München, Bayerische Staatsoper, TOSCA - Giacomo Puccini, IOCO
MÜNCHEN - TOSCA: Die Geschichte der Oper ist die Geschichte kurz vor der Rückeroberung der Stadt durch die Republikaner. Sie ist relativ kurz und von eindrucksvoller Dichte. Die Rom noch beherrschende autoritäre Monarchie wird repräsentiert durch Scarpia ......
von Hans-Günter Melchior
Es gibt Regisseure, die das Interpretationsbedürfnis unwiderstehlich packt. Alles muss gedeutet und in höhere Bedeutung gesteigert werden.
Kornél Mundruczó ist einer davon. Er lässt in der Münchener Tosca-Aufführung nackte Frauen und Männer auftreten, die sich ein wenig schamhaft produzieren und dann verschwinden. Eine Assoziation an Pier Pablo Pasolinis im Erscheinungsjahr 1975 für Aufregung sorgenden und zu Verboten führenden Film „Die 120 Tage von Sodom“. In dem Film werden die sexuelle, triebhaft ausufernde Sucht zu Grausamkeit und Gewalt der italienischen Oberschicht angeprangert.
Der kurze Auftritt der liliengeschmückten Personen, die sich in Begleitung schwarz gewandeter Personen befinden, soll wohl die Verkommenheit und den Sitten-verfall des italienischen Großbürgertums in Zeiten der monarchistischen Diktatur im Rom des Jahres 1798 verdeutlichen. Die bourbonisch-habsburgischen Truppen hatten im Kampf gegen das napoleonische Revolutionsheer Rom zurückerobert. Der Chef der Geheimpolizei setzte mit Grausamkeit und Gewalt die Interessen der Monarchie durch. Aber es deutete sich bereits die Rückeroberung Roms durch die Republikaner, die Franzosen, an…
Die Geschichte der Oper ist die Geschichte kurz vor der Rückeroberung der Stadt durch die Republikaner. Sie ist relativ kurz und von eindrucksvoller Dichte. Die Rom noch beherrschende autoritäre Monarchie wird repräsentiert durch Scarpia (stark, stimmlich wie auch in seiner doppelbödigen Charakter-darstellung als autoritäre und sittlich verkommene Persönlichkeit eindrucksvoll: Ludovic Téziers Bariton). Er ist hinter dem aus der Engelsburg entflohenen Gefangenen und Regimegegner Cesare Angelotti (Milan Siljanov) her. Angelotti ist ein Freund des Malers Mario Cavaradossi (Charles Castronovo, ein sehr ausdrucksstarker Tenor).
Caravadossi versteckt den Flüchtling zunächst in der schmucklosen Kirche, in der er an einem Madonnenbild arbeitet. Kurz vor dem Eintreffen Scarpias in der Kirche, verschwindet Angelotti freilich aus der Kirche und entzieht sich dadurch der Festnahme, indem er einem Angebot Cavaradossis Folge leistet, und sich im Garten von dessen Haus verbirgt. Später nimmt er sich dort das Leben, bevor ihn Scarpia festnehmen kann.
Scarpia nimmt freilich Cavaradossi als einen der Revolutionsabsichten Verdächtigen fest. Dessen Geliebte, die Titelfigur Tosca, von wunderbarer Ausdruckskraft der Sopran der Eleonora Buratto, ist ein Opernereignis für sich. Raumfüllend, sicher, souverän und mühelos bis in die hohen Tonlagen hinein.
Scarpia versucht vergeblich, Cavaradossi zur Kooperation zu veranlassen. Er soll Angelottis Versteck offenbaren. Der Freund widersteht jedoch allen Drohungen und Foltermaßnahmen.
Scarpia versucht es bei Tosca. Er verspricht ihr, Cavaradossi zu verschonen, wenn sie seinen sexuellen Wünschen nachkäme. Die Hinrichtung soll nur fingiert werden. Zum Schein geht Tosca auf diese Wünsche ein. Als er sich ihr allerdings nähert, erstickt sie ihn. Die Unterredung findet in einem eher altmodisch ausstaffierten Wohnzimmer Scarpias statt. Langer Vorhang, gelb, Möbel gelbfarbig, konventionell.
Im dritten Akt „schürzt sich der Knoten“, dramaturgisch und traditionell-klassisch gewendet. Tosca und Cavaradossi machen Pläne für die Zeit nach der Schein-Hinrichtung.
Das Wohnzimmer Scarpias wird hochgefahren. In der Etage darunter kommt das Gefängnis oder genauer: die Hinrichtungsstätte zum Vorschein. Ein Raum hinter einer Glaswand. Cavaradossi wird gefesselt vorgeführt. Links und rechts postieren sich drei Schützen auf. Sie schießen.
Es erweist sich, dass Scarpia gelogen hat, als er Tosca versprach, ihren Geliebten nur zum Schein zu töten. Es wird vielmehr scharfe Munition verwendet. Der Gefangene stirbt. Es wird reichlich Theaterblut verspritzt, die Wand ist rot gefärbt. Tosca stürzt sich verzweifelt in einen Abgrund.
Trotz einem etwas überzogen interpretierend wirkenden Anfang ein grandioser Opernabend. Überwältigend starke Stimmen, allen voran die faszinierende stimmliche Leistung von Eleonora Buratto.
Und was für ein großer Komponist war Puccini. Und: wie ungerecht war die Expertenkritik seiner Zeit. Eine subtil-komplizierte, differenzierte, die Seelentiefen ausleuchtende Musik. Die Steigerungen und Ausbrüche, eine höchst differenzierte Ausarbeitung des musikalischen Materials. Man wirft alle bisherigen Vorbehalte als reine Vorurteile gegen diesen Komponisten auf den Müllhaufen hochmütiger Kritik.
Nein –, auch gegen die Orchesterleistung und den Dirigenten Andrea Battistoni gibt es keine Einwände. Die vereinzelt vorgebrachten Vorbehalte verfangen nicht. Auch der Regie verzeiht man gern die paar Übertreibungen. Die filmischen Einblendungen, ach ja, wie schön doch die Liebe und die Jugend sein könnten, ginge es nur friedlich zu in der Welt. Man könnte mit dem Motorrad durch Landschaft fahren. Die Geliebte auf dem Rücksitz. Dies alles wurde gleichsam überschwemmt von der kompositorischen Macht der Musik und der Interpretation durch das Orchester.
Mal ehrlich: was ist schon vollkommen? Hat man je ein Kunstwerk erlebt, erfahren, gesehen, das schlechthin vollkommen und makellos war? Kunst ist immer Versuch. Vollkommenheit hingegen wäre am Ziel, sie wäre das Ende des Versuchs und damit der Kunst. Denn mehr als Vollkommenheit ist nicht möglich. Und sie wäre auch nur ein einziges Mal möglich. Denn neben der Vollkommenheit ist alles Wiederholung.