München, Bayerische Staatsoper, Rusalka - Antonin Dvorak, IOCO Kritik, 22.07.2021
Rusalka - Antonín Dvorák
- Das verlogene Menschenleben -
von Hans-Günter Melchior
Da sitzt eine Nixe am Rand eines Sees und will ein Mensch werden. Als ob es nicht schon schwer genug wäre, ein Mensch zu sein.
Eine Seele will sie haben und die großartige Rusalka von Kristine Opolais singt so sehnsuchtsvoll die „Mondarie“, dass man ganz ergriffen ist und für einen Moment glaubt, es gebe nichts Schöneres, als vom Nixenleben ins Menschenleben zu wechseln: vom tierhaft-glücklichen Einssein mit sich selbst und der Natur ins Zweifelsüchtige und Bedenkliche, Grausame und Komplex-Komplizierte des höheren Daseins zu wandern, als wäre der Spaziergang in eine höhere Existenzstufe eine einzige Steigerung des Lebensgefühls.
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Die Hexe Jezibaba (eindrucksvoll stimmgewaltig Helena Zubanovich) warnt sie vergebens. Eine Zauberin, die der Menschensüchtigen schließlich eine Menschenseele verschafft; freilich um den Preis der Stummheit.
Der Verlust der Sprache als Schicksal – und als Glück zugleich. Die einfachen, unmittelbaren Dinge auf den Begriff zu bringen, ist immer auch ein Teil ihrer Vernichtung. Wie soll das aber eine Nixe wissen.
Rusalka am 20.7.2021 - Bayerische Staatsoper - Inszenierung Martin Kusej, dessen Rusalka Interpretation auf dem YouTube - Video unten
Später wird die Hexe sagen, was sie sich dachte: „Ins verlogene Menschenleben hat dich die Sehnsucht gelockt…“ und: „Der Mensch wird erst dann zum echten Menschen, wenn er sich in fremdem Blut suhlt, wenn er seine schreckliche Leidenschaft durchs Blut seines Nächsten gestillt sieht.“
Rusalka will es und die Hexe ist mit einer gewissen Wollust und naturhaften Schlechtigkeit willfährig. Ein Prinz (Dmytro Popov) tritt auf, in den sich Rusalka verliebt. Und er erwidert ihre Liebe. Sie heiraten –; und wären glücklich, wäre da nicht die Stummheit der geliebten Frau, die nicht sagen kann, was sie fühlt, dem Prinzen Anlass zu resignativer Trauer. Nicht einmal – wie etwa Goethes Tasso – kann Rusalka sagen, wie sie leidet.
Hätte sie nur auf den Rat des Wassermanns gehört, den Günther Groissböck höchst eindrucksvoll gesanglich und schauspielerisch verkörpert. Der Prinz wendet sich enttäuscht und in seiner Sehnsucht nach weiblicher Zuwendung der Verführerin zu, die als Die fremde Fürstin (Alisa Kolosova) auftritt und den Unglücklichen förmlich in sich hineinzieht.
Und zwar vor den Augen Rusalkas, die als Betrogene so unglücklich ist, dass sie sich ins Nixenreich zurückwünscht.
Wiederum die Hexe. Jezibaba macht das Unmögliche möglich – wir befinden uns in einem Märchen –, freilich hat dies selbst im Märchen wiederum seinen Preis: Rusalkas muss die Isolation in Kauf nehmen, sowohl von den Menschen wie von den heimatlichen Nixen. Nur „warmes Menschenblut“ könnte sie retten, verkündet Jezibaba.
Auch der Prinz ist unglücklich. Die fremde Fürstin verlässt ihn bald. Er irrt umher: direkt in die Arme Rusalkas. Die alte Liebe flammt auf, Rusalka warnt ihn jedoch: ein Kuss von ihr würde ihn töten.
Der Prinz kann nicht auf den Kuss verzichten – und stirbt.
Wie eben das Schicksal im Märchen so seine Kapriolen schlägt und das Wahrscheinliche wahrscheinlich macht. Kusej zwingt es indessen – an einigen Stellen recht gewaltsam – in die Realität. Für ihn stehen Märchen verkörpern Märchen offenbar, das menschliche Schicksal schlechthin. Er benutzt sie als Lehrbeispiele.
Rusalka - das Lied an den Mond - und die Interpretation des Regisseurs Youtube Trailer Bayerische Staatsoper [ Mit erweitertem Datenschutz eingebettet ]
Im ersten Akt ist die Bühne zweigeteilt. Oben waltet das Menschenreich. Eine Gebirgslandschaft, hohe, zum Teil schneebedeckte Berge, vor denen ein See träumt. Die Landschaft ist freilich gerahmt wie ein Gemälde oder Foto: als ob bei allem Realismus noch Raum für die Illusion übrig bleiben sollte. Oder ob im Gegenteil die Illusion der herrlichen Landschaft Lügen gestraft werden sollte.
Unterhalb der Menschenwelt wabert die Welt der Nixen oder Waldnymphen (Mirjam Mesak, Daria Proszek und Alyona Abramowa). Ein düsterer, feuchter Raum mit dicken Rohren entlang der Wände, der wie ein Maschinenraum, vielleicht auch eine Art Heizkeller anmutet. Wo man im Wasser watet und der Wassermann teils mit Anzüglichkeiten auffällt, teils Ratgeber ist, auf jeden Fall ein Herrscher.
Und auch sonst geschieht Merkwürdiges, zum Teil recht Drastisches. Kusej hat Einfälle. Im zweiten Akt häuten der Förster (Ulrich Reß) und ein Küchenjunge (Yajie Zhang) ein Reh, ein Chor tritt auf, jedes Mitglied hat ein totes, aufgeschlitztes Reh in der Hand, dem die Protagnisten Blutiges entnehmen und sich in die Münder stopfen. Da machen Ästheten runde Augen.
Seltsames ereignet sich. Die sich ins Nixenreich zurücksehnende Rusalka steigt zum Zeichen ihrer elementaren Verbundenheit mit dem Wasser und offenbar in Ermangelung einer anderen Gelegenheit in eine Art Aquarium, in dem sie sich reichlich beengt krümmt.
Und im dritten Akt bewegen sich die Waldnymphen und Rusalka in einem weißen Raum mit Stockbetten, der wohl einen Klinikaufenthalt aufzeigen soll.
Immerhin: der reuige Prinz küsst nicht nur todessüchtig und liebestrunken Rusalka, sondern stößt sich auch einen Dolch in die Brust, damit warmes Menschenblut fließe und die Geliebte erlöst werde.
Man hat verstanden. Über allem waltete indessen eine geradezu sieghafte Musik. Dvoráks Meisterstück. Liedhaftes wechselt mit Arien, eine sparsame Leitmotivik (Anleihen an Wagner) führt in bestimmte Szenen ein, gewaltig herrscht und durchherrscht ein spätromantischer, stellenweise von tragischer Größe bestimmter Grundton das musikalische Geschehen, der den Hörer nicht aus seinem Bann entlässt. Diese Oper steht ebenbürtig neben den großen Sinfonien, insbesondere der 9., von Antonin Dvorák, dem Cellokonzert und den kammermusikalischen Werken.
Robert Jindra gebot mit weit ausholenden und befeuernden Armbewegungen souverän den Klangmassen und dem bekannt hervorragenden Bayerischen Staatsorchester. Da ging keine Nuance verloren, man merkte dem Dirigat die Vertrautheit Jindras mit der Musik des Landsmannes an. Zuweilen steigerte sich die Musik ins geradezu Rauschhafte, um sich dann wieder einer für Dvorák typischen herbsüßen, lyrisch gefärbten Melancholie zu ergeben.
Begeisterter Beifall. Die Oper war nach dem „Schachbrettprinzip“ - versetzt, immer war ein Platz neben einem besetzten frei; ferner bestand Maskenpflicht.
Rusalka an der Bayerischen Staatsoper: zur Zeit sind keine Vorstellungen geplant
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