München, Residenztheater, Gier unter Ulmen - Eugene O´Neill, IOCO Kritik, 08.03.2022
Gier unter Ulmen - Eugene O´Neill
- „Gott ist einsam“ - so Ephraim Cabot in Gier unter Ulmen -
von Hans-Günter Melchior
Einmal angenommen, es gäbe ihn, diesen Gott. Und er wäre einsam. Von den Menschen verlassen. Oder es wäre umgekehrt, dieser Gott hätte die Menschen verlassen und wäre in seiner Selbstbezogenheit für sich allein, sich selbst genug, ein einsamer Gott über einsamen Menschen thronend. Ein zurückgezogener, sich zurückziehender Gott, der die Welt sich selbst überließe und dem tröstenden Gespräch mit den Menschen verschlösse.
Dann irrten die Menschen herum, rastlos zwischen Habgier und christlich-moralischem Geboten nach ihrer Bestimmung suchend, unberaten von Gott, der den Rat und die Entscheidungshilfe verweigert, sich selbst ausgelieferte Sterbliche, schuldbewusst und hilflos gegen die eigene Natur. Ein keineswegs weit hergeholter Gedanke. Oder ist es anders, da die Erde dem Chaos zuzutreiben scheint? Ein zeitgemäßes Stück.
In Gier unter Palmen von Eugene O´Neill (1888 - 1953, Kurzbiographie unten) verwandelt sich wie im griechischen Drama persönliche Schuld, persönliches oder politisches Verbrechen in unentrinnbares Schicksal. Fluch liegt über dem Tun, den Bemühungen der Menschen. Und keine Hoffnung nirgendwo. Alles dreht sich im Kreis, das Gute und das Schlechte, alles ist zugleich gut und böse und ein und dasselbe – letztlich ohne wirklichen Segen. Ein über die Menschen verhängtes Schicksal.
Die Menschen sind eben wie sie sind. Unveränderbar gut und böse zugleich. Und nicht einmal ein strafender Gott greift ein. Gott ist einsam. Und zynisch.
O´Neill vermittelt keine Hoffnung. Keine Hoffnung für Sisyphos? Keine lichten Berghöhen mit reiner Luft und ungeteilter Richtigkeit? Bei Camus ist alles anders. Bei ihm wird für Sisyphos absurderweise die Qual gleichzeitig zur Erlösung. Alles ist gut. „Der Kampf gegen Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen. Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen“ (Albert Camus: Der Mythos von Sisyphos, Fluch und Seligkeit).
Bei O´Neill leidet man hingegen mit den am Glück verzweifelnden Figuren. Bei ihm dauert einen das kreatürliche Elend seiner zu kleinen Menschen. Ohnmächtig ist die Bastion der moralischen Verdikte, der ödipalen und christlichen Verbote gegen die Habgier, überhaupt die Gier, von welcher Seite auch immer sie angreift. Ohnmächtig auch gegen die Einsicht: „Was hülfe es dem Menschen, so er die ganze Welt gewönne und nähme Schaden an seiner Seele?“ (Luther).
Ephraim Cabot (Oliver Stokowski) lebt mit seinen drei Söhnen (Simeon Cabot - Simon Zagermann, Peter Cabot - Niklas Mitteregger, Eben Cabot - Noah Saavedra) auf einer Farm, die er einer landschaftlich schönen Steinwüste abgerungen hat. Sie haben Tiere, Schafe, Kühe, sie können davon leben. Sie haben etwas aus der von Ulmen umstandenen Farm gemacht. Stolz ist der Alte Ephraim Cabot. Aber sie müssen hart arbeiten, sehr hart, ihr Leben besteht im Grunde nur aus Arbeit. Eine einzige Mühsal.
Eben, Foto oben, ist der Halbbruder von Simeon und Peter. Seine Mutter, die zweite Frau Ephraim Cabots, hat sich, das sind die Drei sich einig, zutode gearbeitet. Sie wurde vom alten Cabot rücksichtslos ausgebeutet, er hat sie auf dem Gewissen.
Die Drei sind allein auf der Farm. Der Vater ist ohne zu sagen warum, abgereist. Die Brüder streiten sich, wem die Farm gehört. Simeon und Peter machen Ansprüche auf Erbteilung geltend. Eben erklärt indessen, es sei seine Farm, allein seine Farm (streng erbrechtliche Erwägungen kann man in diesem Stück getrost vernachlässigen, sie werden dem höheren Gedanken der Gier untergeordnet).
Eben erfährt, dass der Vater wieder geheiratet hat. Eine noch junge Frau, 35 Jahre alt, Ephraim Cabot ist über 70. Simeon und Peter sehen ihr Chancen auf einen Erbanteil schwinden: „Jetzt bekommt sie alles.“ Sie träumen von den Goldminen Kaliforniens. Sind entschlossen, die Farm zu verlassen, um ihr Glück als Goldsucher zu machen. Eben holt aus einem Versteck des Vaters Geld und ermöglicht den Halbbrüdern eine Schiffsreise.
Ephraim Cabot erscheint mit seiner noch jungen Frau Abbie Putmann (Pia Händler). Wieder erhebt sich das Gezerre um die Farm. Abbie zu Eben: „Du wirst den Tag nicht erleben, an dem dir auch nur ein einziges stinkendes Hälmchen von eine Unkraut gehört.“ Sie hält sich für die einzig legitime Erbin der Farm.
Wieder fällt einem Camus ein: „Unfähig, das Wirkliche zu sublimieren, bleibt das Denken dabei stehen, es darzustellen“ (a.a.O., Kap.: „Der Ausdruck beginnt, wo das Denken aufhört“).
In Wahrheit sind Abbie und Eben, fast gleichaltrig, ineinander verliebt. Sie schlafen miteinander. Es kommt ein Sohn zur Welt, den der inzwischen 76-jährige Ephraim Cabot für sein legitimes Kind hält. Er erklärt, einzig dieser Sohn werde die Farm erben.
Es erscheint als Geist aus dem Grab Ebens Mutter, mahnend, einen Klagegesang anstimmend (Dora Garciduenas). Die von der Ausbeutung zugrunde gerichtete Frau.
Abbie und Eben finden endlich zueinander, gestehen sich ihre Liebe. Wieder steht jedoch die Erbfrage zwischen ihnen. Eben erklärt im Affekt, er hasse seinen neugeborenen Sohn, den präsumtiven Erben. Im Glauben, dadurch ihre Liebe retten zu können, tötet Abbie das gemeinsame Kind. Eben ist verzweifelt, er zeigt seine Geliebte bei der Polizei an. Als der Sheriff erscheint, sie abzuholen, bezichtigt sich Eben der Mittäterschaft an dem Mord und wird ebenfalls abgeführt…
Der Regisseur Evgeny Titov wickelt das Drama auf einer archaisch als Steinwüste erscheinenden Bühne (Bühne: Duri Bischoff) ab. Große Felsbrocken zwischen denen ein Lagerfeuer flackert. Hinten ein Bett mit riesigen Kissen, in dem der Alte sich um die Zeugung eines Nachkommens müht. Herablassend ermuntert von seiner Frau, die es von Anfang an besser weiß: er schafft es nicht.
Die Inszenierung ist beklemmend eindrucksvoll, nicht zuletzt dank der virtuosen schauspielerischen Leistungen. Da wurde nicht einfach etwas heruntergespielt, sondern die Ereignisse wurden offensichtlich mitgefühlt.
Kälte und Gefühl, Frömmigkeit und Götzendienst. Mitgefühl käme sogar mit dem Alten auf, drängte sich nicht bei ihm immer wieder das wirtschaftliche Kalkül, diese geradezu triebhafte Habgier und Fixierung auf den Besitz, in den Vordergrund. Zu keiner Zeit ist der fromme Alte seinen eigenen Ansprüchen gewachsen, schicksalhaft verdorben und schlecht angelegt, kann er nicht sein, was er sein will. Gott (oder die Götter) haben ihn verlassen. Oder er treibt sein Spiel mit ihm.
Einzig der Sohn Eben scheint mit seiner Selbstbezichtigung einer höheren Einsicht fähig geworden zu sein: der Erkenntnis, dass die Tat im Denken bereits getan ist, bevor sie wirklich wird.
Drei tote Lämmer liegen am Schluss auf der Bühne. Symbolhaft. Wird/werden das Lamm/die Lämmer an der Stelle Gottes geopfert? Der Glaube an Gott dem Glauben an das Geld, das Kapital? Eugene O´Neills Biografie könnte es nahelegen. Nie kam der Autor aus dem Unglück seiner Natur ganz heraus.
Ein höchst eindrucksvoller Abend. Titov lässt dem Geschehen weitgehend seinen Lauf, verzichtet wohltuend auf Gags und übertriebene Deutungen. Umso glaubwürdiger und beklemmender berührt die Geschichte.
Die Szene, in der die Dorfbewohner über den Ehebruch spotten, hat der Regisseur gestrichen. Man vermisst sie nicht.
Und auch dieses nicht recht einsichtigen Schlusses bedurfte es nicht: Cabot bindet das Vieh los und will die Farm aufgeben, um Goldsucher zu werden wie seine Söhne. Um dann am Ende doch einen Rückzug zu machen, entschlossen, die Farm um „Gottes Gold“ willen weiterzutreiben. Eine allzu deutliche Theoretisierung der Absichten des Autors.
Einhelliger Beifall. Der Spendenaufruf des Regisseurs für die verbrecherisch verfolgten Ukrainer traf auf größte Bereitschaft
Biographie Eugene O´Neill
geboren 16. Oktober 1888 in New York City. Gestorben 27.November 1953 in Boston
Bekannteste Werke: Trauer muss Elektra tragen; Eines langen Tages Reise in die Nacht (Familiendrama)
Eugene O´Neill war irischer Abstammung. Sein Lebensweg war sehr kurvenreich. Er hatte zwei Brüder, von denen einer im Alter von 1 ½ an Masern verstarb, der andere verfiel dem Alkohol und scheitere beruflich. Eugene begleitete seine Eltern, die eine Theatergruppe führten, auf Gastspielreisen durch die USA. Lernte dadurch das Theater kennen.
O´Neill brauchte lange, bis er seine eigentliche Bestimmung fand: das Schreiben. Die Universität musste er verlassen, weil er eine Bierflasche durch ein Fenster warf. Er war Seemann, später in verschiedenen Firmen in Buenos Aires als Angestellter tätig, danach Maultierhalter in Südafrika (Durban), auch dort hielt es ihn nicht lange, als Obdachloser lebte er in New York und Liverpool, trank. Danach wieder Seemann.
Mit 23 Jahren verdingte er sich als Reporter, war Schauspieler bei der Truppe des Vaters – und fing an, Gedichte zu schreiben. Eine Wende nahm sein Leben, als er nach einem Suizidversuch in ein Sanatorium kam , um eine Tuberkulose auszuheilen. Er las viel, Ibsen, Strindberg, Nietzsche und Dostojewski. Begann Dramen zu schreiben. 1920 erhielt er den ersten von vier Pulitzer-Preisen, 1936 den Literatur-Nobelpreis.
Eugene O´Neill war dreimal verheiratet.
Formal lehnt sich sein Werk an die griechische Tragödie an. Seine Personen sind geradezu schicksalhaft verstrickt in den Widerstreit zwischen ethischem, religiös geleitetem Wollen und Scheitern an der menschlichen Unvollkommenheit. Der Zuschauer leidet mit, erkennt sich in der Tragik des Scheiterns selbst.
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