München, Münchner Kammerspiele, Eure Paläste sind leer - Thomas Köck, IOCO Kritik, 16.11.2021
Eure Paläste sind leer - all we ever wanted - Uraufführung - Thomas Köck
- Die göttliche Komödie ohne Läuterungsberg -
von Hans-Günter Melchior
Huch, war das wieder ein Abend. Laut und – selten – leise, ausgedehnt bis an die Grenze der Konzentration, halb Kasperle-Theater, kalauerhaft, halb tiefgründig philosophisch, sich poetisch steigernd. Kaum jemals zur Ruhe kommend, erregend, aufregend, dystopisch dräuend und am Ende doch in einer ziemlich zarten Resignation versinkend.
Thomas Köck, der Autor, hat sich allerhand einfallen lassen. Wie es den Autoren nunmal nicht selten so geht, sie ziehen am Faden einer Idee, ziehen und ziehen, kommen auf tausend weitere Gedanken und vom Hundertsten ins Tausendste, während die Zuschauer oder Leser hinterher hetzen und sich an meist einem und meist dem fassbarsten Faden nach oben in die Freiheit des Verständnisses und der Ordnung zu hangeln suchen. Und so leiden manche Stücke an ihrer Überfülle und wenig wäre durchaus mehr.
Es wird einem also nicht leicht gemacht in diesem Stück. Und der Abend zieht sich in seiner Ideenfülle und den geradezu übereinander herfallenden Ereignissen gewaltig in die Länge. Fast dreieinhalb Stunden Abwechslung und schwere Kost zugleich, eine intellektuelle Achterbahn, die bewältigt sein will.
Da kommt alles zusammen, Mythologisches und handfest Zeitgenössisches, Teiresias, der blinde Seher der Antike, durchschreitet das Höllental und Chaos der menschlichen Gesellschaft, sich formal an Dantes Göttlicher Komödie orientierend, von den Grausamkeiten und der Gier der spanischen Konquistadoren beginnend über die Opiatepidemie, die Entartungen des Kapitalismus überhaupt bis zur Jetztzeit. Wobei sich die Erzählschichten überlagern, alles ist gleichzeitig, ein Auto wird über die Bühne geschleppt, während die spanischen Eroberer mit glänzend gefertigten Marionetten hantieren, verzerrte Gesichter, Assoziationen an Werner Herzogs Film Aguirre, der Zorn Gottes, Videos, dann offensichtliche Anleihen bei Jacques Derrida und seiner Haunology (das Fortbestehen überwunden geglaubter Prinzipien und Ideen der Vergangenheit in der Gegenwart) bis hin zu einem pseudoreligiösen Auftritt von Gespenstern, übergroßen, in Weiß gehüllten Gestalten, die, schließlich enthüllt, in einem resigniert anmutenden „Gebet“ Derridas (gewohnt unklar und verschwommen formulierten) Gedanken des Spiels zu deklamieren scheinen: „Der Begriff der zentrierten Struktur ist in der Tat der Begriff des eines begründeten Spiels, ds von einer begründeten Unbeweglichkeit und einer versichernden Gewissheit, die selber dem Spiel entzogen sind, ausgeht. Von dieser Gewissheit her kann die Angst gemeistert werden…“ Weil sie in das Spiel verwickelt und gefesselt ist.
Nun ja. Das Spiel ist jedenfalls nicht die Lösung. Zwar ist der Mensch nach Schiller im Spiel ganz bei sich, im zweckfreien Tun, ein friedlicher Mensch - sozial und politisch ist damit freilich noch nichts zum Besseren gestaltet.
Thomas Köck bringt in der Regie von Jan-Christof Gockel, der bemerkenswert kunstvoll gestalteten Bühne von Julia Kurzweg (Kostüme Janina Brinkmann), musikalisch live begleitet von Anton Berman und Maria Moling sein Stück nach etwas krawallig anmutendem Anfang in mildem-schmerzlichem Sichfügen in die Verhältnisse relativ leise zu Ende.
Von einer Ankunft im Paradies kann hier nicht die Rede sein. Und schon gar nicht von einer Läuterung. Da hilft kein Deuten und Umdeuten und auch die plakativen Überschriften, die die Handlungsabschnitt unterteilen und der göttlichen Komödie entliehen sind, helfen nicht weiter, Der poetisch hochbegabte Autor ist wohl kritisch genug, sich plattem Optimismus zu verweigern. Und seinem Diktum vom unbewältigten Übel der Anfänge, das sich in der Gegenwart fortzeugt, ist nichts entgegenzusetzen. Kaum anzunehmen, dass er an die Kraft der Gebete glaubt…
Kürzungen des Stücks, wie man es großzügig ja auch bei den Klassikern vorzunehmen sich nicht scheut, wären hilfreich. Mit der Zeit verbraucht sich der Gestus der ins Groteske gesteigerten Kritik doch merkbar und ermüdet. Da helfen auch die Videos und die zuweilen schmetternde Musik nicht viel weiter.
Das Ensemble der Schauspieler leistete freilich Großes, selbst dort, wo sich das Stück allzu sehr ins Fratzenhaft-Absurde zu verlieren drohte, war die Lust am Spiel zu spüren und rettete über Klippen.
Was für herrliche Schauspieler! Komödiantisch, dann wieder abscheulich, böse, danach hoheitsvoll philosophisch und ernst, alle zum Teil schwierigen Spielarten des Stücks souverän beherrschend.
Allen voran Katharina Bach. Ihr zur Seite Bernardo Arias Porras, Christian Löber, Nancy Mensah-Offei, Michael Pietsch und Leonie Schulz.
Wunderbar komisch die Gelehrtenrunde nach der Pause. Da saßen sie auf Stühlen mit geschwungenen Lehnen am Rand der Bühne, die Sachverständigen und Obersachverständigen und schwätzten gestenreich Gelehrtes bzw. Pseudogelehrtes daher, inhaltlos, leer, sich an dem eigenen Gerede berauschend. Allen voran Leonie Schulz, die eine einzigartige Persiflage ablieferte.
Und noch einmal: Kunstwerke für sich waren die Marionettenfiguren. Verrenkte Gestalten, hässliche, verzerrte Gesichter, eine Kunstausstellung für sich auf der Bühne.
Freundlicher, gleichwohl lang anhaltender Beifall am Ende
Eure Paläste sind leer in den Münchner Kammerspielen; die nächsten Termine 22.11.; 13.12.2021 und mehr
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