München, Bayerische Staatsoper, Il trittico von Giacomo Puccini, IOCO Kritik, 03.01.2018
Il trittico - Giacomo Puccini
- Gianni Schicchi - Il tabarro - Suor Angelica -
Von Hans-Günter Melchior
Ach ja, es tut mir Leid, stimmt aber doch, oder? wie oft schon empfand man beim Anhören von Puccinis Musik dieses leichte Unbehagen, ganz ähnlich den Gewissensbissen eines Fettleibigen, der an Weihnachten zuviel Süßigkeiten in sich hineinstopft. Die langen Melodienbögen, das Belcanto, ganz nahe am Süßlichen und Gefälligen, die bruchlos aufgehenden Harmonien.
Großes Opernvergnügen
Dieses Mal ist es anders. Man erlebt den Musikdramatiker Puccini, den szenischen Gestalter, der das Geschehen mit rauen, zuweilen rohen Klängen ausstattet, musikalisch – an Wagner erinnernd – ausmalt und die Dissonanzen nicht scheut, wenn sich Tragisches, Zwiespältiges ereignet. Und der mit impressionistischen Valeurs imponiert, wenn sich Hintergründiges zuträgt, mit einem Satz: man staunt über die Modernität dieses Komponisten.
Nicht lange braucht man zu suchen, woran dies liegt: am Dirigenten Kirill Petrenko. Er hat das brillante Bayerische Staatsorchester fest im Griff, erlaubt keine Ausrutscher ins Melodramatische oder gar Kitschige, führt straff und in die Komposition hineinhörend. Eine glänzende Leistung, zweifelsfrei, aber so weit sollte man dann doch nicht gehen wie die SZ, nicht gerade einen naiven Wunderglauben strapazieren und gleich von Petrenkos „Wunderhänden“ träumen, denen die Musik gleichsam im Akt des Dirigierens entströmt (da wäre Theodor W. Adornos Aufsatz „Dirigent und Orchester“ in der „Einleitung in die Musiksoziologie“ korrigierend hilfreich gewesen). Die Musik hat immer noch Puccini geschrieben und das Orchester hat sie gespielt und der Dirigent hat sie – großartig – interpretiert. So verhält es sich nunmal in der hierarchischen Ordnung der Kunst. Verbeugung vor Puccini.
Es handelt sich bei Il trittico, wenn man durchaus so will, um ein Triptychon. Freilich fällt es einigermaßen schwer, eine verbindende Idee zu finden, zu unterschiedlich sind die Handlungen, zu disparat die zugrundeliegenden Ereingisse. Der intellektuelle Aufwand, aus den drei Stücken eine Grundidee herauszudestillieren, wirkt verkrampft und führt zu keinem überzeugenden Ergebnis.
Aber ist dies denn überhaupt notwendig? Wo doch jede der drei Opern durchaus einleuchtend und in sich geschlossen für sich spricht. Die Stücke werden von der niederländischen Regisseurin Lotte de Beer beeindruckend und mit sparsamen Mitteln in Szene gesetzt: eben als selbständige Werke:
– Il tabarro spielt im Paris des beginnenden 20. Jahrhunderts. Michele ist der Eigentümer eines Lastenkahns, der die Existenzgrundlage für ihn und seine Frau Giorgetta darstellt. Als das gemeinsame Kind stirbt, entfremden sich die Eheleute. Giorgetta verliebt sich in den auf dem Kahn arbeitenden Löscher Luigi. Als ihr Ehemann Michele hinter die ehewidrige Beziehung kommt, erwürgt er Luigi und bedeckt die Leiche mit einem Mantel.
– Suor Angelica handelt vom Leben der Schwester Angelica in einem Kloster zum Ende des 17. Jahrhunderts. Angelica ist fürstlicher Herkunft. Als sie ein uneheliches Kind, einen Sohn, bekommt, wird sie von ihrer Tante (ihre Eltern sind bereits gestorben) zur Strafe in ein Kloster gesteckt. Nachdem sie dort bereits sieben Jahre, für die Heilkräuter zuständig, arbeitet, bekommt sie endlich von der Tante den sehnlich erwarteten Besuch. Sie will wissen, wie es ihrem Kind geht. Die Tante teilt ihr kalt und ohne Anteilnahme mit, dass das Kind vor zwei Jahren gestorben sei. In ihrer Verzweiflung vergiftet sich Angelica. Im Todeskampf hat sie die Vision der Muttergottes, die Angelicas Kind in den Armen haltend Mutter und Sohn zusammenführt.
– Gianni Schicchi schließlich spielt im Florenz des Jahres 1299. Der reiche Buoso Donati ist gestorben. Die mittellose Verwandtschaft versammelt sich am Totenbett in der Hoffnung, vom Erblasser testamentarisch reich bedacht worden zu sein. Aus dem endlich gefundenen Testament ergibt sich jedoch, dass Donati seinen gesamten Nachlass einem Kloster übereignet. Die leer ausgehende Verwandtschaft ist ratlos und verzweifelt. Der herbeigerufene Erzgauner und gelernte Betrüger Gianni Schicchi, dessen Tochter Lauretta den einst präsumptiven Erben Rinuccio liebt und im Erbfalle heiraten will, kommt auf die Idee, den Leichnam Donatis wegzuschaffen. Er will sich in das Totenbett legen und einem herbeigerufenen Notar vorspiegeln, es handele sich bei ihm, Schicchi, um den – natürlich noch lebenden – Donati, der sein Testament diktieren und notariell beurkunden lassen will. So geschieht es. Schicchi, alias Donati, diktiert dem gutgläubigen (oder bestochenen, die Höhe der Entlohnung spricht für eine Bestechungssumme) Notar seine letztwillige Verfügung, mit der er vor allem und zum übergroßen Anteil sich selbst bedenkt. Er verweist die empört protestierende Verwandtschaft aus dem nun ihm gehörenden Haus.
Besonders Gianni Schicchi überzeugt musikalisch und von der burlesken, temporeichen Handlung her, der geradezu überbordenden Komik, die sich von der Musik auf das Geschehen überträgt.
Lotte de Beer hat alle drei Opern in einem Trichter inszeniert, der sich zum Zuschauerraum hin öffnet und Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft symbolisieren soll. Eine Art Zeitbehälter. Diese Bühnengestaltung ist aus sich heraus zwar nicht verständlich, man käme als Zuschauer nicht ohne weiteres darauf und ist gut beraten, sich zuvor die Ausführungen der Regisseurin im Podcast des Nationaltheaters anzuhören.
Der insgesamt durchaus gelungenen Inszenierung tut dies freilich keinen Abbruch. Die Regisseurin verzichtet darauf, mit allerlei Performance-Tricks und dem Schnickschnack des Regietheaters Eindruck zu schinden und Tiefgründiges vorzutäuschen, sondern belässt es bei einigen Requisiten, wie etwa einer Luke im Kahn von Il tabarro, den weißen Gewändern der Nonnen in Suor Angelica, oder den clownesken Kostümen in Gianni Schicchi, um Orte und Stimmung des Geschehens zu charakterisieren. Die geschickte Lichtregie tut ein Übriges. Warum allerdings die Szene sich in Il Tabarro und Suor Angelica (wo die wundergläubige und visionäre Handlung besonders am Ende – freilich ohne Verschulden der Regisseurin – doch arg den Kitsch streift) zum Schluss im Trichter dreht, erschloss sich dem Rezensenten nicht.
Außer dem großartigen Dirigat und der brillanten Orchesterleistung sind Ermonela Jahos wunderschön warmer Sopran und der kernige Bass von Ambrogio Maestri besonders hervorzuheben. Eine Einzelkritik aller Protagonisten würde den Rahmen einer Rezension sprengen.
Insgesamt ein vom Publikum zu Recht begeistert gefeiertes Opernerlebnis. Eine Empfehlung für München-Besucher: sollten Sie im Januar oder Juli hierher kommen, versäumen Sie nicht Il trittico, erkämpfen Sie sich ein Ticket.
Il trittico an der Baerischen Statsoper: Die weiteren Termine 14.7.2018, 16.7.2018
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