München, Bayerische Staatsoper, DIDO AND AENEAS - ERWARTUNG, IOCO Kritik, 01.02.2023
DIDO AND AENEAS - Henry Purcell / ERWARTUNG - Arnold Schönberg
- die Suche nach dem verlorenen Glück -
von Hans-Günter Melchior
Da hat sich der Regisseur Krzysztof Warlikowski gewaltig in den gewichtigen Stoff hineingeträumt, hineinfantasiert. Herausgekommen ist ein komplexes Stück Operntheater, das fasziniert, aber auch ein wenig ratlos lässt. Man hetzt als Zuschauer zunächst einigen Traumgebilden hinterher. Aber am Ende sieht man klarer.
Also es ist doch so: Vergil hat die Aeneis geschrieben, ein gewaltiges Werk, das sich zum Teil an die Odyssee anlehnt. Im Buch 4 gelangt der aus Troja abgereiste / geflüchtete Aeneas mit seiner Mannschaft nach Karthago, wo er von der Herrscherin Dido freundlich aufgenommen wird. Seine Mutter Venus, die den Rastlosen zur Ruhe kommen lassen will, fädelt zusammen mit Juno die Liebesheirat der beiden durch eine List ein. Sie suchen bei einem Unwetter gemeinsam eine Höhle auf, wo es zur Vereinigung kommt. Aeneas entwickelt danach im Liebesglück zunächst die Neigung zur Sesshaftigkeit.
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Jupiter ist das nicht recht. Er entsendet Mercurius, der Aeneas ermahnt, seinem Auftrag, eine Stadt (Rom) zu gründen, Taten folgen zu lassen. Aeneas gibt nach, hat jedoch nicht den Mut, Dido seinen Entschluss, sich in Erfüllung seines historischen Auftrags von ihr zu trennen, zu gestehen. Er schleicht sich heimlich mit seiner Flotte davon. Dido ist erbost, enttäuscht, verzweifelt. Sie nimmt sich das Leben…
In Original des Psychodramas Erwartung von Arnold Schönberg sucht eine Frau ihren Geliebten im Wald. Sie steht vor drei Wegen. Auf dem Weg, den sie wählt, findet sie den geliebten Mann: er ist tot.
Warlikowski hat aus dem Stoff ein modernes Drama gemacht. Die Bühne (Malgorzata Szczésniak) besteht aus zwei würfelähnlichen, verglasten Büroräumen mit Bürotischen, Stühlen, einem Sofa in dem einen, im anderen, eher karger eingerichteten Raum, dominiert ein Bürotisch. Man kann von dem einen Raum in den anderen gehen,
Über den Büros hängt ein großer Bildschirm, der manchmal Details der Handlung in den Büros zeigt. Über dem Bildschirm wiederum hängt eine elektronische Tafel mit Textnachrichten. Vor den, übrigens trennbaren Büros (sie fahren später auseinander) ist die Bühne im Wesentlichen als Agitationsfläche frei. Ein PKW fährt vor, dem die Protagonisten entsteigen. Eine gewisse Mondänität bestimmt die Szene,
Dido, großartig, beeindruckend: Ausrine Stundyte, und Belinda, Didos Vertraute, Beraterin (Victoria Randem) machen sich offenbar im Büro zu schaffen. Der stimmgewaltige Chor ermuntert Dido, sich zu ihrer Liebe zu bekennen. Aeneas (Günter Papendell) fleht um Erhörung durch Dido. Das Liebesgeplänkel vermischt sich mit der Ankündigung des Unheils. Eine Zauberin, Hexen treten auf. Der Chor leiht dem Bösen die Stimme: „Schaden ist unser Vergnügen und Unheil unsere ganze Kunst.“ Tanzeinlagen: Venus (Rinat Shaham, Opernballett der Bayerischen Staatsoper), während alles zugleich ist: Innen und Außen, zum Teil gedoppelte Szenen, im Büro und auf dem Bildschirm. Und über dem Bildschirm, soweit sie nicht selbst beteiligt ist: Dido als Protokollarin des Geschehens. Bis zu ihrem Suizid durch das Feuer. Sie liegt auf einer Bahre…
Man muss aufpassen, wo man sich im Geschehen jeweils befindet. Fantasie und reales Geschehen sind nicht eindeutig getrennt. Die Übergänge sind fließend. Fast unmerklich. Das ist gekonnt gemacht, eindrucksvoll das in die Wirklichkeit tretende Innenleben. So wird dem Stoff die Zeitlosigkeit abgewonnen.
Während sich fast übergangslos der zweite Teil des Abends, Erwartung vollzieht. In einem Intermezzo findet eine schier unendliche Kamerafahrt durch eine düstere, moderne mit gesprayten Kunstwerken „verzierte“ Unterführung statt.
Es wird hingeführt auf die Suche der Frau. Die Frau und Dido sind identisch. Nichts wird am Bühnenbild geändert. Der PKW bleibt auf der Bühne stehen.
Die Büroräume sind freilich nun getrennt. Dido / Eine Frau, ist Ausrine Stundyte. Sie ist auf der Suche nach dem geliebten Mann. Im Hintergrund der Wald, verschneit, von Zeit zu Zeit läuft ein Reh oder ein Hirsch durch die Szene. In dem nunmehr abgetrennten Raum ist ein Tisch gedeckt. Ein Mann zündet Kerzen. Trägt offenbar Speisen auf wie ein Kellner. Wie in Vorbereitung eines Abends im Restaurant. Der Gesuchte? Aeneas? Es liegt nahe. Alles Außenleben ist zugleich Innenleben. Das nach außen gewendete Innenleben.
Die Frau sucht am Ende der Klage und der Irrwege, ihrer Wanderung durch das eigene Innenleben, den Mann in dem Bürokontainer auf. Aber die beiden kommen nicht wirklich zusammen, gehen auseinander wie Fremde. Erloschene Liebe wie der Tod.
Die getrennten Büros werden vergeblich technisch zusammengeführt. Der Schleier der Vergeblichkeit liegt über dem Vorgang. Didos erneute, ins Zeitnahe fantasierte Enttäuschung. Einer feinen und überzeugenden Psychologie gelingt es bis zum Ende, die beiden Stoffe thematisch miteinander zu verbinden. Dido als die die Liebe suchende Frau, die enttäuscht wird. Wie die vergeblich durch den Wald eilende Frau, die zugleich Dido ist.
Schönbergs aufwühlende, fordernde Musik. Keine Tonart. Eine freischwebende, von Emotionen, Seelenstürmen bestimmte Partitur. Meisterhaft gespielt vom Bayerischen Staatsorchester unter der Leitung von Andrew Manze. Erst Schönbergs Partitur verwirklicht, was Purcells eher konventioneller Musik nicht ganz gelang: die Umsetzung des psychischen Dramas, der verzweifelten Ausnahmesituation in eine den Nerv treffende Musik. Ein erregendes Klangereignis, das an die Grenzen der Leidensfähigkeit im Mitvollzug stößt.
Der – zeitliche – Zusammenhang zwischen Schönbergs privater Situation und deren Verarbeitung in Kunst/Musik erscheint evident: seine Ehefrau Mathilde hat ihn mit dem Maler Gerstl betrogen, er hat die beiden in flagranti ertappt. Freud hätte von Sublimierung gesprochen.
Ein Abend, der einiges an intellektueller Verarbeitung abverlangte. Ein großer Abend. Einhelliger Beifall.