Dresden, Semperoper, INTERMEZZO - R. Strauss, IOCO
SEMMPEROPER: Es fehlten drei Tage bis zur 100-jährigen Wiederkehr der Uraufführung der Oper „Intermezzo“ von Richard Strauss, denn das Werk war fast auf den Tag am 4. November 1924 im nur wenige hundert Meter-Abstand von der Semperoper n.....
Nach 100 Jahren kehrt „Intermezzo“ nach Dresden zurück - Axel Ranisch inszenierte mit vielen Haus- und Rollendebütanten die Richard Strauss -Oper
von Thomas Thielemann
Es fehlten drei Tage bis zur 100-jährigen Wiederkehr der Uraufführung der Oper „Intermezzo“ von Richard Strauss (1864-1949), denn das Werk war fast auf den Tag am 4. November 1924 im nur wenige hundert Meter-Abstand von der Semperoper entfernten Dresdner Schauspielhaus zum ersten Mal auf einer Bühne zu erleben.
Nach dem grandiosen Erfolg der Oper „Die Frau ohne Schatten“ wollte sich Richard Strauss zur Erholung einer leichteren Aufgabe widmen. Auch lässt sich vermuten, dass der Opernkomponist der in den 1920-er Jahren erfolgreichen Operetten-Schwemme mit einem „Intermezzo“ eine niveauvollere Opernkomödie gegenüber stellen wollte. Strauss hatte die Idee, eine Begebenheit seiner Berliner Zeit aus dem Jahre 1902 zu vertonen, als ein fehlgeleiteter Brief an den böhmischen Dirigenten Josef Stránský (1872-1936) seiner Frau Pauline, geborene de Ahna (1863-1950) in die Hände gefallen war und die Straussens in eine Ehekrise stürzte.
Trotz der nicht unproblematischen Zusammenarbeit bei Entstehung der Oper „Die Frau ohne Schatten“ mit dem Librettisten Hugo von Hofmannsthal (1874-1929) bat Strauss den Dichter um ein Libretto des leichten Sujets. Offenbar hatte Strauss dem Librettisten in der Zeit von 1910 bis 1917 derart intensiv in seine Arbeit hineingeredet und geschrieben, dass Hofmannsthal eine weitere Zusammenarbeit ablehnte. Immerhin hatte der Musikwissenschaftler Olaf Enderlein aus den Hinterlassenschaften der Zusammenarbeit der Beiden 2017 eine 814 Seiten umfassende Dissertation schöpfen können. Hofmannsthal schützte die Banalität des Stoffes als seiner unwürdig vor und empfahl dem Komponisten „für eine ganz moderne, absolut realistische Charakter- und Nervenkomödie“ den Dramatiker Hermann Bahr (1863-1934) zu beauftragen. Hofmannsthal seinerseits veröffentlichte eine Prosafassung von der „Frau ohne Schatten“, in der er alle von Strauss gerissene Lücken des Märchens ausfüllte. Die Zusammenarbeit mit dem etwas ratlosen Österreicher Bahr brachte aber nur einige Ansätze. Vor allem konnte Bahr nichts mit der Strauss-Idee, Filmszenen in das Stück zu implantieren, anfangen, so dass Richard Strauss das Libretto selbst verfasste. Das war auch besser so, denn Richard Strauss nutzte den ehelichen Briefwechsel aus der Krisenzeit des Jahrhundertanfangs und brachte mit diesem Stoff sein eigenes Eheleben kaum verfremdet auf die Opernbühne: Der fehlgeleitete Brief einer Dame mit zweifelhaftem Ruf brachte die Gattin des Komponisten Storch in Wallungen. Obwohl selbst in einem Flirt mit einem Baron befasst, begehrt sie die Scheidung vom auf Tournee befindlichen Gatten. Die Missverständnisse müssen ausgeräumt werden und der eheliche Frieden ist wieder hergestellt. Alles wird gut?
Über den Schaffensprozess der Oper ist wenig bekannt, denn Strauss bezog die Familie kaum in seine Arbeit ein und auch die nachgebildete Pauline Strauss-de Ahna soll bis zum Abschluss der Komposition nicht wirklich gewusst haben, welche Art von Hommage an das gemeinsame Eheleben sie in der Dresdner Ostra Allee erwartete.
Uraufgeführt wurde die Oper vor 100 Jahren in dem kleineren Haus mit Fritz Busch am Pult und Lotte Lehmann als Gattin Christine. Wir aber wurden in der tatsächlich erst zweiten Dresdner Einstudierung des „Intermezzo“ mit einer Fülle von Haus- und Rollendebüts konfrontiert.
Die mit leichter Hand von Axel Ranisch (*1983) ausgeführte Inszenierung verleugnet nicht, dass der Berliner vor allem im Film- und TV-Geschäft tätig ist, flotte Schnitte bevorzugt und sich beliebig aller Stilmöglichkeiten bedient. Seine von den unterschiedlichsten Dokumentationen bis zur Tatort-Regie vorhandenen Erfahrungen waren in den Zwitter aus parodistischer Konversationskomödie und sinfonischer Dichtung ziemlich bedenkenlos eingebracht. Natürlich nutzte er den Umstand der örtlichen und zeitlichen Nähe des einhundertjährigen Bühnenjubiläums, um die Uraufführung des benachbarten Schauspielhauses aus unserer heutigen Sichtweise auferstehen zu lassen. Mit einer gekonnt mit der Oper verzahnten Rahmenhandlung konnte das angestaubte Werk unseren heutigen gesellschaftlichen Bedingungen zugänglich gestaltet werden.
Die Vorstellung begann mit einem Hauskonzert in der Garmischer Villa in der Zeit der Versöhnung des Zwischenfalls vom Jahrhundertbeginn, als die Pauline ein ihr gewidmetes Liebeslied mit der Klavierbegleitung ihres Mannes, hier: Patrick Hahn, zu Gehör brachte.
Die Eheleute Strauss (hier die Schauspieler Katharina Pittelkow und Erik Brünner) saßen überdimensioniert dargestellt in der Mittelloge des Theaters, bevor die Eheleute Storch auf der Spielfläche ihre durchaus von Liebe gekennzeichnete Kabbelei um die Reisevorbereitungen des Maestros beginnen konnten. Storch, froh, einige Tage den Vorhaltungen der Christine entfliehen zu können, reiste ab, während die zurückbleibende Ehefrau sich mit einem Besuch auf einer Rodelbahn trösteten wollte. Ihren Frust über das Hausfrauendasein versuchte sie mittels eines Flirts mit einem sympathisch erscheinenden jungen Mann zu kompensieren. Leider erwies sich der „Baron“ als Schnorrer und offenbarer Faulpelz. Als Frau Christine eine an ihren Mann adressierte, ziemlich eindeutige Botschaft einer gewissen Mieze Maier erhielt, bedeutete das für sie das Ende ihrer Ehe. Wütend leitete sie die Scheidung ein und ließ ihre Koffer packen.
Richard Strauss, der vermutlich mit der Bühnenfigur der Christine seiner Frau ein liebevolles Denkmal setzten wollte, hatte sich aber verkalkuliert. Frau Pauline akzeptierte die Offenbarungen ihrer Eheprobleme auf offener Bühne nicht, verließ die Loge und mäanderte, von Falko Herolds Videokamera verfolgt, durch die Räume des Theaters.
Mit seiner Inszenierung würdigte Ranisch, dass Pauline de Ahna 1906 ihre erfolgreiche Karriere als Sängerin abgebrochen hatte und zur Hausfrau des Komponisten wurde. Vor allem gestaltete Ranisch zum Schwerpunkt seiner Arbeit, dass die „Hausfrau“ inspirierende Wirkungen auf den Komponisten ausgeübt hatte. Denn bei näherer Betrachtung finden sich in jeder Strauss-Oper in den weiblichen Bühnenfiguren die Spuren der Pauline. Deshalb sammelten sich vor dem Bett des im Hinblick auf den Kummer seiner Mutter wenig sensiblen Sohnes die Frauenfiguren der „Strauss-Opern“ von der Salome bis zur Marschallin. Und die Damen blieben auch in der Nachbarschaft, als die Herren Anton Beliaev als ein Kommerzienrat, Jürgen Müller als der Kapellmeister Stroh, Martin-Jan Nijhof als ein Justizrat sowie als der Kammersänger Tilmann Rönnebeck beim Skat saßen und Belanglosigkeiten brabbelten. Als sich der Hofkapellmeister Storch der Runde zugesellte, um sich von der Orchesterprobe zu entspannen und seiner Skatleidenschaft zu frönen, brachen über dem Maestro die undefinierbaren Nachrichten seiner Frau, sowie die alarmierende Mitteilung seines, ihm befreundeten Notars herein. Als Verursacher erwies sich der Kapellmeister Stroh, der durch eine kleine Hochstapelei in einer Kette von Zufälligkeiten Frau Christine in Alarmstimmung versetzt und zu unverzüglichen Aktivitäten, immer begleitet von der Gruppe der Opernfiguren, veranlasst hatte. In der Neben-Handlung beobachten Pauline und Richard diese Tendenz und kontaktieren wieder. Strauss hatte vermutlich mit der Oper seiner Gattin Pauline de Ahna in ihrem „Nicht-Wirken“ Ehre antun wollen. Er schaffte es aber, dass man im Jahre 2024 über die Behandlung der Frau empört ist und zeigte, wohin sich einseitige Beziehungen entwickeln können.
Natürlich werden nach weiteren kleinen Irritationen die Irrtümer aufgeklärt. Das Paar erneuerte seinen Ehe-Schwur. Die Chance, dass Frau Christine zu ihrem Beruf als Hofsängerin zurückkehrt, bleibt unausgesprochen.
Die Oper erschöpfte sich aber nicht in der oberflächlichen Aneinanderreihung der dreizehn Szenen des Handlungsablaufs. Der den Umgang des Paares persiflierende Konversationsstil wurde von den vollendeten Intermezzi des Orchesters aufgenommen und damit seiner Bedeutungslosigkeit enthoben. Vor allem nutzte das Team um Ranisch die Zwischenspiele für die bühnenwirksame Realisierung einer Fülle von Ideen. Vor allem die Ansätze des Richard Strauss, Stummfilm-Effekte in die Oper zu implantieren sowie Gags und Slapstick-artigen Szenen waren zu erleben. Da hatten Falko Herold, Alfred Mayerhofer mit seinen Kostümen und die in Sachsen geborene und in Dresden ausgebildete Saskia Wunsch als Bühnengestalterin mit ihren hochkreativen Arbeiten hervorragendes geleistet.
Den Liebhabern der Musik des Richard-Strauss wurde mit den sinfonischen Zwischenspielen an diesem Abend ein besonderes Fest bereitet. Für den im Jahre 1995 in Graz geborenen Patrick Hahn war die musikalische Leitung des Premierenabends das Debüt sowohl bei den Musikern der Sächsischen Staatskapelle, als auch im Graben der Semperoper. Aber weder die Pofi-Musiker noch der Dirigent zeigten Probleme im Umgang miteinander. Zur komplexen und kunstreichen Partitur hatte Hahn einen guten Zugang gefunden, so dass er mit der Staatskapelle die vielen kleinen Wandlungen, Tempi- und Rhythmuswechsel zur Geltung bringen konnte. Dabei bevorzugte er mit seiner klaren Körpersprache einen massiven dramatisch auftrumpfenden Strauss-Klang ohne dabei die kammermusikalischen Aspekte völlig zu vernachlässigen. In den Spielszenen gehörte der Schwerpunkt der Erzählstruktur und sollte unbedingte Textverständlichkeit ermöglichen. Den Singstimmen gehörte der Vordergrund, Rezitative und Arien gingen fließend ineinander über, so dass das Orchester im zuweilen endlosen Sprechgesang oft nur assistierte. Präzise folgte das Timing des Dirigats den Vorgaben der Personenregie, so dass die rasenden Dialoge sich wie an der Schnur gezogen, aneinander reihten.
In den musikalischen Zwischenspielen kam das musikalische Genie des Richard Strauss besonders zur Geltung und konnte dem Zuschauer vieles über die Gefühle und Stimmungen der Figuren vermitteln. Vor allem entlockte Patrick Hahn mit den zahlreichen Intermezzi die für Strauss typischen romantisch-dramatischen und zum Teil sehr eindrücklichen spielerischen Klänge. Die Staatskapelle schwelgte, ließ genießen und schien der Bedeutungslosigkeit der Handlung zu spotten.
Mit ihrer sicheren Parlando-Eloquenz und darstellerischen Intensität war die schwedische Sopranistin Maria Bengtsson eine das Bühnengeschehen weitgehend bestimmende Ehefrau des Star-Komponisten. Das Drama der Christine bestimmte ihre Selbstwahrnehmung als Ehefrau eines Workaholics, die ihm den Rücken frei hält, ohne sich dabei selbst verwirklichen zu können. Der „Mieze Maier-Zwischenfall“ hätte für Christine zur Initialzündung werden können, aus dieser Konvention auszubrechen und, statt in eine neue Paarbeziehung zu stolpern, in ihre Bestimmung als Sängerin zurück zu finden.
Für ihre Darstellung der Christine setzte Maria Bengtsson ihren schönen und dichten warmen Sopran ein. Mit ihrer sorgfältigen Dynamik, ihrer Anbindung von Klang und Farbe der Stimme an den Sinn des Gesungenen, gewährleistete sie der beleidigten Frau selbst in den scharfen Ausbrüchen kulturvolle Intonation.
Der Hofkapellmeister Robert Storch war von dem lange Zeit im Hausensemble engagierten Christoph Pohl übernommen worden. Mit geschwellter Brust, spielte und sang er den selbstzufriedenen erfolgreichen Dirigenten und Komponisten. Dem höllischen Parlando-Tempo der Rolle erwies sich Pohls Bariton hervorragend gewachsen. Auch bewältigte er den Spagat zwischen dem Stardirigenten und genervtem Ehemann, der sich einige Tage keine klugen Ratschläge seiner Frau anhören möchte. Nur so waren seine Streitereien mit Christine am Beginn bei den Reisevorbereitungen, die, allerdings beiderseits an kindischer Rechthaberei nicht zu überbieten waren, zu verstehen.
In der Ehe hatte man sich sanft auseinander gelebt. Jeder läuft eigenen Vorstellungen nach: miteinander ist es schwieriger geworden, doch ohne einander geht es schon gar nicht. Ihr kleiner Sohn war ein altkluges, frühreifes Papa-Söhnchen, den der Kummer seiner Mutter nicht interessiert.
Sein Haus- und Rollendebüt, als arbeitsscheuen, herumlungernden Baron Lummer gestaltete der amerikanische Tenor James Ley ziemlich emotionslos. Er möchte ein bequemes Leben mit der unbedarften Resi, dargeboten von Sofia Savenko aus dem Jungen Ensemble, führen. Die Bedürfnisse und Sehnsüchte der Frau aus gutem Haus waren ihm gleichgültig, weil er auf schnelles Geld aus ist. Sein angeblicher Wunsch auf ein Studium war vorgetäuscht. Für Christine konnte dieser Lummer nach der anfänglichen Überschätzung, als ein sehr netter, ungeheuer bescheidener Mensch, durch seinen Charakter und die Finanzierungsforderungen der Ersehnte nicht sein. Großartig war die Offenbarung seiner zurück gehaltenen Ambitionen auf offener Bühne, während Christine von ihrem Mann schwärmte. Seit Saisonbeginn im Solistenensemble der Semperoper engagiert, bestach James Ley mit einem sicheren und beweglichen Tenor sowie mit seiner Bühnenpräsenz. Auch in den übrigen Rollen gab es durchweg beeindruckende Spiel- und Gesangsleistungen.
Der Hausdebütantin Maria Bengtsson stand die Haus-Sopranistin Ute Selbig als eine burschikose und bestimmende Kammerzofe Anna zur Seite. Prachtvoll aufdringlich und von Christine genervt, präsentierte sich als die Frau des Notars Sabine Brohm, eine Solo-Sopranistin vom Haus.
Bernhard Hansky, zeitweiliger Ensemble-Bariton, spielte und sang den Notar, von dem Christine energisch die Scheidung verlangte und er den Freund versuchte zu warnen.
Der Schluss der Inszenierung Axel Ranischs brachte der erschütterten Familie Entspannung und rückte die Konstellationen wieder so zurecht, wie sie dem Hausherrn und Star zusagten. Ich hatte den Eindruck, dass den Agierenden das turbulente Bühnengeschehen mindestens die gleiche Freude bereitet hatte, wie der Mehrzahl der Besucher.