München, Münchner Kammerspiele, Das Feld - Lesung von Robert Seethaler, IOCO Kritik, 17.02.2019
Robert Seethaler liest aus dem Roman - Das Feld
- Die Melancholie des Abgelebten -
von Hans-Günter Melchior
Robert Seethaler ist ein sehr sympathischer Mann. Groß und schüchtern oder ein wenig mit der Schüchternheit kokettierend betritt er die Bühne der Münchner Kammerspiele und ringt ein wenig um Fassung. Es ist so, als wolle er den Zuhörern, darunter offenbar richtige Fans von ihm, versichern: nehmt mich und das was folgt, nicht allzu ernst.
Hier in den Münchner Kammerspielen hat er vor vielen Jahren gerade von der Schauspielakademie kommend an einem Hintereingang seine Bewerbungsunterlagen abgegeben – „vielleicht war es der Pförtner, der sie entgegennahm“ – und nie wieder etwas gehört. „Und jetzt bin ich hier“, sagt er voller Verwunderung über seine Karriere, an einem Podium sitzend und die Manuskriptseiten ordnend wie nach den Worten suchend, die er bereits geschrieben hat.
Er wird die Hörer nicht überfordern, „nichts Schlimmeres als zu lange Lesungen“, sagt er im Verlaufe der ca. 1 ¼ Stunden, Martin Wuttke hat in Berlin aus Seethalers inzwischen auch verfilmtem Erfolgsroman Der Trafikant in Berlin gelesen, brillant, wie Seethaler versichert, „aber 3 Stunden!“. Das wird jetzt nicht passieren.
Einen Roman nennt er sein Buch Das Feld (Hanser, 239 S.), das in Wahrheit eine Geschichtensammlung ist, die strukturell locker zusammengehalten von der Fiktion, dass ein Mann in mittleren Jahren auf einer Bank im Friedhof einer kleinen Stadt (Paulstadt) sitzt und sich ausmalt „wie es wäre, wenn jede der Stimmen (Anm.: der Toten, die aus den Gräbern heraus reden) noch einmal Gelegenheit bekäme, gehört zu werden. Natürlich würden sie vom Leben sprechen. Er dachte, dass der Mensch vielleicht erst dann endgültig über sein Leben urteilen konnte, wenn er sein Sterben hinter scih gebracht hatte.“
Eine schöne, eine wunderbare Idee. Von hier aus öffnet sich ein Kosmos des kleinen Lebens, das nicht mehr sein will als ein anständiges und erträgliches Überleben. Alle Geschichten sind milde ironisch eingefasst von der leisen Melancholie der Vergänglichkeit. Seethaler ist ein Meister dieses Zwischenspiels –, es ist eben so und es ist nicht anders, was will man machen, so klingt die lyrische Melodie aus den Lebenserzählungen der Gestorbenen, dass man manchmal nicht weiß, ob man eine Träne verdrücken oder lächeln soll über diese aus den Schatten ins Licht und wieder in die Schatten torkelnden toten Lebendigen. Keine Hallen sind diese Gräber, kein Pathos tönt aus ihnen. Stille Kämmerlein, Bibliotheken der Selbstbesinnung, der Selbstironie und des Bedauerns über verpasste Gelegenheiten vielmehr, von Seethalers literarischem Kaminfeuer geheizt.
In der Erzählung Hanna Heim hält der Ehemann die verkrüppelte Hand seiner sterbenden Frau. Sie erinnert sich, wie sie ihm an ihrem ersten Tag als Lehrerin in einer fremden Schule begegnete und ein Leben lang bei ihm blieb. “Du warst kein schöner Mann, aber du warst mein Mann.“ Er sitzt an ihrem Bett. Legt schließlich ihre Hand auf dem Kissen ab. „Habe ich dir gesagt, dass ich dich liebe? Erinnerst du dich?“ Das sind ihre letzten Worte.
Ein Meisterstück. Allein diese Erzählung ist die Lektüre des Buches wert.
In der Erzählung Herm Leydicke erteilt der Tote dem Zuhörer Ratschläge für das richtige Leben. Sie sind voll zarter Resignation, die an keiner Stelle in eine Verzweiflung mündet. Ratschläge die Frauen, Gott („Vermutlich gibt es keinen Gott“), die Mutter und die Liebe betreffend, humorvoll und voller Bescheidenheit im bescheidenen Leben sich bescheidend.
Anrührend die Geschichte Susan Tessler. Zwei alte Damen im Heim, kurz hintereinander sterbend. Sie kommen sich in den letzten Wochen ihres Lebens so nahe wie sich Menschen nur nahe kommen können. Hervorragend wie es Seethaler gelingt, die Seelenschwingungen in Sprache umzusetzen. Wie er aus Hinwendung Zuneigung, ja Liebe macht. Die Worte gehen vom Kopf ins Herz.
Muss so Literatur sein? Vielleicht –, nein sicher. Kunst ist immer doppelbödig, untergründig und im Glücksfall eine einzige Schwingung.
Seethalers mit Abstand bestes Werk. Lebensweise und unprätentiös. Sprachlich gekonnt die Abgründe streifend, ohne die Farben zu dick aufzutragen –, eine Kunst, die sich wie alle echte Kunst auf dem Weg macht, ohne jemals anzukommen, eine Suche ohne letztes Finden, die sich gerade in dieser Beschränkung vollendet, in dem Wissen nämlich, nicht mehr sein zu können als dies: Ahnung.
Ein großes Buch. Besser als seine Vorgänger. Ein Angekommensein. Werden doch manchmal in den gefeierten Romanen Der Trafikant und Die weiteren Aussichten die recht jungen und unbedarften Protagonisten nach dem Geschmack des Rezensenten mit allzu altklugen Tiefeneinsichten befrachtet.
Aus diesem Werk lesend könnte man dem Autor indessen stundenlang zuhören. Ein bedauerndes „Ooh, wie schade“, erklingt im gut besetzten Theater, als Seethaler die Lesung kurzerhand beendet. Ein kluger Entschluss, bevor die von ihm in Schwingung versetzten Seelenregungen sich zu überlagern und undeutlich zu werden drohen.
Ein kurzer, großer Abend
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