München, Bayerische Staatsoper, COSI FAN TUTTE - Wolfgang A. Mozart, IOCO Kritik, 30.10.2022
COSI FAN TUTTE - Wolfgang Amadeus Mozart
- Das gründliche Aufräumen mit dem Unglaubwürdigen -
von Hans-Günter Melchior
Zugegeben: glaubwürdig war das noch nie. Nämlich, dass die beiden Frauen Fiordiligi und Dorabella, die als Türken verkleideten Verlobten Guilelmo und Ferrando nicht sofort als die erkannten, die sie waren, und noch weniger glaubwürdig war es von jeher, dass den Frauen entgangen sein sollte, mit wem sie sich – übrigens über Kreuz, also Dorabella mit Guilelmo und Fiordiligi mit Ferrando (nach einigem Zögern) – einließen, als sie sich, dem „Blonden“ und dem „Braunen“ im Liebespiel hingaben.
Vielleicht lag es daran, dass Beethoven und Wagner – folgt man Wikipedia – die Oper nicht mochten, vielleicht sogar für ein wenig läppisch hielten. Und auch die aufgeklärten heutigen Zuschauer nahmen solche halbliterarischen Kapriolen eher mit einem Schmunzeln oder gar einem Achselzucken hin…, na ja, ist halt eine Oper.
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Mit solchen Petitessen hält sich freilich der Regisseur Benedict Andrews in seiner münchner Inszenierung nicht lange auf. Da geht es gleich heftig zur Sache. Bevor das Spiel überhaupt beginnt, vernascht, der Initiator des vergnüglich/ernsten/nachdenklich stimmenden Spiels Don Alfonso (Christian Gerhaher) in Sadomaso-Maske das Dienstmädchen im renommierten Haus, die lebenslustige und sittlich eher unempfindliche Despina (Bandrine Piau); gewissermaßen auf offener Bühne. Erst danach sind die beiden Helden mit der hymnischen Lobpreisung ihrer – noch – Angebeteten dran.
Aber damit nicht genug. Das Stück ist aus der Sicht Andrews´ voller Waghalsigkeiten und vor allem desillusionierender, meist sexuell konnotierter Praktiken und Begierden. So ist der Mensch. Cosi fan tutte…, ein triebgesteuertes Wesen, ständig im Konflikt mit den Moralanforderungen der Gesellschaft und regelmäßig daran scheiternd.
Es ist modern, was gezeigt wird. Die beiden – zunächst noch im Liebesüberschwang befindlichen, über die vermeintliche Kriegsteilnahme der Verlobten verzweifelten – Damen nehmen nicht etwa Gift (wie im Originaltext), um ihr in die Depression gefallenes Leben zu beenden. Sie setzen sich vielmehr in der Garage in ein Auto und leiten die Abgase ins Innere des Fahrzeugs. Ein probates Mittel, die Suizidpraxis ist voller Beispiele, nicht zuletzt auch im kriminellen Milieu. Freilich haben die theatralisch Liebenden gleichsam Augen nach hinten: in Erwartung der nüchtern denkenden Bediensteten Despina mit dem belastungsfähigen Sittenkodex. Die auch prompt erscheint und der Aktion ein resolutes Ende bereitet.
Eindrucksvoll auch der Gag mit der vorgegebenen Trutzburg des Widerstands gegen alle Anfechtungen des Liebes- und Sexualtriebs. Zunächst wird eine Ritterburg aus Holz aus dem Kinderbaukasten aufgestellt, klein, mit fest verschlossenem Tor, wehrhaft und gegen alle unheiligen Versuchungen gewappnet. Aus dieser Ritterburg wird aber wenig später, wenn die Liebhaber ihre Tricks ausspielen, eine lächerliche Attrappe, eine riesige Gummiburg, die sehr bald, der Luft beraubt, in sich zusammenfällt. Ein durchaus gelungenes Symbol der Heuchelei.
Freilich macht die Inszenierung auch nicht vor durchaus grenzwertigen Anzüglichkeiten Halt. Da spielen die Damen schon mal mit einem Dildo, den sie lustvoll traktieren. Und im Hintergrund erscheint ein überdimensionales „Gemälde“, das sich auf die Darstellung der weiblichen und männlichen Geschlechtsorgane beschränkt, ohne in einen irgendwie erzählerischen Zusammenhang integriert zu sein. Es soll wohl auf die Wandschmierereien in öffentlichen Toiletten hinweisen.
Man hat inzwischen verstanden: die unentrinnbare Triebstruktur des Menschlichen. „Das Unbehagen in der Kultur“ (Sigmund Freud). Die zu Unrecht und gegen die Natur errichtete Triebschranke. Die Freud´schen Konversionssymptome. Hysterie und dergleichen.
Man fühlt sich an Michael Hanekes denkwürdige Cosi-Inszenierung in Madrid erinnert. Wo aber Haneke faszinierende Erotik aufzeigt, droht Andrews´ Inszenierung in die gefährliche Nähe der Pornografie zu geraten.
Andererseits gelingen ihm schöne, wohl ironisch gemeinte, zumindest so deutungsfähige Bilder: die beiden falschen Türken winden sich, nachdem sie angeblich Gift genommen haben, vor einem prächtigen Rosenbeet. Bunte Blätter fallen. Und die falsche Hochzeit „über Kreuz“ wird von einer wahren Sturzflut aus bunten Papierblättchen (Laub?) ins bewusste Kitschige verklärt. Schönheit und gespieltes Elend in einem.
Seis drum. Was immer man gegen die Inszenierung vorbringen könnte, wird durch die musikalischen Leistungen mehr als aufgewogen. Ein einziger Genuss.
Das sängerische Ensemble ist nahezu perfekt, ungeachtet des Umstandes, dass Sebastian Kohlhepp (Ferrando) gerade erst – halb – von Corona genesen ist. Er meisterte die Partie mit kaum hörbarer Beeinträchtigung. Dank und Anerkennung. Konstantin Krimmels als Guilelmo war ihm ebenbürtig..
Die weiblichen Ensemblemitglieder standen den Männern nicht nach. Ganz im Gegenteil, sie nahmen die Hörer in Bann. Was für eine Ausstrahlung der beiden Damen: die Fiordiligi der Louise Alder und die Dorabella der Avery Amereau (sehr verführerisch, erotisch). Wahre Beifallsstürme erntete vor allem und zu Recht Louise Alder, die mit der großen Arie der Fiordiligi "Per pietà, ben mio…", die Zuhörer in Bann schlug.
Christian Gerhahers Alfonso war sängerisch perfekt. Freilich hatte der Rezensent den – vielleicht falschen – Eindruck, dass er sich bei den eindeutig sexuellen Szenen nicht so recht wohl fühlte. Man tritt ihm wohl nicht zu nahe, wenn man behauptet, dass er zu sehr selbstvergessener, ins Sublime gesteigerter Künstler ist, um sich in der Rolle des feurigen, ja sogar geilen Liebhabers ganz zu Hause zu fühlen. Wunderbar, grazil, kapriziös die Despina der Sandrine Piau. Quirlig. Wie konzipiert die Antithese zur Sittenstrenge.
Die Krone des Abends gebührt freilich dem Orchester und seinem Dirigenten Vladimir Jurowski. Mehr an Geschmeidigkeit des Orchesterklangs, aber auch mozarttypischer Melancholie, chromatischen Eintrübungen und Zweifeln sowie dynamischen Steigerungen kann man aus dieser Partitur schwerlich herausholen. Besonders im 2. Akt trieb Jurowski mit überraschend innigem Verständnis der mozart´schen musikalischen Grundstimmung (kaum zu glauben, dass dies Jurowskis erstes Mozartdirigat war) zu einer die Zuhörer fesselnden Höchstleistung. Die schön verschleierte Heiterkeit. Die gelegentlich übermütigen Ausbrüche. Die reife Seelentiefe in der Liebe. Der Herzschlag! Das alles war zu hören. In der Tat: fesselnd, war fast mehr Zuhörer als (eh beiläufiger) Zuschauer.
Einhelliger Beifall am Ende. Selbst für die Regie. Was für ein zufriedenes Haus an einem wie auch immer denkwürdigen Abend!
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