REINER GOLDBERG – ein großer Tenor ist verstummt, IOCO Personalie, 13.10.2023

REINER GOLDBERG – ein großer Tenor ist verstummt, IOCO Personalie, 13.10.2023
REINER GOLDBERG © Spatz – Sächsiche Landesbühne
Reiner Goldberg – Winterstürme wichen dem Wonnemond – Walküre
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Reiner Goldberg : 1939 – 2023

Eine der herausragendsten Tenöre der vergangenen Jahrzehnte – Für immer verstummt

von Michael Stange

REINER GOLDBERG © Spatz - Sächsiche Landesbühne
REINER GOLDBERG © Spatz – Sächsiche Landesbühne

Kammersänger Reiner Goldberg, geboren am 17. Oktober 1939 in Crostau (Oberlausitz) ist am 07. Oktober 2023 in Berlin nach kurzer schwerer Krankheit verstorben.

Seine Karriere begann Reiner Goldberg an der Landesbühne Sachsen im Jahre 1967. Seine künstlerische Heimat war die Staatsoper Unter den Linden in Berlin. Dort ist er 1972 zum ersten Mal aufgetreten und mit fast achtzig Jahren wirkte er dort 2019 noch bei Aufführungen von Wagners Die Meistersinger von Nürnberg mit.

Über die Landesbühnen Sachsen und die Sächsische Staatsoper Dresden kam er nach Berlin. Eine seiner zentralen Rollen, den Max im Freischütz, sang er schon in seinem ersten Engagement. Mit dem Florestan im Fidelio debütiere er dann in Dresden. Einen wichtigen Erfolg errang er in Berlin mit dem Hüon im Oberon. Rasch folgten die Titelpartie in Gounods Faust, der Don José in Carmen und der Alfredo in La traviata. Der entscheidende Schritt in das Wagnerfach war der Tannhäuser in Dresden 1979. Hiervon ist ein Mittschnitt der Generalprobe erhalten.

Tannhäuser, Dresden 1978, Siegfried Kurz – Balslev, Zobel; Reiner Goldberg, Hellmich u.a.
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Seine Glanzrollen im Wagnerfach waren Tannhäuser, Walter von Stolzing (Meistersinger), Parsifal, Erik (Der fliegende Holländer) und Siegfried. Zu seinen wichtigsten Partien zählten ferner Max (Freischütz), Florestan (Fidelio), Herodes (Salome), Bacchus (Ariadne auf Naxos) und viele weitere Rollen. Es gab und gibt keinen Tenor, der über ein so reiches Repertoire verfügte. Neben Wagner, Verdi und sonstigem jugendlich dramatischen Repertoire spannte sich ein weiter Bogen. Von der Beethovens Missa Solemnis, über Haydn und Mendelssohn, dem Mozart Requiem oder Opern wie Zemlinskys Zwerg oder seinem Kreidekreis, Schoecks Das Schloss Dürande, Janáceks Glagolitischer Messe fülle er ein Spektrum von über siebzig Partien mit blühendem Gesang und ergreifenden Interpretationen.

Goldberg gastierte er bei den Bayreuther Festspielen und an allen wichtigen Opernhäusern der Welt. In Dresden, München, Hamburg und Wien, in Barcelona und Madrid, Amsterdam. London, Genf, Mailand, Paris, Rom, London, New York, Salzburg und an vielen anderen Operntheatern wurde er stürmisch gefeiert. Am 18. Mai 2003 nahm er mit über sechzig Jahren vom Wagnerfach mit dem Tannhäuser an der Staatsoper Unter den Linden Abschied von den Wagnerrollen auf großen Bühnen. Stimmlich wie ein junger Mann gestaltet er die Partie mit einer Leidenschaft, die unvergessen ist und unvergleichlich bleibt. Fast bis zu seinem siebzigsten Geburtstag blieb er der umjubelte, stimmgewaltige Herodes der Berliner Salome.

Reiner Goldbergs Alleinstellungsmerkmale waren seine silberfarbene unverkennbare Tenorstimme, die man schon nach den ersten Takten unter hundert anderen Tenören heraushörte. Wenn er in der Wolfsschlucht des Freischütz „Furchtbar gähnt der düstere Abgrund…“ sang, spürte man beim Hören körperlich den Schauer, der Max beim Anblick der Schlucht durch den Körper fuhr. Kein Tenor konnte mit seiner Farbe im Parsifal bei „Amfortas, die Wunde“ eine so tiefe Seelenqual in die Stimme legen. Er knüpfte an die Gesangstradition des Wagnerischen Belcanto an und vereinte die Forderungen Wagners nach „höchster Reinheit des Tons, höchster Präzision und Rundung, höchster Glätte der Passagen und höchster Reinheit der Aussprache, die das Fundament für den Gesangsvortrag bilden.“

Seine Tondokumente vermitteln heute noch die ungeheure suggestive Wirkung, die er auf der Bühne entfaltete. Mitreißend, stürmisch, glühend und mit jeder Faser seines Herzens warf er sich in auch im Studio in seine Partien. Durch die Filmmusik zu Jürgen Syberbergs Parsifal zum hundertjährigen Jubiläum der Uraufführung 1982 wurde er weltweit bekannt.

Reiner Goldberg, links, hier mit seinen Studenten Christian Jott Jenny und Jan Czajkowski © Christian Jott Jenny
Reiner Goldberg, links, hier mit seinen Studenten Christian Jott Jenny und Jan Czajkowski © Christian Jott Jenny

Seine Aufnahmen sind von immenser Qualität und haben bleibenden Rang. Seine Siegfriede unter James Levine sind trotz des pastosen Dirigats Musterbespiele, wie die Partien auch auf Tonträgern gesungen und eindringlich gestaltet werden können. Sein Apoll in Daphne, (EMI), sein Herodes (Chandos), sein Guntram (CBS), und sein Max (Denon) sind erste Wahl. Sein Aron in Schönbergs Moses und Aron unter Herbert Kegel ist gleichfalls beeindruckend und heute noch eine Referenzaufnahme. Zahlreiche Live Aufnahmen auf YouTube zeigen ihn unter anderem als Tannhäuser, Siegfried, Pedro (Tiefland), Erik (Fliegender Holländer), Florestan (Fidelio) und Stolzing. Dort finden sich gleichfalls ein Füllhorn weiterer Aufnahmen.

Seine Musikalität ermöglichte es ihm, sich in völlig unterschiedliche Kompositionsstile einzuarbeiten. Er vertiefte er sich in die Musik und verschrieb sich der jeweiligen Aufgabe mit Haut und Haaren. Einzige Ausnahme blieb die Propaganda-Oper Reiter der Nacht von Herrmann Meyer, die er als Blödsinn bezeichnete. Ihr einziges Verdienst war es für ihn, dass sie ihn vom Wehrdienst befreit hatte.

Stand Reiner Goldberg auf der Bühne, lebte in der Rolle. Dies machte ihn so stark und suggestiv. Übermäßiges Üben und Überanstrengen der Stimme hätten ihn bei der Ausbildung fast die Stimme gekostet. Nächtelang saß er in seiner Jugend mit Studienkollegen vor dem Plattenspieler und hörte Aufnahmen seiner großen Vorgänger Max Lorenz, Leo Slezak, Peter Anders und Lauritz Melchior. Er sagte immer, dass neben dem Unterricht das Hören von Platten, das beständige Üben und ein Meisterkurs mit Willi Domgraf-Fassbaender, den er im Fernsehen gesehen hatte, die prägendsten Eindrücke in seiner Ausbildung waren. Trotz des Erreichten blieb er immer auf der Suche. Sein letztes Debut mit 80 Jahren war der 1. Gefangene in Fidelio, den er in Graz 2020 verkörperte.

Reiner Goldberg als Tannhäuser 1984 in Mailand © Lelli und Masotti
Reiner Goldberg als Tannhäuser 1984 in Mailand © Lelli und Masotti

Reiner Goldbergs Stimme wird aufgrund seiner Aufnahmen, die nach wie vor erhältlich sind, nie verstummen. Als ich ihn zu einem 2018 zu einem Interview das Online-Magazin IOCO traf meinte er verschmitzt: „Sollen wir das wirklich machen, mich kennt doch keiner mehr?“ Lachend erwiderte ich ihm, dass er doch auch noch Peter Anders, Max Lorenz, Franz Völker und Wolfgang Windgassen kennt und er mit seinen Aufnahmen trotz seiner blühenden Gesundheit einen Ehrenplatz im Walhall der Wagner-Tonträger eingenommen hat. Das gefiel ihm und so schloss sich ein langes vergnügtes Gespräch an:

Diskutierte man mit Reiner Goldberg über seine Karriere und hörte gemeinsam Aufnahmen, wurde er immer still und bescheiden. Über die Anerkennung freute er sich aber schon. Als das Interview für erschien, hat er sich rührend über das große Feedback und die zahlreichen Anrufe und Briefe an ihn gefreut.

Herz und Mund trug er auf dem rechten Fleck. Bei Gastspielen konnten ihn zu tief spielende Orchester, schlecht vorbereitete Kollegen oder lieblose Dirigate zutiefst erzürnen und deprimieren. Seine Welt war das erfüllte Musizieren aber auch die Weitergabe der Tradition, in der er aufgewachsen war. Im persönlichen Umgang offenbarte sich aber auch der großartige Mensch Reiner Goldberg. Sein großes Herz hinterließ nicht nur auf der Bühne tiefe Spuren. Alle, die ihn kannten, wissen, dass er auf den ersten Blick ein wenig rauh und verschlossen wirkte. Dies ließ aber im Gespräch rasch nach. Andere Menschen und deren Schicksal waren ihm ein Anliegen. Daher war ein weiterer Motor seines Lebens die Weitergabe seiner Gesangstradition.

Reiner Goldberg – Winterstürme wichen dem Wonnemond – Walküre
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Dies beschrieb der Berliner Sopran Barbara Krieger wie folgt: „Nach seiner großen Tenorkarriere ist er heute noch als Lehrer tätig und ist ein begnadeter und liebevoller Pädagoge. Seine technischen Tipps und das Auflockern und Entspannen der Stimme selbst in den kleinsten Pausen und seine übrigen Hinweise haben meine Entwicklung quasi beflügelt. Natürlich lernt man schon früh auf der Atemsäule zu singen und andere technische Grundlagen, aber daran muss man ständig arbeiten und sich fortentwickeln. Deshalb bin ich über die Begegnung mit ihm und seinen Unterricht sehr glücklich. Außerdem verstehen wir uns auch auf menschlicher Ebene sehr gut, lachen viel miteinander und nehmen das Leben nicht zu ernst.“

Einer seiner Studenten hat das so ergänzt: Reiner hat mit seiner väterlichen, teils hemdsärmeligen wunderbaren Art uns Singen als Handwerk beigebracht und nicht als intellektuelles Studium. Die Bockwurst in der Mensa der Staatsoper Unter den Linden mit ein, zwei Bieren gehörten dazu wie das hohe C zum Einsingen. Er war wohl auch der Letzte unserer Zunft, der während des Unterrichts immer wieder mal noch eine Zigarette angezündet hatte. Reiner war ein ritterlicher Bilderbuch-Tenor. Seine Stimme rührt mich immer wieder zu Tränen. Lieber REINER – ich danke Dir für meine wohl wichtigste Zeit in BERLIN an der Hochschule für Musik Hanns Eisler und verneige mich vor Dir.“

Jene Kantine war sein zweites Wohnzimmer und die Staatsoper Unter den Linden seine künstlerische Heimat. Dort gab Reiner Goldberg seine Unterrichtsstunden, traf sich auch in den letzten Jahren mit Kollegen auf einen Plausch und nahm regen Anteil am Berliner Opernleben.

Den ihm gebührenden Weltruhm hat er allein durch seine Aufnahmen errungen. Die Bühne war sein Leben. Nach den Abschied von der Bühne haben ihn die Ehrenmitgliedschaft der Berliner Staatsoper anlässlich seines 80. Geburtstages, seine späten Auftritte und die Unterrichtstätigkeit zutiefst erfreut und bis zuletzt immense Kraft und Lebensmut gegeben. Ein großes efülltes Künstlerleben ist zu Ende.

Alle die ihn als Sänger und Mensch kannten, werden Reiner Goldberg nie vergessen, ihm ein ehrendes Andenken bewahren und sich an seinen unvergleichlichen Aufnahmen erfreuen.

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