München, Bayerische Staatsoper, DIE PASSAGIERIN - M. Weinberg, IOCO

DIE PASSIGIERIN: Erster Akt: Die ehemalige KZ-Aufseherin in Auschwitz Lisa (Sophie Koch) befindet sich mit ihrem Ehemann Walter (Charles Workman) auf einer Schiffsreise in die neue Heimat Südamerika. Sie will alle Traumata hinter sich lassen und neu beginnen.

München, Bayerische Staatsoper, DIE PASSAGIERIN - M. Weinberg, IOCO
BAYERISCHE STAATSOPER, München @ W. Hoesl

Bayerische Staatsoper

Die Passagierin - Mieczyslaw Weinberg, Oper in zwei Akten und acht Bildern nach der gleichnamigen Erzählung Pasazerka (1962) von Zofia Posmysz

  Die Zweifel an der Darstellung des Grauens als Oper

Von Hans-Günter Melchior

Fragen über Fragen. Das Klatschen am Ende tut weh. Überhaupt: Darf man den Holocaust zum Gegenstand einer Oper machen? Drängt sich die ästhetische Rezeption vor den grauenhaften Inhalt? Sucht man denn etwa nicht gerade in der Musik den Einspruch gegen die Hässlichkeit einer Welt, die in zunehmendem Maße die Schönheit (wo auch immer man sie in der Musik finden mag) einer kalten, menschenfeindlichen Rationalität opfert, die über das Zusammenzählen der Fakten nicht hinauskommt, wenn diese nur genug Profit abwerfen?

DIE PASSAGIERIN - Trailer der Bayerischen Staatsoper youtube Bayerische Staatsoper

Ist Auschwitz darstellbar?

Der Beifall von der Galerie, der das Haus am Schluss überschwemmt, stört. Falls überhaupt eine Oper das unvorstellbare Grauen, das Herabsinken des Menschen auf seine mühsam genug unterdrückte und in Schach gehaltene Verbrechernatur zum Gegenstand macht, wäre es angemessen, am Schluss erschüttert und schweigend das Haus zu verlassen.

Für Jubelsalven über sängerische und orchestrale Leistungen ist jedenfalls kein Platz. Als ob es sich um eine gewöhnliche Oper handele und nicht um den Versuch einer Darstellung eines beispiellosen Verbrechens in der Geschichte der Menschheit. Und als ob es nicht gerade den Deutschen gut anstünde, aus der Aufführung nicht einen gewöhnlichen Opernabend, bei dem sich die Kriterien des Ästhetischen vordrängten, zu machen, anstatt einer Art Gedenkstunde.

Genug. Der Pole Mieczyslaw Weinberg, dessen Familie den Verbrechern zum Opfer fiel, hat sich diese Oper offenbar abgerungen, gleichsam vom Leib geschrieben. Die Musik hetzt, wütet, schreit in der Atonalität und flüchtet sich zuweilen in die Idyllen des Tonalen wie in Erinnerungen an ein verlorenes Paradies.

Noch einmal, weil der Abend beim Nachempfinden so weh tat: So eindrucksvoll die künstlerischen Leistungen auch sind, bleibt doch die Frage, ob das Thema überhaupt genug Raum lässt für die Kunst. Hat diese dort ihren Platz, wo die niedrigsten Instinkte zur Sprache kommen? Wo ein Aufseher – so im Text zu lesen – sinngemäß sagte, in Auschwitz könne man wenigstens schießen, ohne befürchten zu müssen, dass zurückgeschossen werde. Dafür müsse man die Langeweile in Kauf nehmen?

Da ist der Roman oder die Erzählung der Autorin Zofia Posmysz der angemessenere Ort. Hier gibt es im Grunde nur die nüchterne, in die Begriffslogik des Rechts gefasste Sprache, die einer Anklageschrift gleichkommt. Allenfalls ist noch die Bildsprache das adäquate Medium. Die Musik dazu „schön“ zu finden, würde ihr Unrecht tun, ihrer Absicht zuwiderlaufen. Aber eine hässliche Musik ist fast nicht vorstellbar.

Der Regisseur Tobias Kratzer mochte das gespürt haben. An einer Darstellung des Grauens in Auschwitz, also gleichsam vor Ort, hätte er sich überhoben, eben weil das Geschehen nicht darstellbar ist; zu tief unten, zu kunstfern, zu gefährlich als Sumpf, der herabzieht.

Das Libretto von Alexander W. Medwedew stützt sich größtenteils auf die aus eigenem Erleben kommende Erzählung der Autorin Zofia Posmysz, die 2022 im Alter von 99 Jahren verstorben ist.

Kratzer verlegt das Geschehen unter Verzicht aufs Tatsachengeschehen  in die Vorstellung. Er verzichtet – dankenswerter Weise – auf die sich jeder Darstellung entziehende Beschreibung der realen Zustände in Auschwitz. Ist es aber deshalb erträglicher? Hat denn Kunst nicht den elementaren Anspruch der Verfremdung? Der Umsetzung des Realen in das Andere der Vorstellung? Der Amalgamierung?

DIE PASSAGIERIN hier das Ensemble zum Schlussapplaus @ W. Hoesl

Der Inhalt:

Erster Akt: Die ehemalige KZ-Aufseherin in Auschwitz Lisa (Sophie Koch) befindet sich mit ihrem Ehemann Walter (Charles Workman) auf einer Schiffsreise in die neue Heimat Südamerika. Sie will alles, was sie an die alte Heimat erinnert, alle Traumata hinter sich lassen und neu beginnen.

Ihr Ehemann hat von ihrer Vergangenheit keine Kenntnis. Die Vergangenheit ragt freilich als unbewältigt in die Gegenwart hinein:

Die ehemalige Aufseherin Lisa, verkörpert in der Alten Lisa (Sibylle Maria Dordel), die wie ein Schatten im Raum steht und die Lisa in Auschwitz als Instanz des Erlebens und Erinnerns vertritt, glaubt in einer Passagierin die ehemalige KZ-Insassin Marta (Elena Tsallagova) zu erkennen. Mit der Polin Marta verband Lisa in Auschwitz eine nicht näher definierte, wohl abhängige Beziehung zwischen Neigung und Beherrschung, die das Auschwitz kennzeichnende Verhältnis von Unterdrückung und Unterdrückter zumindest teilweise aufhob. So dass Marta eine gewisse Macht über Lisa gewann.

Lisa offenbart sich auf der Reise ihrem Ehemann Walter.

Sie gerät aus Angst vor der ehemaligen Auschwitzinsassin in eine psychische Krise und beauftragt einen Stewart, über die Person der Mitreisenden zu recherchieren. Dieser teilt ihr mit, die vermeintliche Marta sei eine Britin und keine Polin, also (anscheinend) nicht identisch mit jener Marta, an die sich Lisa erinnert.

Dennoch kann sich Lisa nicht von ihren Erinnerungen an Marta befreien. Vor ihren, der alten Lisa Augen, läuft das ehemalige Geschehen ab. Sie gewährt Marta ein Rendezvous mit ihrem Verlobten, dem berühmten, ebenfalls inhaftierten Geiger Tadeuz (Jaques Imbrailo). Ein weiteres Rendezvous lehnt Tadeuz ab, um nicht in Abhängigkeit zu Lisa zu gelangen.

DIE PASSAGIERIN - Regisseur Tobias Kratzer über die Inszenierung

Zweiter Akt:

Es findet ein Fest statt. Marta fasziniert durch eine Arie, die musikalisch über verschiedene Musikzeitalter reicht. Überhaupt ist sie, redet man schon von den musikalischen Darbietungen, die am meisten beeindruckende Protagonistin.

Wieder kommt es zu Assoziationen im Handlungsablauf: Die alte Lisa irrlichtert über die Bühne. Sie springt ins Wasser. Gibt sich auf. Warum? Reue? Einsicht? Ertrinkt sie wirklich?

Dabei ist sie doch von allen Einsichten in die eigene Schuld so gut wie verlassen, weit entfernt. In einer Szene zuvor behauptet sie doch, nur ihre Pflicht getan zu haben. Man könne ihr keinen Vorwurf machen. Adornos Feststellung in den Minima Moralia fällt einem ein: „Es gibt kein richtiges Leben im falschen.“

Ein sich ankündigendes Fest. Ein Festsaal nimmt die gesamte Bühne in Beschlag. Die Tische sind nach dem Muster der Baracken in Auschwitz angeordnet.

Der Saal füllt sich. Marta entkleidet sich fast vollständig wie im Varietè, steht auf dem Tisch. Warum? Hat man da was nicht verstanden?

Der Kommandant tritt auf. Er befiehlt dem Geiger Tadeuz einen Walzer zu spielen. Des Kommandanten „Lieblingswalzer“. Tadeuz widersetzt sich durch die Tat. Er spielt nicht den Walzer, sondern die Chaconne von Bach. Der Kommandant und seine Schergen erschlagen ihn daraufhin brutal.

Die Musik darauf weist der Dirigent Jurowski (der offenbar mit der Oper an sich, also damit, dass man überhaupt eine Oper aus dem kaum zu bewältigenden Thema macht, nicht uneingeschränkt glücklich ist), in einem Beitrag hin, ist durch eine Polystilistik gekennzeichnet: Sie geht von der barocken Form über in die Zwölftonigkeit.

Wie überhaupt musikalisch der Wechsel von Tonalität in die Atonalität und der Übergang von einem Stil in den anderen, sogar vom Trivialen zum Komplizierten für den zweiten Teil typisch ist.

Freilich leidet vor allem der zweite Teil an einer gewissen thematischen Unübersichtlichkeit. Der Wechsel vom Festsaal, dem Lärmen und Feiern zur Darbietung des Tadeuz ist abrupt und wohl zeitlich nicht ganz verständlich in das Fest hinein verlegt, Einer Veranstaltung, an der der Ehemann Lisas teilnimmt, obwohl er mit dem eigentlichen Geschehen in Auschwitz nichts zu tun haben konnte. Wie kommt er also nach Auschwitz? Der Übergang von der Realität in die mentale Vorstellung ist manchmal schwer nachzuvollziehen.

Die Passagierin - E. Tsallagova als Marta - N. Beinart, Ensemble c W.HoeslNEU2

Irritationen auch hinsichtlich des Schicksals von Marta. Wurde sie ermordet? Hat sie überlebt? War sie nun die Frau auf dem Schiff oder nicht? An einer Stelle des Textes wird nahe gelegt, dass auch sie den Tod fand. Andererseits spricht sie im Text ein Schlusswort: „Wenn eines Tages eure Stimmen verhallt sind, dann gehen wir zugrunde. Ich werde euch nie und nimmer vergessen.“

Es bleibt bei aller eindrucksvollen Leistung der Protagonisten, insbesondere auch des Dirigenten und des großartigen Orchesters dabei: Auschwitz ist nicht darstellbar. Man sollte das Schreckliche dort lassen, wo es hingehört: in die Gerichtssäle und die Geschichtsbücher, in die Schulen und Seminare –, und in die Parlamente.

Alles in allem ein bedrückender, nachdenklicher Abend, über den sich erst zu Hause und je später der Abend wurde, ein Trauerflor senkte…

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