Mélodies de Verlaine - Debussy, Fauré, Hahn, IOCO CD - Rezension, 26.11.2021
CD - Mélodies de Verlaine - Debussy, Fauré, Hahn
Werner van Mechelen, Florestan Bataillie, Desguin String Quartet
Et’Cetera records - KTC 1728. 2021
Besprechung von Julian Führer
Paul Verlaine (1844 - 1896) schrieb gegen Ende des 19. Jahrhunderts Gedichte, die stilistisch am ehesten zur Strömung des Symbolismus zu rechnen sind, wie er auch von Stéphane Mallarmé und Arthur Rimbaud in der Nachfolge von Charles Baudelaire gepflegt wurde. Gleichzeitig experimentierte Verlaine mit unterschiedlichen Versformen, und besonders charakteristisch für seinen Stil ist der virtuose Umgang mit den Klangfarben der französischen Sprache: „Les sanglots longs des violons de l’automne / Blessent mon cœur d’une langueur monotone“. Kaum älter als fünfzig Jahre, ging Verlaine an Alkohol und Syphilis zugrunde. Sein sehr musikalischer Umgang mit der Sprache inspirierte mehrere Komponisten zu Vertonungen. Der Bariton Werner van Mechelen und der Pianist Florestan Bataillie haben einige dieser Kompositionen auf einer neuerschienenen CD versammelt, die unter dem Titel „Mélodies de Verlaine“ Stücke von Claude Debussy, Gabriel Fauré und auch des weniger bekannten Reynaldo Hahn präsentiert.
Die Trois mélodies de Verlaine von Debussy beginnen mit La mer est plus belle que les cathédrales: zu aufbrausenden Figuren am Klavier kommt schnell die Männerstimme, die ihrerseits von hoch perlenden Tönen des Klaviers (oder der Wellen) umspielt wird. Debussys Tonkunst kommt auch in Le son du cor s’afflige vers les bois zur Geltung: In Akkordfolgen, die auch im ersten Buch seiner Préludes zu finden sind, verdüstert sich der Grundton dieses Sonetts im Einklang mit der Begleitung. Werner Van Mechelen meistert die nicht einfach liegende Gesangsstimme mit einer beeindruckenden Phrasierung. Die Vertonung von L’échelonnement des haies erinnert fast schon an Maurice Ravel. Besonders interessant ist die Vertonungen von Mandoline, die in zwei Versionen von Debussy und Fauré unmittelbar hintereinander zu hören sind. Debussys Vision imitiert nicht den Klang der Mandoline, sondern evoziert eher mit dem Gedichttext ein amouröses Necken, fast eine kleine Marivaudage, die durch Vokalisen eine zusätzliche spielerische Note erhält, von Verlaine aber mit bissigen Zwischentönen versehen wird.
Gabriel Fauré lässt das Klavier in Mandoline zu Beginn der Cinq mélodies de Verlaine op. 58 staccato begleiten; wo bei Debussy die Vokalisen das Lied beschließen, lässt Fauré die erste Strophe wiederholen und das Stück trotz der deutlichen Zwischentöne eher freundlich enden. Reizvoll ist der Wechsel zu Legatopassagen, die das schnelle Umschlagen der Stimmungen in diesem Lied illustrieren. En sourdine atmet stärker den Geist der musikalischen Spätromantik und endet mit dem Verweis auf die Nachtigall als Stimme unserer Hoffnungslosigkeit – in einem verklärenden Durakkord. Green erfordert einen längeren Atem; Van Mechelens flexibler Umgang mit der Stimme überzeugt, auch die Abstimmung mit dem Klavier ist bei den Fauré-Interpretationen ganz besonders gelungen. A Clymène könnte Yann Tiersen inspiriert haben, das Klavier schafft ganz ähnliche Klangwelten wie in der Filmmusik zu Le fabuleux destin d’Amélie Poulain und changiert zwischen beruhigenden und vorwärtsdrängenden Passagen. Der Text ist mit dem Schlüsselwort der Symbolisten correspondances auch eine Reverenz an Baudelaire. C’est l’extase ist nicht so wild, wie der Titel zunächst vermuten ließe, sondern greift weit aus und evoziert „fatigue amoureuse“ ebenso wie bukolische Szenen der Natur. Aus Faurés Deux mélodies op. 46 ist Clair de lune zu hören – die sehr melancholische Stimmung des Gedichtes dringt erst gegen Ende des Liedes auch in der Musik durch, die sich zu Moll hinwendet und in einem fahlen Einzelton endet.
Reynaldo Hahn lebte von 1874 bis 1947. Die Reihe der Verlainevertonungen in den Chansons grises des erst siebzehnjährigen Komponisten eröffnet die eingangs zitierte Chanson d’automne. Die Klavierbegleitung wird bereits im sorgfältig zusammengestellten Booklet als minimalistisch beschrieben; vom Sänger wird hingegen erwartet, fast ohne stützende Begleitung im piano eher hoch liegende Einzeltöne zu formen, was eine große Intonationssicherheit erfordert. Tous deux ist luftiger komponiert und atmet einen Hauch der Kinderszenenleichtigkeit von Robert Schumanns Miniaturen. L’allée est sans fin ist von unerfüllter Liebessehnsucht geprägt – nicht so schwer und schwärend wie Tristan und Isolde, eher leicht und doch voller Bedauern über den unerfüllten Wunsch. En sourdine hatte bereits Fauré vertont. Hahn reduziert hier noch einmal die Ausdrucksmittel und belässt Klavier und Gesangsstimme innerhalb eines schmalen Tonintervalls, abgesehen von der auf einmal recht hoch singenden Nachtigall im Schlussvers. L’heure exquise ist eine erlesene musikalische Träumerei in einer Stimmung, die in Paysage triste in eingetrübter Weise wiederaufgenommen wird. Die Versschlüsse werden in schwer zu singenden langen Tönen gestaltet. La bonne chanson hat etwas von Johannes Brahms und etwas von Schumann und lässt das Klavier in massiv im Bass abgestützen Akkordfolgen deutlich in den Vordergrund treten.
Für eine Lied-CD etwas ungewöhnlich, bleibt das nächste Stück ganz dem Klavier vorbehalten: Florestan Bataillie interpretiert Debussys sehr bekanntes Stück Clair de lune aus der Suite bergamasque und bietet eine sehr souveräne Interpretation, die den scheinbar improvisierten Charakter ebenso hervortreten lässt wie die rasch wechselnden musikalischen Färbungen und Stimmungen.
Den Abschluss bildet der Liedzyklus La bonne chanson, eine Auswahl aus der gleichnamigen Gedichtsammlung Verlaines, von Gabriel Fauré in Noten gesetzt. Statt der ursprünglichen Fassung für Klavier und Singstimme wurde hier das von Fauré selbst stammende Arrangement für Klavier, Streichquartett und Singstimme aufgenommen. Une sainte en son auréole ist eine recht komplex-artifizielle Meditation über die Bedeutung eines mittelalterlichen Heiligennamens. In Puisque l’aube grandit strömt Van Mechelens Stimme gänzlich frei; die Fassung mit Streichquartett verleiht der Begleitung mehr Gewicht, die so stellenweise auch etwas parfümiert wirkt, gut zu hören auch in La lune blanche luit dans les bois, wo die Instrumente fast orchestral aufwallen. J’allais par des chemins perfides lässt wie oft bei Verlaine scheinbar ganz gegensätzliche Situationen und Empfindungen aufeinanderstoßen. J’ai presque peur en vérité ist hingegen ein recht diesseitiges, gleichzeitig raffiniertes Liebeslied (trotz mancher symbolistischer Zutat), Avant que tu ne t’en ailles ist bei mancher Verrätselung mit vielen angenehmen Naturempfindungen angereichert, und Donc ce sera par un clair jour d’été atmet wie der gesamte Gedichtzyklus die Verlaines Vorfreude auf seine Ehe, die aber nicht glücklich bleiben sollte. N’est-ce pas? stellt die Aussicht auf ein Leben zu zweit positiv dar, allerdings in Form einer Frage: oder etwa nicht? Den Abschluss bildet das Lied L’hiver a cessé – der Winter ist vorüber, und das gilt ebenso für das Außen wie für das Innere des Dichters (hier ist die fein ziselierte Violinenstimme auffällig).
Die CD versammelt also Vertonungen dreier französischer Komponisten des Fin de siècle, die einen naturgemäß unterschiedlichen Umgang mit ihrer Vorlage pflegen, aber dennoch stilistisch nicht allzu weit voneinander entfernt sind – Fauré stärker in der spätromantischen Tradition stehend, Hahn eher von der Reduktion ausgehend, Debussy mit dem ihm eigenen Stil. Das einende Band sind die zugrundeliegenden Gedichte von Paul Verlaine, aber auch die ausführenden Künstler: Florestan Bataillie am Klavier, virtuos zwischen pointillistischen und flächigen Elementen wechselnd, und natürlich Werner Van Mechelen. Liederabende und -CDs gelten nicht zu Unrecht als sehr intime Darbietungen, die sehr viel von der Persönlichkeit eines Künstlers offenbaren, aber auch vieles von einem Sänger abverlangen. Van Mechelens Stimme und ihr fein dosierter Einsatz zeigen, dass das Programm dieser CD nicht nur inhaltlich kohärent ist, sondern auch mit einem hohen intellektuellen Anspruch durchdrungen wurde. Ein Schmuckstück.
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