Nürnberg, Staatstheater, DIE ZAUBERFLÖTE – W. A. Mozart, IOCO
„In meiner Interpretation ist die Zauberflöte kein Musikinstrument, kein Gegenstand, sondern eine Gabe, die es dir ermöglicht, dein Gleichgewicht und dein wahres Ich zu finden“. (Goyo Montero)

von Adelina Yefimenko
«Die Zauberflöte» in der Oper Nürnberg: Per aspera ad astra oder „Rate Dreimal“
Die neue, radikale Inszenierung von W.A. Mozarts Meisterwerk «Die Zauberflöte» in der Oper Nürnberg rief beim Publikum Begeisterung hervor, doch der Nachgeschmack des Ereignisses warf mehr Fragen auf als Antworten. Die mediale Resonanz hat sich noch immer nicht von den Diskussionen um die Interpretation des bekannten italienischen Choreografen Goyo Montero erholt. Einige Kritiker nahmen die Regieansätze als «mysteriös» und «düster» wahr, andere als «karnevalesk» und «farbenfroh» usw. Beide Seiten haben recht. Die Erwartungen an eine Sensation wurden erfüllt. Es ist offensichtlich, dass jedes Werk des Künstlers durch einen klar definierten, individuellen Stil geprägt ist. Im Operngenre ist Goyo Montero jedoch ein Debütant. «Die Zauberflöte» ist sein erster Versuch, sich als Opernregisseur zu etablieren. Als Schlüsselwörter von Monteros Konzept gefielen mir die folgenden Erklärungen im Programmheft: „intuitiv“, „verrückte Reise“.
Zur Bestätigung führen wir hier einige Fragmente aus den Originalzitaten des Regisseurs an:
„In meiner Interpretation ist die Zauberflöte kein Musikinstrument, kein Gegenstand, sondern eine Gabe, die es dir ermöglicht, dein Gleichgewicht und dein wahres Ich zu finden“.
„Papagenos Glockenspiel dagegen erzeugt starke Brüche und steht dadurch für die positiven wie für die negativen Aspekte der Aufklärung“.
„Schließlich wollte ich auch alle künstlerischen Mittel des Tanzes integrieren, ohne die Aufführung damit zu überladen. Der Tanz wird ins Gewebe der Erzählung und in alle Charaktere eingeflochten, von den Solist*innen über die Chorist*innen und die Statist*innen“.

Ein Satz wurde sogar bezeichnend für diese Interpretation der „Zauberflöte“: „Wir haben uns das Stück finden lassen, das Stück hat sich dabei auch selbst gefunden“. Sicherlich verbindet jeder von uns «Die Zauberflöte» mit individuellen Erfahrungen und einem umfassenden Wissensfundament über das Werk. Die Handlung der Oper, die zu den bekanntesten Repertoirestücken zählt, kann jeder nacherzählen – vom Kind bis zum Opernliebhaber. Die Zahl der Inszenierungen ist schwer zu erfassen. Man kann sie leichter als «unendliche Anzahl» bezeichnen. Aber bis vor Kurzem waren die Charaktere der Oper in verschiedenen Regieinterpretationen erkennbar. Die Porträts der Charaktere der Nürnberger Inszenierung «Die Zauberflöte» könnten als Quiz-Sendung mit dem Titel «Rate dreimal» gedeutet werden. Erstens wird nicht jeder, der die Inszenierung verpasst hat, in der Lage sein, diese Fragen ohne Hilfe des Programmhefts zu beantworten: Warum sind Tamino und Pamina eine Person, ist Tamino (Martin Platz) wirklich ein junger Mann unter Narkose nach einer Operation, und Pamina (Chloe Morgan) seine Seele, die er im Zustand des klinischen Todes verloren hat und die er wiederzufinden versucht, indem er die «Prüfungen» der Halluzinationen durchläuft und sich am Ende mit ihr vereint, um zu überleben (?) oder vielleicht, um unter Mozarts Musik in eine bessere Welt zu entschwinden? Wie der Regisseur berichtet, nannte er seinen neuen Helden von Beginn der Proben an beim Doppelnamen Pamino-Tamina. Daher sind beide, wie der Regisseur abschließend feststellt, „in einem Labyrinth wie von Escher, in einer Vision wie von Kubrick“. Mir schien es schon beim ersten Ansehen der Inszenierung, dass es in dieser Geschichte nicht um die reale Möglichkeit des Überlebens für Mozarts Tamino ging. Und zweitens, nicht jeder wird erraten, dass Papageno und Papagena analog dazu eine Art «zwei in einem»-Figur sind – ein karnevaleskes Skelett-Trickser mit einem Joker-Lächeln. Das Einzige, was den Nürnberger Papageno-Papagena mit seinem Mozartschen Verwandten, dem Vogelfänger, verbindet, ist der riesige Hahnenkamm auf seinem Kopf. Wir greifen erneut zum Programmheft, um die Situation zu verstehen, und erkennen, dass der Regisseur es tatsächlich ernst meint. Papageno ist für Montero kein Vogelfänger, sondern ein Seelenfänger. Mit anderen Worten, Papageno ist ein Todesbote (?). Aber man kann den Zuhörer nicht täuschen, aus Papageno-Papagena macht man keine Walküren.

Dieser Mozartsche Held ist nicht pathetisch, er macht niemandem Angst, er singt fröhlich seinen Schlager „Der Vogelfänger bin ich ja, stets lustig, heissa, hopsassa! Ich Vogelfänger bin bekannt. Bei Alt und Jung im ganzen Land.“ Der Darsteller der Rolle, der ukrainische Bariton Demyan Matushevskyi, bleibt bis zum Ende der Aufführung ein fröhlicher Wohltäter, der sich des Lebens erfreut, sich nach Glück sehnt und dafür seine bessere Hälfte findet – Papagena (Veronika Loy). Nicht umsonst wird er von bezaubernden „Seelen“ begleitet – einer Choreografiegruppe, die eine ähnliche Rolle wie ein antiker Chor spielt und die Ereignisse kommentiert. Aber diese Kommentare sind bei Montero „ohne Worte“. Die Magie der Bewegung der Choreografie durchdringt die Inszenierung mit ununterbrochener Dynamik. Die Tänzer begleiten die Figuren in jenseitige Sphären, verschieben mit der Leichtigkeit von Geistern riesige Treppen, die ins Nirgendwo führen, und symbolisieren wohl die Skurrilität der Spitzenposition des Lichtbringers Sarastro (Bühnenbild von Letizia Gagnan, Kurt Allen Wilmer). Neben den flexiblen Tänzern überraschte die Königin der Nacht (Sofia Theodorides) mit ihrer (körperlichen und stimmlichen) Flexibilität, umgeben von drei Damen (Emily Newton, Sarah Chetar, Almerija Delic) und drei Knaben (Solisten des Tölzer Knabenchors). Ihre geschmeidige Plastizität erinnerte an exotische, animalische Eskapaden. Dabei deutete ihr dunkelblaues Trikot offensichtlich nicht nur die Farbe der Nacht an, sondern auch ihre dunklen Gefühle. Denn die Königin der Nacht – die Gegnerin des Lichtkults von Sarastro – leidet, rächt sich, zankt und wünscht Sarastro den Tod. Ihre Gefühle sind verständlich: Sarastro hat ihre Tochter entführt. Aber wenn Pamina in dieser Inszenierung die Seele von Tamino ist, dann hat die Königin der Nacht in Wirklichkeit einen Sohn. Der Höhepunkt der Rätselhaftigkeit der Figur der Königin der Nacht war ihr seltsamer Kopfschmuck!

Zuerst erinnerte er an indianische oder afrikanische Krieger. Und während ihrer Glanzarie durchläuft die Königin der Nacht eine erstaunliche Metamorphose und verwandelt sich in einen kleinen, aber bedrohlichen Drachen! Oder vielleicht in einen riesigen Igel, der zu seiner Verteidigung spitze, rote Stacheln abschießt? Der Effekt mit den aufblasbaren Vorrichtungen, die ihre Stachelspitzen verlängern, könnte man als Hype des Plastikwunders bezeichnen. Auf der Bühne gibt es sehr viel Plastik in verschiedenen Formen und Transformationen. Ein ganzer Chor ist mit Plastikoveralls mit seltsamen Rüschen auf den Köpfen geschmückt. Und die orangefarbene Gemeinschaft von Sarastro in der Pracht ritueller Plastikkleidung ist offensichtlich eine unterschwellige Kritik an den Plastik-Produzenten der modernen Welt. Trotz oder gerade wegen all der Rätsel und Labyrinthe von Moneneros Regieideen herrschte im Zuschauerraum eine positive, lachende, witzige und unbeschwerte Stimmung. Alle waren froh, dass die Inszenierung endlich originell und unkonventionell geworden war. Denn wer interessiert sich heutzutage noch für die Interpretation freimaurerischer Konnotationen? Und der Kult um Sarastro erwies sich als zu kritisch, um ihn anzubeten. Die Hauptsache ist klar: Der Hass wird von der Güte absorbiert. Die Königin der Nacht und Sarastro, umgeben von den Priestern des Orangenkults, sind keine Duplikate, sondern begleiten Tamino-Pamina und verkörpern, so der Regisseur, „väterliches und mütterliches Prinzip, mit allen Schwächen. Sarastro ist nicht nur gut, er nervt auch und tritt autoritär auf. Und die Königin ist nicht nur böse, sie kann nur nicht mit ihren negativen Emotionen umgehen. Die Figuren sind alle auf Gegensätzen aufgebaut, trotzdem sind sie nicht eindeutig.“ Der Regisseur verkompliziert den Kontrast zwischen Dunkelheit und Licht mit der Figur des exotischen, exhibitionistischen Witzbolds Monostatos. Er ist kein Mohr, wie bei Mozart. Einen Mohren auf die Bühne zu bringen, gilt in unserer Zeit als Zeichen von Rassismus. Monostatos von Florian Woogks ist ein gut aussehender weißhäutiger junger Mann, der auf die Bühne springt und jedes Mal einen riesigen Spielzeug-Phallus aus Plastik unter seinem langen orangefarbenen Mantel hervorholt, um die Seele von Tamino-Pamina zu erschrecken. Diese Art von Konfrontation zwischen Dunkelheit und Licht ist ein schwieriger Fall für psychoanalytische Studien. Insbesondere die Frage, wie Monostatos „die sexuelle Seite von Tamino“ präsentieren konnte (?), blieb durch die Erklärungen des Regisseurs und vor allem durch den Bühnenaktionismus unklar. Aber wir müssen dem Regisseur Anerkennung zollen. Sorgfältig versuchte er, den Neulingen in der Opernregie die Dramaturgie der Zauberflöte zu erklären, und zeigte den Wunsch, aus dem verworrenen Labyrinth seiner eigenen Regieideen herauszukommen. Die „Zauberflöte“ wurde für den Regisseur ein per aspera ad astra.

Fazit. Dass Sarastro nicht so gut ist, wie es auf den ersten Blick scheint, dass die Königin der Nacht nicht so böse ist, dass Papageno nicht so einfach und lustig ist, war und ist immer wieder Gegenstand von Diskussionen. In der Rezeptionsgeschichte der Zauberflöte kann diese Frage nie ganz geklärt werden. Für Mozart selbst waren die Gegensätze von Nacht und Licht nicht gleichermaßen positiv oder negativ konnotiert. Der hermeneutische Kreis der Interpretationen der Zauberflöte ist endlos und wird immer wieder erweitert. Die inneren Gegensätze der Seelen der einzelnen Figuren verleihen dieser ewigen Geschichte Spannung, Zweideutigkeit und Magie und werfen neue Fragen über das Wesen des Seins auf, und nicht nur psychologische Probleme der Krisenbewältigung (Tamino). Die Fragen, um die es jetzt geht, sind die Kontroverse zwischen dem Volk (Papageno) und der Obrigkeit (Sarastro). Ist Sarastro als Vertreter der Vernunft der einzige Weg einer aufgeklärten Gesellschaft in der Aufklärung? Welches Weltbild verteidigt Papageno als „Naturmensch“ im Geiste Rousseaus? Kann er in seiner naiven Vorstellung von der Schönheit der Vogelwelt die Demokratie verteidigen und gemeinsam mit Tamino die Macht der Plastiklobbys der modernen technokratischen Gesellschaft überwinden, die katastrophal auf die Zerstörung der Bodenschätze zusteuert? Vielleicht hatte der Regisseur recht, Papageno zum Todesboten zu machen, auch wenn er es als Scherz gemeint hat. Aber hinter jedem Witz steckt ein Funken Wahrheit.