RAPHAELA GROMES - Cellistin - Botschafterin für die Ukraine, IOCO interview
Raphaela Gromes - INTERVIEW: international bekannt als brillante Cellistin und Interpretin, ist seit 2016 Exklusivkünstlerin bei Sony Classical. Ihr Stil ist gekennzeichnet von virtuoser Leichtigkeit und mitreißender Spielfreude, doch was sie als Solistin so besonders macht ...
Raphaela Gromes im Interview mit Prof. Adelina Yefimenko, IOCO, über ihre Werke und ihre Wirken in der / zur Ukraine
Raphaela Gromes, international bekannt als brillante Cellistin und Interpretin, ist seit 2016 Exklusivkünstlerin bei Sony Classical. Ihr Stil ist gekennzeichnet von virtuoser Leichtigkeit und mitreißender Spielfreude, doch was sie als Solistin so besonders macht und auch einen tiefen emotionalen Kontakt mit ihrem Publikum ermöglicht, ist die Unmittelbarkeit und Authentizität in ihrem Spiel, die Fähigkeit, die emotionale und psychologische Tiefe der Musik zu offenbaren und mit einer reich nuancierten Klangfarbenpalette und sinnlicher Gesanglichkeit verschiedenste Stimmungen und Gefühlswelten musikalisch darzustellen. Nach Auftritten in den großen Konzerthäusern Europas (Luzern, Wien, Amsterdam, Brüssel, Hamburg) und Gastauftritten in China und den USA, fuhr die Cellistin im Dezember 2023 – inmitten des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine - erneut für ein Konzert mit dem Ukrainischen Nationalorchester nach Kyjiw und setzt die Zusammenarbeit mit diesem Orchester und ihrem Chefdirigenten Volodymyr Sirenko auch weiterhin fort.
Neben ihrer Interpretation des berühmten Cellokonzertes von Antonín Dvorák präsentiert die Künstlerin auf diesem Album auch Werke der zeitgenössischen ukrainischen Komponistin Hanna Hawrylets, der Komponisten Walentyn Sylwestrow, Yuri Shevchenko und eine Bearbeitung von Stepan Charnetskys berühmten Lied „Tscherwona Kalyna“. So ist auch die Einbindung der ukrainischen Musik in den europäischen Kontext der klassischen Musik ein wichtiges Anliegen dieser CD. Die Cellistin erkundet neuartige Verknüpfungen von Traditionen und Modernität und präsentiert die einzigartige Tonsprache tschechischer und ukrainischer Musik.
Im Gespräch mit der ukrainischen Musikwissenschaftlerin Prof. Adelina Yefimenko, IOCO, spricht Raphaela Gromes über die Verwirklichung ihrer Konzerte und ihre ergreifendes Wirken als Kultur–Botschafterin für die Ukraine.
Adelina Yefimenko, AY: Welche Rolle spielt Antonín Dvoráks Cellokonzert in Ihrem Repertoire? Gibt es eine persönliche Beziehung zu diesem Werk?
Raphaela Gromes, RG: Das Cellokonzert von Dvorak gilt als DAS Cellokonzert schlechthin, und das ist es auch für mich. Schon in meiner Kindheit habe ich das Werk in Endlosschleife gehört. Meine Eltern waren beide Cellisten und es war selbstverständlich, dass im CD-Regal mindestens zwanzig verschiedene Aufnahmen dieses Werkes. Die Bandbreite an Emotionen in diesem Konzert ist enorm: jugendlich heroische Strahlkraft und Frische, sehnsuchtsvolle Liebe, Verbundenheit, tiefer Schmerz, am Ende die Erlösung – und das alles mit den schönsten Melodien und genialer Instrumentation. Die lange und sehr besondere Coda ist ein weit gespannter Abgesang, der über das Leben hinaus in die Transzendenz weist, Licht und Befreiung bringt. Brahms soll, als er die Partitur gesehen hat, ausgerufen haben: „Warum habe ich nicht gewusst, dass man ein Cellokonzert wie dieses schreiben kann? Hätte ich es gewusst, hätte ich schon vor langer Zeit eines geschrieben.“
AY: Es ist deutlich zu spüren, wie sehr Sie dieses Werk lieben!
RG: Tatsächlich bin ich auch auf persönliche Weise mit Dvoraks Werk sehr verbunden, es war das Lieblings – Konzert meines Vaters, der es in meiner Kindheit viel gespielt hat und für den diese Musik auch immer mit Heimat verbunden war - seine Eltern kommen aus Böhmen und Mähren und haben auch mir immer von den wundervollen böhmischen Landschaften vorgeschwärmt. Nach seinem Tod haben wir das Seitenthema des ersten Satzes auf seinen Grabstein gravieren lassen.
AY: Was ist das Besondere an Ihrer Interpretation dieses Werkes?
RG: In der Zusammenarbeit mit Sirenko und dem Ukrainischen Nationalorchester, Kyjiw, habe ich unter anderem so sehr genossen, dass wir uns ungewöhnlich viel Zeit für die Probearbeit und Aufnahme genommen haben, um wirklich ein gemeinsames Ergebnis zu produzieren, das sich genau an den Notentext von Dvorak und seine oft eher flotten Tempovorgaben hält. Heutzutage ist das Autograph des Werkes leicht einzusehen und einige dynamische Bezeichnungen, Rhythmen, Artikulationen und sogar Töne sind eindeutig anders, als ich sie von diversen Aufnahmen im Ohr habe. Diesem Text treu zu sein, ganz Dvoraks Idee von seiner Musik zu transportieren, das war unser Hauptanliegen mit dieser Aufnahme.
AY: In den von Ihnen ausgewählten Werken der ukrainischen Komponisten lassen Sie ihr Cello singen, beten und zum Aufstand rufen. Was hat ihre Auswahl für diese CD beeinflusst?
RG: Das „Prayer for Ukraine“ von Walentyn Sylwestrow (Track 1) haben wir gemeinsam im Dezember 2023 in Kyjiw als Zugabe gespielt, ein im ganzen Saal mitempfundenes Gebet für die Zukunft der Ukraine! Während wir spielten, hielten alle den Atem an, viele weinten, auch Musiker auf der Bühne. Danach erlebten wir überwältigende Reaktionen vom Publikum: Die Menschen überhäuften mich mit Geschenken, mit Puppen, Engeln und Souvenirs, ich habe sogar selbst gestrickte Handschuhe bekommen…. Ein Soldat gab mir sein Abzeichen und sagte: „Das soll dich beschützen.“ Er erzählte, dass er ein paar Tage frei bekommen hatte und daher das Konzert besuchen konnte. Im Krieg würde man leicht in Hass und Angst erstarren. Er meinte, Kultur sei das beste Mittel, um seine Menschlichkeit zu bewahren.
Als wir zwei Monate später in Lublin/Polen die CD produziert haben (wir konnten sie leider nicht in der Ukraine aufnehmen, weil ich ins Kriegsgebiet wegen der Versicherung mein wertvolles Bergonzi Cello nicht mitnehmen konnte), hatte sich die Situation verändert: Im Dezember war große Hoffnung auf den Sieg der Ukraine zu spüren und viele sagten zu mir: „Komm bald zurück - nach dem Sieg der Ukraine. Wir schaffen das!“ Im Februar war die Stimmung umgeschlagen. Quälend lange, zähe Diskussionen um Waffenlieferungen und Hilfspakete, die schließlich kleiner als versprochen ausfielen und mit Verzögerung eintrafen. Gleichzeitig war die ukrainische Gegenoffensive eindeutig gescheitert und die Russen wieder im Vormarsch. Dadurch wurde die Aufnahme nochmals emotionaler: Angst, Schmerz und enttäuschte Hoffnung konnten in der Musik ihren Ausdruck finden. Die Aufnahme von Sylwestrows Prayer war einer der emotionalsten musikalischen Momente in meinem Leben.
Walentyn Sylwestrow (geboren 1937): Im Westen einer der bekanntesten zeitgenössischen ukrainischen Komponisten und eine führende Persönlichkeit der ukrainischen Neuen Musik. Sein Werk ist in Europa für seine emotionale und meditative Wirkung berühmt. Sylwestrow selbst bezeichnet seinen Stil als Meta-Musik oder metaphorische Musik. Im Mittelpunkt seines Schaffens nach dem Kriegsausbruch steht der Klang des Gebets und der Glaube. Zwischen seinen „Stillen Liedern“ für Bariton und Klavier (1974-1977) und dem Kriegsstück „Prayer for Ukraine“ liegt ein starker Kontrast zwischen der Stille des Friedens und der Stille des Krieges.
AY: Sie rahmen das Dvorak Konzert mit dem „Prayer for the Ukraine“ von Sylwestrow und dem „Tropar, prayer to the holy mother of God“ von Hanna Hawrylets (Track 5) ein. Sie und die Musiker des Orchesters vermitteln bei diesem Werken unendliche Traurigkeit und Leid, aber auch den Glauben der Ukrainer*Innen an einen positiven Ausgang des Krieges und eine Hoffnung auf eine friedliche Zukunft der Ukraine. Die beiden Gebete stehen wie im Dialog miteinander, beide Werke vermitteln ein Gefühl der Zeitlosigkeit und Selbstreflexion. Ihre Interpretation des Tropars ist einzigartig und klingt wie ein Requiem. Für mich ist Tropar der Höhepunkt Ihres Albums. Welche Bedeutung hat dieses Stück für Sie?
RG: Das Werk liegt mir sehr am Herzen. Diese kreisende Melodie, die sich immer wieder wiederholt und dann langsam aufbäumt, bevor sie am Ende quasi nur noch geflüstert wird und verstummt, hat mich bereits beim ersten Lesen tief getroffen. Und auch die Aufnahme davon war sehr besonders: Normalerweise wiederholen wir bei der Aufnahme verschiedene Stellen, üben, perfektionieren. Tropar haben wir nur dreimal gespielt, dreimal sehr unterschiedlich und dreimal als Gebet aus voller Seele. Die Tonmeisterin war so berührt davon, dass sie keine Änderungs-wünsche mehr hatte – was bei ihr wirklich selten vorkommt, denn sie ist sehr kritisch und hat immer die höchsten Ansprüche.
Hanna Hawrylets knüpft in ihrem Werk an alte Traditionen der ukrainischen sakralen Gesangskultur an. Die Überlieferung und das Fortbestehen des durch den Krieg gefährdeten ukrainischen Erbes, war der Komponistin sehr wichtig. Der „Tropar“ wurde im Jahr 2018 komponiert und ist eines ihrer letzten vollendeten Werke. Sie starb am 27. Februar 2022 in Kyjiw, am vierten Tag des russischen Angriffskrieges an akutem Herzversagen. Aufgrund der Kriegssituation konnte sie nicht schnell genug ärztliche Versorgung erhalten. Sie wurde mitten aus dem Leben gerissen und hinterließ viele unvollendete Werke.
AY: Wie war Ihre Kommunikation mit dem Orchester und Ihr Zugang zu den ukrainischen Stücken?
RG: Bei den ukrainischen Stücken habe ich mich komplett der Führung des Orchesters anvertraut. Bei Dvoráks Cellokonzert hatte ich natürlich meine eigenen Ideen, Visionen und klare Vorstellungen von meiner Interpretation und habe diese dem Orchester vermittelt – umgekehrt haben dann Volodymyr Sirenko und die Orchestermusiker mit mir bei den ukrainischen Werken gearbeitet. Zum Beispiel haben sie mir bei der Einspielung des Liedes „Tscherwona Kalyna“ nahegelegt, dass ich es viel langsamer und volkstümlicher spielen müsse. Es sollte nicht zu leicht, virtuos und schön klingen, sondern man solle die Soldaten marschieren sehen. Bei diesem Stück und auch bei der Umspielung der ukrainischen Nationalhymne „We are“ von Juri Schevtschenko habe ich vom Orchester viel gelernt.
AY: Haben Sie weitere Pläne mit dem ukrainischen Repertoire? Planen Sie bald wieder nach Kyjiw zu kommen.
RG: Auf jeden Fall! Mein Herz bleibt immer für die Ukraine offen! Ich recherchiere bereits nach anderen ukrainischen Werken und hoffe, sie auch oft aufzuführen. Ich will auch so schnell wie möglich in die Ukraine zurückfahren, dort wieder die Kinder in den SOS-Kinderdörfern besuchen, die ich sehr ins Herz geschlossen habe und meine Zusammenarbeit mit dem National Orchester fortsetzen.
AY: Das Interview führte Prof. Adelina Yefimenko mit Dank an die Cellistin RAPHAELA GROMES