München, Bayerische Staatsoper, Karl V. - Oper von Ernst Krenek, IOCO Kritik, 01.03.2019
Karl V. - Oper von Ernst Krenek
- Der Wurm im Apfel -
von Hans-Günter Melchior
Kaiser Karl V. ist reuig. Er dankt ab, zieht sich ins Kloster San Geronimo de Yuste zurück und hält Gericht mit sich selbst. War sein hochambitioniertes Regieren, das Streben nach einem unter der Krone vereinigten Europa, eine einzige Sünde. Weil zu teuer erkauft? Hat er Luther auf dem Reichstag zu Worms zu Unrecht ziehen lassen und damit der Verbreitung des Protestantismus´ Vorschub geleistet? War das Gold aus Mittel– und Südamerika mit Blut und Tränen, mit Mord und Totschlag, also mit Unrecht verschafft und sündhaft erworben worden?
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Karls geistesverwirrte Mutter schenkt dem qualvoll Reflektierenden, dem von Gewissensbissen gepeinigten Monarchen, einen Apfel. Karl stellt fest, dass darin ein Wurm ist. Der unvermeidliche Wurm in jedem menschlichen Leben.
Der Kaiser ist weder ein guter noch ein böser Mann. Er ist nichts weiter als ein abdankender Herrscher, den der Unterschied zwischen Vergöttlichung des Amtes und der Fehlsamkeit und Unvollkommenheit menschlichen Handelns bis zur Verzweiflung peinigt.
Unvollendet! - Welches Werk wäre je vollendet?
Er lässt nach seinem Beichtvater Juan rufen. Der seinen Rechtfertigungsversuchen mit Skepsis begegnet und am Ende, in Karls Todesstunde, feststellt: „Unvollendet ist sein Werk“. Welches Werk wäre je vollendet? Was für ein die höchste Höhe anvisierendes Programm!
Krenek hat das Libretto selbst verfasst. Er setzt es als Oper – nicht als Schauspiel – in Szene. Die Oper ist ausschließlich dodekaphonisch komponiert. Die Musik kommentiert, steigt geradezu ein in die Gefühle wie in Hülsen, füllt diese aus, dass sie aufgehen wie Blüten.
Vielleicht ist es das, was die Musik so eindrucksvoll neu und spannungsreich macht: diese Aufgipfelungen, Steigerungen ins Laute und Leise, ins Aufgeregte und Versiegende, ohne mehr sein zu wollen als eben dies. Und vielleicht ist es gerade die Zwölftonmusik, die diese Steigerungen möglich macht. Weil sie sich nicht im Belcanto verliert und sich nicht selbst zu gefallen droht. Weil sie dort, wo die traditionelle Musik sich zuweilen in den Vordergrund drängt und herrscht, ja nahezu ausschließlich die Szene ausfüllt und schon die ganze Oper allein ist, sich den Ereignissen fügt und sie nachzeichnet wie mit den Pinselstrichen eines abstrakten Gemäldes. Fahl und sparsam und nicht eigentlich schön im herkömmlichen Sinn.
Kreneks Musik bescheidet sich. Als kommentierende. Manchmal schweigt sie und lässt der Sprache den Vortritt, manchmal ahmt sie deren Rhythmus nach oder gibt so etwas wie den Takt des Sprechens an. Der Chor! Der machtvolle Chor mit vielleicht Hunderten von Akteuren. Wenn er auftrumpft, schwemmt er jeden Einwand einfach hinweg, wie aus dem Erdinnern heraustönend, dass die Knie zittern.
Und die Inszenierung. Als wäre es noch nicht genug. Die Aufführung in München ist ein Ereignis wie es schwerlich ein anderes Theater in Deutschland zustande bringen dürfte. Eine zirzensische Großtat, die beim Zuschauer Kinderaugen macht, wenn er sich nicht vor lauter Bewunderung vergisst.
Dank La Fura dels Baus. Menschenleiber hängen akrobatisch verrenkt und halb- oder ganz nackt an Schnüren von der Decke wie von einer Zirkuskuppel herab oder sind wie in einem barocken Gemälde figürlich zusammengeballt und farbig beleuchtet in einer Art Kreis vereinigt. Einfach fantastisch, in den Bann ziehend, Staunen hervorrufend. Eine einzige Faszination. Ich habe so etwas ins Surreale Gesteigertes noch nie gesehen. Mal scheint das Dargestellte in die Ursprünge der Menschheit zu verweisen, mal in ein dantisches Inferno, mal in die Anfänge der Welteroberung und der Seefahrt. Da wurde kein Aufwand gescheut, das Innere nach außen zu kehren.
Was für ein Abend! Und was für ein Sänger: Bo Skovhus, der die Partie Karls V. vertritt. Eine Glanzleistung, vergleichbar, wie er selbst – ein wenig klagend – in einem Interview sagte, der Partie des Hans Sachs in den Meistersingern. Ihm zur Seite als Beichtvater Juan: Janus Torp.Ja, und der Chor. Du meine Güte: der Chor; der schleuderte die Emotionen unter die Decke. Da sage noch einer, die Oper sei veraltet. Bravo. Bravissimo. Was für ein aufwühlender Abend. Ein begeistertes Publikum.
Leider legt die Aufführung eine lange Pause ein. Man muss sie zweimal, dreimal gesehen haben, um wirklich alles gesehen zu haben.
Karl V. an der Bayerischen Staatsoper; die weitere Vorstellung 14. Juli 2019
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