München, Isarphilharmonie, CONCERT FOR TOMORROW - Solidarität mit Ukraine, IOCO Aktuell, 23.06.2022

München, Isarphilharmonie, CONCERT FOR TOMORROW - Solidarität mit Ukraine, IOCO Aktuell, 23.06.2022
Isarphilharmonie, München © Wikimedia Commons
Isarphilharmonie, München © Wikimedia Commons

Isarphilharmonie

CONCERT FOR TOMORROW -  Musiker aus aller Welt

- Solidarität mit der Ukraine - Protest gegen den Krieg in der Ukraine -

von Adelina Yefimenko

Am 15 Juni 2022 fand in der Münchner  Isarphilharmonie ein fulminantes Benefizkonzert unter dem Titel Concert for Tomorrow statt. Junge neben erfahrenen Musikern aus der ganzen Welt drückten mit ihrer Kunst die Solidarität mit der Ukraine und ihren Protest gegen den Krieg in der Ukraine aus. Wir sind Zeugen einer absurden und zerstörerischen Zeit. Musiker sind Verfasser und eine gewichtige ethische Instanz dieser Kriegszeit. Die Musik hilft uns bei der Unterscheidung zwischen Gut und Böse, Richtig und Falsch. Ohne Worte formuliert die Musik eine Aufforderung, moralisch zu handeln. Momentan bildet sich ein großer kultureller Widerstand junger Musiker, um damit die sozialen und politischen Strömungen unserer Zeit zu beeinflussen. Die Fragen nach dem Gewissen richten die Künstler mittels Musik nicht an politische Verbrecher und Kriminelle, die kaltblütig diesen Völkermord begonnen haben. Die Frage wurde an alle gestellt, die diesen Krieg rechtfertigen, unterstützen oder dazu schweigen.

Nach dem Concert for Tomorrow fühlt man sich mit dieser Musik für die Zukunft aufgebaut und damit stärker, weil man zusammenhält und kooperiert. Musiker haben in Europa eine Autorität, die aussagekräftig ist und die vermitteln kann, dass die Ukraine ein lebendiger Teil von Europas Kultur ist.

Die Initiatoren der Veranstaltung Olivier Krüger und Michael Balke (Dirigent) äußerten sich dazu wie folgt: „In Zeiten, in denen Waffen und Ausgrenzung das Leben bestimmen, wünschen wir uns einen Raum der Verbundenheit und Integration. Diesen haben wir in der Isarphilharmonie gefunden. Beim Concert for Tomorrow spielen Profimusiker mit Studenten, Münchner mit Ukrainern, Freiberufler neben Orchestermusikern, internationale Weltstars neben Nachwuchskünstlern. Alle eint der Wunsch, ein deutliches Zeichen der Solidarität zu setzen. Und der Wunsch auf ein "Morgen" des Miteinanders.“

WeAreAllUkrainians - Konzert / hier Cellist Oleksandr Piriyev  und die Orchestermusiker © Robert Brembeck
WeAreAllUkrainians - Konzert / hier Cellist Oleksandr Piriyev und die Orchestermusiker © Robert Brembeck

Das Konzert wurde von help alliance“, link HIER!, – der Hilfsorganisation der Lufthansa Group mit Unterstützung der Initiative #WeAreAllUkrainians#, link HIER, (Tatjana Kiel, CEO Klitschko Foundation) veranstaltet und hat sich zum Ziel gesetzt, die örtliche Musikschule in Bucha (Butscha) wieder aufzubauen und damit zu einer friedlicheren Zukunft für ukrainische Kinder beizutragen.

Auch Werke ukrainischer Komponisten wurden bei der Aufführung präsentiert, um einen großen Bogen zwischen musikalischen Genien aus der Ukraine und aus Europa zu spannen. Das Konzert begann mit der Symphonie in C-Dur des ukrainischen Klassikers Maxim Berezovsky. Selbst in den stärker instrumentierten Passagen blieb die Musik schlank und elegant. Berezovsky wurde oft mit Mozart verglichen.

Tatsächlich wurde Mozarts Zeitgenosse zum Mitglied der „Accademia Filarmónica di Bologna“. Mit Mozart verbinden Berezovsky nicht nur Studienjahre in Bologna und sein Klassizismus-Stil, sondern auch sein bis jetzt nicht geklärten Todesumstände. Das Geheimnis um Berezovskys Tod ließ viele Legenden entstehen. Der ukrainische Komponist wurde im damals zaristischen Russland scheinbar getötet und nach seinem Tod wurden viele seiner Manuskripte vernichtet. Zum Glück ist seine Symphonie in C-Dur erhalten geblieben und wurde jetzt in einer neuen wundervollen Interpretation des deutschen Dirigenten Michael Balke aufgeführt, der im Jahr 2020 als „Dirigent des Jahres“ gewürdigt und als „Nachwuchskünstler des Jahres“ für den Opus-Klassik-Preis nominiert wurde. Der Dirigent hat sein Repertoire mit neuer ukrainischer Musik bereichert, nachdem er sich als souveräner Interpret Mozarts, von Belcanto sowie eines italienischen und französischen Repertoires etablierte.

weareallukrainians Konzert / Violonistin Arabella Steinbacher © Robert Brembeck
weareallukrainians Konzert / Violonistin Arabella Steinbacher © Robert Brembeck

Für die Aufführung von „Domine Deus“ aus „Petite Messe solennelle“ von Gioacchino Rossinis die „Meditation“ aus „Thaïs“, Georges BizetsAgnus Dei“ und Astor Piazzollas „Libertango“ versammelte der Dirigent internationale Künstler, die zusammen musizierten. Neben den ukrainischen und deutschen Nachwuchskünstlern, spielten auch prominente, international anerkannte Musikstars, wie die exzellente deutsche Violinistin Arabella Steinbacher und der aus Südafrika stammende Tenor Levy Sekgapane.

Jules Massenets „Meditation“ spielte die Geigerin sehr sensibel, lyrisch. Ihre im Jahr 1716 gebaute Stradivari-Violine „Booth“ spielt Arabella Steinbacher seit 2006, als die Nippon Music Foundation ihr diese leihweise zur Verfügung stellte. Die Meditation erklang wie direkt aus der Seele der Geigerin herausströmend – zurückhaltend, dunkel, tief, dann aber schwang und hob sie sich wieder in die Höhe. Eine unendlich nostalgische Stimmung erzeugte die Geigerin dagegen in Piazzollas „Libertango“.

weareallukrainians Konzert / Levy Sekgapane © Robert Brembeck
weareallukrainians Konzert / Levy Sekgapane © Robert Brembeck

Erstaunlich war, wie weit es den Interpreten in diesem Konzertprogramm gelang, alte geistliche Werke mit der heutigen Tragödie in der Ukraine zu assoziieren. Gefühlvoll sang Levy Sekgapane Rossinis „Domine Deus“ aus „Petite Messe solennelle“ und Bizets „Agnus Dei“. Der Sänger hat sich schon früh mit seinem Rossini-Soloalbum, das er mit dem Münchner Rundfunkorchester unter Giacomo Sagripanti aufnahm, als Rossini-Experte etabliert.

Dank der Beratung, des Engagements und des Solo-Auftritts des bekannten ukrainischen Cellisten Oleksandr Piriyev standen im Zentrum des Konzertprogramms die Werke ukrainischer zeitgenössischer Komponisten. Als Höhepunkt des ersten Konzert-Teils wurde das Cellokonzert Nr. 2 von Myroslav Skoryk aufgeführt, der einer der bekanntesten und beliebtesten Komponisten der Ukraine ist. Nach der Pause erklang ein musikalisches Juwel des großartigen ukrainischen Komponisten Yurii Lanyuk, „A song without words“. Zur Wirkung und zur musikalischen Interpretation der ukrainischen Werke ist es wichtig, auch die Besonderheit des Cellisten Oleksandr Piriyev anzusprechen. Der Musiker durchlebte nach einem Bombenangriff einen riesigen Brand des Nachbarhauses, wonach er aus dem Kriegsgebiet mit seiner Familie nach München fliehen musste. Er hat die Nationale Musikakademie der Ukraine als Cellist und Musikwissenschaftler absolviert, im Jahr 2021 über die Werke von Max Reger promoviert und den internationalen Wettbewerb XXIst Century Art gewonnen. Myroslav Skoryk hat ihm das Cellokonzert Nr. 2 gewidmet.

Der ukrainische Cellist engagiert sich aktiv auch als Musikproduzent im Bereich der klassischen Musik und gründete als Musikproduzent viele herausragende Festivals in der Ukraine: das Tschaikowski FEST, das Charkiw Music Fest und Mariupol Classic. Da der Musiker bei seiner Flucht sein Cello in Kyjiw zurückgelassen hat, spielte Oleksandr Piriyev bei diesem Konzert auf dem Instrument eines deutschen Geigenbauers aus dem 19. Jahrhundert, das ihm ein führender Geigenbauer Deutschlands, Michael Jaumann, zur Verfügung gestellt hat.

weareallukrainians Konzert / Dirigent Michael Balke © Robert Brembeck
weareallukrainians Konzert / Dirigent Michael Balke © Robert Brembeck

Offensichtlich besteht zwischen dem Cellisten Oleksander Piriyev und dem ukrainischen Komponisten Myroslav Skoryk eine enge und hingebungsvolle Verbindung. Deshalb spielt er regelmäßig seine Werke in Konzerten, präsentiert sie in Radiosendungen und organisiert Festivals mit seiner Musik, beispielsweise das Festival „Drei S“, bei dem er Myroslav Skoryks Musik neben der anderer berühmter ukrainischer Komponisten wie Jewhen Stankowich und Valentin Silvestrov hervorgehoben hat. Piriyev hat sich als souveräner Interpret von Skoryks Schaffen etabliert. Das Konzert für Cello Nr. 2 spielte der Cellist bei der Uraufführung im Jahr 2016. Der Komponist äußerte nach der Premiere seine Bewunderung über seine Interpretation wie folgt: „Eine Idee von Alexander Piriyev war, eine Reihe von Konzerten zu organisieren, in der die ukrainische Musik in Gesellschaft berühmter europäischer Komponisten erklingen soll. Dadurch erschien mein Konzert für Cello Nr. 2 im Programm zusammen mit Werken von Ravel, Debussy und Gershwin, die mich alle sehr beeinflusst haben“. Diese Einflüsse brachte der Cellist als den persönlichen Stil Myroslav Skoryks zum Ausdruck. Dass das gleiche Cellokonzert in München wieder zu hören war, ist für Oleksander Piriev ein historisches Ereignis, gleichfalls ein Ausdruck seiner Ehrfurcht und Wertschätzung in Gedenken an einen besonderen Komponisten und Autor eines vielfältigen und beeindruckenden Werks, der die letzten Jahre seines Lebens in Kyjiw verbracht hatte.

Sein Cellokonzert komponierte Myroslav Skoryk im Jahr 2016 nach der russischen Krim-Annexion und dem Kriegsbeginn im Donbass. Im selben Jahr spielte Oleksandr Piriyev die Uraufführung des Cellokonzertes in Kyjiw mit dem Symphonieorchester des ukrainischen Rundfunks in der Nationaloper der Ukraine unter der Leitung von Volodymyr Sheiko in Anwesenheit des Komponisten. Insgesamt spielte Oleksandr Piriyev dieses Konzert ca. 15 Mal auf verschiedenen Bühnen verschiedener Konzerthäuser. „Jetzt kämpft unser Land für Freiheit und Unabhängigkeit – so Oleksandr Piriyev nach dem Konzert, – und wir verteidigen heute nicht nur das eigene Heimatland, sondern auch echte, universelle menschliche Werte. Dieses Cellokonzert ist eine Vertonung dieses langen Kampfes. Dabei vereint sich die ganze Welt gegen einen heimtückischen und schrecklichen Feind. „Wir siegen. Und ich glaube fest daran, dass diese Musik den Moment des Sieges beschleunigen kann“.

Ein weiteres Orchesterstück namens „A song without words“ des ukrainischen Komponisten Yurii Lanyuk, der auch international als brillanter Cellist und Interpret seiner eigenen Werke auftritt, war beim Konzert zu hören. Lanyuk hat einen persönlichen, deutlich erkennbaren Stil: mehrdimensionale Stimmungs-Schattierungen, meditativ musikalische Dramaturgie u.a. Im „A song without words“ zeigte der Dirigent die logische Entwicklung des Themas des Liedes ohne Worte mittels illustrativem, fast illusorischem Streichinstrumenten-Hintergrund. Die Orchesterbegleitung deutete eine irreale Zeitwahrnehmung dieser Musik an, die keine klaren Definitionen durch Wörter braucht, sondern nur vage Andeutungen mittels einer sensibel nuancierten Klangfarbenpalette. Das Publikum nahm zusammen mit dem Orchester und dem Solisten an diesem kreativen Entstehungsprozess musikalischer Bilder und Ideen teil. Diese Vorgehensweise erreichte ihren Höhepunkt in mehreren Emotionswellen. Vor allem durch die Interpretation eines der beliebtesten Klassik-Hits, nämlich Händels Passacaglia über ein Thema für Violine und Cello von Johan Halvorsen. Die zwei Solisten des Konzertabends, Arabella Steinbacher und Oleksandr Piriyev, führten vor dem Publikum einen spannenden Dialog zwischen der Geige und dem Cello. Der emotionale Kontakt mit dem Publikum war spürbar.

weareallukrainians Konzert / Dirigent Michael Balke und Orchester © Robert Brembeck
weareallukrainians Konzert / Dirigent Michael Balke und Orchester © Robert Brembeck

Zum Schluss erklang das berühmteste Stück von Edward Elgar„Nimrod“ aus Enigma Variations, das vielen durch seine wiederholten patriotischen Darbietungen bekannt ist, beispielweise bei königlichen Veranstaltungen, bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in London 2012 u.a. Jedes Jahr wird das Stück auch beim Cenotaph in Whitehall im Rahmen des Nationalen Gedenkgottesdienstes für die Opfer des ersten Weltkrieges aufgeführt.

Diese wunderschöne Melodie, ähnlich wie auch Myroslav Skoryks ukrainische „Melodie“ zusammen mit allen anderen Werken beim „Concert for Tomorrow“ gab dem Publikum am 18. Juni 2022 die Hoffnung auf das notwendige Kriegsende und einem Sieg der überfallenen Ukraine. Das Konzert symbolisierte mit der Musik, dass sich die ganze Welt für die Souveränität eines Volkes erhebt, das den Frieden und seine Freiheit verteidigt.

Die Begeisterung und die stehenden Ovationen des Publikums am Ende des Konzerts zeigten, dass diese hochemotionalen Momente bei jedem Zuhörer eine Gänsehaut verursachen konnte.

Spenden, die die Initiatoren des Projekts  "help alliance", link HIER!, und #WeAreAllUkrainians#, link HIER!, durch den Ticketverkauf sammelten, werden zum Wiederaufbau der zerstörten Musikschule in Bucha (Butscha) verwendet, die dem Musik-Unterricht von Kindern und Jugendlichen dienen soll.

---| IOCO Kritik Isarphilharmonie München |---

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