München, Cuvilliés-Theater, Die drei Musketiere - ein wenig Alexandre Dumas, IOCO Kritik,
Die Drei Musketiere - ziemlich frei nach Alexandre Dumas - nicht "Alle für Einen" und "Einer für Alle", sondern "Eine für Alle"…-
von Hans Günter Melchior
Da stehen sie also da auf der völlig leeren Bühne, die ihr Skelett zeigt, Heizung, Schalter, Vier stehen da statt Drei, Nicola Mastroberardino (D´ Artagnan), Michael Wächter (Athos, Grimaud). Max Rothbart (Porthos, Mousqueton) und Vincent Glander (Aramis, Bazin) und labern was das Zeug hält. Hin und her geht die Rede, Fetzen aus Dumas Roman, manchmal kaum verständlich, so schnell wird geredet, die ganze krude Geschichte in irgendwie danebengeredeter Kurzform –, und es sind halt nunmal Vier statt Drei, weil sie sich im Prügeln / Duellieren zusammengerauft haben wie die randalierenden Fußballfans zuweilen in den Stadien, wenn es gegen die Polizei geht, Solidarität der Unterdrückten gegen die Staatsmacht – oder so, die Assoziationen haben freien Lauf und sie laufen so schnell wie das ganze Stücke, hoppladihopp, was für ein Tempo.
Stepptanz perfekt. Die Burschen können das.
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Das Genaue, überhaupt der hohe Ton, spielt keine Rolle, geboten wird Slapstick, Performance, Commedia dell arte, Witz und Unterhaltung – und dazwischen auch mal furchtbarer Tiefsinn, der aus dem Grundsätzlichen schöpft.
Die Zuschauer gehen mit, die Mäuler sind offen und kaum noch zuzukriegen vor Lachen und Begeisterung, vor allem die jungen Leute im Publikum – sie sind in der Mehrzahl – ergötzen sich an diesem leicht dahingeworfenen Sprach- und Bewegungsspiel, das durchaus gekonnt ist und nach anfänglichem halbliterarischem Dünnschiss langsam auf Touren kommt und sich zu einer Komik steigert, die auf ihre Art Format hat.
Kein Bühnenbild also, ein quasi-leerer Raum, gefüllt mit Gelaber bis unter die Rokoko-Decke…, ach ja, sowas halt auch: zwei Zuschauer kommen zu spät, einer der Vier unterbricht seine Rede, aha, ihr kommt zu spät, nehmt nur Platz, braucht nicht zu stehen, sollen wir nochmal anfangen? –, so geht es dahin, dass einem die Wörter nur so um die Ohren fliegen und man höllisch aufpassen muss, alle Anspielungen mitzukriegen. Du hast ja da und dort mitgespielt, sagt der eine zum anderen, im Amphitryon (Insider wissen das), und der andere: ach so, und dann kommt wieder ein Stückchen Dumas, diese Geschichte von der Königin Anna von Österreich, die sich mit einem gewissen Engländer namens Buckingham auf eine Nacht einlässt und dem Geliebten zwölf Diamanten zum Andenken schenkt.
Und hinter allem steht der gewiefte Kardinal Richelieu, ein gelernter Intrigant und religiöser Spitzenpolitiker – Sie erinnern sich?, nein?, dann lesen Sie schleunigst in dem Schinken von Duma nach –, und dann, wollte ich sagen, droht die ganze Chose aufzufliegen, als Richelieu nämlich dem König ein Fest einredet und ihm dringend empfiehlt, von seiner Gattin zu verlangen, sie möge mit ihren Diamanten erscheinen. Die sich, die Diamanten natürlich, in Händen von Buckingham befinden. Was die vier Musketiere oder Muske-Tiere, drei in Clownsblau, der Hinzugekommene D´Ártagnan in einem Clownsgelb in ein Beratungsdilemma stürzt, wer fährt oder: wer bleibt da?, da alle fahren wollen. Wahrscheinlich wegen der Dame. Egal, einer fährt, Buckingham lässt zwei Diamantenspangen nachmachen, die Sache hat ihre manipulierte Ordnung, man kennt ja von ungefähr die Geschichte, die Königin ist gerettet. Musketiere braucht die Welt, Raufbolde ohne eigentliche Weltanschauung…
Und weiter geht es im Galopp, Radetzky-Marsch, die Vier spielen Pferd, reiten auf der Bühne auf imaginären Lippizanern, ein urkomischer Höhepunkt, commedia dell arte comme il faut, man hält sich den Bauch vor Lachen, wie die Vier taktgerecht über die Bühne traben und sich gestisch in Pferde verwandeln, vorgereckte Hälse, stilgerechter Trab –, als ob das mit echten Pferden nicht schon komisch genug wäre.
Und dann wieder eine Runde Tiefsinn, die schwerwiegende Frage, wer von Euch –, so dem Publikum wie Lebenssinn in die lachbereiten Köpfe so ganz von Ungefähr eingeträufelt –, also: wer von Euch würde um einer Idee oder einer Liebe willen sein Leben opfern? Worauf natürlich Schweigen antwortet, wer zu schwierig fragt, bekommt keine Antwort, zu sowas braucht man doch Zeit, oder?..., kommt drauf an, könnte man zur Bühne hinaufrufen, aber das ist ja gerade die Frage, ob es sowas gibt, wo man sagen könnte: kommt drauf an. Der Schiller wusste da eine Antwort „das Leben ist der Güter höchstes nicht“, aber die Vier Musketiere doch nicht und schon gar nicht die Pferde. Und erst die Zuschauer –, also bitte, gerade hat man sich doch zurückgelehnt und muss jetzt den Lachreiz zähmen.
Und dann noch die allfällige existentielle Verdoppelung, schizophren, die schwierigste aller Situationen, „ich besteige das Pferd, das ich bin“, alles so nebenbei und dahingesagt im Stehgreif-Theater, dass man mit dem Nachdenken nicht nachkommt. Und dann entdecken zwei der drei Muske-Tiere auch noch, dass sie mit derselben Frau zusammen waren. Da kehrt sich der Wahlspruch flugs um: nicht Alle für Einen und Einer für Alle, sondern Eine für Alle…
So ein Abend muss ja auch mal sein, also ehrlich, man sollte zuvor ein und zwei Gläser Sekt trinken, um so richtig reinzukommen. Auch wenn man schon älter ist und nicht versteht, wer mit Pacman, dem Früchtefresser, gemeint ist –, aber da hilft einem der Enkel aus, der einem ins Ohr flüstert, weiß du denn das nicht, was bist du nur für ein Mensch. Cool.
Der Schluss verzögert sich leicht, die Vier schleppen in den Beifall hinein alles, was halbwegs nach Requisiten aussehen könnte, auf die Bühne, eine Absperrung, ein Gitter, Körbe oder so, und sie springen mit leichtathletischer Behendigkeit (überhaupt: das sind echte Sportler!) in der Schlussphase herum „wollt ihr nochmal das Pferd sehen“, und die Zuschauer: jaaa, und wieder der Radetzky-Marsch und die Pferdenummer.
Ach ja, und gefochten wird ja auch noch, recht meisterhaft, wie das aussieht, richtig gefährlich, als flögen die Fetzen, man hat richtig Angst, dass sie sich die Augen ausstechen, die vier Teufelskerle da auf der Bühne, die ihren Spaß haben, man sieht es ihnen an –, und wer weiß, ob sie überhaupt über einen Text verfügen, vermutlich nicht im strengen Sinn, und wenn ja, fragt es sich, ob sie sich daran halten, commedia dell arte eben.
Und anschließend ist noch ein Glas Sekt fällig, ist doch klar, um die Pointen herunterzuspülen, während der Enkel eine Cola bekommt und die Anleihen aus den Computerspielen erklärt. Prost!
Die drei Musketiere des Residenztheaters; aufgeführt im Cuvilliéstheater; die weiteren Vorstellungen 5.2.; 6.2.; 24.2.; 1.3.2020
Bearbeitung Antonio Latella und Federico Bellini, Inszenierung, Raum und Musik Antonio Latella, Kostüme Simona D´Amico, Choreografie und Kampftraining Francesco Manetti
---| IOCO Kritik Residenztheater München |---