München, Bayerische Staatsoper, LE GRAND MACABRE - György Ligeti, IOCO

LE GRAND MACABRE - München: Wenn ein tiefsinniger Philosoph blödelt, suchen zunächst Viele nach dem Tiefsinn, weil sie dem Philosophen die Blödelei nicht zumuten wollen. Und manche Philosophen halten sogar ihr eigenes Gerede, das ihnen ....

München, Bayerische Staatsoper, LE GRAND MACABRE - György Ligeti, IOCO
Bayerische Staatsoper München © Wilfried Hösl

"Was kümmert mich der Ernst des Lebens, wenn ich Spaß habe und genügend Wein"

von Hans-Günter Melchior

Wenn ein tiefsinniger Philosoph blödelt, suchen zunächst Viele nach dem Tiefsinn, weil sie dem Philosophen die Blödelei nicht zumuten wollen. Und manche Philosophen halten sogar ihr eigenes Gerede, das ihnen irgendwie aus dem Bauch herauskommt, also von unten nach oben in den Kopf steigt, für Tiefsinn, wenn es nur unverständlich genug tönt.

Und dann wieder gibt es freie Geister, die zu der Blödelei stehen wie zu einem mentalen Entlastungsprogramm, wie einer, der immer nur schwierige, den Kopf zerbrechende Bücher liest und sich zuweilen nach etwas Leichtem und Unterhaltsamem sehnt.

LE GRAND MACABRE - Trailer - youtube Bayerische Staatsoper

So ist ist es offenbar bei Ligeti, dem genialen Komponisten des Komplizierten einst gewesen (oder mutmaßlich gewesen, wer das schon so genau), als er sich an die Oper Le Grand Macabre machte und genussvoll Text wie Musik vom Tiefsinn ins Kalauern und zuweilen in den Nonsens ausrutschen lässt. Da gibt es dann schon mal reine Lautmalereien oder eben nur Laute, es gibt, gleich zu Beginn und wie eine Art Vorwarnung ein Hupkonzert und zwischendrin noch einmal, und es gibt Anklänge ans geliebte klassische und romantische Repertoire (aber nur wenn genau hinhört freilich) –, und es gibt Kent Nagano, der das alles sehr exakt und mit offensichtlichem Spaß leitet, musikalisch in Szene setzt. Hier, in seinem ehemaligen Haus ist er immer noch zu Hause, ein Dirigent, der sich auch auf die nuancenreichsten Winke versteht, Handreichungen für die Bläser, Hindeutendes selbst für die lärmenden Hupen.

Man darf diese Oper nicht wie ein kirchliches Hochamt wahrnehmen. Man sollte sich mit Ironie wappnen und mit dem mithörenden Spaß am Experimentellen und Probieren…, mal sehen, ob das hier passt, sowas hört man zuweilen heraus, eben: versuchen wir es einmal, wenn sich auch manchen Philistern die Haare sträuben: musikalisch und textlich. Da genügt es manchmal eben auch, sich auf die Lautmalereien und den gebräuchlichen Jargon der Sprache einzustellen. Der alles andere als ein „Jargon der Eigentlichkeit“ (s. Adornos Abhandlung) ist und sein will.

LE GRAND MACABRE - Szenefoto @ Wilfried Hösl

Es macht Spaß zuzuhören, wenn es auch manchmal nicht ganz so leicht ist wie sonst ist, wo ein Ton den anderen, eine Szene die andere gibt, zu folgen.

Und es mag manchen Zuhörern, vor allem diesen (mehr als den Zuschauern), die sich gern auf dem Gewohnten wie auf einem Kissen des alten Geschmacks und der unsterblichen Musik ausruhen, zuviel gewesen sein. Sie standen mittendrin auf und verließen im Gestus des Widerstands den Saal…, so nicht, sollte das wohl heißen, nicht mit uns, den Verdi-Fans, den Puccini-Anhängern und den Wagner-Gefolgsleuten. Da standen dann fast vollständig zwei Reihen ganz vorne von den teuren Plätzen auf und schritten wie Verteidiger der ewigen Kunst nach draußen.

Was hatten sie erwartet? Ligeti war ein Schalk, ein tiefsinniger Schalk zumal, einer, der von vorne anfing, und sich eines Tages an eine Oper machte, die einzige, die er je schrieb. Und die auch gleich aufräumte mit mancher Tradition und manchen Hörgewohnheiten und – zumal dann, wenn es so richtig ernst werden sollte, wollte er lustig sein.

Es treten merkwürdige Gestalten auf. Der Vertreter des Todes, der in dieser so herrlich sich nicht um Konventionen scherenden Oper aus einem Grab heraus kriecht, sich Nekrotzar nennt und sich zum Schluss am süßen Wein besäuft. Dabei freilich glaubt, das, womit er sich abfüllt, sei Blut. Weil eben Blut respektabel ist, ein besonderer Saft und aufs Existentielle hinweist.  Und weil man, mit Blut besoffen, doch irgendwie höhere Weihen empfangen hat, als wenn man sich nur mit Wein abfüllt. Was für ein umwerfender Spott.

LE GRAND MACABRE - Szenefoto @ Wilfried Hösl

Am Anfang freilich verkündet Nekrotzar (herrlich und vertrackt zugleich Michael Nagy, schmierig und ein wenig verwahrlost, so ein richtiger Unterwelttyp mit kernigem Bariton), so nüchtern wie von der eigenen Bedeutung besoffen, den Weltuntergang. Während sich Amanda und Amando (Seonwoo Lee und Avery Amererau), ein Liebespaar ohne besondere Funktion im Stück, sich seines Sarges/Grabes als Unterschlupf für ihre Liebesspiele bedienen. Das Naheliegend ist lustig, die von zwei Damen dargestellte Vergnügungsreise in den Untergrund so vieldeutig wie eindeutig, herrlich komödiantisch.

Nekrotzar bedient sich des trotteligen Säufers Piet vom Fass (hervorragend der Tenor Benjamins Bruns´) als Pferd und reitet zu dem Sterngucker Astradamors (wunderbar der Bass Sam Carls, kernig, tief grundiert), der mit seiner geilen Frau Mescalina (lasziv, komödiantisch Lindsay Amann) nicht zu Recht kommt und manche Wünsche offen lässt.

Ach ja, und der Fürst Go-Go (John Holiday; Countertenor, komödiantisch sein Spiel, groß sein Gesang) – und so weiter, der Chef der Geheimpolizei, Gepopo (Sarah Aristidou), ein Schwarzer Minister und ein Weißer Minister (Kevin Conners und Bálin Szabó), alle sangen und wuselten nur so über die Bühne, dass einem die Ohren sausten und die Augen übergingen, während Musikerinnen und Musiker auf der Bühne, Katharina, Stefan Schneider, Susanne von Hayn, Felix Gargerle und der Bayerische Staatsopernchor musikalisch gewaltig eingriffen. 

LE GRAND MACABRE - Szenefoto @ Wilfried Hösl

Der in München wohlbekannte Regisseur Krzysztof Warlikowski hat das zuweilen die Bühne fast überfüllende Geschehen zu einem farbigen Treiben zusammengestellt. Die Protagonisten Piet vom Fass und Nekrotzar waren zuweilen zu grotesken Gestalten verzerrt. Transponiert ins märchenhaft Unwirkliche.

Dann aber die Videos. Über der Bühne ablaufend. Ein einziger dystopischer Einwand gegen die Harlekinade. Weltuntergang, Elend und Kriege, Bomben und Tote. Ein Meteor bewegt sich auf die Erde zu, verschluckt sie förmlich.

Das passt nicht zum Grundton der Oper und auch nicht zu der Inszenierung insgesamt. Die ja leicht changiert zwischen Nonsens und sehr vorsichtig angedeutetem Tiefsinn, gelegentlich zur luftig-lockeren Blödelei, die das Leben selbst auf die leichte Schulter nimmt.

Ligeti wusste, was er wollte. Über dem Besäufnis vergisst Nekrotzar den Weltuntergang. Genießt das Leben, Leute, solange es euch gut geht und blast nicht Trübsal. Der Tod kommt noch früh genug. 

So lautet doch die Botschaft der Oper. Oder etwa nicht? Wäre es anders, hätte man das Bühnengeschehen anders aufziehen müssen. Aber es ist nun nicht anders. Nicht anders gewollt vom Komponisten. Und es ist gut so.

Sei´s drum. Gestört haben die weltgeschichtlichen, schwergewichtigen  Einwände nicht sonderlich.

Und: Was für eine enorme Orchesterleistung! Größte Hochachtung für die Musiker und ihren Dirigenten. Kommen Sie bald wieder, Herr Nagano.