München, Bayerische Staatsoper, PIQUE DAME - Pjotr I. Tschaikowski, IOCO Kritik
PIQUE DAME: Die Geschichte: basierend auf einer Novelle Alexander Puschkins - Hermann, deutschstämmig (wie viele Phantasten in der Literatur, auch der russischen) und arm, kommt in Petersburg im Spielsalon mit dem Spieler Graf Tomsky ins Gespräch. Warum er denn nicht spiele? fragt Tomsky .......
„O Karten, o Karten, o Karten!“
von Hans-Günter Melchior
Geld oder Liebe. Oder: Geld und Liebe? Als ob da jemandem die Antwort heute noch schwer fiele. Oder: Liebe erst durch Geld.
Oder doch nicht? Ein Problem, selbst für die Oper. Heute noch? Wo doch, jedenfalls in den meisten Inszenierungsversuchen der Zeitgeist waltet?
Also es ist so, um es in Kürze zu erzählen, worüber sich fast 3 Stunden Tschaikowskys Oper auslässt, zuweilen musikalisch und szenisch wälzt, mal flächendeckend lieblich tönend, mal expressiv und wie verzweifelt, ohne sich, etwa in einer Arie, zu beruhigen oder inhaltlich den Ton anzugeben.
Die Geschichte: basierend auf einer Novelle Alexander Puschkins, ist sie eigentlich ganz einfach. Hermann (Brandon Jovanovich), deutschstämmig (wie viele Phantasten in der Literatur, auch oder gerade der russischen) und arm, kommt als passiver Zuschauer in Petersburg im Spielsalon mit dem Spieler Graf Tomsky (Roman Burdenko) ins Gespräch. Warum er denn nicht spiele? fragt Tomsky.
Schwere Frage, einfache Antwort: kein Geld. Besonders misslich ist Armut, wenn man verliebt ist, auch noch in eine Frau, deren Namen man nicht einmal kennt und zumindest glaubt, unbedingt Geld zu benötigen, um sie zu gewinnen.
Fürst Jelezki (Boris Pinkhasovich) kommt hinzu und kündigt an, sich demnächst zu verloben. Es erscheint eine junge Dame, in der Hermann die unbekannte Geliebte erkennt. Sie ist in Begleitung ihrer Großmutter, einer alten Gräfin (Viceta Urmana), die den Spitznamen Pique Dame in Paris erhalten hat. Sie lebte dort als junge Frau –, gefeiert und spielsüchtig, ein Star der Salons. Von einem Grafen Saint-Germain hat sie erfahren, welche drei (zauberische) Spielkarten ihr den Gewinn immer garantierten.
Zweimal hat sie das Geheimnis preisgegeben. Beim dritten Mal, wurde ihr geweissagt, drohe ihr der Tod durch den Informierten.
Nun nimmt das – literarische – Schicksal seinen üblichen Lauf. Lisa (Asmik Grigorian) erwidert Hermanns Liebe. Dieser bekommt von Lisa auf einem Maskenball den Schlüssel zum Zimmer der Gräfin. Von dort aus kommt man zu ihrem, Lisas, Zimmer.
Hermann benutzt zwar den Schlüssel, zieht es indessen vor, statt mit Lisa sich mit der Gräfin zu beschäftigen, um ihr das Geheimnis der Gewinnerkarten zu entreißen. Als diese sich weigert, bedroht er sie mit einer Pistole. Sie stirbt vor Schreck. (Die etwaige fahrlässige Tötung beschäftigt den Librettisten nicht weiter). Es kommt dann ein Geist in Gestalt der (toten) Gräfin ins Spiel, der das Geheimnis verrät. Es geht um die drei Karten: Drei, Sieben, As.
Natürlich eilt Hermann ins Kasino, um zu spielen. Inzwischen, wie es so kommt, auch gewinnsüchtig. Geldgierig, aber vorgebend, es gehe ihm allein um seine Zukunft mit Lisa. Aber statt der As-Karte legt er beim Spiel als dritte Karte die Pique Dame-Karte auf den Tisch und verliert.
Die sogenannte „Schürzung des Knotens“.Wie es sich im Drama gehört, entleibt er sich, irgendwie, vielleicht erschießt er sich, das wird nicht so ganz klar für den Zuschauer. Lisa erscheint und steht, alles verzeihend über ihm, gerade noch rechtzeitig eingetroffen, um Hermanns „Geständnis“ zu hören: Er habe die Gräfin getötet. Auf diese geschossen hat er freilich nicht. Aber wenn er es selbst sagt: dann hat er eben mit dem Tod der Gräfin durch Erschrecken gerechnet. Na ja.
Lisa verzeiht ihm. Wählt auch sie den Tod? Wer weiß. Sie steht immerhin lebend auf der Bühne, als der Vorhang fällt.
Soweit die äußere Geschichte. Der wunderliche Text weicht freilich von der Vorlage Puschkins ab. Nicht nur im Handlungsablauf.
Zur Inszenierung: Das eigentliche Problem, nämlich die vornehmlich am Geld orientierte, durchaus unheilvoll moderne Vorstellung Hermanns, die ihn aufrichtig liebende Lisa offenbar nur durch Reichtum letztlich betören zu können, wird in der Inszenierung zwar deutlich, jedoch szenisch nicht überzeugend umgesetzt.
An sich wäre der Zeitgeist schnell mit der Geschichte fertig. Geld muss her, dann ist die Sache ein Kinderspiel. Erst Geld, dann die Liebe. Die Regie macht indessen Umwege: Versucht zu zeigen, was inzwischen Allgemeingut ist: Geld regiert die Welt. Also zuerst das Geld, dann kommt die Liebe ganz von selbst. Nur: Es fehlt in dieser Inszenierung der Zusammenhang mit der konkreten Geschichte. Offenbar will der Regisseur Szenenbeispiele aufzeigen, durch was oder wie man etwa eine Frau für sich gewinnen kann.
Das erste Bühnenbild hält sich zwar noch ans Spielermilieu. Ein Spielsalon mit mehreren Spieltischen, in ein Halbdunkel getaucht, halbdunkel, ein wenig verrucht.
Danach folgt aber im Grunde nur Zusammenhangloses. Der Hinweis aufs Allgemeine, ohne dass eine unmittelbare Verbindung zum konkreten Bühnengeschehen, zur eigentlich Handlung, erkennbar wäre.
Es ist freilich klar, was gemeint ist. Prunksucht als Werbeantrieb. Zum Beispiel fahren vier protzige Autos, eines luxuriöser als das andere auf die Bühne. Sie stehen da wie Götzen des Wohlstands. Lisa klettert in der Pose eines Werbegirls auf die Kühlerhaube eines Luxusschlittens. Kapitalismus pur. Als spekuliere sie durch die Verbindung mit Hermann auf ein Luxusauto.
Ein Beispiel für die – passive – Spielleidenschaft als gesellschaftliches Phänomen: Es wird eine beachtliche Menschenmenge wie in einem Fußballstadion auf einer Tribüne aus dem Hintergrund auf die Bühne geschoben. Soll da ganz allgemein die Besessenheit der Gesellschaft vom Spiel verdeutlicht werden? Die falsche Bewunderung der minderbemittelten Massen für das Treiben der Millionäre auf dem Spielfeld?
Das etwaige kritische Potential einer solchen Darstellung kann leicht missverstanden werden: in der Regel ist es nämlich echte Bewunderung, vorbehaltlose, fanatische Anhängerschaft, willige Gefolgschaft der Armen. Realsatire.
Und wo ist in den Beispielen der konkrete Handlungsbezug? Etwa in der Geldgier und Besessenheit der Reichen an der zwanghaften Geldmehrung, jener Reichen, die nicht einmal wissen, dass ihnen im Grunde das Spiel mehr wert ist als der Gewinn, auf den sie nicht angewiesen sind?
Wohlgemerkt: Die beiden Ideen sind an sich weder falsch noch sind sie schlecht in Szene gesetzt. Es fehlt aber die Integration ins Bühnengeschehen, in den Handlungsablauf. Die Autos können nicht dem Handlungsablauf der Oper zugeordnet werden. Sie sind nicht mehr als eine Art Ausrufezeichen. Nicht anders als die Zuschauer auf der Tribüne. Allenfalls, wenn überhaupt. Das hat alles etwas von plakativer Bedeutungshuberei. Als wollte der Regisseur sagen, übrigens ist das dort und da auch so mit dem Geld. Da ist der Hermann nicht allein.
Ein wenig ratlos war man gar hinsichtlich der Wohnung der Gräfin. Wenn das überhaupt ihre oder eine richtige Wohnung war oder sein sollte. Durch eine Art Luke fiel Licht auf ein Bassin (Bad?), in dem später bei der Konfrontation mit Hermann die Gräfin starb.
Eindrucksvoll und sinngebend waren hingegen die Szenen, in denen die leere Bühne in düsteres Schwarz getaucht war und die die Protagonisten wie ein Niemandsland betraten. Fahle Leere. Diese Auftritte gehörten zu den Höhepunkten der Inszenierung. Düstere Hoffnungslosigkeit. Endzeit. Es kann so nicht gut ausgehen mit dem Herrmann und der Lisa.
Ein einziges auch: die Chöre. Eine Oper für sich. Männer, Frauen und Kinder. Eine geradezu verwirrende Vielfalt an Einfällen und Stimmgewalt. Ein Kunsterlebnis für sich.
Der noch junge Dirigent Aziz Shokhakimov leitete das gewohnt souveräne Bayerische Staatsorchester mit erkennbarer Vertrautheit mit einer Musik, aus der relativ selten und erkennbar mit Bedacht ein leidenschaftlicher Funken schlägt. Sie hat eher kommentierenden Charakter, unterstreicht das Bühnengeschehen. Das hat ein gewisses Gleichmaß zur Folge, einen Verzicht auf gelegentliche Führung, etwa durch eine eingeschobene Arie, die zusammenfasst und steigert oder auf Kommendes hinweist…