München, Kammerspiele, BAUMEISTER SOLNESS – Henrik Ibsen, IOCO
Der Baumeister Solness, den Thomas Schmauser großartig darstellt, als einen Parvenü nämlich, der es nicht zum Architekten geschafft hat, aber als Bauunternehmer sehr reich wurde, bekommt Besuch von einer Hilde Wangel.
von Hans-Günter Melchior
Baumeister Solness
von Henrik Ibsen, mit Texten von Gerhild Steinbuch und Ensemble (Deutsch von Hinrich Schmidt-Henkel in einer Fassung von Felicitas Brucker und Tobias Schuster für die Münchner Kammerspiele – Spielzeit 24/25)
„Das Leben ist eine Abfolge von Ereignissen“
Mit der Allmacht der Menschen ist es nicht weit her. Alles geschieht, sagt Aline (herrlich verschüchtert, eine verunsicherte Ehefrau: Katharina Bach), Ehefrau des Baumeisters Solness und das, was durch sie, Aline, geschieht und gerade noch in ihrer Macht steht, ist nichts weiter als „Pflicht“, entspricht einer Art moralisch-gesetzlichen Vorschrift. Sie betont dies ausdrücklich bei jedem Gefallen, den sie anderen erweist.
Alles Übrige freilich, das über die Pflichterfüllung hinausgehende, vollzieht sich für sie mit der Notwendigkeit eines unabwendbaren Schicksals. Und die Menschen sind nicht mehr als das notwendige Material, an dem sich das Schicksal vollzieht. „Das Leben ist eine Abfolge von Ereignissen. Dazwischen stehen wir herum.“
Die bemerkenswert präzise, sich auf das Wesentliche beschränkende Fassung des Textes, der mit Texten von Gerhild Steinbuch und des Ensembles angereichert wurde, besorgten die Regisseurin Felicitas Brucker und Tobias Schuster. Knapper und zugleich durchaus die Tiefen auslotender kann nicht erzählt werden, worauf es dem Autor und den Mitautoren ankommt: Den Hinweis auf die Hilflosigkeit und Abhängigkeit von Menschen, die von einem anderen wirtschaftlich abhängig sind. Und dann gibt es da noch die Schuld, die Schuld und daraus erwachsene Unsicherheit dessen, der eine – vor allem noch nicht gesühnte – strafbare Handlung begangen hat. Davon wird die Rede sein müssen …
Es war ein großer Abend in den traditionsreichen, berühmten Kammerspielen. Bis ins Kleinste durchdacht und vor allem auf das Wesentliche reduziert. Nach 1 Stunde und 30 Minuten war alles gesagt und vorgeführt, was das Stück hergibt. Es ist eine Schwäche des Originaltextes. Und eine Stärke seiner Bearbeitung. Wo Ibsen lange braucht, bis sein Text auf den Punkt kommt, etwa zu den problematischen Geschehnissen um die Schlüsselfigur der Hilde Wangel, braucht die Regisseurin Felicitas Brucker in der bearbeiteten und reduzierten Fassung keine Viertelstunde. Was für ein Glück ist es doch, wenn jemand zur Sache kommt. Entscheidend ist der Auftritt der Hilde Wangel. Sehr überzeugend, souverän, anmaßend und forsch führt Annika Neugart als Hilde Wangel vor, wie wehrlos ein Mensch sein kann, wenn er mit einer Schuld aus der Vergangenheit konfrontiert wird.
Von vorn: Der Baumeister Solness, den Thomas Schmauser großartig darstellt, als einen Parvenü nämlich, der es nicht zum Architekten geschafft hat, aber als Bauunternehmer sehr reich wurde, bekommt Besuch von einer Hilde Wangel. Er weiß erst, wer sie ist, als sie ihn an den Neubau des Hauses, zu dem er hochstieg und einen Kranz anbrachte, erinnerte. Ein traumatisches Erlebnis. Es wird in der Rückblende erzählt. Hilde, damals noch ein Kind, stand unten und feuerte den nach oben steigenden Baumeister an. In kindlicher Begeisterung eben und arglos, ohne jeden Hintergedanken. Es war vor zehn Jahren. Als Solness im Triumph nach erfolgreich getaner Arbeit unten ankam, küsste er das begeisterte, allenfalls 12 oder 13 Jahre alte Kind wohl mehr als väterlich liebevoll und versprach ihr ein Königreich. Eben in zehn Jahren, wenn sie erwachsen ist. Und jetzt ist es so weit. Die erwachsene Frau erinnert ihn an sein Versprechen. Die Sache hat freilich einen Haken. Denn es ist wohl anzunehmen, dass zwischen dem Baumeister und Hilde mehr geschah als nur ein harmloses Küssen. Anders wäre das anmaßende Verhalten der Besucherin nicht zu verstehen. Sie kommt immerhin als Fremde in seine Wohnung, will dort übernachten und verlangt sogar, dass ihre Wäsche gewaschen wird. Aline, die Hausherrin und Ehefrau Solness´ willigt in alles ein. „Es ist meine Pflicht“, erklärt sie. Merkwürdig, wie nebenbei, erzählt sie, wie das damalige Wohnhaus der Eheleute Aline und Halvard Solness abbrannte. Zwar konnten die beiden Kinder, Zwillinge, gerettet werden. Sie starben jedoch, noch sehr klein damals, weil die Muttermilch der Aline schlecht geworden war und diese die Kinder nicht ernähren konnte. Mehr noch als den Verlust der Kinder scheint sie allerdings die Vernichtung ihrer Puppen durch den Brand zu bedauern. Eine merkwürdige literarische Variante, mit der Ibsen eventuell andeuten wollte, dass er Aline als psychisch Kranke darzustellen trachtete. Denn allzu naiv mutet die Puppengeschichte an. Die Bühne ist in helles Rot getaucht. Ein halb eingefallenes Haus. Kletterversuche des Baumeisters. Solness baute jetzt sein gesamtes Grundstück mit Häusern zu. Die Masse ist das Mittel der Wertschöpfung. Er ist, aber er ist ein Mensch seiner Zeit und zugleich unglücklich über die neue Zeit. Das Glücksversprechen der Zeit ist nicht das Geld. Er weiß es und kann es nicht ändern. Der Sog des Kapitals ist unwiderstehlich. Schemenhaft wechseln die Farben und schleichen die Figuren über die Bühne. Das Rot wird dunkel. Und Solness übt an einer Art Kletterwand, gewöhnt sich ans Ungewohnte. Er wird viel klettern müssen.
Solness ist gegen Hilde Wangel machtlos. Seinen Angestellten gegenüber ist er freilich umso rücksichtsloser. Er hat offenbar die Baufirma von dem schwerkranken Knut Brovik (Edmund Telgenkämper) übernommen, ohne den alten, kranken Mann angemessen zu entschädigen. Und er hat ihn zu einem einfachen Angestellten gemacht, ihn und dessen Sohn Ragnar. Also arbeiten Vater und Sohn in Solness' Büro, sind von ihm wirtschaftlich abhängig. Der alte Mann scheidet freilich bald krankheitsbedingt aus und stirbt. Der Bitte des Sohnes Ragnar an Solness, dem kranken Vater einen anerkennenden und tröstenden Brief zu senden, kommt Solness nicht nach. Es wird deutlich, dass es ihm an Gefühl für leidende und arme Mitmenschen fehlt. Ragnar will sich selbständig machen, er ist begabt. Solness ist jedoch entschlossen, Ragnar weiterzuverpflichten. Der junge Ragnar Brovik (Elias Krischke) hat gegen seinen Chef keine Chance. Nebenbei unterhält Solness eine zumindest an ein Intimverhältnis grenzende Beziehung zu seiner Sekretärin Kaja Fosil (Konstantin Schumann), die sklavisch an ihm hängt. Irgendwann scheint Solness dann doch daran zu denken, Ragnar zu entlassen. Auch Kaja, was für diese eine Katastrophe bedeuten würde. Es bleibt freilich bei Andeutungen. Eine entscheidende Wende scheint das Geschehen zu nehmen, als Solness sein neues Wohnhaus mit dem üblichen Kranz einweiht. Obwohl er nicht mehr an „Häuser“ glaubt: „Die ganzen Häuser helfen den Menschen gar nichts“. Er „steigt höher, höher und höher …“ Und obwohl er an Höhenangst leidet und sein Leben gefährdet. Hilde, die ihn antreibt, sodann aber merkwürdig rätselhaft: „Wie hast du mich zu der gemacht, die ich bin? Es wird Tag, es wird Nacht. Und irgendwas in mir will immer zurück in den Moment.“ Hier bricht der Text ab. Im Originaltext stürzt Solness vom Gerüst und stirbt …