München, Bayerische Staatsoper, Cosi fan tutte - Pures Mozart-Glück, IOCO Kritik, 06.10.2017

München, Bayerische Staatsoper, Cosi fan tutte - Pures Mozart-Glück, IOCO Kritik, 06.10.2017

Bayerische Staatsoper München

Bayerische Staatsoper München Foto: © Wilfried Hösl
Bayerische Staatsoper München Foto: © Wilfried Hösl

Pures Mozart-Glück

Così fan tutte  an der Bayerischen Staatsoper

Von Hans Günter Melchior

 Mozart Überall - Sein Denkmal in einem kleinen bayerischen Städtchen © IOCO / Gallée
Mozart Überall - Sein Denkmal in einem kleinen bayerischen Städtchen © IOCO / Gallée

Mozart: Er ist von allen Komponisten der Schwierigste und Leichteste zugleich. Seine Musik ist ein anwehender musikalischer Gedanke, der sofort zu Herzen geht. Man bekommt diese Musik so wenig aus dem Kopf wie man seine Psychologie aus der Seele verbannen kann. Eine intellektuelle, immaterielle Droge, der man sich nicht entziehen kann.

Man fährt zum Beispiel in diesen Tagen in der U-Bahn durchs wies´n-geschüttelte München, inmitten der braven Dirndlträgerinnen und Lederbehosten, die nach ein paar Stunden Gesichter wie von innen nach außen gekehrte Masken tragen. Und man dirigiert in Erwartung einer Mozart-Oper, etwa Così fan tutte, ein Orchester, das im eigenen Kopf spielt, während einen die Wies´n-Besucher, die sich sehr bald selbst nicht mehr kennen werden, für verrückt halten. Und dann hört man die Oper im Nationaltheater und dirigiert heimlich, sozusagen im Schutze der Dunkelheit, wieder mit, und wenn man nach Hause fährt, dirigieren in der U-Bahn andere, grölend den bayerischen bayrischen Defiliermarsch oder was Moderneres, man selbst aber ist immer noch in der Oper und bei Mozart, der sich immer noch in einem aussingt. In der Nacht findet man kaum Ruhe. Morgens weiß man nicht, ob man in der Oper geschlafen hat oder immer noch dort ist, musikgesättigt und voller Glücksgefühle.

Bayerische Staatsoper / Coris fan tutte © Wilfried Hösl
Bayerische Staatsoper / Coris fan tutte © Wilfried Hösl

Dabei hat die Oper Così fan tutte durchaus ihre Tücken. Gedacht ist es vom Librettisten Lorenzo Da Ponte ja wohl so: da können sich zwei junge Männer Guglielmo und Ferrando gar nicht genug tun im Lob auf die Treue und Liebe ihrer Verlobten Fiordiligi und Dorabella. Bis es dem Philosophen Don Alfonso (ein Misanthrop oder ein Menschenkenner?) zu bunt wird. Nur mal langsam, Jungs, sagt er etwa, das mit der Treue der Frauen ist nichts als eine Illusion. Macht doch die Probe aufs Exempel, meldet euch zum Schein in den Krieg ab, weil der König zu den Fahnen ruft. Und dann kommt ihr, gleichsam durch die Hintertür, als verkleidete Albaner, also als Fremde, wieder und verführt mit allerlei Tricks euere angeblich so treuen Verlobten. Ich wette, sie erliegen bald euren Verführungskünsten.

Die beiden jungen Männer gehen siegesgewiss auf die Wette ein, verabschieden sich in den Krieg, die beiden Frauen sind untröstlich. Die angeblichen Soldaten kommen als Albaner verkleidet zurück und machen sich an die beiden jungen Damen heran. Don Alfonso zieht unter der Assistenz der lebens- und männererfahrenen Kammerzofe Despina im Hintergrund die Fäden. Die beiden unverbrüchlich treuen jungen Frauen werden ziemlich bald weich, als sich die Albaner zum Schein vergiften, weil sie – zunächst – abgewiesen werden. Die Damen signalisieren Entgegenkommen, die Albaner werden gerettet, zuerst erliegt Dorabella, die Verlobte Ferrandos, ausgerechnet dem Werben von dessen Freund Guglielmo, wenig später und nach inneren Kämpfen gibt auch Fiordiligi nach und lässt sich ungeachtet ihrer Verlobung mit Guglielmo mit Ferrando ein. Don Alfonso hat die Wette gewonnen. Die sich – gleichsam über Kreuz – verständigenden Paare heiraten.

Und jetzt kommen die ursprünglich Verlobten zurück. Die Bestürzung ist groß, aber man beruhigt sich schnell. Die Ehekontrakte werden zerrissen und die alten Zustände wiederhergestellt. Die konventionelle Ordnung siegt, die Opernbesucher und die Gesellschaft findet ihre Ruhe wieder. Die Oberfläche des Sees der Emotionen hat sich nur vorübergehend gekräuselt.

Bayerische Staatsoper / Coris fan tutte - Hier Fiordiligi und Dorabella © Wilfried Hösl
Bayerische Staatsoper / Coris fan tutte - Hier Fiordiligi und Dorabella © Wilfried Hösl

So ist es eben wohl gedacht. Die Frauen sind die Schwachen und Untreuen (s. den noch 1900 erschienenen Essay des Neurologen und Psychiaters Paul Julius Möbius über den „Physiologischen Schwachsinn des Weibes“, dessen Kehrseite die emotionale Unbeständigkeit der Frau sein soll), die Männer haben recht…

In der inzwischen entschlackten und sehr vorteilhaft entrümpelten Inszenierung von Dieter Dorn aus dem Jahr 1993 ist auf geradezu tiefschürfende Weise alles anders. Schon beim ersten Erscheinen der sogenannten Albaner sieht man bei Dorabella ein Augenzwinkern hin zu Fiordiligi: merkst du nichts?

Mit anderen Worten: die Frauen durchschauen das fiese Spiel der Männer von Anfang an. Da braucht es nicht einmal der Belehrungen über die die Beliebigkeit der Liebe, die Nichtsnutzigkeit der Männer und die Freiheit der Frauen durch Despina, die von den beiden herrschaftlichen Damen übrigens sehr allürenhaft (meisterhaft wie Dorn das mit schnippisch-herrischen Gesten zeichnet), wie eben ein Dienstbote, der ihnen nichts zu sagen hat, behandelt wird.

Und so nimmt das köstliche Spiel seinen Lauf. Ergötzlich zu sehen, wie die beiden Typen als betrogene Betrüger vorgeführt werden. Sich furchtbar schlau vorkommen, in Wirklichkeit aber längst durchschaut sind. Und im Grunde genommen sich ziemlich mies benehmen. Vernascht doch einer die Verlobte des anderen, danach bedauern sie sich dabei noch selbst. Während die Verlobten am Ende der Werbebemühungen der Männer sich recht gern mit dem jeweiligen Verlobten der Schwester vergnügen (variatio delectat). Ganz unverhohlen, schwelgerisch. Und wie gesagt nach wie vor im Wissen, mit wem sie es zu tun haben. Ferrando reißt sich sogar noch den künstlichen Schnurrbart ab, bevor er endlich die noch etwas zögerliche, dann aber von ihm begeisterte Fiordiligi herumkriegt.

Bayerische Staatsoper / Cosi fan tutte - Hier Fritsch, Brower, Chest, Fanale, Park © Wilfried Hösl
Bayerische Staatsoper / Cosi fan tutte - Hier Fritsch, Brower, Chest, Fanale, Park © Wilfried Hösl

Das alles wird auf hohem künstlerischen Niveau und unter der hochpsychologischen und klugen Regie Dieter Dorns in Szene gesetzt. Dorn kann sich dabei durchaus auf Mozart berufen, der musikalisch leugnet, was der Text behauptet. Als die beiden Damen ihre Verlobten tränenreich verabschieden, wird genial-musikalisch bereits der Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Damen gesät: die Arie „Soave sia il vento…“, (Weht sanfter ihr Winde, seid ruhig ihr Wellen…) endet in der Wiederholung auf einem Halbton; die chromatische Wende verweigert sich demgemäß der Harmonie, der Zuhörer merkt: irgendwas stimmt da nicht. Und so geht es eigentlich immer weiter. Mozarts vielgerühmte heitere Melancholie überdeckt die Komödie mit einem Schleier des inneren Vorbehalts, wer genau hinhört, merkt, dass nicht alles gemeint ist, wie es gesagt wird. Selbst in der grandiosen Arie der Fiordiligi, in der sie den Verlobten um Mitleid und Verzeihung wegen ihrer seelischen Verwirrung bittet… „Per pietà, ben mio, perdona…“ , schwingt im Pathos die Heuchelei mit.

Alles wird nicht zuletzt in dieser wohldurchdachten Inszenierung auf das menschliche Maß heruntergebracht und entlastet den Zuhörer angenehm (bei der Arie Ferrandos „un´aura amorosa…, erinnert man sich freilich ein wenig wehmütig an die denkwürdige Ponnelle-Inszenierung, in der Ferrando auf einer Wiese im Garten liegend das Haus der Geliebten ansingt; hier sitzt er – zeitgemäßer –  am Tisch der Damen).

Die Besetzung in München ist höchst bemerkenswert. Ganz hervorragend die Fiordiligi von Anett Fritsch. Ein allen Schwierigkeiten gewachsener, berückend schöner Sopran. Sie ist auf dem Sprung zur Weltberühmtheit. Nicht minder brillant die dunkler gefärbte, zuweilen an einen Mezzosopran heranreichende Stimme von Angela Browser. Faszinierend die Darbietung der Despina durch die quirlige und kapriziöse Hyesang Park, die es dem Publikum offenbar angetan hat. Pietro Spagnoli hat einen biegsamen Bariton, man muss sich, an einen Bass gewöhnt, ein erst wenig damit vertraut machen.

Wunderbar auch die schauspielerische Leistung der Akteure. Da ist ein Blickewerfen und Austauschen von Gesten, das mitreißt und reinen Genuss beschert. Man ist jederzeit mittendrin im Geschehen, lebt mit – und vergisst die Zeit.

Das Staatsorchester spielt unter der Leitung von Constantin Trinks mit gewohnter Virtuosität. Trinks ist offenbar kein Liebhaber eines „knackigen“ Mozart a la Colin Davis. Die Tempi sind eher ruhig und gelassen. Dafür hat dieser Dirigent sehr viel Sinn für die lyrisch-psychologischen Passagen des Werks, die er mit viel Innigkeit ausstattet, eine berührende Interpretation.

Insgesamt ein wunderbarer Abend. Die Wies´n-Heimkehrer bevölkern die U-Bahn. Kein Problem. Man muss sich nur vorstellen, dass sie von Mozarts Musik betrunken sind. Vorschlag an künftige Besucher: gehen Sie statt ins Parkett in die Galerie, wo die Musik klingt wie ein guter Wein, der an die Luft gekommen ist.

Cosi fan tutte an der Bayerischen Staatsoper, im Nationaltheater: 6.10.,  24.10., 26.10 ,29.10.2017

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