München, Residenztheater, Das Käthchen von Heilbronn - Heinrich von Kleist, IOCO Kritik, 12.01.2023

München, Residenztheater, Das Käthchen von Heilbronn - Heinrich von Kleist, IOCO Kritik, 12.01.2023
Residenztheater München
Residenztheater München © Matthias Horn
Residenztheater München © Matthias Horn

DAS KÄTHCHEN VON HEILBRONN oder DIE FEUERPROBE

von Heinrich von Kleist - in einer Fassung von Elsa-Sophie Jach mit Texten aus «Kein Ort. Nirgends» von Christa Wolf

- Am Ende ist dann doch alles gut -

Von Hans-Günter Melchior

Am Ende der Vorstellung hebt man den Blick, lässt ihn im bezaubernden Münchner Cuvilliéstheater, Spielstätte dieser Produktion, rundgehen, atmet dreimal durch und sagt sich: ganz schön anstrengende zweieinhalb Stunden.

Es geht ziemlich bunt hin und her, Käthchen ist ein Mann (Vincent zur Linden, eine bemerkenswerte Leistung), viele Schlüsselfiguren besetzen mehrere Rollen, zwei Stücke sind mit dem Anspruch einer sinngebenden Einheit miteinander verbunden, integriert – oder was?, es wird viel geturnt auf einer Art Rutsche, laut gesprochen sehr laut zuweilen und am Ende schwirrt ein wenig der Kopf.

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Und zwar selbst wenn man die beiden Stücke Das Käthchen von Heilbronn und Kein Ort.Nirgends gründlich gelesen und sogar verstanden hat (was beim grüblerischen Kleist nicht von vornherein selbstverständlich ist). Es liegt an der Schwierigkeit, sich zu orientieren und an der streckenweise zu lauten Deklamation, die die Nuancen und Denkstillen, das für Kleist typische Denkgeflüster zu gewaltsam niederbügeln. Als wolle man keine Zweifel aufkommen lassen.

Dazu gibt die Bühne (Marlene Lockemann) an manchen Details Rätsel auf. Die Rutschbahnen, das hektische Auf und Ab, die Turnereien – als ob die Regisseurin und ihr Team doch nicht ganz allein Kleist vertrauten, einem Stück, das sich – zugegeben – eines arg strapazierten deus-ex-machina-Tricks am Schluss bedient, indem es Friedrich Wetter, Graf vom Strahl (hervorragend Moritz Treuenfels, der auch den Ernst von Pfuel im Bericht/ Essay/Mini-Roman(?) von Christa Wolf gab), dem mehr als glücklichen (eher literarisch gewaltsamen) Umstand, dass es dem Grafen die Heirat mit Käthchen ermöglicht, weil sich – oh Wunder – herausstellt, dass die junge Frau ein illegitimes Kind des Kaisers ist. Der sich anlässlich einer Reise nach Heilbronn der Frau des Waffenschmiedes Theobald Friedeborn, Simon Zagermann, Vater von Käthchen/ Geheimrat) lustvoll nächtens bemächtigte. Na ja.  Da war dann auf einmal alles klar, ein Bürgermädchen hätte dem Grafen nicht taugen können, nicht zur Ehefrau geeignet sein dürfen. Bürgerliche / Kleinbürgerliche, waren für Grafen tabu, so waren die Zeiten, das sind wir doch schon etwas weiter.

Residenztheater / DAS KÄTHCHEN VON HEILBRONN hier v.l. Liliane Amuat, Moritz Treuenfels, Vincent zur Linden © Sandra Then
Residenztheater / DAS KÄTHCHEN VON HEILBRONN hier v.l. Liliane Amuat, Moritz Treuenfels, Vincent zur Linden © Sandra Then

Es musste die Kaisertochter her. Doch es ist selbst unter Berücksichtigung des Zeitgeistes vom an sich genialen Autor Kleist doch recht weit hergeholt, eben um des verträglichen Schlusses willen: sie sollen sich kriegen die beiden, der Graf und das Käthchen, das sich somnambul vom Balkon stürzte, als es des Grafen ansichtig wurde, der den Vater zu einer Reparatur des Harnischs ersuchte. Ach ja, man will eben aufatmen, dass am Ende alles gut ausgeht. Wo doch der ein wenig tumbe Graf in die Fänge der Kunigunde von Thurneck (leider ständig zu laut und damit, bei aller schauspielerischen Perfektion schwer verständlich: Vassilissa Reznikoff) zu geraten drohte, einer teuflischen, profitgierigen Frau (die neue Zeit dämmerte bereits herauf), der es nur auf Besitzmehrung ankommt und die doch glatt das Käthchen in die vom Burggraf von Freiburg (Florian Jahr, der auch in Kein Ort. Nirgends den Doktor Wedekind vertrat) in Brand gesetzte Burg vom Strahls jagte, um die Urkunde aus den Flammen zu retten, mit der ihr die Burg verbrieft wurde.

Und auch das Bühnenbild weiß, was sich damals gehörte. Die blassblaue Ritterburg mutiert zuweilen zur Kirche, es finden recht eindrucksvolle Überblendungen statt.

Residenztheater / DAS KÄTHCHEN VON HEILBRONN hier Szenefoto © Sandra Then
Residenztheater / DAS KÄTHCHEN VON HEILBRONN hier Szenefoto © Sandra Then

Man grübelt ein wenig, was Kein Ort.Nirgends von Christa Wolf mit dem Stück Kleists zu tun hat. Freilich geht es in Christa Wolfs – sagen wir einmal Roman – um eine Begegnung hochmögender Persönlichkeiten des Geisteslebens im 19. Jahrhundert im Hause des Kaufmanns und Industriellen Joseph Merten. Kleist trifft dort die Dichterin Karoline von Günderrode (als im Geist gesammelte Intellektuelle Linda Blümchen, die auch die Zofe der Kunigunde spielte). Die beiden sind Außenseiter, gleichsam aus ihrer Zeit gefallen, Träumer im Reich der Dichtkunst und schönen Künste, während der Zeitgeist bereits der wissenschaftlichen Rationalität und der industriell dominierten Gesellschaft zustrebt, sogar huldigt und Goethes sowie Schillers Vorstellungen von rationaler Ordnung bewundert. Sie, Kleist und Günderrode, leiden unter der kaum verhohlenen Missbilligung, dem gönnerhaften Halbverständnis der Geistesgrößen für ihr „Schwärmertum“. Nicht den Tod fürchtete Kleist, sondern das Leben. Beide endeten im Suizid. Wobei die Günderrode sich paradoxerweise ausgerechnet wissenschaftlich dahin schlau machte, wie man einen Dolch (sie hatte ihn dabei, er wird herumgereicht) so zwischen die Rippen bekommt, dass er das Herz trifft.

Nun ja.  Man kann mit einiger Mühe die beiden Werke zusammendenken. Es wird massiv geträumt im Käthchen. Der Graf vom Strahl geht da allen voran. Ein Fantast, der rätselhaft genesen ist von tödlicher Krankheit. Vielleicht war der Regisseurin das Käthchen-Stück nicht mehr plausibel genug, nicht mehr zeitgemäß, zu romantisch. Die Günderrode und Kleist waren keine geringeren Träumer als der Graf vom Strahl.Wer spricht?“ heißt es in „Kein Ort. Nirgends“. Bei Kleist ist es die Liebe.

Die Frage ist heute längst anders beantwortet. Fragt sich nur, zu wessen Bestem.

Ach ja: eine Kritik wäre unvollkommen, höbe sie nicht die großartige Leistung des Musikensembles hervor. Das war, so sensibel und zupackend zugleich wie es gespielt wurde, ein Genuss. Mitten ins Bedenkliche und Nachdenkliche hinein. Maximilian Hirning, Juri Kannheiser und Manfred Mildenberger heißen die Künstler. Sie trieben die Frage auf die Spitze: „Wer spricht?“.                        Herzlicher Beifall.

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