Schwetzingen, Schlosstheater, DON GIOVANNI - W. A. Mozart, IOCO
Schlosstheater Schwetzingen: Als dritte Produktion der Mozart - Da-Ponte Opern hat sich das Schwetzinger Theater als idealer Aufführungsort bewährt, den seinerzeit Mozart selbst mehrfach besuchte und das Publikum an diesem besonderen Abend in die Zeit der Uraufführung von 1787 ......
DON GIOVANNI - Dramma giocoso in zwei Akten von Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791), Libretto von Lorenzo da Ponte (1749-1838), Mozart-Da Ponte Zyklus - in Zusammenarbeit mit dem Nationaltheater Prag, besprochene Vorstellung am 29.06.24 im Schlosstheater Schwetzingen
von Uschi Reifenberg
VERFÜHRUNG HINTER DEN KULISSEN
Wenn am Ende der Oper Don Giovanni „zur Hölle gefahren“ ist und seine Sängerkollegen „in den leeren Kulissen“ ungeduldig auf ihn warten, taucht der Hauptdarsteller endlich amüsiert und gut gelaunt auf und fordert seine Mitstreiter mit einer lässigen Geste auf, ihm zu folgen. Spätestens nun wird klar, dass der ewige Kreislauf des vom Eros getriebenen Anti-Helden mit seinen amourösen Liebes- Abenteuern, Begierden und Ausschweifungen wieder von vorne beginnen wird. Der berühmteste Liebhaber und Verführer der Kulturgeschichte wird nicht müde, der Welt erneut das uralte sehnsüchtige und immer gleiche Spiel vor Augen zu führen.
So will es der norwegisch-schwedische Regisseur Alexander Mørk-Eidem und sein Team in der Neuinszenierung des Don Giovanni, die im Rokoko-Theater des Schwetzinger Schlosses zur Aufführung kommt, eine der Spielstätten des Nationaltheaters Mannheim während der Sanierungsphase, zur Eröffnung des „Mannheimer Sommer“ 2024.
Als dritte Produktion der Mozart - Da-Ponte Opern hat sich das Schwetzinger Theater als idealer Aufführungsort bewährt, den seinerzeit Mozart selbst mehrfach besuchte und das Publikum an diesem besonderen Abend in die Zeit der Uraufführung von 1787 hineinzuversetzen schien. Das lag vielleicht an der Übereinstimmung von Spielort, Inszenierung, und barocker Gartenanlage, die so perfekt ineinander übergehen, aber auch am Event eines Maskenballs, das im Anschluss an die Vorstellung alle Besucher*innen einlud, was einige Zuschauer zum Tragen historischer Kostüme bereits während der Vorstellung animierte, fast so, als seien sie Teil der Inszenierung und hätten sich aus der „Maskenspiel-Szene“ der Oper in den Zuschauerraum verirrt.
Eine wunderbare Idee, auf diese Weise den Komponisten, die „Magie“ des Ortes und das Theater selbst beim „Mannheimer Sommer“ zu feiern.
Alexander Mørk-Eidem, der Bühnenbildner Christian Friedländer, die Kostümbildnerinnen Jenny Ljungberg und Moa Müller, wurden stark vom Uraufführungsort des Don Giovanni, dem Prager Ständetheater und seinen intimen akustischen Gegebenheiten inspiriert, in welchem Mozart seine Oper 1787 mit riesigen Erfolg dirigiert hatte. Bereits 2021 hatte das Team hier die Oper aufgeführt und so konnten die Besonderheiten der Prager Bühne auf die ähnlichen Gegebenheiten im Schwetzinger Theater übertragen, die „Aufführungstraditionen lebendig gehalten“ und um neue „Facetten“ ergänzt werden.
Der Mythos Don Giovanni geistert seit dem 17. Jahrhundert in zahlreichen Bearbeitungen und Deutungen durch die Zeiten, aber in Mozarts und Da Pontes „Oper aller Opern“ - wie E.T.A. Hoffmann bewundernd resümierte- findet er bis heute vielleicht seine idealste Darstellung.
Die Konzeption Mørk-Eidems folgt der Idee des „Theaters auf dem Theater“, mit der illusionsbrechenden, perspektivisch veränderten Ebene, dem Spiel hinter den Kulissen, in welchem sich die Darsteller der Oper für die Aufführung vorbereiten und in ihre jeweiligen Rollen schlüpfen. Das Publikum wird folglich Zeuge der Handlungen hinter der Bühne.
Einen besonderen Kunstgriff wendet Mørk-Eidem an, indem der Komtur zu Beginn dem „Dissoluto Punito“, dem „bestraften Wüstling“ im Zweikampf eine Wunde zufügt, an der er bis zum Schluss leidet und letztendlich auch stirbt. „Die nicht heilende Wunde“, ein Symbol für das nie versiegende Leiden, für Don Giovanni hier vielleicht der Fluch, der ihn in niemals loslässt, ihn in unersättlicher, obsessiver Gier immer weiter treibt, vielfältige weibliche Charaktere zu verführen, in jeder Frau „die Erlöserin“ zu suchen. Frauen allen Alters, jeder Couleur, durch alle Schichten, in vielen Ländern, über 2000 an der Zahl wie Leporello erzählt und in seinem Register aufgelistet hat. Auch wenn der Unwiderstehliche nicht anders kann: „Frauen sind die Luft, die ich atme, das Brot, das ich esse“.
Don Giovanni nimmt sich, was er will: rücksichtslos, maßlos, ohne Reue, losgelöst von allen moralischen und göttlichen Gesetzen und jedem sozialen Gefüge. Hedonismus ist sein Lebensprinzip, er geniesst den Moment totaler Freiheit, das Spiel, den sinnlichen Rausch, die ständige Bestätigung, er selbst ist Glücksverheissung, ein Fixstern um den sich Wünsche aller Art versammeln. Er ist Projektionsfläche aller, die auf ihn bezogen sind und entlarvt dadurch gleichzeitig deren Absichten, Sehnsüchte und Begierden. Er manipuliert. täuscht, stiftet Unordnung, Zerstörung, begeht Verbrechen bis hin zum Mord. Sein grenzenloser Übermut führt ihn aber diesmal ins Verderben.
Der Bühnenbildner Christian Friedländer zeigt die Spielfläche Backstage, mit beweglichen Kulissenteilen, die von mitwirkenden Bühnentechnikern verschoben werden und unterschiedliche Räume schaffen; das Publikum blickt also aus einer verlängerten Hinterbühne nach vorne zum Bühnenrand. Die Kulissen werden von schweren Vorhängen mit Faltenwurf beherrscht, die sich stilistisch bestens in den Theaterraum einfügen, ständig hoch-und runter bewegt und vielfältig verwendet werden können. Als wichtige Requisiten dienen fahrbare Kostümständer aus dem Fundus, mit Klamotten jeglicher Art ausgestattet, vor allem Reifröcke und Mantel und Degen, die den Mitwirkenden schnelle Kostüm-und Szenenwechsel erlauben. Es geht munter und hektisch zu hinter der Bühne: Da werden Vorbereitungen getroffen, Intimitäten ausgetauscht, aufgeräumt, Befindlichkeiten der Protagonisten sichtbar, die eigentlich der Privatsphäre angehören, aber aus diesem Blickwinkel die voyeuristische Neugier befriedigen. Wenn Don Giovanni mit Zerlina von der Bühne verschwindet, sieht man die beiden zwischen den Kulissen übereinander herfallen.
Der 2. Akt verbreitet als Nachtstück eine unheimliche Atmosphäre, Nebel steigt auf, spärliche zwielichtige Beleuchtung (Licht: Ellen Ruge) erhellen die düsteren Szenen. Besonders beklemmend und eindrücklich gerät die Friedhofsszene mit der „Statue“ des Komtur. Diese zeigt die Darstellung „Der Mantel des Gewissens“ der tschechischen Bildhauerin Anna Chromy das Modell eines sitzenden leeren Mantels mit Kapuze, „gebeugt von der Müdigkeit eines langen Lebens, bewohnt von seiner Seele oder seinem Gewissen“ (Programmheft). Inspiriert wurde die Darstellung „The Cloak of Conscience“ von Hugo von Hofmannsthals Schauspiel Jedermann und Mozarts Don Giovanni. Als „steinerner Gast“ nimmt in der Oper die Statue des Komturs Don Giovannis Einladung zum Abendessen an und besiegelt mit dem Handschlag gleichzeitig das Ende des Verführers. Heute ist die prominente Statue zentral vor dem Eingang des Prager Theaters aufgestellt, in kurzer Distanz zum Rathaus und der berühmten astronomischen Uhr.
Das Sängerensemble agiert in der einfallsreichen und ausgefeilten Personenführung von Mørk-Eidem mit viel Witz, Esprit und Tempo, vor allem das „dramma giocoso“ mit seinem komödiantischen Potenzial wird voll ausgeschöpft, weniger die dämonische Seite, durch die Brechung der Erzählweise der „Oper in der Oper“ bleibt die Aussage dann doch eher harmlos,
Ilya Lapich setzt sich als sympathischer „Wüstling“ mit Sex-Appeal gesanglich und darstellerisch ideal in Szene. Sein edler lyrischer Bariton spiegelt alle Facetten dieser komplexen Figur, mitreißend schmettert er vom Podest herab seine „Champagnerarie“, man wird erinnert an das Don Giovanni - Porträt von Max Slevogt; schmeichelnd, berückend und verheißungsvoll lockt Lapichs Stimme beim Ständchen. Durch seine Verwundung scheint nicht sein Liebeshunger gebrochen, wohl aber beschleicht ihn die Ahnung vom nahenden Ende, dem er mit kämpferischem Trotz begegnet. Mit dem Nachlassen seiner Kräfte durch die blutende Wunde, setzt er sich freiwillig in den Rollstuhl, den ihm Leporello heranfährt und bewahrt dennoch Haltung und Lebenslust.
Marcel Brunner als der „Diener-Freund“ Leporello ist seinem „Herrn“ in Stimme und Habitus nicht unähnlich, beide erweisen sich als eingespieltes Team und werfen sich virtuos „die Bälle zu“. Brunner überzeugte mit kernigem, tragfähigen Bassbariton, vorzüglichem Parlando und hinreißendem komödiantischem Spiel. Seiner Sehnsucht nach Selbstbestimmung gibt er gleich zu Anfang deutlichen Ausdruck. Getrieben von seiner Zerrissenheit zwischen Freiheit und Geldgier, entscheidet er sich für die Abhängigkeit und wird immer wieder von Don Giovanni instrumentalisiert. Seine „Registerarie“ präsentierte er als Kabinettstück, changierend zwischen Ironie und Verachtung.
Mit schönem Timbre und stilistischer Klarheit gestaltete Seunghee Kho die Donna Anna. Anrührend ihr Schmerz über den Tod des Vaters, dem sie mit innigen Piano Phrasen Ausdruck verleiht. Aufgerieben im Spannungsfeld zwischen erotischer Verlockung und der Aussicht auf ein biederes Leben hegt sie ambivalente Gefühle für ihren Verführer, letztendlich gewinnen ihre Rachegefühle gegenüber dem Täter die Oberhand. In ihrer Rachearie „Or sai chil‘onore“ werden ihre inneren Konflikte deutlich, die sie zu tragischer Größe wachsen lässt. Mit großer Gestaltungskraft und leuchtenden Spitzentönen weist sie immer bestimmter Ottavio an, Don Giovannis Tat zu sühnen.
Sachar Lavi ist Donna Elvira. Sie erscheint ganz in schwarz gekleidet, eine einsam Trauernde, gefangen in ihrem Schmerz der verlassenen Geliebten. Leporellos Registerbuch trägt sie nach dessen Bekenntnis über die Untreue seines Herrn wie eine Trophäe mit sich herum. Die Sopranistin lässt in der Arie „Mi tradi“ ihre geschmeidige, farbenreiche Sopranstimme aufblühen, die Koloraturen gelingen ihr präzise und klar und werden weich in in die Gesangslinie eingebunden. Trotz ihrer Eifersucht lässt sie keinen Zweifel an ihrer aufrichtigen Liebe. Getrieben vom Wunsch nach Versöhnung, stürzt sie Don Giovannis Lebenswandel in eine tiefe Krise.
Offen für Intimitäten jeder Art ist die Zerlina von Nataliia Shumska, die hier kein schüchternes, unschuldiges junges Mädchen ist, sondern eine berechnend zupackende Göre, die weiß, was sie will und mit Männern genug Erfahrung hat. Sie traktiert sie ihren Bräutigam Masetto bei sexuellen Handlungen auch gern mal mit dem Gürtel oder knallt ihm den Blumenstrauß vor die Füße, wenn ihr etwas nicht passt. Zusätzlich zu ihrem Verlobten würde ihr der Edelmann Don Giovanni auch gefallen, zwei Männer sind allemal spannender als einer. Stimmlich trumpft Shumska mit voluminösem, fast dramatischen und dunkel gefärbten Sopran auf, auch darstellerisch geht sie bis an die Grenzen und beeindruckt mit großer Intensität.
Raphael Wittmer mit grauer Perücke überzeugt als Donna Annas blasser, handlungsschwacher Verlobter Don Ottavio. Sein ebenmäßiger lyrischer Tenor präsentiert die beiden wunderschönen Arien „Dalla sua pace“ und „Il mio tesoro“ bestens, er phrasiert vorbildlich, mit dynamisch überzeugendem Aufbau, belcantesk, auch die Koloraturen geraten exakt und klangschön.
Zerlinas Bräutigam Masetto ist seiner dominanten Braut hilflos ausgeliefert. Eric Ander besitzt eine große, ausdrucksstarke Bass-Stimme, als Bräutigam in gestreiftem Anzug ist er eine imposante Erscheinung und macht viel Eindruck. Wenn er in wütender Eifersucht auf Don Giovanni losgeht, macht er sich leider selbst zum Narren.
Sung Ha, Komtur mit großer Stimmgewalt, erscheint zu Beginn des 1.Aktes im Zweikampf mit seinem Widersacher noch im Rollstuhl, am Ende richtet er sich zu bedrohlicher Größe auf und führt Don Giovanni in der Unterwelt seiner gerechten Strafe zu.
Der Dirigent Janis Liepins und das Nationaltheater Orchester lassen in der Ouvertüre mit den wuchtigen d-Moll Akkorden die Dramatik schicksalhaft hereinbrechen. Die Einsätze der einzelnen Instrumentengruppen klingen klar konturiert und mischen sich erst nach und nach in der trockenen Schwetzinger Akustik zu einem homogenen Klangbild. Transparent und fein ausgestaltet werden die Linien miteinander verwoben, die fortepiani Kontraste deutlich herausgearbeitet. Gewünscht hätte man sich mehr zarte, leise Schattierungen, kleine Wackler zwischen Bühne und Graben am Anfang trübten keinesfalls die positive Gesamtleistung. Der Chor unter der Leitung von Alistair Lilley sang gewohnt zuverlässig.
Das Publikum im ausverkauften Theater war euphorisch und spendete sehr lange begeisterten Beifall mit stehenden Ovationen.