Minden, Stadttheater Minden, PARSIFAL – Richard Wagner, IOCO Kritik, 11.09.2023

Minden, Stadttheater Minden, PARSIFAL – Richard Wagner, IOCO Kritik, 11.09.2023
Stadttheater Minden / PARSIFAL hier das Schlussbild © Christian Becker

Stadttheater Minden

Stadttheater Minden © Stadttheater Minden
Stadttheater Minden © Stadttheater Minden

PARSIFAL – Richard Wagner

– Heilig hehrstes Wunder – aber in Minden –

von Michael Stange

Mit immensem Enthusiasmus und bürgerschaftlichem Engagement, initiierte der Richard Wagner Verband Minden 1999 mit dem Fliegenden Holländer die erste Wagner Aufführungen im Stadttheater Minden. Motor dieser Aufführungen war und ist Dr. Jutta Hering-Winckler, Vorsitzende des Richard-Wagner-Verbandes Minden. Sie hat dieses Wagner-Wunder von Minden mit unglaublicher Energie und Tatkraft begründet und über mehr als zwanzig Jahre am Leben gehalten. Dies ist auch deswegen so bewundernswert, weil das Stadttheater Minden für derartige Aufführungen nicht prädestiniert ist. Das im neobarocken Stil erbaute Haus verfügt nur über 535 Sitzplätze und eine kleine Bühne. Unbeschadet dessen wurde es zum bekanntesten Wagnerfestival Nordrhein-Westfalens bei den nun der Parsifal in bewährter Tradition erklang, welches IOCO, Michael Stange am 8.9.2023 erlebte.

Richard Wagner wollte den Parsifal dem Festspielhaus in Bayreuth vorbehalten. Wagners Klagen über ahnungslose Darsteller und das Kostüm- und Schminke-Wesen, das aus Kundry die Gestalt eines Künstlerfestes machen kann, mögen zu seinem Wunsch beigetragen haben, den anspruchsvollen Parsifal nur im Bayreuther Festspielhaus aufzuführen. Es kam anders. Wagners Wusch der Exklusivität hat sich durch das Urheberrecht erübrigt, Die ersten Aufführungen fanden 1914 statt, im Winter 2013 wurden in Berlin Schellackplatten mit Szenen des Werks mit berühmten Sängern aufgenommen. Durch die digitalen Medien hat es endgültig den Weg in jeden Winkel der Welt gefunden.

Die Medien ersetzen aber nicht das Erlebnis der Vorstellung. Gerade Aufführung des Parsifals sind rar, weil sie erhebliche Kräfte binden und es eines geeigneten Aufführungsortes bedarf. So ist fehlende Infrastruktur oft auch ein Hinderungsgrund für Aufführungen und die Heranführung eines neuen Publikums an die Oper durch das unmittelbare Erleben im Theater. In Minden hatte man dies durch Einführungen in den Schulen und eine Schulaufführung im Blick. Das breitgefächerte Rahmenprogramm umfasste zudem Berichterstattungen, Vorträge und eine Video-, Foto- und Toninstallation zu Parsifal von Antoine Wagner, dem Sohn der ehemaligen Bayreuther Festivalchefin Eva Wagner-Pasquier in der Mindener Innenstadt. So wurde und wird Wagners Werk in die Stadt getragen und sichtbar gemacht. Die Fußgängerzone in der Oberen Altstadt wurde zum Opernmarkt. In Schaufenstern wurden Requisiten und Photos und anderes zum Parsifal gezeigt. Ferner wurde ein Wagner-Treff eingerichtet, in dem Mitglieder der Richard-Wagner Verbandes das Werk erklärten. All dies hat sicher auch zum großen Zuspruch der Aufführungen beigetragen

Stadttheater Minden / PARSIFAL hier Kundry, Parsifal, Gurnemanz © Christian Becker
Stadttheater Minden / PARSIFAL hier Kundry, Parsifal, Gurnemanz © Christian Becker

Wagners Parsifal ist ein Kosmos an Handlung, Gefühlen und Symbolen. Neben der Liebe, dem Glaube und der Entsagung Parsifals, der sein Schicksal der Rettung der Gralsbrüderschaft weiht, stehen eine Vielzahl zerrissener Außenseiter (Klingsor, Amfortas, Kundry) und der Erzähler Gurnemanz, der die Zuhörer über die Geschichte des Grals, Klingsors und der Wunde von Amfortas unterrichtet. Auch in Wagners letztem „Bühnenweihfestspiel“ ist die Aufopferung des Helden Parsifal ein zentrales Motiv. Das Werk ist aber auch durch seinen statischen 1. Aufzug und die gleichsam sakralen Finale des ersten und letzten Aufzuges, aber auch durch die komplexen Handlungsstränge geprägt.

Eric Vigié verfügt über eine lange Erfahrung als Direktor der Opéra de Lausanne und als Regisseur. Bei ihm stehen die bildhafte Werkerzählung und eine naturalistische Darstellung im Vordergrund. Im Vorspiel erzählt er die Geschichte des Heiligen Longinus, eines römischen Centurios, der Jesus nach dessen Tod einen Speer (die „Heilige Lanze“) in die Seite gestochen haben soll, die Göttlichkeit Jesus erkannte, Christ wurde und das Evangelium predigte. Dies setzt er mit der Geschichte des Grals, der Schale, mit der Josef von Arimathia das Blut Christi aufgefangen fort, so dass die Herkunft der Reliquien plastische erklärt sind. Der 1. Aufzug ist ein Naturschauspiel in einem Wald mit dem abgeschlagenen Kriegerkopf, wo Gurnemanz den Ritten und Knappen die Geschichte der Gralsbruderschaft erzählt. Im Finale des 1. Aufzuges ist ein stilisierter Tempel zu sehen, der an Neu-Bayreuth erinnert. Im 2. Aufzug prägen die Bühne in der Blumenmädchenszene ein schwarzer Totenkopf und ein Kussmund-Sofa. Der 3. Aufzug beginnt mit der Reise auf einem vereisten Fluss und geht in eine düstere Landschaft über. auch im Finale bewährt sich Vigiés bilderreiche Phantasie mit einem Bild von da Vincis in Saudi-Arabien vermutetem Gemälde Salvator Mundi. Besonderes Augenmerk hat er auf die Personenführung gelegt und schafft insbesondere durch die Interaktion zwischen Parsifal und Kundry im 2. Aufzug ein dicht spannendes Drama. Gurnemanz ist ein involviert leidender Erzähler, der am Schicksal der Gralsbruderschaft nahezu zerbricht. Klingsor ist wie ein Ausbund der Hölle kostümiert und agiert furchteinflößend. Stark insbesondere, wie intensiv die Wandlung Parsifals nach dem Kuss und das Finale des 2. Aufzugs dargestellt wird. Vigié stand für die Interaktion der Protagonisten nur eine Bühne von etwas mehr als fünfzig Quadratmeter zur Verfügung. Vielleicht auch deswegen gelang ihm diese dichte Fokussierung auf die Beziehungen der Personen. Maßgeblich trugen auch die phänomenalen Videoinstallationen mit ihrem Bilderreigen auf dem Gazevorhang bei (Video: Gianfranco Bianchi, Licht: Hermenegild Fietz) . Eine Inszenierung, die wegen ihrer Klarheit und Einfühlsamkeit berührte und unter die Haut ging.

Stadttheater Minden / PARSIFAL hier die Blumenmädchen © Christian Becker

Die Musikalische Leitung hatte Frank Beermann. Er leitete in Minden schon Lohengrin, Tannhäuser, Tristan und Isolde und den Ring des Nibelungen. In Lausanne wurde er im Februar für sein Tristan Dirigat umjubelt. Infolge des für ein Wagnerorchester zu kleinen Grabens sitzen die Musiker auf der Hinterbühne und sind durch einen Gazevorhang von den Sängern getrennt. So sind die Musiker teils sichtbar, teils verborgen und spielen hinter dem in verschieden Bilder getauchten Vorhang. Beermanns Wagner Interpretation

besticht durch gewichtigen voluminösen Orchesterklang den er ideal auf das kleine Haus abstimmte.Filigran und klug ausdifferenziert erklang schon das Vorspiel in dem er mit den Musikern auch die dramatischen Ausbrüche auskostete. Den 1. Aufzug nahm er mit zügigem Tempo, kostet aber die Gralsszene opulent aus. Mit dramatischem Feuer erklang der 2. Aufzug und mit tiefer Emphase wurde der 3. Aufzug ausgeleuchtet. Beermans Dirigat zeichnet sich durch den agogikreichen Fluss der Musik,einen immensen Spannungsaufbau beim Musizieren und auch durch die starken Kontraste aus. So kamen die unterschiedlichen dramatischen Aspekte aber auch der Farbenreichtum der Partitur eindrucksvoll zur Geltung. Die Nordwestdeutsche Philharmonie überzeugte durch involviertes und präzises Spiel und einen ungemein warmen und klangschönen Ton.

Tijl Faveyts prunkte schon im 1. Aufzug in der Erzählung des Gurnemanz mit rundem sonorem Bass und tiefgründiger Darstellung. Wohlklingend erzählte er das Schicksal von Amfortas und der Gralsbruderschaft. Seine Modulations- sowie Wandlungsfähigkeit und die Textdeutlichkeit machten die Gurnemanz-Erzählung zu einem tief berührenden Ereignis. Seine farbenreiche, tiefe und sicher geführte Bassstimme, strömte voluminös in den Saal und war ein Glanzpunkt der Aufführung. Durch seine Rollengestaltung entstand schon im 1. Aufzug eine flüssige und spannende Atmosphäre.

Stadttheater Minden / PARSIFAL hier das Schlussbild © Christian Becker
Stadttheater Minden / PARSIFAL hier das Schlussbild © Christian Becker

Jussi Myllys hat das ideale jugendlich heldische Timbre für den Parsifal. Seine baritonal klingende Stimme verfügt über eine durchschlagskräftige klangvolle Höhe. Überzeugend sein Auftrumpfender Auftritt nach der Tötung des Schwans und seine tiefe Reue beim Erkennen seiner Tat. Im 2. Aufzug konnte er schon in der Blumenmädchenszene mit seinem prächtigen Stimmmaterial und seiner gestalterischen Wandlungsfähigkeit punkten. Mit großer technischer Meisterschaft gelangen ihm die Ausbrüche des Finale. Eine große Hoffnung im Wagnerfach. Möge Minden für ihn ein gutes Omen für seine weitere Karriere sein. Andreas Schager, der Mindener Tristan des Jahres 2012 wird die Rolle 2024 in Bayreuth singen.

Isabelle Cals war eine ideale Kundry. Wie ihre französische Rollenvorgängerin Regine Crespin verfügt sie über ein warmes, sinnlich betörendes Timbre. Ursprünglich Mezzosopran hat sie nach einem weiteren Studium ins Sopranfach gewechselt. Sie gab eine Kundry mit Passion und tiefer Rollenidentifikation. Ihre Wildheit und ihre Verführungskunst konnte sie durch ihre reiche Palette an Stimmfarben überzeugend darstelen. Auch ihre sichere Höhe und die textliche Auslotung in der Verführungsszene machten ihre Interpretation zum Ereignis.

Roman Trekel vereint in seinem Amfortas sowohl lyrische aber auch dramatische Facetten. Wort- und stimmgewaltig gestaltet er das Schicksal dieses tragischen Helden mit teils heldenbaritonaler Wucht. Ein beeindruckendes Portrait.

Yoshiaki Kimuras als Klingsor war der Gegenentwurf des reinen Parsifal. Böse und machtlüstern mit kräftigem und wohltönenden Bariton gestaltete er die Rolle auftrumpfender und bühnenfüllend. Sein sicher geführter Bariton entfachte ein Feuerwerk an Hass und fesselte immens. Titurel sang John Sax mit profundem Bass.

Als Chor war von coruso – Erster Deutscher Freier Opernchor e.V. engagiert. Polyphon und mit großem Einsatz ging das Ensemble ans Werk und gab dem Werk in den Sakralszenen Weihe und Wucht.

Intendantin Andrea Kraudelt, Dr. Jutta Hering-Winckler, Frank Beermann und allen in die Produktion Involvierten ist für das Gelingen dieses großen Abends zu danken. Alle haben enormes und nahezu übermenschliches geleistet. Manchen werden beim Schlussapplaus mit Recht die Freudentränen in die Augen gerollt sein.

Eine grandiose Aufführung

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