Darmstadt, Staatstheater, TRISTAN UND ISOLDE - Richard Wagner, IOCO
Mit ihrem sensationellen Auftritt auf Festspielniveau empfiehlt sich Magdalena Anna Hofmann als Isolde für alle großen Bühnen dieser Welt. Bereits die ersten Töne glänzen durch eine sehr angenehme Klangfarbe.
von Ingrid Freiberg
Richard Wagner über seinen Tristan: „Mit voller Zuversicht versenkte ich mich hier nur noch in die Tiefen der inneren Seelenvorgänge und gestaltete zaglos aus diesem intimsten Centrum der Welt ihre äußere Form … Leben und Tod, die ganze Bedeutung und Existenz der äußeren Welt, hängt hier allein von der inneren Seelenbewegung ab. Die ganze ergreifende Handlung kommt nur dadurch zum Vorschein, dass die innerste Seele sie fordert, und sie tritt so an das Licht, wie sie von innen aus vorgebildet ist.“
Tristan und Isolde - hocherotische Musik voller glühender Spannungen
Inspiriert von Schopenhauers Verneinungsphilosophie und der Idee vom buddhistischen Nirvana adaptierte Richard Wagner in den 1850er Jahren das mittelalterliche Tristan-Epos und schuf eine rauschhaft sinnliche Musik, die in nicht enden wollenden, soghaften Strudeln und unendlich sich fortspinnenden Melodien nach Erlösung strebt, die zum Greifen nah und doch unerreichbar scheint. Die übermächtigen Emotionen und Gedankenströme der Protagonisten rücken weit mehr in den Vordergrund als in jeder anderen Oper zuvor. Er schuf eine hocherotische Musik voller glühender Spannungen: Tristan und Isolde stürzen sich in eine unaufhaltsame Affäre, die ihre Existenz vereinnahmt. Das unstillbare Verlangen nacheinander mündet in eine obsessive Todessehnsucht, in den gemeinsamen Liebestod.
Im Juli 1862 weilten der junge Tenor Ludwig Schnorr von Carolsfeld und seine Frau Malvina für vierzehn Tage in Wiesbaden-Biebrich, um gemeinsam mit Wagner und Hans von Bülow am Klavier die Titelrollen von Tristan und Isolde einzustudieren. Eine Uraufführung des Werkes war in Planung. Während dieser Biebricher Wochen lernte er Ludwig Schnorr von Carolsfeld ungemein schätzen. Er notierte über dieses Kennenlernen: „Hier war dann Alles gesagt u. gethan, was uns zum innigsten Einverständniss über jedes uns nahe liegende künstlerische Interesse führen konnte.“ Die tatsächliche Uraufführung Tristan und Isolde konnte erst drei Jahre später am 10. Juni 1865 im Königlichen Hof- und Nationaltheater München unter der Leitung von Hans von Bülow stattfinden. Ludwig und Malvina Schnorr von Carolsfeld übernahmen die Hauptrollen. Tragischerweise starb Ludwig Schnorr von Carolsfeld nur vier Wochen nach der vierten Aufführung. Er wurde nur 29 Jahre alt. Seine Witwe versank in Depressionen und trat nie wieder auf. Wagner schrieb an Liszt: „Da ich nun aber im Leben nie das eigentliche Glück der Liebe genossen habe, so will ich diesem schönsten aller Träume noch ein Denkmal setzen, in dem vom Anfang bis zum Ende diese Liebe sich so recht sättigen soll.“ Der angesehenste Musikkritiker der USA, Alex Ross sagt: „Wagner war modern, er war dekadent, und er war gefährlich.“ Bis zum Ende des Jahrhunderts begleiteten Tumulte und Schlägereien die Aufführungen seiner Werke. Der Widerstand formierte sich, weil seine Musik als schwierig empfunden wurde und seine Prosa zweifelsohne aggressiv klang. Dass der konservative Flügel Wagner und seine Anhänger als musikalische Terroristen brandmarkte, sprach eher für ihn. Er repräsentierte den internationalen Aufstand gegen den künstlerischen Status quo.
Der Liebestrank öffnet alle Schleusen
Richard Wagner war sehr auf andere Menschen ausgerichtet, ganz das Gegenteil eines Einzelgängers, immer darauf aus, Kontakt zu haben, große Freundschaften zu pflegen, tiefe Gespräche zu führen. Für ihn schmerzlich, konnte er Mathilde Wesendonck nicht dauerhaft als Geliebte erobern: Er stand mehrmals kurz vor dem Selbstmord. In diesem Gemütszustand schrieb er als Sublimation die Oper Tristan und Isolde, die von starken erotischen Zwängen geprägt ist: Sehnsucht kann sich nicht umsetzen und befriedigen. Daraus erwächst ein Leiden, das im Sehnsuchtsmotiv, dem Erkennen des Partners, im berühmten Tristan-Akkord, der Einleitung des 1. Aufzugs, zu hören ist. Ebenfalls zu hören ist: Die beiden Liebenden werden nie ein Paar. Tristan, der Neffe von König Marke, hat Isoldes Verlobten Morold umgebracht, der ihm seinerseits eine große Wunde zufügte. Er lässt sich unter dem Namen Tantris (Wortspiel = Tristan) in Irland von Isolde pflegen. Sie hat als einzige die Gabe, ihm helfen zu können. Dabei entwickelt sich eine erotische Anziehungskraft, die zu einer Einswerdung führt, ohne ausgesprochen zu werden. Und hieraus erwächst das Liebesmotiv aus Sehnsucht und Beglückung: Die Minne leuchtet. Isolde entlässt Tristan gesund, unerkannt als scheinbar starken Helden, der aber bei genauerer Beleuchtung zu Schwermütigkeit neigt, ein trauriger Mann, aufgewachsen ohne Eltern und voller Sehnsucht nach Geborgenheit. Am Hof von König Marke, dem er treu ergeben ist, verschweigt er seine Liebe zu ihr, vermischt damit seine Treuekreise. Isolde ist wütend, dass Tristan ihre Liebe verraten hat, und will sich rächen: „Mit dem hellen Schwert ich vor ihm stund, an ihm, dem Überfrechen, Herrn Morolds Tod zu rächen“. Tristan „War Morold dir so wert, nun wieder nimm das Schwert und führ es sicher und fest, dass du nicht dir's entfallen lässt!“ Liebe, Tod und Identität vermischen sich: Wenn man über den Tod hinausdenkt, kann das nicht das Ende sein. So wäre ein Todestrank nur eine Chiffre dafür, mit einfachem Selbstmord nicht weiterzukommen, da sich Probleme, die sich davor nicht gelöst haben, danach auch nicht lösen werden. Vielmehr öffnet der Liebestrank die Schleusen: Es werden Ähnlichkeiten aufgedeckt. Es kommt heraus, was verschwiegen wurde, was im Herzen schlummert. Die eigentliche Stimmung kommt an den Tag.
Isoldes Sehnsucht nach einem gemeinsamen Tod
Im 2. Aufzug erwartet Isolde den heimlichen Besuch Tristans. Ungeachtet der Warnung Brangänes vor Tristans Freund Melot, der den Liebenden nachspioniert, löscht Isolde selbst die Fackel, womit sie dem Geliebten das vereinbarte Zeichen gibt „Die Leuchte, und wär's meines Lebens Licht, sie zu löschen zag' ich nicht!“ Im Herzschlag des Paares folgt das große Liebesduett im Sehnsuchts-Akkord „O sink hernieder, Nacht der Liebe, gib Vergessen, dass ich lebe …“. Der Tag wird zurückgezogen. Die Musik erklärt die Liebeskraft, hat ein eigenes Argumentationsreich, das unabhängig vom Intellekt besteht. In der Dunkelheit sprechen Tristan und Isolde ihre intimsten Gedanken aus. Tristan „Lass mich sterben!“ philosophiert über Tod und Liebe „Stürb' ich nun ihr, der so gern ich sterbe, wie könnte die Liebe mit mir sterben, die ewig lebende mit mir enden?“ Isolde geht über den Tod hinaus und entgegnet vehement „Doch unsre Liebe, heisst sie nicht Tristan und Isolde? Dies süße Wörtlein: und, was es bindet, der Liebe Bund, wenn Tristan stürb', zerstört' es nicht der Tod?“ Sie will mit ihrem Geliebten zusammen in den Tod gehen. Ohne sich mit Isolde abzustimmen, lässt sich Tristan in das Schwert von Melot fallen. Die trennende Aktion geht jedoch nicht auf: Isoldes Sehnsucht nach einem gemeinsamen Tod ist größer. Sie lieben nicht wirklich einander.
Tristan fällt in hypnotisierte Glückshysterie
Im 3. Aufzug, im Garten auf Tristans Burg Kareol in der Bretagne kümmert sich Kurwenal rührend um den schwer verletzten Tristan; das ist dem Mitleidsmotiv zu entnehmen. Die Sehnsuchtsweise des Englischhorns steht für Tristans Leid und seine Einsamkeit. In düsterster Tonart beschreibt Wagner den Lebenszwang des Sterben wollenden. Es ist ein Hauch dessen, was man früher im Leben nach dem Tod gesucht hat: Verklärung. Seine Sehnsucht ist bislang nicht gestillt. Er muss so lange weiterleben, bis er seine vordergründigen Interessen aufgibt. Er und Isolde benutzen einander als ein Mittel, das ihnen das leidenschaftliche Erlebnis verschafft, nach dem es sie verlangt. In Ekstase verflucht Tristan sich selbst, seine Eltern, das Prinzip des Lebens. Isolde trifft ein. Tristan in höchster Euphorie: „Sie zu sehen, welch Verlangen! Krachend hört' ich hinter mir schon des Todes Tor sich schließen …“ Er fällt in hypnotisierte Glückshysterie: An Kurwenal gerichtet „Hilf ihr! Hilf meiner Frau!“ Tristans Lebenslicht löscht aus, alles knotet sich zusammen in den Sehnsuchts-Akkord der Einleitung. Die Zeit steht still, ist über den Tod hinausgekommen. Kurz später erreicht der edel verzichtende König Marke und sein Gefolge, begleitet von Brangäne, Kareol „Tot denn alles! Alles tot! Mein Held, mein Tristan! Trautester Freund …“ Isolde sinkt bewusstlos über Tristans Leiche zusammen: „Isolde kam, mit Tristan treu zu sterben.“ Sie sieht ihn hell erleuchtet, wie Sterne ihn umstrahlen. „Mild und leise wie er lächelt …“ Jetzt kann sie ihm in den Tod folgen.
Im Stil des Film noir
Die überaus kluge Regie von Eva-Maria Höckmayr erzählt die Handlung aus der Perspektive von Isolde im Stil des Film noir, geprägt von einer Low-Key-Beleuchtung, kräftigen Hell-Dunkel-Kontrasten mit einprägsamen Schattenbildern (Licht: Heiko Steuernagel). In Form einer griechischen Tragödie werden die Charaktere herausgearbeitet. Wohltuend die Konzentration auf die Musik, beeindruckend die Stilmittel der Personenführung, glaubhaft die leidenschaftliche Verbindung als das zu beleuchten, was sie letztendlich ist: ein Mittel zum Selbstzweck. Tanzensemble (Julia Alsdorf, Felix Chang, Madeline Ferricks-Rosevear, Tamara Kurti, Volodymyr Mozheiko, Andrii Punko, Josefine Rau, Guillermo de la Chica) und Statisterie lösen als Alter Ego mit ihren erzählenden Bewegungen Empfindungen aus, die die Dramatik potenzieren. Gesten und das Positionieren der Künstlerinnen und Künstler verstärken gekonnt die glühenden Spannungen, die das Publikum in einen Sog mitreißen. Die Bühne von Fabian Liszt, Schwarz-Weiß-Grau, Querschnitt eines sich verändernden Schiffsrumpfs, im 1. Aufzug durch den geschlossenen Raum besonders sängerfreundlich, intensiviert dieses Empfinden. Hängende Wolken, ein Neonrahmen, der die Schwärze umrandet, dominieren den Raum. An Hitchcock erinnernd, von innen beleuchtet, ist der Kasten mit den Zaubertränken, und besonders makaber ein blutiger Karton, aus dem Isolde den Kopf Morolds herausnimmt. Die Schauplätze, ein schwankendes Schiff auf den unendlichen Weiten des Meeres, ein Garten in undurchdringlicher nächtlicher Dunkelheit, Tristans Kareol, eine in Fieberträumen imaginierte Todesinsel, umgeben von jenseitiger Weltennacht und letzter Halt vor dem Eintauchen ins Vergessen sind ortlos. Hervorragend in das Regiekonzept passen die Kostüme von Julia Rösler, die mit Schwarz-Weiß-Akzenten die Handlung hochstilisieren.
Hervorragendes Sängerensemble
Ein dramatisches Wechselspiel war die Besetzung der Rolle des Tristan: Nachdem Andreas Hermann und Burkhard Fritz erkrankt waren, sprang Heiko Börner äußerst kurzfristig - am Morgen des Premierentages - ein. Seine Interpretation zeigt Flexibilität und ist szenisch erstaunlich sicher. Insbesondere im 3. Aufzug, in seinem Fieberwahn, strahlt er mit dramatischer Intensität und genauer Artikulation. Eine bemerkenswerte Leistung!
Mit ihrem sensationellen Auftritt auf Festspielniveau empfiehlt sich Magdalena Anna Hofmann als Isolde für alle großen Bühnen dieser Welt. Bereits die ersten Töne glänzen durch eine sehr angenehme Klangfarbe. Breit und geschmeidig ist die Mittellage, auch die unteren Resonanzräume klingen gut durch. Sie weiß zu gestalten, fesselt durch deutliche Artikulation. Herausragend ihre großen Gesangsbögen in jeder Registerlage, die leicht und strahlend klingen, wunderschön im Volumen, in Dynamik und Intensität. Ihr „Mild und leise wie er lächelt …“ hat höchstes Niveau. Mit emotionaler Leidenschaft und Intensität versinkt sie in höchster Lust und erzeugt Gänsehaut. Stimmlich und musikalisch überwältigend!
KS Katrin Gerstenberger als Brangäne überzeugt mit szenischer wie musikalischer Präsenz ihres in der Höhe funkelnden Mezzo und mit ausgezeichneter Gesangstechnik. Ihr dramatisches Potenzial, ihre seelische Bedrängnis sowie die Zuneigung zu ihrer Herrin sind glaubhaft. Differenziert und ausgereift schildert sie ihre Bedrängnis. Aufhorchen lässt Johannes Seokhoon Moon als König Marke mit schwarzer Stimmfarbe, sicher im Ton, angenehm im Klang, darstellerisch differenziert. Sein verzweifelter Schluss-Monolog bewegt. Der jugendliche Kurwenal von Julian Orlishausen imponiert mit Nuancenreichtum zwischen warmen, kernigen Farben und leidenschaftlicher Hingabe. Sein darstellerischer Ausdruck ist dramatisch, fesselnd. Charakterstark erweist sich Matthew Vickers als Tristans hinterhältiger Freund Melot. Er gestaltet den Intriganten mit Intensität, durchschlagend, mit aufbrausendem Tenor. Der Steuermann von Jared Ice berührt durch tenorale Helligkeit und konturierte Form. Ricardo Garcia beeindruckt als Stimme eines jungen Seemanns. Bewegend das a-Kapella-Solo von Marco Mondragón als Hirt. Die Herren des Opernchores Staatstheaters Darmstadt, Einstudierung Alice Meregaglia, gefallen mit lockerer, farbenreicher Höhe und feinfühliger Phrasierung, sind bestens präpariert und tragen zum furiosen Gelingen des Abends bei.
Ekstatisch aufgetürmter Orchesterklang
Daniel Cohen, Musikalische Leitung, entfacht mit dem Staatsorchester Darmstadt eine große Farbskala, oft ekstatisch aufgetürmt im Orchesterklang. Lobend sind die Solo-Holzbläser zu erwähnen, das Englisch-Horn-Solo ist betörend, wunderschön, die Streicherklänge, die mit Weichheit und Nachdruck wogenden Forte-Ströme. Höchstwahrscheinlich raumbedingt ist an einigen Stellen eine ausgewogenere Dynamik im Klangvolumen durch Reduzierung der Lautstärke und Anpassung an die lyrischen Stellen zu wünschen. Das geht auf Kosten der musikalischen Stabilität. Die perkussiven Passagen sind sprühend, gerade weil sie nicht übersteigert dargeboten werden. Schwelgerische Stimmungen beeindrucken. Die Stimmen werden getragen und nie über das Kräftepotenzial hinaus strapaziert. Im Vorspiel lässt Cohen sehr verhalten musizieren, entdeckt in der Partitur viele Details, die er in Leidenschaft einbettet – klanglich intensiv und tiefgründig.
Zum Ende wachsende Jubelstürme mit Standing Ovations für eine überaus gelungene Aufführung. Insbesondere Magdalena Anna Hofmann wird begeistert gefeiert …