München, Residenztheater, STERNSTUNDEN DER MENSCHHEIT - St. Zweig, IOCO
STERNSTUNDEN DER MENSCHHEIT: Zugegeben: Es ist schwer, fast unmöglich, zur allseitigen Zufriedenheit die Bilder zu inszenieren, sie gleichsam als Vorstellungsinhalt zu verwirklichen, jene Bilder eben, die in der Vielzahl der Leser entstehen. Denn ....
Sternstunden der Menschheit: nach Stefan Zweig in einer Fassung von Thom Luz
von Hans-Günter Melchior
Ein flackernder Stern
Zugegeben: Es ist schwer, fast unmöglich, zur allseitigen Zufriedenheit die Bilder zu inszenieren, sie gleichsam als Vorstellungsinhalt zu verwirklichen, jene Bilder eben, die in der Vielzahl der Leser entstehen. Denn in jedem Leser, in seinem Bewusstsein, produziert dieser Text andere Bilder, dazu andere Vorstellungen vom Sinngehalt und so weiter.
Man liest also den Text und die Bilder ziehen vorbei. Und dann geht man ins Theater und auf der Bühne werden die Bilder und Vorstellungen eines anderen Lesers entfaltet, entwickelt, eben vorgestellt und interpretiert. Und es sind immer Angebote, oft schüchterne Versuche dieses anderen Lesers, der inszeniert. Und dessen Bilder, eben die Bilder, die er im Kopf hat und oft mit Sinn und Bedeutung ausstattet, sind Visionen, die mal zu denjenigen passen, die der Theaterbesucher auch im Kopf hat und vielleicht sogar glaubt, sie wären der Weisheit letzter Sinn.
Und deshalb ist die Bebilderung jedes Buches, jedes Textes notwendig ein Angebot, der Zuruf an den Betrachter im Zuschauerraum, sieh mal, was mir dazu einfällt, so verstehe ich diesen Text, vielleicht berührt er eine Seite deiner eigenen Vorstellungen.
Wir sind bei den „Sternstunden der Menschheit“. Umso mehr gilt das gerade Festgestellte bei einem Text, der sich der sich Menschheitsgeschichte in toto widmet und deshalb notwendig höchst differenziert ist.
Binsenweisheiten? Freilich sind das Binsenweisheiten, aber sie drängen sich nunmal besonders bei diesem Stück auf, den „Sternstunden“, die Thom Luz auch noch mit einem Sounddesign ausgestattet hat und das sich – bereits anspruchsvoll genug – auch noch Sternstunden der gesamten Menschheit nennt oder vom Autor Stefan Zweig thematisch offenbar in den höchsten Stand der Ehre gehoben werden sollte.
Zweig hat seinem Werk ein Vorwort gegeben, hinter dem oder in das hinein er sich fast verkriecht, also so richtig klein macht hinter dem Großen, über das er schreibt. Er will so etwas wie der Diener sein, der andere Herren preist. Es heißt da unter anderem gleich am Anfang des Buches: „Nirgends ist versucht, die seelische Wahrheit der äußern oder innern Geschehnisse durch eigene Erfindung zu verfärben oder zu verstärken. Denn in jenen sublimen Augenblicken, wo sie vollendet gestaltet, bedarf die Geschichte keiner nachhelfenden Hand. Wo sie wahrhaft als Dichterin, als Dramatikerin waltet, darf kein Dichter versuchen, sie zu überbieten.“
Thom Luz hat es dennoch versucht. Er hat sich da also schon recht weit vorgewagt, hat sich ein Herz gefasst und aus dem Buch ein Theaterstück gemacht, hat es zumindest versucht und sich dabei eines mit allen Wassern der Schauspielkunst gewaschenen Personals bedient. Mit Vincent Glander, Evelyne Gugolz, Isabell Antonia Höckel (sie hält auch eine Rede in portugiesischer Sprache), Steffen Höld, Nicola Mastroberardino und Barbara Melzl. Eines Ensembles, das sich um Stefan Zweigs Text bemüht und zuweilen – vielleicht – thematisch mit ihm abmüht.
Um den Theaterraum herum und manchmal innen oder halb innen wandert eine Musikgruppe, Bläser und ein Gitarrist, bestehend aus Marion Dimbath, Ludwig Maximilian Himpsl, Henrique de Miranda Reboucas und Marcio Schuster, ein Ensemble, das teils feierlich, teils energisch das Bühnengeschehen ins Bedeutsam-Historische steigern soll. Auch ein Sprecher tritt auf. Johannes Nussbaum.
Die Bühne (Duri Bischoff) besteht am Anfang aus einem Sammelsurium rudimentärer Skulpturen, halben Pferdefiguren, Napoleons Pferd, beschädigten Statuen, Militärgerätschaften u.v.a., etwa einem Schreibtisch von Goethe, einem großen Rad „historischen Miniaturen“ (Zweig sammelte sie) nebst Militärgeräten wie zum Beispiel einer Kanone.
Alle Gegenstände sind aus Styropor. In die zum Lachen reizende Kanone kriecht ein Protagonist und wirft nach relativ langer Wartezeit Styroporkugeln heraus, die sich zu Schriftstücken entfalten lassen, aus denen gelesen wird.
Später ist die Bühne eher kahl. Betten, vier sind aufeinander gestapelt, bilden den Hintergrund. Vorne deklamieren die Schauspieler Passagen aus Zweigs Buch. Nach dem Vortrag legen sie sich auf ein Bett. Jeder jeweils auf ein Bett.
Natürlich handelt es sich bei dem Durcheinander des Anfangs um eine gewollte Unordnung und hergestellte Verwirrung. Wohl um die Vielfalt des Wissens und der Forschungen anzudeuten. Der Welt und des Weltgeschehens überhaupt. Eine gewollte Darstellung der Unübersichtlichkeit, Sie kontrastiert mit der späteren Nüchternheit, der übereinander montierten Betten. Trostlose Unterbringung in einer trostlosen Welt.
Doch es ist für den Zuschauer schwer, fast unmöglich, die Vielzahl der Andeutungen und historischen Bezüge zu erfassen und gleichzeitig den Text und die Aktionen der Schauspieler zu verfolgen. Fast ganz dem Verwirrspiel nachgebend, sieht und hört man nur noch hin und – zugegeben – genießt zuweilen die Vielfalt und Farbenfülle.
Obwohl selbst ein Kenner des Buches, ergibt man sich am Ende dem bloßen Spiel. Denn alles aus der Fülle der Abhandlungen halbwegs gründlich darzustellen, den Kosmos des Denkerischen und Tatsächlichen aufzuzeigen, würde einige Abende füllen.
Bei den „Sternstunden der Menschheit“ handelt es sich um ein literarisches Werk ersten Ranges, in dem Zweig es sich zur Aufgabe machte, die für ihn bedeutsamsten künstlerischen, technischen, kolonialen und politischen Ereignisse der HistorieistorieHzu einem Kompendium menschlicher Großleistungen oder Großereignisse zusammenzustellen.
Es gibt ein Problem. Nämlich die Frage, ob der höchst differenzierte und keineswegs einheitliche Text sich zu einem Theaterstück überhaupt eignet.
Bereits das Unterfangen die Themenvielfalt in einem 90-minütigen Theaterabend unterzubringen, ist bedenklich. Zumindest bedenkenswert. Denn die sehr unterschiedlichen Themen erlauben im Rahmen einer zeitlichen Begrenzung allenfalls nur Andeutungen. Das auf der Bühne zuweilen als Verwirrspiel veranstaltete Geschehen scheint, vielleicht unbewusst, diesem Umstand Rechnung zu tragen und wirkt zuweilen zu oberflächlich und in die Clownerie abgleitend. Da wird zuweilen bunte Betriebsamkeit auf Kosten der Substanz in Szene gesetzt.
Die Erwägung, man solle den Text doch eher dem Leser als dem Zuschauer überlassen, erscheint nicht unberechtigt. Wer Stefan Zweigs Werk nicht kennt, dürfte am Ende vielleicht eher verwirrt als belehrt oder erbaut gewesen sein. Da helfen auch die Rechtfertigungsversuche des Regisseurs im Programmheft nicht viel weiter. Er hat ja in Vielem recht und man kann seiner Analyse zustimmen. Aber die entscheidende Frage ist doch, ob man aus dem komplexen und vielschichtigen Werk, das sich die Darstellung der bisherigen wichtigsten Ereignisse der Menschheitsgeschichte zur Aufgabe macht, ein Theaterstück sinnvoll gestalten kann, muss gestellt werden. Da wird dann doch zu oft die schwergewichtige Thematik durch bloße Betriebsamkeit ersetzt.
Dies gilt vor allem im Hinblick auf die enorme Themenvielfalt, die eine einheitliche Gestaltung und eine in sich schlüssige und geschlossene Inszenierung schwer, wenn nicht unmöglich macht.
Die vereinzelten Buh-Rufe am Schluss sind allerdings nicht gerechtfertigt gewesen. Im Bereich des Geisteslebens ist eben alles Versuch, immer und in jedem Fall.
Der Versuch gelingt oder er scheitert. Immer und in jedem Fall, der sich der nahezu unlösbaren Arbeit, der Bemühung um das Ideal in der Kunst stellt. Allein die Neugier darüber, ob und wie das Unternehmen Theater gelingt oder misslingt, rechtfertigt den Besuch, mehr noch: es macht ihn notwendig. Wer da pfeift, pfeift auf dem letzten Loch…