München, Münchner Kammerspiele, HELDENPLATZ - nach Thomas Bernhard, IOCO Kritik, 12.12.2021
HELDENPLATZ - nach Thomas Bernhard
- oder die stetige Aktualität des Bösen -
von Hans-Günter Melchior
Wie gut, wie schön –, was für ein Glück, dass wir die Münchner Kammerspiele, das Residenztheater, die Bayerische Staatsoper und viele große wie kleine Theater haben, die tapfer die Theaterkultur verteidigen und ihre so wichtigen Häuser öffnen, getreu dem Beckett-Motto „man muss weitermachen. Ich werde weitermachen.“
Freilich gibt es Kontrollen, die Praxis dieses konkreten Weitermachens ist nicht Wasser auf die Mühlen der esoterischen Dampfplauderer. Impfung, Booster und negativer Schnelltest sind Einlassvoraussetzungen; und mehr als 25% der Zuschauerplätze werden nicht besetzt.
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Wenn man den Theaterraum betritt sind allerdings schon einige Plätze belegt, von Leuten, die die Mäuler aufreißen oder sich mit empört zerrissenen Gesichtszügen nach hinten wenden, um Zustimmung werbend, und erkennt sofort: das sind die Zuschauer vom Burgtheater Wien aus der Uraufführung des Stückes im Jahr 1988. Und es sind ja auch keine lebenden Menschen mit blutrot entflammten zornigen Gesichtern, sondern im ganzen Theater versetzt platzierte, kalkige Gipsfiguren, Ausrufezeichen der Erinnerung an den denkwürdigen Theaterskandal von damals.
Auf der Bühne steht der schmale Ausschnitt der Außenfassade eines Wohnhauses, das Fenster der Wohnung des jüdischen Professors Schuster zeigend, der Suizid beging, indem er sich aus diesem Fenster auf den Heldenplatz stürzte. Jenem Platz, auf dem die Nazis, dirigiert vom sogenannten „Führer“ im Jahre 1938 den Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich verkündeten.
Ferner findet sich ein Gestell mit einer großen Menge Hemden auf der Bühne, der Professor für Mathematik war ein Pedant, er legte größten Wert auf das genaue Bügeln und die Faltung der Hemden. Eine kleinbürgerliche Detailverliebtheit wie in allen Bernhard-Stücken
Um diesen skizzenhaften Ausschnitt herum (Regie Falk Richter, Bühne Wolfgang Menardi) ist wird die gesamte übrige Bühne von sorgfältig in Reih und Glied angeordneten Schuhen beansprucht. Offenbar feinen Lackschuhen, in denen das Licht der Bühne glänzt. Eine offensichtliche Assoziation an Auschwitz –: nur dass die Schuhe der dort Ermordeten schmutzig und abgetragen als Mahnung und Anklage auf einem Haufen liegen, ein Bild des Elends, Trauer und Wut evozieren, hier aber verbindet sich die Erinnerung mit dem Ordnungsfetischismus und der Saturiertheit einer neuen, heutigen Gesellschaft, die ihre Gesinnung mit feinem Gehabe kaschiert.
Es ist ein Stück in drei Szenen. In der ersten Szene unterhalten sich die Wirtschafterin Zittel, hervorragend sachlich, unprätentiös Annette Paulmann, und die Hausangestellte Herta, verkörpert von Katharina Bach, über die Persönlichkeit des Hausherrn und die Umstände seines Todes. Man erfährt, dass der Wissenschaftler als Jude Diskriminierungen ausgesetzt war und es vorzog, seine Lehrtätigkeit nach Oxford zu verlegen. Mit seiner späteren, vom Bürgermeister Wiens erbetenen Rückkehr wurde er nicht glücklich. War nicht mehr zuhause, nirgends mehr richtig.
Seine Frau ist psychopathologisch, wohl im Grade einer Schizophrenie, in ihrer Lebensführung schwer beeinträchtigt. Sie hört in Erinnerung an die Annexion Österreichs das Jubelgeschrei der Massen bei der Rede Hitlers auf dem Heldenplatz und bevorzugt offenbar den Familienbesitz in Neuhaus bei Wien, will nichts wie weg vom Heldenplatz.
Es kommt auch zur Sprache, dass der Selbstmord in der Familie „liegt“, der jüngste Bruder des Professors hat sich ebenfalls aus dem Fenster gestürzt und war sofort tot.
In der zweiten Szene unterhalten sich die Töchter des Verstorbenen Anna und Olga, vom Begräbnis zu Hause angekommen, über Familienangelegenheit, das Vermögen in Oxford (ein Haus) und in Neuhaus. Über Umzugspläne der Familie und Eheschwierigkeiten der Eltern wird mehr palavert als dass das Stück inhaltlich vorangetrieben wird.. Die aktivere und gesprächigere Anna (Wiebke Puls) redet auf ihre eher stille Schwester Olga (Thomas Hauser) fortwährend ein und kommt bald auf den in Wien grassierenden, gegenwärtigen Antisemitismus zu sprechen („es gibt jetzt mehr Nazis in Wien als achtunddreißig, du wirst sehen, alles wird schlimm enden…“). Sie prangert verschiedene Erscheinungsformen des Faschismus in Österreich an, „jetzt kommen sie wieder aus allen Löchern heraus, die über vierzig Jahre zugestopft gewesen sind…“, klagt sie, und ihre Anklage gipfelt in der Feststellung: „In Österreich musst du entweder katholisch oder nationalsozialistisch sein“.
Dazwischengeschoben ist eine vom Regisseur Falk Richter geschriebene Philippika, die die gegenwärtigen Zustände in der Bundesrepublik Deutschland aufzählt wie bei einer Anklage vor Gericht, das Wiedererstarken des Antisemitismus, seine bewusste Verharmlosung durch die AfD (der mit der „Hundekrawatte“) und die Passivität der sogenannten „Braven“, die sich aus Bequemlichkeit aus allem heraushalten. Die Mordtaten von Halle kommen ebenso zur Sprache wie der Versuch, die Täter zu Opfern zu stilisieren. Eingeblendet werden Videos mit Reden von Franz Josef Strauß u.A. und es fällt der böse Spruch des Rechtsextremisten Kalbitz in Bezug auf die 68-er: „Wir werden auf ihren Gräbern tanzen“. Auch die Süddeutsche Zeitung kommt nicht ungeschoren davon. Polemisch aufgespießt wird ein Artikel des Feuilletonredakteurs der SZ Helmut Mauró, der musikalisch hart mit dem Pianisten Igor Levit ins Gericht ging und die hymnischen Kritiken zum Spiel des Künstlers auf eine „Opferanspruchsideologie“ zurückführte. Die Chefredaktion der SZ hat sich inzwischen bei Levit entschuldigt.
Man mag diesen Einschub für deklamatorisch und allzu absichtsvoll halten. Aus dem Rahmen des Stücks fällt er jedenfalls ist. Und nebenbei tut es gut, dass einmal deutlich gesagt wird, was gesagt werden muss. Zudem so deutlich. Und gerade von der Seite der Kultur, die „naturgemäß“ wie Thomas Bernhard sagen würde, gar zu oft milde lächelnd als Stiefkind in eine Randexistenz für eine Minderheit gedrängt werden soll.
Als ob, was geschieht und um sich greift nicht auf Widerstand stoßen dürfte. Als ob es nicht höchste Zeit wäre, sich zu wehren. Und zwar nicht nur in langwierigen Prozessen der Rechtsfindung, sondern vor allem politisch und gesellschaftlich. Und als ob nicht gerade das Theater bestimmten Protagonisten der neu-alten Ungeheuerlichkeiten auf den Zahn fühlen müsste. Im Namen der Kultur.
Mir hat es gefallen, sogar sehr.
In der Folge tritt der Bruder des Verstorbenen, der Professor Robert Schuster auf den Plan, gespielt von Wolfgang Pregler. Auch er lässt als gebrechlicher alter Mann kein trockenes Haar am Österreich. Seine Ansichten, die er der Trauergesellschaft vorträgt, fallen über die Presse her, über die Neue Züricher Zeitung und die Frankfurter Allgemeine – und wieder geht es um die Nazis und den Antisemitismus: „…ein Großteil der Österreicher will, dass der Nationalsozialismus herrscht, unter der Oberfläche ist ja der Nationalsozialismus längst wieder an der Macht“, heißt es im Stück
Andererseits ist der Professor zu alt, zu gebrechlich, krank und zu müde, um noch Widerstand leisten zu können oder zu wollen. So kann und will er sich nicht dagegen wehren, dass durch das Grundstück der Familie in Neuhaus eine Straße geführt werden soll. Und er hat keine Kraft mehr, sich dem Antisemitismus entgegenzustemmen.
Es versammelt sich die Trauergesellschaft zu einem Essen. Erstmals tritt die paranoide Gattin des Verstobenen in flammend rotem Gewand auf. Sie hört beim Essen wieder die Stimmen, steigt auf den Tisch und es sieht aus, als folge sie dem Beispiel ihres Mannes und stürze sich in einen Abgrund. So endet das Stück…
Eine merkwürdige, denkwürdige Erfahrung. Liest man das Stück, kommen einem manche Passagen maßlos übertrieben-polemisch vor. Hört man es, so sachlich und auf den Inhalt zentriert gesprochen wie das Ensemble der Kammerspiele es vermag, gewinnt es zunehmend an Glaubwürdigkeit, ja Überzeugungskraft. Falk Richters Beitrag stützt diesen Eindruck beträchtlich, er belegt durch Tatsachen, was bei der Lektüre manchmal wie in die Luft hinein gesprochen wirkt.
Ein verdienstvoller, gelungener Abend. Was 1988 Proteststürme provozierte, ruft heute Nachdenklichkeit hervor. Das Theater als moralische Anstalt hat sich bewährt. Im Denken weiterzukommen, zum Widerstand aufgerufen zu werden, in der Entscheidung best8ärkt zu sein –, genügt das etwa nicht?
HELDENPLATZ - Münchner Kammerspiele; weitere Termine 22.12.; 29.12.2021; 4.1.; 22.1.; 23.1.2022
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