Salzburg, Salzburger Festspiele, Solistenkonzert IGOR LEVIT, IOCO

Beim ersten Solistenkonzert der Salzburger Festspiele 2024 begeisterte Levit mit energetischen und zugleich subtil träumerischen Interpretationen dreier Werke von J.S. Bach, Johannes Brahms und Ludwig van Beethoven...

Salzburg, Salzburger Festspiele, Solistenkonzert IGOR LEVIT, IOCO
Blick vom Mönchsberg: Hofstallgasse bei Nacht © TSG / Breitegger

Eine Kunst übersetzender Interpretation

von Marcel Bub

Sein Spiel ist körperliches Durchdringen der Werke, ist Interpretation und Übersetzung. Virtuos und voller Zuneigung bringt der Pianist Igor Levit Musik in Erfahrung und schafft dabei einen spannungsvollen Rahmen, quasi als Einladung für all jene im Konzertsaal. Beim ersten Solistenkonzert der Salzburger Festspiele 2024 begeisterte Levit mit energetischen und zugleich subtil träumerischen Interpretationen dreier Werke von J. S. Bach, Johannes Brahms und Ludwig van Beethoven.

Mit den Klaviertranskriptionen eröffnet Franz Liszt, seiner Zeit selbst einer der bedeutendsten Pianisten und Interpreten der Werke Beethovens, einen ganz neuen Zugang zu den Sinfonien jenes Komponisten, der die Sinfonik auf so umfassende Weise revolutioniert hat. Nicht als eine Art reduzierte Form, sondern von eigenständiger Qualität werden in ihnen die essentiellen Aspekte der Musik konzentriert und auf wertschätzende Weise herausgearbeitet. Mit den Worten Der Name Beethoven ist heilig in der Kunst leitet Liszt das Vorwort zur Gesamtausgabe jener Transkriptionen ein. Ein komplexer Prozess interpretatorischen Übersetzens manifestiert sich hier im treffendsten Sinne. Einerseits ging es in der Erstehungszeit – etwa Beginn und Mitte des 19. Jahrhunderts – um eine, den historischen Gegebenheiten geschuldete, leichtere Zugänglichkeit und Verbreitung der Sinfonien sowie andererseits um einen parallelen Zugang autonomen Charakters zu der Essenz der Werke.

Dem Publikum im Großen Festspielhaus eröffnete sich dieser spannende Einblick in die verschiedenen Ebenen kompositorisch-interpretatorischer Zugänglichkeit am 27. Juli 2024 in Bezug auf die siebte Sinfonie Beethovens. In den vergangenen Monaten präsentierte Levit unter anderem bereits die Transkription der dritten Sinfonie und stelle abermals unter Beweis, einer der führenden Beethoveninterpreten unserer Zeit zu sein. An diesem Abend in Salzburg wurde die Apotheose des Tanzes (Richard Wagner) wunderbar begleitet durch J. S. Bachs Chromatische Fantasie und Fuge d-Moll BWV 903 sowie die Sechs Klavierstücke op. 118 von Brahms.

Igor Levit (Klavier) © SF/Marco Borrelli

Mit freudigem Erwarten im ausverkauften Saal sitzend, hieß das Salzburger Publikum den nun seit einigen Jahren regelmäßigen Festspielgast Levit willkommen. Der programmatisch stimmige und interpretatorisch reizvolle Abend begann mit einem träumerisch und getragen gespielten J. S. Bach. Levit schuf in seinem präzise durchdringenden Spiel einen Strom kristallklarer Schönheit. Entstanden um 1720 stellt dieses Werk kompositionshistorisch ein interessantes Unterfangen dar. Der Verzicht auf die klassische Verwendung von Takt, Thema und Motivik gibt ihm in Teilen einen modernen Charakter. So heißt es im Programmheft ferner, dass diese Komposition vielmehr an eine niedergeschriebene Improvisation erinnere. J. S. Bach stellt hier auf eindrucksvolle Weise Zustände von Schmerz, Trauer und Melancholie dar. Teilweise dramatisch sich aufbauend und dann wieder sanft umhüllend nimmt Levit in seinem Spiel diese musikalisch-emotionale Linie auf. Immer wieder gelingt ihm auf sympathische Weise der vermittelnde Bogenschlag zwischen Werk, Interpretation und Publikum.

Als gerichtet in die „Stille und Einsamkeit, nicht nur zum Nach-, sondern auch zum Vor-Denken“ bezeichnet der Musikwissenschaftler Philipp Spitta die Intermezzi in Brahms Werkgruppen für Solo-Klavier, die jener in weiten Teilen zum Ende seines Lebens hin komponierte. Eine Reflexion über Voraussetzungen und Folgen jener „Zwischenstücke“ sei dem Publikum selbst überlassen. Entstanden als intime Monologe des Komponisten stellen die Sechs Klavierstücke op. 118 eine Musik des Dazwischen, des Übergangs dar – weder klarer Anfang noch expliziter Schluss wurden hier komponiert. Ekstatisch, fast burlesques Tempo und traurig ergriffenes Sinnen wechseln sich ab. Gerade diese Wechsel konnten an jenem Abend eindrucksvoll dargeboten werden. Levit arbeitete Gehalt und Schönheit jeden einzelnen Tons heraus und vermittelte dabei einen Brahms voll Erregung und Melancholie.

Igor Levit (Klavier) © SF/Marco Borrelli

Als Kernstück des Abends folgte nach der Pause schließlich Beethovens siebte Sinfonie in der Klaviertranskription von Liszt. Bereits den Beginn des ersten Satzes gestaltete Levit voller Intensität und Fokussierung. Er ließ sich Zeit, kostete Pausen aus. Eine rahmensetzende Spannung ergab sich, der sich hingeben werden konnte. In den folgenden Sätzen wechselten sich Momente rauschartigen Strömens, virtuoser Details und brachialer Gewalt ab. Nicht zuletzt auf Grund der Wahl eines modernen Flügels ist diese Interpretation eher entfernt von historischen Aufführungspraxen Beethovens Sinfonien wie beispielsweise durch John Eliot Gardiner oder Teodor Currentzis. Doch auch hier wird der klare Anspruch deutlich, sich dem Kern eines Werks in all seinen Nuancen erschließend zu nähern. Levit ist in diesem Unterfangen unerbittlich. Die Musik körperlich durchringend, arbeitete sich der Pianist durch die Sinfonie. Insbesondere das energetische Ende des ersten Satzes, ein verträumter und zugleich mächtiger zweiter Satz sowie schließlich die kraftvolle Gestaltung des Finales machten deutlich, wie treffend hier kompositorisches Genie und interpretatorisches Können ineinandergreifen. Levit gelang an diesem Abend die Artikulation eines Blicks auf das Wesentliche. Eine neue Perspektive auf diesen Abschnitt der Kompositions- und Rezeptionsgeschichte Beethovens, dem zuvor bereits insbesondere Glenn Gould mit seinen Transkriptionseinspielungen ein Monument gesetzt hat, wurde geschaffen. Der Abend endete mit begeistertem Jubel, stehenden Ovationen sowie einer Nocturne von Frédéric Chopin als Zugabe.

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