München, Münchner Kammerspiele, Die Politiker - eine gesprochene Symphonie, IOCO Kritik, 07.07.2021
von Hans-Günter Melchior
Ist schon alles gesagt? Ist die Sprache bei der Musik angekommen und hat sie damit genug?
Da steigt ein Thema auf, bricht ab, ein neues Thema beginnt, kontrapunktisch, im Stakkato, wird erneut abgelöst, Wortfetzen, Sinninseln, zuweilen Witzchen – und immer wieder:
die Politiker, die Politiker, die Politiker …Geradezu manisch bleibt das Stück Die Politiker von Wolfram Lotz in der – eindrucksvollen – Inszenierung von Felicitas Brucker bei diesem Wort, dem kleine Sätze, Gedanken unterlegt werden. Streckenweise, als folgte das Stück dem musikalischen Prinzip der Wiederholung. Im immer durchgehend schnellen Rhythmus, dass man sich von einer Aussage zur nächsten hangelt und im Denken und Zuhören ein wenig außer Atem kommt.
Banales im altertümelnden, fast kalauernden Stil springt Tiefsinnigem gleichsam in den Nacken, macht zunichte, was sich zu bedeutungsvoll gebärdet und glaubt, am Ziel zu sein. „Die Politiker haben Schuhe um die Füss von Banani und wir tragen höchstens Bruno Armani, Ach Wolfram – heißt es da im Stil des epischen Theaters, wenn der Autor sich selbst ermahnt und aus dem Rahmen fällt – hör doch endlich mit dem Sozialneid auf Hör doch mit dem Sozialneid auf Und mit dem sozialen Neid auch Mit dem sozialen Neid auch Das ist jetzt vorbei Das ist jetzt vorbei…“
Das Perseverierende macht an manchen Stellen den Text auf geradezu beklemmende Weise eindringlich…“Die Arbeitslosen sammeln den Müll Die Arbeitslosen sammeln den Müll im Auftrag des Staates ein Die Arbeitslosen sammeln den Müll im Auftrag des Staates ein Die Politiker wollen es nicht so Die Politiker wollen es nicht so…“, und so weiter.
Felicitas Brucker hat den faszinierenden Einfall, die Schauspieler (
Katharina Bach, Svetlana Belesova, Thomas Schmauser) in voneinander abgegrenzten und dennoch durchlässigen Räumen / Vierecken auftreten zu lassen, sie sprechen manchmal synchron, manchmal einzeln, immer in diesem an ein Symphonieorchester gemahnenden Tonfall aufsteigender und fallender, selten abgeschwächter, meist sich steigernder Eindringlichkeit. Dabei geht, was der Aufführung keineswegs schadet, zuweilen der Text an die Musikalität des Sprachduktus verloren, zieht den Hörer jedoch mit in den Strom der Wortkaskaden und erzeugt eine geschärfte Spannung.
„Die Politiker sagen Dies ist ein beharrlicher Sturm alles alles nimmt er fort Und dann drehen sich die Politiker auf ihren Absätzen um und gehen hinaus…“ Oder: „Die Politiker sind mittel bis groß nein nein klein sind nur die kleinen Leute streichen um das Haus passt auf! Den Politikern sind die kleinen Leute egal und mir und euch doch auch!“
Da kommt diese intellektuelle Schärfe in den Text, hämmernd kommt das Stakkato, während Svetlana Belesova olympiareife Turnübungen vollführt –, und wieder nimmt sich der Autor selbst am Kragen (mal angenommen, er meint sich selbst – und natürlich uns alle): „Die Politiker fragen Wolfram wie oft rufst du deine Mutter an? Wie oft rufst du deine Mutter an? Und es stimmt, ich tue es fast nie Ich tue es fast nie (Dabei weiß ich, dass es ihr nicht gut geht) Aber die Politiker Aber die Politiker rufen meine Mutter an Die Politiker rufen meine Mutter an Die Politiker rufen meine Mutter an Sie kehren den Flur mit einem riesigen Besen“
Immer wieder diese gewisse Schärfe der archaisch wirkenden Selbstbefragung im auf- und absteigenden Themenverlauf, diese fast brucknersche Beharrlichkeit und Schmerzlichkeit, aufsteigend, in Schichtungen –, bis das Thema ermüdet absinkt und neuen Gedanken Platz macht.
Die Anklage:„Die Politiker denken an die Armen mit Verachtung Ai Weiwei, oh my!“ (bayerische Einlage: O mei).
Und eine Art eingestreutes Nonsensgedicht, das scheinbar herunterzieht, was zu hoch hinaus wollte: „Ästlein, brich nicht ab vom Baum Ästlein, brich nicht ab vom Baum die Politiker pluggen den butt! Die Politiker pluggen den butt!“ „Die Politiker schrizzlen und wizzlen Könnt ihr sie denn nicht hizzlen? Die Politiker gehen am Stadtrand durch die Nacht suchend suchend suchend aber sie finden nur Verwizzle“
Oder: „Die Politiker sagen ich bin da, ich bin fresh! Ich lese dir vor aus dem Epos von Gilgamesch!“
Und dann wiederum selbstkritisch,sich und die eigene Arbeit hinterfragend und kryptisch zugleich: „Dein Gedicht ist gar nicht dicht und trotzdem steht es hier Dein Gedicht ist total krumm Im Sturm knickt jedesmal des Schilfgras um Dein Gedicht ist total krumm Im Sturm knickt jedesmal das Schilfgras um“
Und dann wieder sowas:„Die Politiker die Politiker die Politiker tun die Aprikosen verlosen Die Politiker Die Politiker tun die Aprikosen Die Politiker Hosen Die Politiker Kurze Hosen Die Politiker Sehr kurze Hosen tragen…“
Als wolle der Autor das allzu wertvolle Porzellan seiner Sprach- und Gedankenwelt zerschlagen und seine Witzchen darüber machen. Den hohen Ton vom Podest stoßen. Glaubt euch nur nicht im Besitz der letzten Weisheiten, wenn ihr das hier hört, macht er uns klar.
Und mal ehrlich: Was bleibt uns schon nach all den Denkversuchen anders übrig als die Wiederholung des Immergleichen. „Die Dinge sind alle allein“, heißt es am Schluss. Aber wo sie sind, weiß man nie. Immer noch nicht.
Sei´s drum. Vielleicht ist am Ende doch bereits alles gesagt und jedes weitere Wort überflüssig? So dass sich das Theater selbst auf den Arm nehmen muss? Und vielleicht ist die Musik die einzige, weil höhere und wahrere Sprache? Felicitas Brucker stellt uns diese Frage.
Und. Fragen darf man ja!
Wie auch immer und noch einmal: Die sprachsymphonische Durchgestaltung des Textes ist ein überzeugender Einfall. Und er wird von den drei glänzend aufgelegten Schauspielern virtuos vorgetragen. Das können nur Meister ihres Faches.
Darüber vergisst man fast die Zeit. Das Stück rauscht durch den Kopf, ist leider schon vorbei. Ein gelungener Abend.
Großer anhaltender Beifall im coronabedingt leider schütter besetzten Theater.
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