München, Residenztheater, MOBY DICK - nach Hermann Melville, IOCO
MOBY DICK: Der sich selbst ermächtigende Mensch der Moderne: In Herman Milvelles Roman Moby Dick wird er zum Paradigma der Moderne. Ein großer Roman, ohne Zweifel, aber auch ein Werk, das zuweilen von der Kunst zur Wissenschaft, zum Essay, wechselt und hart am allzu Theoretischen schrammt.
Moby Dick - nach dem gleichnamigen Roman von Herman Melville - aus dem Amerikanischen von Mathias Jendis - Für die Bühne bearbeitet von Malte Ubenauf, Stefan Pucher und Ewald Palmetshofer - „Ich würde selbst die Sonne schlagen, wenn sie mich beleidigt. Wer steht denn über mir?“ (Kapitän Ahab Nr. 16 des Bühnenstücks)
von Hans-Günter Melchior
Der sich selbst ermächtigende Mensch der Moderne: In Herman Milvelles Roman Moby Dick wird er zum Paradigma der Moderne. Ein großer Roman, ohne Zweifel, aber auch ein Werk, das zuweilen von der Kunst zur Wissenschaft, zum Essay, wechselt und hart am allzu Theoretischen schrammt. Dabei zwar zu richtigen Ergebnissen kommt und seherisch vorausahnt, was uns heute ängstigen muss, sich dabei aber seinerzeit den Ruf der Langatmigkeit einhandelte und die Zeitgenossen zur Ablehnung veranlasste.
Zweifellos sagt uns Heutigen der Roman Melvilles mehr als seinen Zeitgenossen. Auch oder gerade in seinen theoretischen Abschweifungen über den Handel, die Jagd auf Wale und dergleichen.
Die Themen der Zeitkritik: Unter dem ideologieähnlichen Postulat des Kapitalismus wird alles zur Ware. Schlechthin alles. Am Ende der Mensch selbst, Sklave des eigenen Verstandes, reiner Wirtschaftsfaktor, vom Kalkül der besessenen Planer beherrscht. Alles Verkäufliche wird verkauft. Gefühle und Verstand, Aussehen und Eigenarten. Alles. Bis an die Grenze der restlosen Ausbeutung der natürlichen, auch der menschlichen Ressourcen. Zurückbleibt die Wüste der ausgeschöpften, erschöpften zur Nutzbarkeit und Ausnutzung verdammten natürlichen Umwelt und des Menschen selbst, das Opfer seiner selbst, des Zwangs zum immerwährenden Fortschritt. Und am Ende der Ausbeutung steht die Leere als Verlust: psychisch wie materiell.
Eindrücklich warnt Melville davor. Und das Stück nimmt die Kritik auf. Michael (alias Starbuck) macht keinen Hehl aus der Absicht, Profit aus dem Walfang zu schlagen: „Aber ich bin hierher gekommen, um Wale zu jagen, nicht um meinen Kapitän zu rächen.“ (gemeint ist Kapitän Ahabs Rache am weißen Wal, der Ahab ein Bein abgebissen hat). Und: „Wieviel Fässer wird dir deine Rache bringen, wenn es dir gelingt, Kapitän Ahab? Sie wird dir wenig einbringen auf Nantuckets Markt.“
Und Ahab versucht (rein wirtschaftlich für Starbuck wenig überzeugend) dagegen zu halten: „Wenn Geld das Maß aller Dinge sein soll und die Buchhalter den Erdball ausgerechnet haben, indem sie ihn mit Dollarnoten gürten, eine für jeden Drittzoll – dann, so lass es dir gesagt sein, wird meine Rache reichlich Zinsen tragen!“ Eine unbegründete Hoffnung.
Andererseits der hartnäckige Widerstand gegen den alles beherrschenden Profitgedanken: die trotz allem verbliebenen und rumorenden Gefühle und Leidenschaften, Hassgefühle, die freilich rational schwer einzuordnen sind. Ahabs Entschlossenheit, dem bis an seine Existenzgrenze bedrohten sich selbst ausbeutenden Menschen, einen Rettungsgedanken entgegen zu setzen: Den sich selbst ermächtigenden Menschen, der sich zum Weltenplaner aufwirft und der selbst die Natur, das blinde Walten der Gestaltungskräfte außerhalb der menschlichen Verfügungsgewalt als Kränkung empfindet und „selbst die Sonne schlagen“ würde, sofern sie ihn kränkt. Und ihm nicht zu Willen ist.
Die Mannschaft löscht zwar im Hafen die Ladung, wie Starbuck fordert. Letztlich setzt sich jedoch der Wille Ahabs durch. Er verfolgt wie in blindem Wahn und zur Befriedigung seiner Rachegelüste den weißen Wal, der ihn zum Invaliden gemacht hat.
Andere Walfänger sind außer ihm unterwegs. Das Meer als belebter Handelsplatz, Ort der Ausbeutung. Konkurrenzkämpfe und Erfahrungsaustausch finden statt. Begegnungen. Mit dem Kapitänen der „Bachelor“ und der „Samuel Enderby“. Gespräche mit dem zynischen Arzt auf der Enderby.
Zentral ist freilich die ins Mythische überhöhte Konfrontation mit dem Erzfeind: dem weißen Wal. Es kommt zur Konfrontation, zum Kampf.
Der Wal gewinnt erneut. Er bringt das Schiff zum Kentern. Es geht mitsamt der Mannschaft unter. Bis auf den Erzähler Ismael (Felicia in der aktuellen Inszenierung: „Nennt mich Ismael, wenn ihr wollt“. Anmerkung: Im Buch ist der Text am Anfang des Stücks Ismael zugeordnet, den hier Patrick, ein Walfänger, spricht: „Nennt mich meinethalben Ismael. Vor einigen Jahren – gleichviel, wie lange es her ist – als eines Tages mein Beutel leer und an Land mich nichts mehr hielt, kam mir der Gedanke, mich ein wenig auf See umzutun und den nassen Teil der Welt zu besehen“ s. Ausgabe Diogenes, 1955, in der Übersetzung von Thesi Mutzenbecher und Ernst Schnabel. In der aktuellen Inszenierung von Stefan Pucher tragen die einzeln Protagonisten, gleichsam entpersönlicht, bis auf den Kapitän Ahab, lediglich ihre Berufsbezeichnungen, z.B. Walfänger, Zimmermann, Steuermann, Walfänger und Narr usw).
Ismael überlebt, weil er sich an einem aus der Tiefe auftauchenden Sarg festklammert und zwei Tage später von einem Schiff gerettet wird. Er/sie (Felicia /Ismael - Chin-Malenski) preist die „demokratische Würde“, die aus „unserer göttlichen Gleichheit!“ entsprungen ist: „Ach, steh uns bei, Du großer demokratischer Gott!“
Die Aufführung endet mit zwei Monologen: Nicolas und Lindas.
Nicola schildert den Wal geradezu als ehemaligen Weltbeherrscher. Bevor der Mensch seine „fröhlichen Hochzeiten und anderen Lustbarkeiten“ veranstaltete, „Hingemordet, um die fröhlichen Hochzeiten und anderen Lustbarkeiten der Menschen zu beleuchten und die feierlichen Kirchen zu erhellen, die die bedingungslose Friedfertigkeit aller gegen alle zu predigen.“
Eine Festellung menschlicher Schuld. Anders Lindas Schlussmonolog:
„Wer hat schon einen Stammbaum wie Leviathan?“ (Anmerkung: Urform des Wals). Und: „Grauen greift nach mir im Angesicht der Schrecken, älter noch als Moses, ohne Quell und Ursprung, welche dieser Wal verbreitet, der vor dem Anbeginn der Zeiten in der Welt war und noch da sein wird, wenn alle Menschen-alter längst vergangen.“
So ist das Stück dort angekommen, wo es die Ahnung des Zuschauers von Anfang an hintrug: im mythischen Schrecken vor einer nicht fassbaren Urgewalt. Die von Barbara Ehnes gestaltete Bühne ist ein stilisiertes Schiff. Taue, aufsteigende Decks. Das leuchtet noch ein.
Auch die eingeschobenen Videos und filmischen Darstellungen sind hilfreich. Blutrote Beleuchtung von oben zur Symbolisierung des Schreckens und Untergangs. Ab und eingeblendete Wale und Walskelette.
Der gelegentlich als Mangel des Buches empfundene Ausflug Melvilles ins allzu Theoretische ist hingegen auch das Problem dieser Inszenierung. Die im Grunde eher öde, zumindest nicht im Mittelpunkt des Interesses stehende Schilderung des Walfangs im Detail, seine Techniken, die Herstellung von Knotenerstellung vbon Knotund dergleichen wird in der Inszenierung nur streckenweise vermieden. Werktreue?
Die Grundschwierigkeit der Umsetzung eines literarischen Buchinhalts ins Theatralische ist indessen schwerwiegender. Es ist ein Prinzip der Literatur: alles Theoretische in Handlung aufzulösen. Was die Fantasie dem Leser als Welt-geschehen und Handlung vermittelt, was sich also im Leser abspielt, lässt sich indessen nicht oder nur als Andeutung auf die Bühne bringen, also dem Zuschauer stellvertretend vorstellen. Es klafft eine Lücke. So entsteht zuweilen nichts weiter als Bewegung, Klettern, Herumlaufen, Gestikulieren, ohne dass mehr als Unruhe und Verwirrung vermittelt wird. Es muss notwendig auf der Bühne im Verhältnis zum Zuschauer misslingen, was dem Leser eine Welt verschafft.
Was spielt sich zum Beispiel alles im Leser bei der Lektüre der Rettung Ismaels ab. Die Strudel im Meer. Das Auftauchen eines Sarges. Das Schiff am Horizont, das die Rettung verheißt. Die Bemühungen des Todgeweihten, auf sich aufmerksam zu machen. Das Näherkommen des Schiffes. Und so weiter. Oder erst der Kampf mit dem weißen Wal. Oder die Zustände an Deck. Im Leser entsteht ein Kosmos, den ein Theaterstück, mag es auch von einem noch so exzellenten Dramaturgen wie Ewald Palmetshofer und einem ausgewiesenen Regiestar wie Stefan Pucher gestaltet werden, nicht zu vermitteln. So bleibt am Ende eine leise Enttäuschung, eine Art Verlustschmerz; als sei am Ende doch etwas Wesentliches zu kurz gekommen: die innere Bewegung, ja jene Erschütterung, die sich bei manchen Aufführungen einstellt. Als habe man, ähnlich wie beim Lesen eines gelungenen Buches, einen Aspekt der eigenen Existenz vorgestellt bekommen, ja miterlebt.
Die rein schauspielerische Leistung der Darsteller, der Versuch einer Umsetzung des geradezu überbordenden Stoffes in einen Lebensvorgang, ist freilich ungeachtet aller inhaltlichen, prinzipiellen Einwände, die so gut wie jeder Umsetzung von Romanen in Theaterstücke anhaften, einer lobenden Erwähnung wert. Barbara Horvath beeindruckte als Kapitän Ahab. Nicht minder die anderen, die hier der Reihe nach aufgezählt werden sollen und deren Leistungen einander nicht nachstanden:
Walfänger: Patrick Bimazubunte; Pip, ein Walfänger: Linda Blümchen; Walfänger und Zimmerman/Kapitän der „Bachelor“: Felicia Chin-Malenski; Starbuck, ein Steuermann: Michael Goldberg; Walfänger/Doktor Bunger: Nicola Kirsch; Walfänger und Schmied: Thomas Lettow; Walfänger/Kapitän der „Samuel Enderby“: Florian von Manteuffel; Walfänger und Narr: Max Mayer; Walfänger: Simon Zagermann.