München, Staatsoper, LA FILLE DU RÉGIMENT – Gaetano Donizetti, IOCO

Das große Ereignis waren die Gesangsleistungen der Hauptpersonen Marie und Tonio, verkörpert von Pretty Yende und vor allem von Xabier Anduaga. Was für herausragende Stimmen!

München, Staatsoper, LA FILLE DU RÉGIMENT – Gaetano Donizetti, IOCO
Bayerische Staatsoper München © Wilfried Hösl


Glückliche Wendungen

Von Hans-Günter Melchior

Die Geschichte der Oper ist schlicht. Populär, nicht zuletzt, weil Tonio, die männliche Hauptfigur, sich mehrere Male zum hohen C steigert und mit dem anhaltenden Jubel des Publikums, wahren Ovationen, rechnen kann. Und sie geht gut aus, diese leicht daherkommende Oper, wie es sich für die meisten Märchen gehört. Denn märchenhafte Züge sind durchaus erkennbar und wohl auch beabsichtigt. Und nicht zuletzt ist die Oper patriotisch. Eine Verherrlichung Frankreichs. Und damit es wohl keiner vergisst, wird ganz am Schluss noch einmal ans ruhmreiche Frankreich erinnert: Marie, Tonio, Sulpice, Der Korporal, Soldaten: „Auf die Hoffnung! Auf die Liebe! Ein Hoch auf Frankreich! Auf den Ruhm!“ Natürlich kann eine solche Oper des Erfolges bei einer ruhmdurstigen Nation gewiss sein. Sie wurde nahezu unendlich lange in Frankreich aufgeführt. Und sie hat durchaus auch in anderen Ländern, zum Beispiel in Deutschland, Erfolg. Mit einigen Einschränkungen – zumindest in musikalischer Hinsicht –  nicht ganz zu Unrecht. Im Mittelpunkt stehen Marie und Tonio. Letzterer hat Marie das Leben gerettet. Marie ist ein Findelkind.

LA FILLE DU RÉGIMENT 2024 © Geoffroy Schied

Sie gelangt in den Kriegswirren des 19. Jahrhunderts zum in Tirol stationierten französischen Heer und wird Marketenderin. Eine Soldatin aus Überzeugung. Tonio, ein Tiroler Bauer, hat ihr das Leben gerettet. Er wird später vom 21. Regiment des französischen Heers festgenommen und soll als Feind hingerichtet werden. Marie bewahrt ihn vor der Hinrichtung, indem sie die Geschichte ihrer Rettung erzählt, die sie Tonio verdankt. Er tritt dem französischen Heer bei (warum diesem? - auf die Logik darf man hier nicht zu viele Überlegungen verschwenden), macht dort Karriere. Er will Marie, die er liebt, heiraten. Marie ist nicht abgeneigt, sie liebt Tonio. Das Tableau für umfassenden Optimismus ist bereitet. Aber nicht genug an Wundern, stellt sich nun auch noch heraus, dass Marie ein Findelkind ist, angeblich die Nichte der Marquise de Berkenfield (später erfolgt die wundersame Wendung zum noch besseren Schicksal: Marie ist das Kind der Marquise). Die Marquise will, von Sulpice (wohl ein präsumtiver Adoptiv-Vater; Bass) über die Herkunft der jungen Frau informiert, aus Marie ein Mitglied des Adels machen. Sie deshalb diese mit einem schwachbrüstigen Adeligen verheiraten, der zuweilen über die Bühne trippelt. Marie ist nicht glücklich in ihrer neuen Rolle. Das gezierte Benehmen des Adels, dessen unechtes Gehabe, ist der Soldatenfrau fremd. Ach – und dann die höhere Musik. Eine Zumutung. Besonders vor allem das andressierte Musizieren ist nicht ihre Sache. Ihre Neigung gehört dem Militär, ihre Liebe dem im Heer aufgestiegenen Tonio.

LA FILLE DU RÉGIMENT 2024 P. YENDE X. ANDUAGA © Geoffroy Schied

Beim Musizieren entkommen ihr soldatische Klänge. Es fügt sich, wie es sich im Märchen gehört. Die beiden Liebenden finden ganz am Ende dann doch zusammen. Marie kehrt zum Regiment zurück. Man sagt sich, ganz im Einklang mit der aktuellen Inszenierung: Was für ein Glück. Man ist ja gern selbst glücklich in der Oper. Wenn mal was so richtig klappt. Ach ja, man könnte sich jetzt zurücklehnen und das Geschehen an sich vorbeiziehen lassen. Es ist warm in der Oper und die Musik hört sich an wie eine Mischung aus einer Oper, die zuweilen zur Operette tendiert. Das Bühnenbild ist interessant, zuweilen sogar sehr bemerkenswert. Bunter Gewänder, Soldatenuniformen und daneben die übertriebenen Luxusklamotten nebst den Perücken der gestelzten Adeligen, pure, stilisierte, in Manier und Eitelkeit erstarrte Dekadenz, Abbild einer im Untergang begriffenen Epoche. Verweichlichte Idioten gegen kernige Soldaten. Das ist die Konstellation. Nein, das ist keineswegs misslungen. Einsichtig ist es, erkennbar berechtigt. Selbst das übertrieben große Gemälde im Hintergrund, das sich als bloße Attrappe erweist, ist nichts weiter als eine aufgeklebte Großartigkeit, dass man sie leicht abziehen kann, um dahinter eine Art zweiter Bühne sichtbar zu machen, in der Adel und Militär sich einander gegenüberstehen.

LA FILLE DU RÉGIMENT 2024 © Geoffroy Schied

Uneingeschränktes Lob gebührt der Inszenierung von Damiano Michieletto. Wie überhaupt die Inszenierung durchaus einleuchtend, die Dualität, den Widerspruch zwischen der Realität und dem Schein widerzuspiegeln bemüht ist. Insgesamt also ein unterhaltsamer Opernabend. Auch vor der engagierten und souveränen musikalischen Leitung von Stefano Montanari kann man sich anerkennend verneigen. Das war Feuer und Sensibilität im Wechsel. Für die gelegentlichen Schwächen und allzu gefälligen Passagen der Partitur, die zuweilen mangelnde musikalische Tiefe, kann der Dirigent nicht verantwortlich gemacht werden. Das Orchester zu loben, hieße Eulen nach Athen zu tragen. Da ist Souveränität als eingepflanzte Natur zu spüren. Vieles ist schauspielerisch und sängerisch in dieser Aufführung also durchaus gelungen und interessant, vieles gefiel als spritzige Bewegung und war geeignet, sich ein wenig im Hinschauen und Hinhören zu verlieren (Dorothea Röschmann als La Marquise de Berkenfield, Misha Kinia als Sulpice, Marin  Snell als Hortensius, Christian  Rieger als Korporal). Hervorzuheben: Interessant und sehr belebend die pointierten Sprecheinlagen von Sunnyi Melles.

LA FILLE DU RÉGIMENT 2024 S. MELLES © Geoffroy Schied

Man freute sich geradezu, wenn sie, die gefeierte Schauspielerin aus früheren Theatertagen (Verzeihung, Frau Melles: eben – „naturgemäß“ für uns Ältere), die Bühne betrat und war gespannt, was nun kommen würde. Ein freudiges Wiedersehen. Was für eine große Schauspielerin. Erinnerungen. Und, und …  Aber zum Höhepunkt. Das große Ereignis waren die Gesangsleistungen der Hauptpersonen Marie und Tonio, verkörpert von Pretty Yende und vor allem von Xabier Anduaga. Was für herausragende Stimmen! Die von Anduaga souverän und unverkrampft gemeisterten Höhen. Der Witz, das Schelmische bis in die Stimme und den Gesang hinein von Pretty Yende. Schlackenfrei. Ohne gepresst zu klingen. Von beiden Künstlern ist noch viel zu erwarten. Nicht nur das mühelos in die Höhe gestemmte hohe C. Oper ist ja keine Sportveranstaltung. Kein Hochsprung. Stürmischer Beifall. Darf man in der U-Bahn nachsingen? Eigentlich nicht. Nicht jeder mag Donizetti. Aber man tut es!   

Infos und Karten: Link hier

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By Bernd Runge