Salzburg, Großes Festspielhaus, Osterfestspiele 2022 - "Die Leningrader" - Schostakowitsch, IOCO Kritik, 11.04.2022
Symphonie Nr. 7 C- Dur - "Leningrader“ - Dmitri Schostakowitsch
- Osterfestspiele 2022 - Tugan Sokhiev - Sächsische Staatskapelle Dresden -
von Thomas Thielemann
Tugan Taimurasowitsch Sokhiev, wurde 1977 in Ordshonikidse (heute wieder Wladivaskas= Tor zum Kaukasus) in Ossetien, einer südrussischen Region zwischen Schwarzem und Kaspischem Meer, geboren und im Konservatorium St. Petersburg ausgebildet worden.
Eigentlich hatten wir die Interpretation der Symphonie Nr. 7 C- Dur " Die Leningrader“ von Dmitri Schostakowitsch mit Tugan Sokhiev bereits im Dezember 2021 im 4. Symphoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle in Dresden hören wollen. Corona-Einschränkungen verweigerten uns damals das Debüt des mit seinen klaren Ansagen bekannten und gelegentlich als „Dirigenten-Wunderwaffe“ bezeichneten Musikers.
So waren wir erfreut, dass das Konzert im Programm der Osterfestspiele 2022 in Salzburg angeboten wurde und wir sein „wirkliches Debüt“ bei der Sächsischen Staatskapelle erleben durften.
Umweht doch Schostakowitschs Opus 60 mit seinem „ich widme meine siebte Symphonie unserem Kampf gegen den Faschismus, unserem unabwendbaren Sieg über den Feind und Leningrad, meiner Heimatstadt“ und die daraus resultierende Benennung „Leningrader“ eine besondere Aura.
Dazu trägt auch die legendäre, von Karl Eliasberg dirigierte Aufführung vom 9. August 1942 im seit September 1941 belagerten Leningrad, bei. Mit einem aus fünfzehn überlebenden Mitgliedern des Leningrader Rundfunkorchesters, komplettiert mit von der Front abgestellten Musikern, war dieses propagandistisch zweifelsfrei wichtige Konzert durchgesetzt worden. Die Dramatik der „Leningrader Blockade“, die bis zum Januar 1944 während 871 Tage dauerte und etwa eine Million verhungerter Zivilisten zur Folge hatte, erreichte erst in der Folgezeit ihr tatsächliches Ausmaß.
Ohnehin lässt sich die Bindung der Komposition an die Blockade nicht aufrechterhalten, denn der Komponist hatte den ersten Satz von 1939 bis zum August 1941, damit vor dem Kriegsausbruch, geschrieben. Im schon belagerten Leningrad komponierte er den zweiten und dritten Satz, bevor er im Oktober 1941 nach Kuibischew evakuiert, die Fertigstellung der Partitur vornehmen konnte.
Bekanntlich hatte Stalin die Partitur in die Welt versenden lassen und propagandistische Aufführungen, unter anderem von Arturo Toscanini, befeuert, was dann selbst Schostakowitsch peinlich war. Unter diesen Umständen gestalten sich aktuelle Bezüge einer Aufführung des Werkes eher schwierig.
Mit seinem Dirigat betonte Tugan Sokhiev die musikalische Substanz der Komposition, indem er Details nuancenreicher ausmusizieren ließ.
Der Anfang des ersten Satzes gestaltete er sehr zurückhaltend, den Mittelteil, ein eigentlich banales Thema, wurde vom gleichbleibenden Trommelrhythmus bis zum katastrophalen Höhepunkt getrieben, ohne dass Sokhiev auch nur einen Moment lockerte. In gefühlten elf Variationen steigerte er immer drängender den Druck, ohne dabei die Feinheiten der Balance aus dem Blick zu lassen.
Im zweiten Satz, dem Moderato, führte er diese Dramatik weiter, indem er die Musiker mit Streichergesten über bedrohliche Rhythmuskaskaden regelrecht am Abgrund musizieren ließ.
Das „Adagio“ mit dem einleitenden Bläserchoral schien zunächst Hoffnung spenden zu wollen. Aber spätestens mit dem kriegerischem Finale machte Sokhiev alle Hoffnungen, seine Zuhörer versöhnt und entspannt aus dem Großen Festspielhaus zu entlassen, zu nichte.
Die „Dresdner“ agierten mit der gewohnten Klangqualität und hervorragenden Solistenleistungen.
Erschöpfte Zuhörer spendeten heftigen und zu großem Teil stehenden Beifall. Wir hoffen, den Dirigenten Tugan Sokhiev künftig häufig mit der Staatskapelle auch in Dresden erleben zu dürfen.
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