München, Bayerische Staatsoper, AIDA - Giuseppe Verdi, IOCO Kritik, 28.05.2023
AIDA - Giuseppe Verdi
- Der Krieg und die Liebe -
von Hans-Günter Melchior
Also mal ganz ehrlich und ohne jemandem zu nahe treten zu wollen: Verdi war nicht der ewig junge Mozart. Und ihm stand nicht wie Mozart der geniale, listige und raffinierte Textschöpfer zur Seite, der Da Ponte für Mozart war.
Das zuweilen arg schmetternde Pathos in Aida jagt uns Heutigen keine Schauer der Ergriffenheit mehr über den Rücken. Zu absichtsvoll ins Bedeutende, überhöht, klingt uns manches in dieser Oper. Die Fanfaren aus den Logen zu beiden Seiten der Bühne überwältigen die Gefühle nicht mehr so, dass man die Zeit vergisst und auf den Gipfeln einer Staatsidee nur einer unter Vielen sein will.
Trailer AIDA - Bayerische Staatsoper youtube Bayerische Staatsoper [ Mit erweitertem Datenschutz eingebettet ]
Und dass die Sklavin Aida sich in den ägyptischen Hauptmann und Heerführer Radamès verliebt und von diesem ungeachtet des ausbrechenden Krieges zwischen Ägypten und Äthiopien wiedergeliebt wird, ist ein literarisch etwas strapazierter eingebauter Konflikt.
Da war es recht verdienstvoll, dass der Regisseur Damiano Michieletto die Dinge ein wenig zurechtrückte und den Krieg als das zeigte, was er gemeinhin ist: ein grausames, von Grund auf menschenfeindliches Geschehen.
Die ersten beiden Akte lässt er in einem zerbombten Raum spielen, in dem es reichlich Ruß aus einer von Bombeneinschlägen demolierten Decke rieselt. Man ist bei aller assoziativen Anspielung auf die Gegenwart geradezu erleichtert, ja dankbar für die emotionale Abkühlung. Hier ist einer, dem das Kriegspathos gehörig gegen den Strich geht, einer, der sagt, was Sache ist. Triumphmarsch hin oder her. Denn der Krieg der Ägypter gegen die Äthiopier wurde zwar gewonnen, die hochdekorierten Helden kommen aber, wie es in jedem Krieg unvermeidlich ist, als Krüppel zurück, schleichen wie misshandelte Hunde über die Bühne, hintereinander, hinkend, an Krücken, einer jämmerlicher als der andere: Orden umgehängt, sachlicher Händedruck, das war es, schon humpelten sie weiter. Die mitleidlose Routine der Ehrung von Kriegsteilnehmern. Triumphgefühle haben da eigentlich keinen Platz. Allenfalls beim nicht unmittelbar betroffenen Volk, das da herumtanzt, während den „Helden“ ganz anders zumute ist.
Bravo: Ein guter, verdienstvoller Einfall. Einer, der diese etwas verstaubte Oper endlich einmal ins Zeitgemäße bringt und Nachdenklichkeit anmahnt. Raus mit dem Kriegspathos, rein mit der Realität.
Die Akte drei und vier freilich führen die erregten Zuschauergemüter wieder ins Konventionelle zurück. Eine Art Halbpyramide schließt die Bühne nach hinten ab. Davor bejammern Radamès (Brian Jagde) und Aida (Elena Stikhina) ihr Schicksal, Aida als Gefangene und Radamès – in der Lesart seines Volkes ein Hochverräter, der sich scheinbar mit dem Gegner verbündete und die Liebe über die Staatsräson stellte. Während die in ihn unsterblich / sterblich verliebte Königstochter Amneris (Anita Rachveliishvilli) von ihm verschmäht wird und am Bühnenrand wie tot daliegt.
Das Schicksal nimmt seinen Lauf. Es kann nicht gut ausgehen mit den beiden Verliebten. Die Tochter des Feindes und der Sieger. Was für ein Konflikt. Da muss man schon viel Musik aufwenden. Verdi hatte das begriffen.
Der Kontrast zwischen Kriegsschauplatz (verwüstete Behausung in den ersten beiden Akten) und einer eher idyllisch dahingelagerten Halbpyramide als Gefängnis für die unzeitgemäß Liebenden (Akte 3 und 4) mag zwar manchen stören. Er entspricht auch nicht ganz dem Libretto, nach dem ja die beiden Liebenden in einer Art höhlenähnlichem Verlies, einem unterirdischen Kerker, ihre Seelen aushauchen. Radamès zur Strafe, Aida vor allem aus Solidarität zum Geliebten. Die tragische Gefolgschaft der Liebenden bis in den Tod hinein.
Kontrast oder nicht. Man nimmt es hin. Es entbehrt auch nicht einer gewissen Logik der Regieidee. Michieletto teilt nämlich, wie aus einem Interview im Programmheft hervorgeht, die Oper thematisch in zwei Teile auf: einen kriegerischen, gleichsam von der Staatspolitik dominierten (Krieg Ägypten gegen Äthiopien, den die Ägypter gewinnen) und einen eher privaten, der von der Liebesbeziehung der äthiopischen Sklavin Aida, Tochter des Königs ihres Heimatlandes, zu Radamès bestimmt ist. Insofern ist es nicht ganz abwegig, die Szenerie in völlig unterschiedlichen Umgebungen, einen eben als Kriegsschauplatz und einen anderen in den durch eine Art Halbpyramide, eher kulturell-landschaftlich dominierten abgelegen wirkenden Ort darzustellen. Wobei die Halbpyramide oder was immer sie sein soll als Gefängnis und Ort fungiert, in dem die Liebenden den Tod erleiden.
Wenn man sich auch andererseits – aber das ist Ansichtssache und rein subjektiv – eine Fortsetzung des Krieges in den beiden letzten Akten durchaus vorstellen könnte. Szenisch freilich eher als Abbild seelischer Deformation, Verzweiflung und Not, Unmoral bis hin zum Verbrechen, die immer im Gefolge eines Krieges auftreten. Ein Ort der Verwahrlosung in jeder Hinsicht.
Musikalisch stach, wie eigentlich immer und der Bewunderung gewiss, das Bayerische Staatsorchester hervor. Wunderbar, berückend die Bläser vor allem.
Der Dirigent Daniel Rustioni schien freilich zuweilen Dramatik, Steigerung des emotionalen Geschehens, mit Lautstärke zu verwechseln. An manchen Stellen musste man durchaus für sein Gehör fürchten. Da gibt es subtilere Mittel der Steigerung. Für das Pathos des Fanfarengeschmetters aus den Seitenlogen ist das Orchester nicht verantwortlich zu machen. Für so viel Aufwand an Siegesjubel ist Verdi verantwortlich
Hervorragend auch die Chöre, der Bayerische Staatsopernchor und der Extrachor der Bayerischen Staatsoper.
Unter den Protagonisten auf der Bühne überzeugte an diesem Abend jedenfalls uneingeschränkt – das Urteil mag ungerecht sein und zu subjektiv gefärbt– allein der kernige Bass des Hohepriesters Ramfis, den Alexander Kopeczi verkörperte. Während der Tenor Radamés von Brian Jagde in der Höhe Mühe hatte, man merkte die Kraftanstrengung. Die anderen Protagonisten waren solide, aber nicht so fesselnd, dass man sängerisch von einem denkwürdigen Abend sprechen könnte:
Ramfis, den Alexander Kopeczi ein Bariton, König von Äthiopien, George Petean als Amonasro sowie Alexandros Stavrakakis als König (Il Re, der König) boten eine solide Leistung. Gleiches ist dem Ramfis des Alexander Kopeczi, der den Hohepriester gab, zu attestieren. Einzig die Amneris von Anita Rachvelishvilli, Foto links, eine psychologisch abgründige wie sängerisch schwierige Partie, verdient eine besondere Hervorhebung.
Jubelnder Beifall. Für das Staatsorchester schwoll er zum Orkan an. Zu Recht.