München, Residenztheater, WARTEN AUF GODOT – Samuel Beckett, IOCO

Claudia Bauer, die Regie führte, hat sogar den Dichter Beckett zu Wort kommen lassen. Er wurde, geschminkt, auf einem Video ab und zu erklärend eingeblendet, ein glänzender Einfall.

München, Residenztheater, WARTEN AUF GODOT – Samuel Beckett, IOCO
Residenztheater © Sandra Then

von Hans-Günter Melchior

Wladimir: Denken ist nicht das Schlimmste.
Estragon: Gewiß, gewiß, aber das ist doch schon etwas.
Wladimir: Wieso, das ist doch schon etwas?
Estragon: Das ist es, wir wollen uns Fragen stellen!“

Fragen stellen, immer Fragen stellen, dem Geheimnis Löcher in den Bauch fragen und nicht nachgeben –, das ist doch schon etwas, mehr noch, es ist schon alles und mehr ist nun mal nicht möglich zwischen Geburt und Tod. Denn außer Geburt und Tod gibt es keine Gewissheiten, sondern immer nur Fragen, Fragen und Fragen und keine letzten Antworten, denn die Antworten sind auch wieder nur Fragen. Vermutungen. Hirngespinste. Da hat er schon recht, der Pozzo, der verhinderte Sklavenhalter, Herr und Knecht in einem, der so unerbittliche Erkenntnisse auf Lager hat. „... eines Tages wurden wir geboren, eines Tages sterben wir, am selben Tag, im selben Augenblick, genügt Ihnen das nicht? Sie gebären rittlings über dem Grabe, der Tag erglänzt einen Augenblick und dann von Neuem die Nacht.“ (Man kann das übrigens bei Hegel nachlesen: Phänomenologie des Geistes, IV. Die Wahrheit der Gewissheit seiner selbst, A. Selbständigkeit und Unselbständigkeit des Selbstbewusstseins; Herrschaft und Knechtschaft. Der Herr ist vom Knecht abhängig, er ist zugleich Herr und Knecht in einer Person). Verdammt nochmal, möchte man da ausrufen, wie recht er doch hat, der Pozzo, genauer der Beckett mit seinem Pozzo und wie treffsicher, geradezu staatstragend wirkend, er doch hatte, als er bei seiner Antwort auf die übliche Frage, was wollen Sie uns mit Ihrem Stück sagen?, resigniert die Schultern hob: Wenn ich das wüsste …, und so weiter.

Lukas Rueppel, Max Rothbart, Florian von Manteuffel © Birgit Hupfeld

Er hätte das Stück gar nicht geschrieben, wenn er es gewusst hätte, weil er alles andere wollte, als uns, die Zuschauer und Zuhörer, mit Gewissheiten versorgen wie mit preisgünstigen Waren aus dem Supermarkt. Das sollen andere machen, dachte er wohl, der hochphilosophische Denker Beckett, andere, die mit Lebensweisen à la carte Geld verdienen …, nach dem Motto: Machen Sie, was Sie wollen mit Ihrem Leben, vor allem aber das, was wir wollen, beziehungsweise vorschlagen denn wir sind im Besitze der letzten Wahrheiten. Wären wir es nicht, würden wir nicht die Zeitung von vorn bis hinten vollkleistern. Beckett schweigt sich also aus und sein Stück ist eine einzige Frage. Wie ich ihn, der ich das schreibe, sein Stück, liebe um dieser Verweigerung willen und wie dankbar ich bin, dass sich das Residenztheater der Aufgabe gestellt hat, ein Stück aufzuführen, das rein formal betrachtet im Grund gar keines ist, sondern dessen Verweigerung. Weil es keine Vergangenheit beschreibt und keine Gegenwart hat, es sei denn, dieses fahle, landschaftslose und erbärmliche Nichts einer verweigerten Beratung. Und weil es, dieses exemplarische Stück, außer dem Tod keine Zukunft verheißt, (Schon gar keine wie dieser Narr aus den USA, möglicherweise sogar ein Idiot im psychiatrischen Sinn, der glaubt, alles zu wissen und alles zu können und in Wahrheit nur wissen kann, gewiss ist, dass er sterblich ist). Wer alt genug ist, um noch ein „Opfer“ der Wehrpflicht geworden zu sein, kennt vielleicht noch den schnoddrigen Spruch aller Feldwebel oder Unteroffiziere, der da lautet: „Die Hälfte seines Lebens wartet der Soldat vergebens“. Man möchte ergänzen: Er wartet das gesamte Leben, er wartet ins Nichts hinein, wo sein Ich sich dereinst verflüchtigt im Nebel des Vergessens. Und wenn er Glück hat, bleibt allenfalls das in Erinnerung, was schwer oder kaum verdirbt: Seine Einsichten und geistigen Erzeugnisse. Werke wie „Warten auf Godot“ zum Beispiel. Zum besseren Leben, von dem Beckett geträumt haben mochte, als er sich in die Resignation dieses Stückes hineinschrieb, also zu erhofften Erkenntnissen im Sinne eines – vermutlich nicht einmal existenten – Godots, der den beiden Narren Wladimir und Estragon eines Tages so etwas wie die Schale der Glück bringenden Gewissheiten überreichen könnte, sind die Menschen zu klein, zu beschränkt.

Max_Rothbart, Florian von Manteuffel, Lukas Rueppel, Michael Goldberg © Birgit Hupfeld

Claudia Bauer, die Regie führte, hat das begriffen. Sie hat sogar den Dichter Beckett zu Wort kommen lassen. Er wurde, geschminkt, auf einem Video ab und zu erklärend eingeblendet, ein glänzender Einfall. Das gesammelte, ernste Gesicht des Denkers und Dichters, während die kleinen Menschlein als Narren (hervorragend Max Rothbart als Estragon und Florian von Manteuffel als Wladimir) über die Bühne wuselten. Zwischendurch führten Lucky (Lukas Rüppel) und sein Herr Pozzo (Michael Goldberg) vor, wie erbärmlich menschliche Beziehungen sein können und nicht gerade selten sind. Pozzo führt seinen Diener Lucky an einem Seil vor und erniedrigt ihn zum Clown, insbesondere als dieser eine „Rede“ hält, die nichts weiter als ein wirres Gequassel ist. Da liegt eine Frage nahe, wer könnte widerstehen, sie zu stellen: Ist dieses Geschwätz sehr weit entfernt von dem sogenannten „Statement“ mancher Politiker, von denen man Lösungen erwartet und mit verquasten Allgemeinplätzen bedient wird? Akrobatische Übungen der Protagonisten. Verkleidungen nach der Pause. Ein durchaus sinnvoller Hinweis auf die selbst körperliche Veränderung (Denaturierung) des wissbegierigen, ruhelosen Menschen …, wann kommt endlich Godot, du meine Güte, was wird aus uns, wenn er nicht erscheint? Sind wir dann Andere? Die ewige Frage nach der Erlösung und dem Erlöser. Eine Aufblähung, Veränderung der vitalen Kräfte, des Lebens insgesamt. Wichtigtuerei, Aufblähung ohne Substanz. Kann man das so sehen? Fragen Sie die Regisseurin. Wenn es zutrifft, ist es ein guter Einfall. Wenn nicht, ein guter Zufall. Jedenfalls kehrten die zwei Protagonisten zu ihren naturgegebenen Körpern zurück. Na also. Ein Junge (Eugen Bazijan; meine Frau glaubte, es handele sich um ein Mädchen, was solls) trat noch auf, der immer wieder die Ankunft Godots anzukündigen hatte. Er erschien in dreifacher Ausfertigung. Warum es drei Personen sein mussten, ging dem – zugegeben begriffsstutzigen – Rezensenten nicht auf. Wenn man rätseln darf, könnte man meinen, dass eben drei Personen als Vielzahl das Volk repräsentierten. Oder war es nur so ein Einfall. Clownerie? Na ja. Sehr prägnant und wohltuend gekonnt das begleitende musikalische Ensemble: Am Cello Eugen Bazijan, Klavier/Synthesizer Michael Gumpinger, Schlagzeug/Percussion David Pätsch. Man dachte bei all dem Menschlichen, Allzumenschlichen: Wie schön kann doch Musik sein. Auch das also ist immerhin der Mensch. Eine Erlösung bei aller clownesken Dystopie.

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