Schwerin, Mecklenburgisches Staatstheater, DER FREISCHÜTZ - Carl Maria von Weber, IOCO Kritik, 03.01.2023
Mecklenburgisches Staatstheater
DER FREISCHÜTZ - konzertant - Carl Maria von Weber
Mecklenburgische Staatskapelle entführt in die von Furtwängler beschworene magisch mythische Welt
von Michael Stange
Das Mecklenburgische Staatstheater hat mit Carl Maria von Webers Freischütz am 27.12.2022 konzertant eine der musikalisch und dramatisch vielschichtigesten romantischen Opern vollendet aufgeführt.
Erreicht wurde eine phänomenale musikalische Dichte, weil insbesondere die stets wechselnde Atmosphäre der Musik, ihre vielschichtigen Farben und die Ausleuchtung von Sehnsucht und Abgründen von Orchester, Chor und Ensemble überzeugend dargeboten wurden. So entstand durchgehend eine packende Atmosphäre, die das Stück in seiner ganzem Kosmos von Drama, Psychologie und Naturbetrachtung einfing.
So offenbarte die Vorstellung, welche Größe in dem Werk liegt, und auch wie sehr der Freischütz die romantische Oper und den deutschen Opernstil bis in die Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts geprägt hat. Singspiel-Elemente verschmelzen mit Seelengemälden wie Agathes Schlummer-Arie und den düster gespenstischen Momenten der Wolfsschlucht-Szene. Noch Wagners Meistersinger, seine Götterdämmerung oder Richard Strauss in der Frau ohne Schatten greifen darauf zurück.
Der Erbförster Kuno möchte seine Försterei weitergeben. Seine Tochter Agathe kommt dafür nicht in Betracht, so dass sein Blick auf den Jägerburschen Max fällt. Der aber hat beim Schießen versagt und wendet sich dunklen Mächten zu, um wieder zum besten Schützen zu werden und seine Verlobte Agathe heiraten zu können. Nach einem Pakt mit dem Bösen gießt er so genannte Freikugeln, mit denen jeder Schuss gelingen soll. Mit der letzten gegossenen Kugel tötet er im Schiesswettbewerb aber die eigene Braut Agathe, die jedoch kurz darauf wieder zum Leben erwacht. Statt drohender Bestrafung erhält er eine mit einer Bewährungszeit von einem Jahr eine neue Chance. So endet die Oper in einem versöhnlich strahlenden Finale.
Die szenische Einrichtung lag bei Thomas Helmut Heep. Er widmete sich der Aufgabe sehr geschickt, indem er beispielsweise in der Wolfsschlucht die Szene vollständig verdunkelte, so dass durch wenige Lampen an den Pulten der Musiker und Taschenlampen im Chor eine beklemmend düstere Atmosphäre erzeugt wurde.
Statt Dialogen moderierte Katharina Leonore Goebel in der Dramaturgie von Linus Lutz zwischen den Musikstücken. Eingangs lud sie das Publikum mit einem komplexen Zitat von Adorno zum Freischütz zum Grübeln ein. Selbst Kennern dürfte dessen vollständiger Sinngehalt nach tiefem Sinnieren mindestens in Teilen verschlossen geblieben sein. Nachdem sie das gesamte Publikum so zum Zuhören motiviert hatte, entledigte sie sich ihrer Aufgabe mit immensem Witz und Charme, so dass sie eine ideale Führerin durch das Werk war. Ernst wurde es nach der Pause als sie sich mit Morgana Heyse und Cornelia Zink über Ausbildung, die Darstellerinnenlaufbahn, die Perspektiven und Demütigungen im Alltag unterhielt. Dies verdeutlichte mit scheinbar leichter Hand vor ernstem Hintergrund, dass auch Agathes Erfahrungen und Zurücksetzungen mehr als zweihundert Jahre nach der Uraufführung der Oper noch allgegenwärtig sind.
Ein weiterer wesentlicher Aspekt von Webers Freischütz ist, dass er wenige Jahre nach dem dreißigjährigen Krieg spielt und vor zwiespältigen Charakteren und psychologischen Deutungsmöglichkeit strotzt. Theodor Adorno hat dies, wie von Katharina Leonore Goebel angerissen, ausführlich beleuchtet. Der unentschlossene Max, an den u. a. später Wagners Tannhäuser anknüpft, oder die schicksalsergeben Agathe sind Figuren, die gesanglich herausfordernd sind aber auch in der musikalischen Wiedergabe einer psychologischen Ausleuchtung und eines differenzierten musikalischen Portraits bedürfen.
Hinzu kommt, dass Weber mit dem Werk instrumental eine völlig neue charakteristische Musiksprache entwickelt hat. Neu sind auch die leitmotivischen Verarbeitungen der Personenmotive und die Entfesselung des Orchesters in einem komplexen symphonischen Gemälde. Ein zentraler Punkt ist auch, dass die musikalische Verwobenheit einer dramatischen Geschlossenheit bei der musikalischen Widergabe bedarf, um durch einen durchgängig erzeugten Spannungsbogen während des ganzen Stückes jene geheimnisvoll mystische Aura zu entfalten, derer es bedarf, um die Oper in ihrer ganzen Wirkung darzubieten.
Zur Komposition weist Wilhelm Furtwängler, einer der großen Dirigenten des Freischütz, in einem Essay darauf hin, dass der unnachahmliche und einzigartige Reiz der Freischütz-Partitur sei, dass sie jenen Schmetterlings-flügelschmelz aufwiese, der nur diesem Werk Webers anhaftete. Sein Fazit lautete, dass im Freischütz die Welt noch voller Rätsel sei. Nach seiner Auffassung müssen die Zuschauer vergessen, im Zeitalter der autoritären Weltpolitik, und der weltumspannenden und kein Geheimnis mehr übriglassenden Technik zu leben. An diesem Werk seien die Zuschauer imstande, die Gnade der Unschuld neu zu erleben. Es sei voll von jener Kultur des Fühlens (in dem Sinne, wie Weber und seine Zeit dies Wort verstanden), jenem Adel des "Gemütes", der nur sinnvoll ist, wenn er die korrespondierenden Eigenschaften im Hörer heraufzurufen imstande ist.
Dies beherzigten die Schweriner und entführten das Publikum in die von Furtwängler beschworene magisch mythische Welt.
Dies ist insbesondere auf die Leistungen von Levente Török und der Mecklenburgischen Staatskapelle zurückzuführen. Schon in der Ouvertüre entfaltete sich ein fulminantes instrumentales Kolorit. Ausgezeichnet gelang sie als sinfonische Einführung und der Dialog zwischen Horn und Klarinette. Dieser Farbenreichtum, die immensen Kontraste und eindringliches Spiel bestimmten die Aufführung. Die große Leistung der Musiker bestand neben dem präzisen Spiel und immensem Feuer darin, alle Facetten der Oper über das Komödiantische, tragische und dramatische erlebbar zu machen. So entstand ein dichter musikalischer Webteppich mit einer immensen Spannung, der die ganze Farbpalette Webers erblühen ließ. Levente Török und dem Ensemble gelang es, alle Feinheiten der Partitur auszukosten und so schwebend einen vielschichtigen romantischen Klangteppich zu entfalten. Idylle und dunkles Gegenbild, Abgründiges und Naives der Personen erklangen in dichter Abfolge mit romantischem Ton und dämonischer Tiefe.
In die orchestrale Gestaltung fügten sich der Opernchor des Mecklenburgischen Staatstheaters und die Schweriner Singakademie e.V. in der Einstudierung von Aki Schmitt bravourös ein. Mit einer bemerkenswerten Innwendigkeit und Musikalität leistete der Chor durch sein dynamisch präzises und zugleich begeistertes Singen einen zentralen Beitrag zur Verwirklichung der Vorstellung.
Auch gesanglich bewegte sich der Abend auf großem Niveau.
Cornelia Zink war eine Agathe zum Niederknien. In ihrer Arie „Wie nahte mir der Schlummer“ konnte sie den Farbreichtum und das lyrisch dramatische Kolorit ihrer Ausnahmestimme glänzend entfalten. Ihr leuchtender und zum Teil schon ins Dramatische tendierender Sopran bestach durch eine warme Tiefe, eine runde Mittellage und eine leuchtend und frei schwingende Höhe. Mit dramatischer Emphase und innwendiger Rolleninterpretation nahm sie für sich ein.
Morgane Heyses Ännchen sprühte vor Witz und Lebenslust. Ihre bemerkenswerte Koloraturfähigkeit, die glitzernden Läufe und ihre Spielleidenschaft machten die Rolle zum Ereignis. Eine weitere Ausnahmestimme an diesem Abend.
Tilmann Unger war ein Max der Sonderklasse. Sein dunkel gefärbter Heldentenor verfügt über eine sonore Tiefe, eine schon in der Mittellage überaus tragfähige Stimme mit glänzender Höhe. In allen Registern klang seine Stimme warm und wohltönend. Bestechend, mit welcher Hingabe und Musikalität er sich in die Rolle hineinwarf und ein berückendes Portrait des zwiespältigen Max abgab.
Christian Henneberg überzeugte als Kaspar. Er zeichnete sich durch seinen kernigen Heldenbariton, seine dämonische Wucht und die ausgezeichnete stimmliche Gestaltung aus.
Volker Frank Giese war ein stimmsicherer Kuno, Jaewon Kim ein ausdrucksvoller Ottokar, Young Kwon ein balsamischer Eremit.
Eine wichtige und musikalisch ungemein eindrucksvolle Produktion. Sie war für das Haus in dieser Spielzeit ein weiterer Meilenstein, der belegte, dass Schwerin derzeit eine der wichtigsten norddeutschen Bühnen für romantische Opern ist. Uneingeschränkt empfehlenswert.
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