München, Residenztheater, Niemand wartet auf Dich - Schauspiel Lot Vekemans, IOCO Kritik, 04.02.2021
Vorwort von Intendant Andreas Beck
Vor 70 Jahren wurde das Residenztheater wiedereröffnet.Das war am 28. Januar 1951, begonnen hatte man mit den Bauarbeiten im Jahr 1948. Es ist fast schon eine Ironie des Schicksals, dass dieser Geburtstag mit einem anderen Jahrestag zusammenfällt: Vor einem Jahr gab es im Schwabinger Krankenhaus den ersten Patienten in Deutschland, der an COVID19 erkrankt war. Nun ist schon die zweite Schließung innerhalb eines Jahres unsere Realität.
Aber wie das nach Hause gelieferte Essen keinen Restaurantbesuch ersetzt, so warten wir auf bessere, glücklichere Tage. Oder wie wir in großen Lettern an unser Theater geschrieben haben: Wir vermissen Sie – denn was wären wir ohne Sie «Freund Publikum. All mein Empfinden Selbstgespräch, all meine Freude stumm». Goethe bringt es auf den Punkt.
Wir haben für Februar viele neue Online-Projekte (wie unten das von H-G Melchior beschriebene Live-Stream Schauspiel "Niemand wartet auf Dich" Live-Stream für Sie erdacht und bieten noch mehr Publikumsgespräche. Klicken Sie durch, empfehlen Sie uns weiter und vor allem bleiben Sie uns gewogen. Wir freuen uns schon heute auf Sie in Ihrem Residenztheater. Bleiben Sie gesund, alles Gute, Ihr Andreas Beck
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Niemand wartet auf dich - Schauspiel von Lot Vekemans
Live-Stream im Resi Zoom - Regie: Daniela Kranz
von Hans-Günter Melchior
Betrachtungen einer einsamen Frau
Juliane Köhler spielt drei Rollen und sie verwandelt sich vor aller Augen auf der Bühne. Sie ist die 85-jährige Gerda Ackermann, danach eine Politikerin, die ihren Rücktritt vom Parteivorsitz erklärt, schließlich sie selbst als Schauspielerin oder auch nur als Bürgerin, die sich so ihre Ge-danken über alles Mögliche macht.
Jedesmal verändert die Protagonistin auf der Bühne eigenhändig ihr Äußeres. Verwandelt sich mit kurzen Handgriffen, die vor allem der Haartracht gelten, in die andere Frau. Die alte, resignierte Dame schminkt sich zur smarten, langhaarigen Politikerin um und diese wird zur Schau-spielerin Juliane Köhler.
Es handelt sich im Grunde nicht um ein Theaterstück. Weder formal noch inhaltlich. Eine eigentliche Handlung gibt es nicht. Der 85-Jährigen geht es um die Verantwortung in der Welt. Sie unterscheidet die eigenen Angelegenheiten von denjenigen anderer und von den Angelegenheiten Gottes (was immer das auch sein mag). Sie empört sich über einen Ju-gendlichen, der eine Zigarettenschachtel auf die Straße wirft. Sie berichtet: als sie ihn zur Rede stellen wollte, postierte er sich vor ihr auf, ging gleichsam auf Tuchfühlung und erklärte, er diene der Arbeitsbeschaffung. Denn ohne Müll keine Müllabfuhr. Na dann… Ohne Verbrechen keine Polizei, keine Staatsanwälte und keine Richter. Ohne Krankheiten keine Ärzte. Und so weiter. Ohne Krieg keine Soldaten. So hat jedes Schlechte sein Gutes. Die alte Dame scheint irritiert zu sein. Jedenfalls widerspricht sie nicht ausdrücklich der schwierigen Welt, sondern wirkt ratlos.
Sie weiß nicht, was sie machen soll gegen die Umstände, die sich im Raum stoßen. Sie erzählt von ihrer unglücklichen ältesten Tochter und fragt sich, ob deren Unglück ihre Angelegenheit ist. Sie verneint das. Warum eigentlich? Sie könnte der Tochter doch helfen.
Niemand wartet auf dich - Residenztheater youtube Trailer Residenztheater München [ Mit erweitertem Datenschutz eingebettet ]
Und so weiter. Das Stück holpert über Pseudotiefsinn zu Allgemeinplätzen und manche Schlüsse sind nicht überzeugend. Schon die Trennung von persönlichen und allgemeinen Angelegenheiten ist falsch, weil die Trennlinien unscharf sind und das Persönliche oft ins Allgemei-ne/Öffentliche übergeht. Das ist sogar im Beruflichen nahezu regelmäßig so. Aber um derlei Unschärfen kümmert sich das Stückchen, das keines ist, wenig. Die Dame räsoniert über Gott und die Welt und lässt alles an seinem Platz stehen..
Die Politikerin schmeißt hin. Sie hat genug von dem Parteiengeklüngel, dem Taktieren und dem allenthalben zur Gewohnheit gewordenen Selbst-lob. Warum geben Politiker eigentlich Fehler erst zu, wenn sie nicht mehr politisch tätig sind?, fragt sie sich.
Fragen wir uns eigentlich selbst schon lange. Besonders jetzt in der Corona-Krise, in der wider besseres Wissen behauptet wird, alles „Menschenmögliche! getan zu haben" (Merkel). Dass man Politiker mit dem Wahlzettel zum Teufel jagen kann, darauf kommt die enttäuschte Dame nicht.
Lieber zieht sie, die Schauspielerin, der Mensch, der keine Kunstfigur mehr ist, sich auf sich selbst zurück. Redet über Schlaflosigkeit und die Mühen des Alltags. Irgendwie so dahin.
Nein –, das alles ist nicht gerade eine Offenbarung. Es sind keine „Aphorismen zur Lebensweisheit“ (Schopenhauer), eher ziemlich populäre Ansichten und Betrachtungen, einfach mal so dahingeredet.
Dennoch ist es keine verlorene Stunde. Das liegt an Juliane Köhler. Eine wunderbare Schauspielerin. Sie wirkt so menschlich und authentisch, dass man sich wünscht, sie möge aus Bildschirm heraustreten und einen in den Arm nehmen. Man kann sich an ihrem bald nachdenklichen, bald grüblerischen, bald hilflosen Gesicht nicht sattsehen. Sie ist im Moment des Spielens das, was sie spielt. Das ist mehr als Glaubwürdigkeit. Es ist das Ereignis selbst.
So macht allein die Schauspielkunst aus dem harmlosen „Stückchen“ eben doch ein erhebendes Erlebnis.
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