollen Ablauf Papierverarbeitungsmaschinen, Druckmaschinen bis 1994 Kunststoffgranulat-Maschinen gefertigt worden waren, spielten Musiker um den in Radebeul beheimateten Violinisten Albrecht Menzel ihre die Zeiten überlebende Musik.

Albrecht Menzel - Violinist und Veranstalter © Anne Hornemann

Der inzwischen denkmalgeschützte Raum verfügt dank seiner schmalen, aber langgestreckten Struktur über erstaunlich gute Klangentfaltungsmöglichkeiten.

Mit Sergej Rachmaninows (1873-1943) „Trio élégiaque g-Moll Nr.1“ begannen Albrecht Menzel (Violine), Mon-Puo Lee (Violoncello) und Elisabeth Brauß (Klavier) den Konzertnachmittag. Der gerade achtzehnjährige Rachmaninow hatte das kleine Meisterwerk gegen Ende seiner Ausbildung am Petersburger Konservatorium geschaffen. Bereits in den Jahren 1890 und 1891 war sein Klavierkonzert Nr. 1 fis-Moll als sein op. 1 entstanden, dass sich aber noch an den großen Vorbildern der Romantik orientiert hatte. Mit dem „Klaviertrio élégiaque g-Moll Nr.1“ stellte er eigentlich erstmalig seinen von tiefen Emotionen geprägten „Rachmaninowschen Stil“ vor.

Ohne in Sentimentalität zu verfallen, schufen die drei Musiker eine elegische Stimmung, die sowohl Schmerz, als auch schöne Momente enthielt. Die sichere Balance zwischen den Musikern war entscheidend für die faszinierende Wirkung der Interpretation. Dabei übernahm das Klavier über weite Strecken die führende Stimme. Die vollgriffigen Akkorde und virtuosen Sprünge des Klavierparts mit all ihren Schwierigkeiten meisterte die 1995 geborene Hannoveranerin Elisabeth Brauß auf das hervorragendste, während durch die feinste Phrasierung und enge Korrespondenz der Farbgebung des Spiels der Violine Albrecht Menzels und das Violoncello des Mon-Puo Lee den subtileren Aspekten der Darbietung das hohe Niveau sicherten.

Nur wenige Monate vor seinem frühen Versterben überraschte Vincenzo Bellini (1801-1835) in seiner letzten Oper „I Puritani di Scozia“ mit einem gegen über seinen früheren Kompositionen „Norma“ und „La Sonnambula“ mit einem fülliger orchestrierten, farbigen und weichen Orchestersatz. Die Handlung der Oper während des englischen Bürgerkrieges, der Zeit Oliver Cromwells (1599-1658), ist mit ihren Wahnsinns- und Verbrüderungsszenen eher verwirrend. Aber die Oper enthält eine Vielfalt faszinierender Musiknummern, die für den Komponisten und Kontrabass-Virtuosen Giovanni Bottesini (1821-1891) die Grundlage für seine Fantasia „I Puritani“ für Violoncello, Kontrabass und Klavier lieferten. Zunächst unterhielt der „Paganini des Kontrabasses“ in den damals langen Pausen der Opernaufführungen mit seinem Instrument die Besucher mit Improvisationen von Motiven aus „Norma“, „Le Sonnambula“ sowie „I Puritani“ des von ihm verehrten Cellini, bis Bottesini, der selbst auch Opern gestaltete, seine besonderen Fantasien wahrscheinlich im Jahre 1851 für Violoncello, Kontrabass und Klavier auskomponierte.

Der 1993 als Sohn einer Taiwanesischen Musikerfamilie in Madrid geborene Mon-Puo Lee, der 2001 in Córdoba geborene Kontrabassist David Santos Luque und die Pianistin Elisabeth Brauß boten dieses Meisterwerk der Kontrabass-Literatur in einer wirkungsvollen, packendenDarbietung. Beiden Streichern gelang, mit ihrer kultivierten Spielweise der opernhaften Melodik Ausdruckskraft zu verleihen. Ihre Fähigkeit, lyrische Passagen mit der gleichen Anmut und Leichtigkeit wie Gesangsstimmen zu spielen, prägte die Interpretation. Faszinierend wie es die tiefen Streicher schafften, den Stimmenumfang sämtlicher Gesangspartien Bellinis, einschließlich der Koloraturen, zu vermitteln. Der Pianistin gelang, die technisch anspruchsvollen, in der Vorlage ursprünglich vom Orchester ausgeführten, Musikanteile mit vollem Einsatz und tiefem Verständnis für die Operncharakterisierung zu vermitteln, ohne dabei ihre Spielkultur zu verlassen.

Pianistin Elisabeth Brauß und Orchester © Frances Marshall

Eine eigentlich tragische Historie verbirgt sich hinter dem Klavierquintett A-Dur  D.667 „Forellenquintett“ des Franz Schubert (1797-1828). Der Dichter, Komponist und Journalist Christian Friedrich Daniel Schubart (1739-1791) war wegen seiner sozialkritischen Schriften und seines lockeren Lebenswandels vom Herzog Karl Eugen (1728-1793) zwar des Landes verwiesen worden, aber er gab keine Ruhe. Von Augsburg aus prangerte Schubart die Politik des Herzogs, dabei besonders dessen Verkauf von Württembergischen jungen Männern als britische Soldaten für den amerikanischen Bürgerkrieg, an. Als Schubart die Mätresse des Herzogs „als glimmend, stinkende Lichtputze“ in seinen Spott einbezog, ließ ihn der Herzog von einem Agenten auf württembergisches Gebiet locken und verhaften. Im Beisein des zornigen Herzogs und der gekränkten Mätresse wurde Schubart im Februar 1777 auf die Festung Asperg verbracht. Während seiner dortig zehnjährigen „Umerziehungshaft“ schrieb Christian Schubart um das Jahr 1780 das letztlich autobiografisch-leidvolle Gedicht. Obwohl der zwanzigjährige Franz Schubert die Hintergründe des Schubart-Gedichtes gekannt haben dürfte sind seine Vertonungen, es gibt immerhin fünf Fassungen aus den Jahren 1816 und 1817, leicht und verspielt. Die idyllischen Szenen sind die moralischen Reflexionen über Heimtücke und Täuschungen fast beiläufig angehängt.

Das „Klavierquintett A-Dur, Deutsch-Verzeichnis 667, Forellenquintett“ entstand auf Grund einer Bitte des Mäzen, Amateur-Cellisten und Musikkenners Sylvester Paumgartner (1764-1841), den Schubert bei Hauskonzerten im oberösterrereichischen Steyr kennen gelernt hatte. Paumgartner wünschte sich ein Quintett in Besetzung und Form wie das damals populäre „Klavierquintett es-Moll op. 87“ des Johann Nepomuk Hummel, also mit Kontrabass. Schön sollte es klingen, nicht zu schwer verständlich sollte es sein und Variationen über Schubertsköstliches Liedchen von der Forelle“ sollte es enthalten. Schubert nutzte den Auftrag, um ein wenig mit Formen und Klängen zu experimentieren. Mithin komponierte er vermutlich 1819 sein in der Gesamtwirkung rundes, volumenreiches und zugleich transparentes „Klavierquintett A-Dur“. Dass er damit eines der progressivsten Kammermusikwerke geschaffen hatte, stellte sich erst in der Folgezeit heraus.

Franz Schubert in Wien @ IOCO

Für die Darbietung des Quintetts gesellte sich den vier bereits aktiv gewesenen Instrumentalisten Albrecht Menzel (Violine), Mon-Puo Lee (Violoncello), David Santos Luque (Kontrabass) und Elisabeth  Brauß (Klavier) die 1995 in Madrid geborene Sara Ferràndez mit ihrer Viola aus der römischen Werkstatt David Tecchlers (1666-1747), gefertigt im Jahre 1730, hinzu.

Die Interpretation des„Klavierquintetts A-Dur“ im Festivalkonzert überraschte mit ihren lebhaften Kontrasten. Alles wirkte schlüssig und entwickelte sich effektvoll von Satz zu Satz. Die heikle Wanderung auf dem schmalen Grat zwischen dem raffinierten Melodiensegen mit seiner Unbeschwertheit und der Dramatik der Entwicklung, gelang auf das Vortrefflichste. Die musikalischen Inspirationen und Anstöße hatte Schubert vor allem dem Klavierpart zugeordnet. Elisabeth Brauß meisterte diese Aufgabe mit leichtem aber durchaus bestimmendem Spiel. Mit einem Mittelweg zwischen transparenter Klarheit und einer gebundenen Klang-Kultur fügte sie sich fabelhaft in das faszinierend homogene Klangbild der vier Streicher ein. Das Verständnis zwischen dem Streichquartett und der Pianistin war tadellos. Dabei boten die Streicher eine Geschlossenheit und sichtlichen Musizierfreude, die ihresgleichen suchen dürften. Nirgends störten unscharfe oder dünne Töne. Alles floss, schwebte ohne kitschig zu wirken. Die Forelle, das Wasser, die Natur wurden zum Symbolbecken für sprudelnde Lebensfreude. Da störte zunächst nichts die heiter tönende, tiefenmenschliche Stimmung und die Musik war Essenz für das Gute, Wahre und Schöne. Man konnte die Forelle förmlich durch ihr nasses Element hüpfen und toben sehen, musste aber bereits die Hinterlist des Anglers vermuten. Diesen verborgenen Dualismus in sanfter weise zu vermitteln, war ein besonderer Verdienst der Interpretation. Dann, energisch das kraftvolle Zupacken der Musiker im Finale, denn letztlich musste die Forelle daran glauben.

Für Albrecht Menzel und seinem großen Team ein gelungener Auftakt der inzwischen dritten Saison der privat organisierten Initiative.