Schwerin, Mecklenburgisches Staatstheater, TANNHÄUSER - Richard Wagner, IOCO

Mecklenburgisches Staatstheater: Regisseur Martin G. Berger hat Tannhäuser von Richard Wagner in Schwerin im September 2022 so tüchtig aufgemischt, dass die Produktion auch wegen des großen Publikumserfolges in die Spielzeit 2023/24 übernommen wurde.

Schwerin, Mecklenburgisches Staatstheater, TANNHÄUSER - Richard Wagner, IOCO
Mecklenburgisches Staatstheater Schwerin © Silke Winkler

von Michael Stange

Regisseur Martin G. Berger hat Tannhäuser von Richard Wagner in Schwerin im September 2022 so tüchtig aufgemischt, dass die Produktion auch wegen des großen Publikumserfolges in die Spielzeit 2023/24 übernommen wurde.

Schwarzweißvideos erzählen während der Ouvertüre von einer Dreiecksbeziehung Tannhäusers zu Elisabeth und Wolfram. Tannhäuser streift am See schüchtern Elisabeths Kleid über, das er verschämt ablegt, als beide vom Baden zurückkehren. So bleibt offen, wohin seine sexuelle Orientierung gehen wird. Zunächst heiraten er und Elisabeth und haben Kinder.

TANNHÄUSER - hier Szenefoto @ Silke Winkler

Später verlässt er die Familie um sich im Gay-Nachtclub in eine Drag-Queen zu transformieren. Auch diese Welt wird ihm zuwider. Zufällig trifft er seine Jugendfreunde, die ihn in die alte Heimat mitnehmen wollen. In der Imagination sitzt die Gesellschaft in Elisabeths Wohnzimmer mit den Kindern. Der Akt endet indem die Jagdgesellschaft von den Familien zum Picknick abgeholt wird.

Tannhäuser, der sich immer noch zu Elisabeth hingezogen fühlt, folgt einschließlich Venus, die plötzlich erscheint. Beim anschließenden Kulturfest werden Landgraf Herrmanns Geburtstag und 25 Jahre Kultur und Inklusion, Gemeinschaft gefeiert. Zu diesem Anlass findet ein Wettbewerb statt, wer die Liebe am besten besingen kann. Immer mehr verfällt die Gesellschaft in Ekstase und nach Biterolfs Gesang bahnt sich neben der wilden Küsserei von Elisabeth und der Frau von Walther von der Vogelweide eine Orgie an.

Als Tannhäuser dann Venus und die Liebe besingt berappelt sich die Gesellschaft. Walter verzeiht seiner Frau und die in den Alltag zurückgekehrten verurteilen sie Tannhäuser, der wegen seiner Sünden nach Rom pilgern soll. In einer weiteren Video Sequenz träumt Elisabeth vom künftigen Glück und einer gemeinsamen Zukunft. Nach einer erfolglosen Pilgerfahrt nach Rom kehrt Tannhäuser als Drag-Queen gekleidet zurück.

Levente Török hat erneut gezeigt, zu welchen musikalischen Meisterleistungen die Mecklenburgische Staatskapelle Schwerin fähig ist. Die Tannhäuser Ouvertüre ist ein vertracktes Stück. Mit dem Baccanale ist die lang und bannt nur, wenn die musikalischen Leitmotive der Oper plastisch sowie konturenreich ausgeleuchtet werden und ein packender musikalischer Fluss entsteht.

Die Staatskapelle und Levente Török musizierten schon hier wie symbiotisch verwachsen. Sie entwickelten eine immense rhythmische Präzision und entfalteten eine aufbäumende musikdramatische Erzählung. Dadurch erzeugten sie ein Fluidum, dass das Publikum vom ersten Takt in den Bann schlug und zutiefst in die musikalischen Erzählung involvierte. Wagners komponierte Dynamiken und Kontraste vom Glaubensmotiv bis zum hymnischen Besingen der Liebe und alle übrigen verzahnten sie in immenser musikalischer Dichte und Eindringlichkeit in jeder Phase des gesamten Abends. Alle Orchestergruppen waren mit einer Spielfreude bei der Sache, dass man meinte, selten so sirrende Streicher und so auftrumpfende Blechbläser gehört zu haben. Die Gestaltung des Sängerkrieges und des Finales des zweiten Aktes waren durch selten gehörte Sinnlichkeit und Dramatik geprägt. Die sehnsuchtsvollen Gebete Elisabeths und Wolframs waren innwendig von selten erreichter Intensität musiziert. Fulminat dann das Finale des dritten Aktes. Die von Wagner beabsichtigte suggestive und soghafte Wirkung wurde so glückhaft erreicht.

Über die Theaterbildschirme ließ sich verfolgen wie Levente Török scheinbar locker aber zugleich konzentriert und liebevoll mit dem Taktstock den musikalischen Fluss leitete und mit der Linken ein unfassbar vielfältiges Orchesterkolorit hervorzauberte. Die Wucht der Pilgerchöre, das erotische Sirren des Venusbergs, Tannhäusers ganze innere Zerrissenheit und die Last der erschöpften heimkehrenden Büßer und die Erlösung wurden aus den Noten der Partitur in ein ergreifendes Klanggemälde geformt. Im Zuschauerraum entfaltete sich eine einzigartige dramatisch Wucht und Faszination, die nachhallte.

Der Chor unter Aki Schmidt erreicht einen neuen ergreifenden Höhepunkt an Polyphonie, Dynamik und rhythmische Präzision. Alles schnurrte wie ein Uhrwerk und erklang in einer fulminanten Wucht, die man so selten erlebt.

Heiko Börner als Tannhäuser ließ sich vor dem zweiten Akt als indisponiert ansagen. Durch die Indisposition bedingte geringfügige Intonationstrübungen minderten seine grandiose Leistung nicht. Börner verfügt über eine mächtige baritonal timbrierte Heldentenorstimme mit imposanter Höhe und grandioser Attacke. Dadurch stellten ihn weder der Ruf nach dem Allmächtigen im ersten Akt, noch die folgend/en Ansprüche der Rolle bis zu Ende der Romerzählung vor spürbare Herausforderungen. Impulsiv und in gesanglich und darstellerisch großer Form war er ein Tannhäuser aus dem Bilderbuch der keine Wünsche offenließ.

Julia Rutigliano präsentierte eine stimmliche glänzend aufgelegte und schauspielerisch faszinierende erotisch sirrende Venus. In der tiefen Lage verfügt sie über einen runden warmen Ton und prunkte mit leuchtenden klaren Höhen. So überzeugte vollends  und brachte die Sinnlichkeit der Venus mit packender Gestaltung und gesangsdramatischer Wucht auf die Bühne.

TANNHÄUSER hier Camila Ribero-Souza als Elisabeth @ Silke Winkler

Camila Ribero-Souza war eine betörende Elisabeth mit warmen Stimmklang und verzehrender Wucht. Ihr "Allmächt'ge Jungfrau, hör mein Flehen ..." war ungemein anrührend und von verzehrender Leidenschaft.

Brian Davis war ein auftrumpfender Wolfram mit heldenbaritonalenm Aplomb. Neben betörendem Piano setzte er insbesondere im Lied an den Abendstern Poesie neben dramatische Ausbrüche.

Renatus Mészár war ein liebevoller aber im zweiten Akt auch autoritärer Vater und erst an zweiter Stelle Landgraf von Thüringen. Mit kernigem Bass und eindrucksvoller Gestaltung gab er ein beglückendes Rollenportrait.

Als Walther von der Vogelweide brachte Marius Pallesen seinen klangschönen lyrischen Tenor ein.

LEVENTE TÖRÖK @ Patrik Klein

Levente Török ist ein Vollblutmusiker, der mit der Staatskapelle auch bei der Interpretation des Tannhäusers einen künstlerische Größe erreicht hat, die dem Schweriner Haus einen weit über die Grenzen der Region reichenden künstlerischen Ruf verliehen hat. Ein mitgerissenes Publikum vom ersten bis zum letzten Takt brannte und zu Jubelsturmen hinriss. Möge das Haus diese Aufführungen zum Anlass nehmen, an die große Wagner Tradition der Vergangenheit anzuknüpfen. Wenn schon im viel kleineren Mindener Theater ein Parsifal gelingt, sollten Levente Török, Heiko Börner und der Rest des Ensembles in Schwerin zumindest die Gelegenheit erhalten, während der Theaterschließung einen konzertanten Tristan auf die Bühne zu bringen, um die Schweriner Wagner- und Opernkompetenz und das Theater in Öffentlichkeit lebendig zu halten.

Levente Török hatte am Tag der Aufführung auch Geburtstag. Ensemble und Publikum stimmten zum „Happy birthday“ ein und feierten ihn zu Recht frenetisch.

Solche Leistungen sind auch der Festspiele Mecklenburg-Vorpommern würdig und ein wichtiger Bausteine der bundesweiten öffentlichen Wahrnehmung der Landeshauptstadt Schwerin und ihrer touristischen Attraktivität.

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